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Einige Absonderlichkeiten

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Hatte er das schon ein mal beobachtet?

Abellus kratzte nachdenklich an seinem grau-schwarzen, haarlosen Schädel. Er wusste, dass die Menschen es bevorzugten, sauber zu sein. Gesäubert von Erde und anderen Dingen. Aber, dass sie jetzt ihr Waschwasser für die Hände parfümierten und mit einer öligen Schicht versahen, war ihm neu.

Eigentlich war das Wasser nicht für beide Hände bestimmt. Er hatte beobachtet, dass stets nur die rechte Hand in das Wasser getaucht wurde. Und das auch nicht vollständig. Nur die Fingerspitzen kamen damit in Berührung. Dann wurde die rechte Hand schnell wieder raus gezogen und der Mensch machte eine komische Bewegung mit seiner Hand.

Die Hand wurde nicht ausgeschüttelt, wie man das bei Tieren mit Fell sehen konnte, um das Wasser wieder los zu werden, sondern die Hand wurde zur Stirn geführt. Und dann ging sie weiter zur Brusthöhe und dann zur linken und zur rechten Schulter. Es sah so aus, als würden die Menschen ein unsichtbares Kreuz in der Luft nachzeichnen. Das war so eine Art Ritual. Aber was es zu bedeuten hatte, hatte Abellus bisher nicht raus gefunden. Es war einer der merkwürdigen Handlungsweisen, die die Menschen vollführten, ohne, dass sie einen Sinn ergaben. Zumindest für Abellus.

Neugierig beugte er sich ganz tief über den kleinen Wasserspiegel in der gräulichen Steinschüssel. Diese hatte einen schweren Steinfuß an der Unterseite, so dass sie weit nach oben ragte und konnte nicht bewegt werden. Schüssel und Fuß waren eins. Nicht mal eine kleine Erschütterung konnte man verursachen, wenn man mit aller Kraft dagegen stieß. Das Teil, was es auch immer war, blieb unverändert an seinem Platz stehen.

Abellus tauchte seine lange, fast lila-schwarze Zunge in das ölige Wasser und verzog das Gesicht. Es war nicht sauber, eindeutig. Das war ungewöhnlich für die Menschen, die hier her kamen. Er hatte sie genau beobachtet. Sie trugen sehr saubere Kleidung, in der nicht ein Fältchen war. Die Stoffe strahlten vor Weiß. Ihre Haare waren züchtig nach hinten gebunden oder adrett geschnitten. Und er hatte den Eindruck, dass diese Haare der Menschen nie mit Schmutz oder mit Wind in Berührung gekommen waren. Sie legten viel Wert auf Sauberkeit. Also, was sollte dann das hier?

Das Wasser, ja, es war eindeutig Süßwasser, schmeckte aromatisch und irgendwie ölig. Seine Augen hatten ihn also nicht getäuscht. Jemand hatte dem Wasser was zugesetzt. Ob sie es so lieber mochten? Riechend und ölig? Vermutlich.

Er nahm noch einen kleinen Schluck und musste husten. Es schmeckte ihm nicht wirklich, aber es war ihm wichtig, dass er es genau prüfte. Nur so konnte er diese Wesen besser verstehen. Zumindest hoffte er das. Das ölige Wasser in der Steinschüssel blieb ihm allerdings ein Rätsel.

Er mochte Rätsel und Geheimnisse. Deswegen war er ja aus seinem Erdloch hervor gekrochen gekommen, um seinen Geist mit Geheimnissen, die man vielleicht lösen konnte, zu beschäftigen. Er liebte es, in den Angelegenheiten der Menschen herumzuschnüffeln. Sie gaben ihm viele Denkaufgaben auf und das hier war eine davon.

Zufrieden reckte er seine langen, schwarz-grauen Arme in die Luft. Er hatte heute Nacht nicht so gut geschlafen. Ständig waren kleine Erdkrümmel auf seine empfindliche Nase gepurzelt. Davon war er wach geworden. Die ganze Erdhöhle hatte gewackelt. Zumindest kam ihm das so vor. Nun, der Bau war sicher und vor Einstürzen ängstigte er sich schon lange nicht mehr. Dachte er zumindest. Die Erde in dieser Gegend war recht Lehmhaltig und hielt einige Stöße aus.

Die Zeiten hatten sich geändert. Als er mit seiner Gefährtin vor unendlich vielen Jahren hier her gezogen war, gab es noch nicht diese lauten, brummigen Dinger, die die Erde zum erbeben brachten. Und die Tatsache, dass einige davon jetzt auch nachts ihr Unwesen trieben, schien keinen Menschen zu stören. Nur sie, die Erdbewohner, wurden davon in ihrer Nachtruhe empfindlich beeinträchtigt.

Sein dicker Finger kreiste in dem Wasser umher. Das Öl bildete kleine Bilder, die in mehreren Farben schimmerten. Es sah nett aus. Vielleicht war es ja auch nur ein Versehen gewesen, dass diese Substanz dort hineingekommen war. All die Wochen davor, hatte er das Wasser nämlich ganz klar vorgefunden. Wenn Abellus genug von seiner Gefährtin Holda hatte, kam er hier her und nahm sich einen Schluck von dem erfrischenden Nass. Er bildete sich ein, dass die Bewohner dieses Gebäudes, eigens für ihn, diese Schüssel mit Wasser immer neu füllten. Dazu nahmen sie Wasser aus einem anderen Behältnis. Dieses stand weiter hinten im Raum, mittig, so dass man es von allen Seiten gut sehen konnte. Es musste eine zentrale Rolle spielen. Nur welche?

Die Menschen schöpften aus dem großen Behältnis, was reich verziert war. Auch dieser riesige Kelch war fest im Boden verankert und sehr schwer, da er ebenfalls aus Stein war. Jemand hatte ihn rundherum mit Symbolen und Bildnissen versehen. Einige zeigten Menschen, aber auch Tiere waren zu sehen und Pflanzen gab es auch.

Abellus kannte sich mit den Symbolen dort nicht so gut aus. Aber es war ihm aufgefallen, dass ein Bildnis sich auch in einem Fenster wiederfand. Es war ein Bild, was eher abschreckend war. Und Abellus konnte sich keinen Reim daraus machen, warum es den Menschen gefiel, gleich zweimal in diesem Raum dieses Bildnis zu erschaffen.

Es zeigte einen fast nackten, männlichen Menschen, wie er irgendwie mit einem Holzding verbunden war. Komische Sache. Abellus konnte sich nicht erklären, was dieses Holzding für eine Funktion haben sollte. Offensichtlich gefiel es dem männlichen Menschen auch nicht, dass er dort war und irgendwie mit dem Holzding eine Einheit bildete. Abellus kannte sich – nach langem Studium der menschlichen Eigenarten – ein wenig mit deren Mimik aus. Und er hätte schwören können, dass dieser Mann an dem Ding, was aus zwei Holzstreben bestand, eins vertikal und das andere horizontal, sein Gesicht nicht aus Freude so verzog. Es war also keine Szene dargestellt, die Freude verbreiten sollte. War das hier ein Raum, der den Menschen nicht zur Freude diente?

Abellus schüttelte den Kopf. Das Öl in dem Wasser ließ einen pelzigen Geschmack auf seiner Zunge zurück. Er hatte einen robusten Magen. Das Wasser mit Öl würde ihm nichts ausmachen. Mehr quälte ihn der Gedanke, dass er so viele Rätsel in diesem Raum nicht entschlüsseln konnte.

Gedankenverloren strich er über den kalten Stein des kleinen Beckens und rührte noch mal in dem Wasser herum. Er überlegte noch mal. Die Menschen benutzten das kleine Becken, um eine Hand dort hinein zu tauchen. Die andere wurde trocken gelassen. Das war auch komisch, fand er. Vielleicht war ja so das Öl in das Wasser gelangt. Es befand sich zuerst an einer Menschenhand und wurde dann bei der Berührung mit dem Wasser dort abgewaschen.

Abellus hatte schon gesehen, dass Menschen es liebten, ihre Haut mit so einer weißen Paste einzuschmieren. Das erschien ihm logisch zu sein. Die Menschen, die er kannte – nur vom Sehen – hatten so merkwürdige helle Haut. Vermutlich war diese weiße Paste eine Art Schutz für die empfindliche Menschenhaut. Er dagegen hatte eine sehr dicke, robuste Haut, die keinen besonderen Schutz benötigte. Meistens rieb er etwas Erde auf seinen Körper, das aber nicht zum Schutz vor der Sonne, sondern er mochte den Erdgeruch sehr gerne und fand es schick, etwas braune Farbe auf seinem Körper zu haben. Die Erdkruste verhinderte auch, dass Erdflöhe ihn plagten.

Erneut betrachtete er das Öl in dem Wasser. Es war vermutlich weiße Paste, die die Menschen auch an ihren Händen hatten. Das Wasser war nun verdorben. Er würde warten müssen, bis sie es wieder ausgewechselt hatten, bevor er davon erneut trinken konnte. Enttäuscht wendete er sich von dem kleinen Becken ab.

Er konnte von Glück sagen, dass er so gut in der Dunkelheit sehen konnte, denn der Raum war sehr duster. Er konnte auch in Helligkeit alles erkennen. Seine Augen waren wahre Wunderwerke. Geeignet für die absolute Dunkelheit – was für sein Zuhause notwendig war – als auch für das Licht, was oftmals über der Erde schien.

Abellus blickte sich um. Die Menschen hatten, seit er zuletzt hier war, nichts verändert. Überhaupt schien dies ein Ort zu sein, wo wenig geändert wurde. Alles stand so da wie immer.

Manchmal brachten sie Pflanzen von draußen mit und steckten sie in so Behältnisse, die leicht kaputt gingen, wenn man nicht aufpasste. Abellus war das schon passiert. Nicht absichtlich. Er wollte sich das Gefäß mit den Pflanzen darin genauer ansehen, dabei war es ihm aus den Fingern geglitten. Er war sehr erschrocken gewesen, als er das scheppernde Geräusch hörte, das in seine Ohren drang, als das Gefäß in viele, kleine Teile auf dem Steinboden zerbrach. Er hatte die Luft angehalten. Aber es war niemand gekommen.

Seitdem hatte sich Abellus angewöhnt, möglichst nur dann in dem Raum zu sein, wenn er ganz sicher, aber auch absolut sicher war, dass kein Mensch in der Nähe war.

Als das Gefäß kaputt gegangen war, war er sich da nämlich nicht sicher gewesen.

Der Küster seufzte. Er war nicht Schuld daran, dass diese blöde Vase kaputt gegangen war und er fand es ungerecht, dass Pastor Krech ihm den Wert der Vase vom Gehalt abziehen wollte.

Überhaupt war Pastor Krech ein arroganter Schnösel. Das fand Thomas Baldun. Gut, er wusste, dass er so nicht über seinen Chef denken sollte und schon gar nicht in dieser Umgebung. Aber was sollte er machen? Die Ungerechtigkeiten gegen ihn häuften sich und er konnte damit nicht umgehen. Eigentlich konnte er schon damit umgehen, aber der Umstand, dass sein Dienstherr ein religiöser war, verhinderte, dass er sich angemessen wehrte.

Er schluckte den Ärger erneut runter und wendete sich dem Abendmahl Geschirr zu. Wütend polierte er das Silber, was immer wieder dreckig zu sein schien. Irgendein Scherzbold – bestimmt jemand aus der Jugendarbeit – hatte sich hier herein geschlichen und zum wiederholten Mal seine Lippen auf das Silber gedrückt. Fette Lippenabdrücke waren an dem Kelch zu sehen. Und das war nicht das erste Mal. Und es geschah immer dann, wenn er den Kelch und den Teller sauber poliert hatte. Und das Schlimmste war, dass Pastor Krech ein mal sonntags zum Abendmahl einen solchen verdreckten Kelch in der Hand gehalten hatte und es bemerkt hatte. Man konnte an seinem Gesicht sehen, dass er am liebsten den dreckigen Kelch in die nächste Ecke geworfen hätte. Aber wie immer hat er sich vor den Leuten aus der Gemeinde zusammen gerissen und so getan, als wäre nichts. Oder fast nichts.

Allerdings, als dann der Gottesdienst vorüber war, hatte es Thomas Baldun wieder abbekommen. Der Pastor hatte ihn schon seit längerem auf dem Kieker und war sowieso davon überzeugt, dass der Küster seine Arbeit schlampig machte. Das war der erneute Beweis dafür.

Umso mehr war nun der Küster darum bemüht, alles gründlich sauber zu halten. Aber es war umsonst. Die Lippenflecken tauchten regelmäßig auf. Gegenstände wurden von ihrem Platz bewegt und woanders hin gelegt oder verschwanden ganz. Neulich hing sogar das Kreuz im Ankleideraum des Pastors verkehrt herum. Ein Skandal! Zum Glück hatte es Thomas Baldun rechtzeitig bemerkt, bevor sein Chef den Raum betreten hatte. Manchmal hatte der Küster eben auch Glück. Aber eben auch nur manchmal. Wütend darauf, dass jemand das Abendmahlgeschirr verschandelte und so seine Arbeit zu Nichte machte, machte er sich auf den Weg zum Garten, um dort weiter zu arbeiten.

Abellus überlegte, was er noch unternehmen konnte. Was würde ihm Freude machen?

Er schnüffelte an den Pflanzen. Sie waren nicht mehr ganz frisch. Die Menschen ließen sie in den Gefäßen verdorren, bis sie ihre Blätter hängen ließen und manchmal schon modrig rochen.

Er fand, dass der ganze Raum etwas nach Schimmel roch. Nun, das machte ihm nichts aus. Aber er wusste, dass die Menschen recht reinlich waren und daher wunderte es ihn, dass sie sich ab und zu in einem Raum aufhielten, der nach vergammeltem Wasser roch. Diese Menschen waren sehr sonderbar.

Da fiel ihm ein, was er noch machen könnte. Er schlich auf Zehenspitzen durch den großen, weitläufigen Raum, an den kargen Bänken vorbei, in den hinteren Bereich des Gebäudes. Dort hielt er sich auch immer gerne auf. Dort gab es viele, kleine Gegenstände, die sich bewegen ließen und die man gut betrachten konnte. Auch setze er gerne seine anderen Sinne ein, wenn er die Rätsel der Menschheit untersuchte. Sein Tastsinn war sehr hilfreich, aber auch sein Mund und seine Zunge gaben ihm wertvolle Hinweise.

Wenn er mit der Zunge über das merkwürdig schimmernde Ding rieb, das man gut in den Händen halten konnte, schmeckte er einen sehr bitteren Stoff. Das glänzende Ding hatte einen Geschmack, der ihn an einen bitter schmeckenden Pilz erinnerte, der manchmal an Bäumen wuchs. Aber das glänzende Ding war kein Pilz. Eher ein Gefäß, was sich sehr kalt und glatt anfühlte. Drücke er seine Lippen an den Rand des Dings, ging Kälte durch ihn hindurch. Das mochte er besonders im Sommer.

Vielleicht war das ein Gegenstand, den die Menschen verwendeten, um sich bei Hitze zu kühlen. Er fand das spannend. Sicherlich gab es noch mehr Erklärungen für dieses Teil, was wie ein Spiegel wirkte. Allerdings konnte man seine Umgebung nur verzerrt wahrnehmen, wenn man hineinblickte. Abellus Augen schienen darin riesig und noch schwärzer zu sein, als sie eh schon waren. Sein Gesicht wirkte in dem spiegelglatten Ding ganz schmal und seine Wangen eingefallen. Vielleicht war dieses Ding ja auch ein Spielzeug. Auf jeden Fall konnte man damit allerlei anstellen.

Abellus legte den Becher auf den Steinboden und kickte ihn mit seinen Zehen an. Ein schepperndes Geräusch erklang und wirkte auf ihn wie Musik. Er versuchte es noch mal und der Becher hüpfte geräuschvoll über die Steine. Abellus kicherte. Die Menschen verstanden es, schöne Dinge zu erfinden. Sein Blick fiel erneut auf den Kelch auf dem Steinboden und er sah, dass ein kleine Beule das Behältnis schmückte. Die war neu. Die hatte er wohl mit seiner Spielerei hinein gemacht. Nun, warum auch nicht? Dinge blieben nie so, wie sie waren. Sie veränderten sich.

Erschrocken hielt er inne. Jemand hatte die schwere Tür bewegt, die zum Vorraum des großen Gebäudes führte. Er selber ging nie durch diese Öffnung, denn sie war verschlossen. Er hatte es schon mehrmals probiert, aber so sehr er auch an dem großen Holz, was in die Mauer eingelassen war, rüttelte, es war nicht zu bewegen. Zu schwer oder eben durch einen Mechanismus verschlossen.

Abellus hatte beobachtet, dass die Menschen es liebten, Dinge – kleine und große – zu verschließen und zu verstecken. Er fand es wunderbar, nach versteckten Dingen der Menschen zu suchen und sie dann schließlich zu finden. Aber meistens wusste er nicht, was mit dem Gegenstand anzufangen war. Das machte ihm aber nichts. Die Dinge der Menschen waren sehr interessant. Er kannte so viele Gegenstände gar nicht. Er selber besaß nur Weniges. Sein Heim unter der Erde war spartanisch eingerichtet und jeder Gegenstand hatte eine wichtige Funktion, die dem Überleben diente. Die Menschen dagegen schienen Gegenstände zu horten. Sie musste sehr erfinderisch sein – diese Spezies.

Um sicher zu gehen, dass er nicht entdeckt wurde, hockte er sich hinter den Vorhang in dem Raum mit den glänzenden, kleineren Dingen. Und dabei vergaß er, den nun zerbeulten Becher wieder an seinen Platz zu stellen. Er überlegte kurz, was zu machen sei und entschloss sich, einen kurzen Satz nach vorne zu machen – auf allen Vieren, darin war er sehr geschickt – und den Becher zu sich hinter den Vorhang zu nehmen. Keine Sekunde zu früh!

Pastor Roderich Krech steckte seinen Kopf in den Raum und sah sich um. Zog sich jedoch sofort wieder zurück.

Abellus kannte diesen Menschen nur vom Sehen. Er konnte ihn beobachten, wenn er ein mal die Woche vorne in dem großem Raum stand und abwechselnd seine Arme hob und wieder senkte. Er sprach auch viel. Hauptsächlich allein. Keiner schien sich zu trauen, ihn zu unterbrechen, denn wenn dieser Mensch vorne stand, schwiegen alle anderen Menschen, die vor ihm auf dem Holz saßen. Es schien den Leuten nicht zu gefallen, was er da sehr lange Zeit vortrug, denn keiner klatschte in die Hände, wenn er fertig war.

Abellus war ganz stolz auf diese Entdeckung. Er hatte beobachtet, dass Menschen ihre beiden Hände aufeinander schlugen, wenn ihnen etwas gefiel. Neulich hatte nämlich ein weibliches Junge von ihnen, Geräusche auf so einem langen Stab gemacht, der glänzte.

Abellus konnte beobachten, dass dieser Stock einige Löcher besaß, die das junge Weibchen mit ihren Fingern ab und zu zuhielt. Gleichzeitig spitzte sie über einem größeren Loch in dem Silberstab ihre Lippen und pustete Luft hinein. Das Ergebnis davon war, dass Geräusche aus dem Stock kamen.

Abellus konnte nicht sagen, ob diese angenehm waren oder nicht. Er konnte damit wenig anfangen. Aber den Menschen schien es zu gefallen, denn sie schlugen ihre Hände zusammen und stießen zudem jubelnde Rufe aus. Auch bewegten sie sich dabei viel. Bei dem Mann, der gerne vorne steht, bewegte sich niemand. Zumindest für eine längere Zeit nicht. Abellus war es ein Rätsel, warum diese Menschen ein mal die Wochen kamen und sich hinsetzen, um dem Mann da Vorne zu zuhören, wenn es ihnen doch gar nicht gefiel. Und warum ließen sie nicht statt dessen das junge Weibchen auf ihrem Stab spielen?

Abellus seufzte, er hätte zu gerne die Rätsel um diese Menschen gelöst, doch ihm blieb nichts anderes übrig, als Spekulationen anzustellen. Er blickte vorsichtig hinter dem Vorhang in den kleinen Raum. Der Mann von Vorne war verschwunden. Da hatte er Glück gehabt. Noch nie hatte er sich einem Menschen gezeigt und er hielt es auch für sicherer, dies nicht zu tun. Schnell stellte er den zerbeulten Becher wieder an seinen Platz.

Hannelore erschrak. Nervös rückte sie ihre Brille auf ihrem Nasenrücken zurecht. Sie hatte es schon wieder getan! Ihr passierte das ständig, dass sie Dinge tat, die sie eigentlich nicht tun wollte. Vielleicht war sie mit ihren über vierzig Jahren einfach zerstreut geworden. Anders konnte sie sich ihr merkwürdiges Verhalten nicht erklären. Sie hatte schon wieder das Wasser in der Schale verunreinigt. Warum musste sie sich auch immer die Hände eincremen, wenn sie in den Gottesdienstraum ging? Es war schon eine Marotte von ihr. Dabei wusste sie, wie wütend der Küster werden konnte, wenn er sah, dass das heilige Wasser zum bekreuzigen, einen Fettfilm hatte. Nun, sie konnte das verstehen, es war ja auch eklig, dass dieses verunreinigte Wasser bei dem Kreuzzeichen auf Gesicht und Oberkörper tröpfelte. Aber sie konnte ihr Fehlverhalten irgendwie nicht abschalten.

Pastor Krech hatte sie hierher beordert, damit sie die hinteren Räume durchfegte. Sie fand, das war als Sekretärin der Gemeinde gar nicht ihre Aufgabe. Dieser Roderich - was für ein lächerlicher Vorname! – hatte ihr die Putzarbeit als ehrenvolle, ehrenamtliche Arbeit verkauft. Sie war im Laufe der Jahre zu einem Mädchen für alles geworden – ohne Zusatzbezahlung versteht sich. Sie ärgerte sich schon lange darüber, hatte aber nie den Mut aufbringen können, sich dagegen zu wehren. Ihre Waffe war es, sich irgendwie vor der unbezahlten Zusatzarbeit zu drücken. Und so verschwand sie schnell wieder aus dem Kirchenraum, ohne die hinteren Räume gefegt zu haben. Sie war doch keine Putzfrau!

Wütend auf sich, dass sie nicht den Mut hatte, zu kündigen und irgendwo anders anzufangen, stieß sie die Tür zu ihrem Reich auf. Ein muffiger Geruch, der von der schlechten, billigen Teppichware stammte, schlug ihr zur Begrüßung entgegen. Die Luft stand. Kein Lüftchen regte sich. Sie eilte zu dem Fenster hinüber, um es zu öffnen. Wenigstens hatte sie von hier aus einen Blick in den Gemeindegarten. Erst dahinter lag die Straße mit ihrer Geschäftigkeit.

Hannelore ließ sich auf ihren Bürostuhl fallen. Es waren schreckliche Verhältnisse hier. Sie war schon lange unzufrieden. Aber ihr fehlte das Quäntchen Unzufriedenheit, was dafür sorgte, dass sie endgültig ging. Gekündigt – innerlich – hatte sei schon lange. Doch sie behielt ihre Unzufriedenheit für sich. Was hatte Pastor Krech – oh ja, Roderich, haha – ihr neulich unverschämter Weise gesagt? Sie wäre zu langsam?! Wirklich unverschämt dieser Kerl! Dabei machte sie so schnell, wie sie eben konnte. Meine Güte, wenn er jemand schnelleres haben wollte, dann sollte er eben eine Zwanzigjährige einstellen. Vermutlich wäre er damit zufrieden, oder auch nicht. Krech war nie zufrieden. Krech fielen immer die Unzulänglichkeiten der Menschen auf. Das war sein Job.

Verärgert öffnete Hannelore die oberste Schublade an ihrem Schreibtisch. Alles war sehr aufgeräumt. Oberflächlich betrachtet. Die Schreibtischplatte war nur mit wenigen Gegenständen belegt und die lagen oder standen alle so, dass man den Eindruck haben konnte, es wäre ein Ausstellungsstück in einem Möbelfachgeschäft. Das war wichtig so. Besucher der Kirchengemeinde sollten den Eindruck haben, dass hier alles in Ordnung war, das gehörte sich so für eine Kirche. Darunter allerdings hatte Hannelore – aus Protest – etwas deponiert, was nicht ins Sekretariat einer Kirche gehörte. Sie grinste in sich hinein; es tat gut, die aufgezwungene Ordnung ein wenig zu verrücken.

Holda schnüffelte an der kleinen, orangen Rübe, die ihr Abellus zum Mittagessen vorbei gebracht hatte. Er war leider danach sofort wieder verschwunden, mit der Bemerkung, dass er nicht sehr hungrig sei und lieber wieder an die Erdoberfläche wolle.

Holda schüttelte den Kopf. Ihr Lebensgefährte war sehr unvernünftig. Wesen wie sie gehörten nicht in die chaotische Welt der Menschen. Das waren gefährliche Geschöpfe! Nicht einzuschätzen in ihren Verhaltensweisen. Das wusste jeder ihrer Spezies. Diese Menschen waren blutrünstig und hatten Wesen ihrer Art über Jahrhunderte verfolgt und verbrannt. Keiner aus ihrer Art wusste warum. Die Kolis waren sehr friedliebend. Schon immer gewesen. Aber diese Menschen wollten das nicht begreifen und waren daher gefährlich für Kolis.

Doch Abellus war die Unvernunft in Koligestalt. Holda knabberte an der kleinen Rübe. Sie schmeckte köstlich! Sie war süß und saftig. Seit Abellus öfters oben in der Menschenwelt war, beschenkte er seine Gefährtin mit Dingen aus dieser Welt. Es waren oft glitzernde Dinge dabei, oder eben Essenssachen. Die Menschen schienen sich zum Teil so zu ernähren wie die Kolis. Zumindest hatte Abellus noch nie etwas Essbares aus der Menschenwelt mitgebracht, was Holda nicht gemundet hätte. Einiges war allerdings sehr salzig oder sehr süß. Man musste dann nach dem Verzehr sehr viel trinken, um den Geschmack auszugleichen. Aber lecker war es trotzdem irgendwie.

Thomas Baldun schaute unter dem Tisch nach. Er hätte schwören können, zwei Mohrrüben auf das Schneidebrett gelegt zu haben. Es spukte hier, dessen war es sich schon lange sicher. Und das in einer Kirchengemeinde! Oder war es gerade die Kirche, die Gespenster anlockte? Er wusste es nicht. Er nahm Platz auf dem kargen Holzstuhl, der zur schlichten Kücheneinrichtung der Kirche gehörte – für Mitarbeiter – und biss in die übrig gebliebene Mohrrübe. Für Salat reichte diese eine Rübe nicht mehr aus. Er würde hungrig seinen Dienst wieder aufnehmen müssen. Die Zeit reichte auch nicht mehr, um beim Bäcker – zwei Straßen weiter – sich etwas Essbares zu holen. Wie ärgerlich!

Er öffnete den Kühlschrank, der nach verdorbenen Essensresten stank. Jemand hatte mal wieder sein Mittagessen darin verschimmeln lassen und dieses erst entsorgt, als es wohl schon schwarz geworden war. Thomas Baldun hatte seinen Chef im Verdacht. Die Sekretärin war dazu wohl nicht fähig. Obwohl, man konnte nie wissen. Sie war ja auch Schuld daran, dass das Wasser in der Schale für die Selbstbekreuzigung immer ölig war. Diese Frau schien einen schlampigen Zug zu haben, den man ihr gar nicht zu traute.

Doch, wenn es tatsächlich Pastor Krech war, der sein Essen im Kühlschrank hatte verderben lassen, hätte Thomas Baldun eh nichts machen können. Was der Chef wollte oder machte, war sein angestammtes Recht und niemand hatte daran zu rütteln. Und schon gar nicht die angestellten Mitarbeiter.

Den letzten Bissen von der Möhre schluckte er in einem Stück hinunter. Sein Magen knurrte und wollte noch mehr haben. Doch auch in den Schubladen der Kücheneinrichtung ließ sich nichts Genießbares mehr finden. Die Rolle Plätzchen lag schon seit gut einem Jahr in der Schublade mit dem Besteck. Hier musste mal gründlich sauber gemacht werden und etwas mehr Ordnung würde dieser Küche bestimmt auch gut tun. Aber seit Pastor Krech – aus Kostengründen – die Putzfrau entlassen hatte, bekam alles hier einen schmierigen Anstrich. Es roch fast überall unangenehm. Die Mäuseplage war wieder aufgetreten und Frau Meier, die eigentlich laut Arbeitsvertrag nur für Bürosachen zuständig war, musste immer öfters ran, um zu putzen.

Bisher hatte Pastor Krech, ihn, den Küster, nicht für Putzarbeiten abkommandiert. Das war komisch. Vermutlich dachte der bornierte Roderich, dass Putzen Frauenangelegenheit ist. Ihm, als Küster, hätte es nichts ausgemacht, mal sauber zu machen. Aber er hielt seinen Mund, denn, wer ließ sich schon freiwillig zusätzliche Arbeit aufladen? Er hatte genug damit zu tun, dem Geist, der hier wohnte, auf die Spur zu kommen. Oder eben den frechen Lümmeln aus der Jugendarbeit, die hier ihr Unwesen trieben.

Holda war keine einfache Gefährtin, das wusste Abellus. Als er sie kennengelernt hatte, war sie ruhiger und mehr einverstanden mit dem gewesen, was er gemacht hatte. Er war nie ein gewöhnlicher Koli gewesen. Sein Vater auch nicht. Abellus musste grinsen. Seine Familie war schon immer seltsam gewesen. Aber das wusste Holda, als sie ihn zum Gefährten genommen hatte. Sie war zunehmend unzufrieden mit dem geworden, was er gemacht und geplant hatte. Nur selten gelang es ihm, sie zu beruhigen.

Das Rübchen in einem grellen Orange hatte ihr gefallen. Ja, er konnte sie öfters glücklich machen, wenn er ihr etwas aus der Menschenwelt schenkte. Und er war stolz darauf, den Mut zu haben, von oben etwas zu entwenden. Er konnte nicht sagen, ob die Dinge vermisst wurden, die er mitnahm. Er konnte auch nicht abschätzen, wie wichtig die Sachen den Menschen waren, die er zu Holda brachte. Er konnte nicht erkennen, ob es Dinge waren, die überlebenswichtig waren oder nicht. Er hoffte, dass er nichts aus Versehen mitnahm, was für die Menschen tatsächlich wichtig war. Er wollte ihnen keinen Schaden zufügen, das war ihm fremd.

Er blinzelte in die Sonne. Sie würde in Kürze ihr Tagwerk beendet haben. Er war zwar auch gerne nachts bei den Menschen, aber dann war Holda missmutig. Sie vermisste seine Anwesenheit. Außerdem war es spannender, am Tag oben zu sein, weil er dann die Menschen besser beobachten konnte. Nachts schliefen sie gerne, wie auch die Kolis es taten. Allerdings konnten Kolis auch am Tag schlafen, in ihren Behausungen war es stets tiefe Nacht, doch ihre Augen konnten diese durchdringen. Kolis schliefen also nicht zu bestimmten Zeiten, nur wenn sie Lust dazu hatten.

Da fiel ihm ein, dass er den Mann von Vorne dabei beobachtet hatte, wie er, als die Sonne noch sehr hoch am Himmel stand, auf einem Stuhl in dem angrenzenden Gebäude, eingenickt war. Also, waren Menschen auch in ihren Schlafgewohnheiten den Kolis nicht so fremd. Beide schliefen, wann immer sie Lust dazu verspürten.

Zufrieden betrat er die Grünpflanze auf dem Boden. Es war eine Pflanze, die die Menschen hegten und pflegten. Diese Pflanze wurde oft kurz geschnitten und im Sommer gut gewässert. Sie war sehr grün und bedeckte eine große Fläche. Nicht weit von ihr war der Einstieg in die Behausung von Abellus.

Er betrachtete den Eingang zu seinem Heim. Schon wieder hatten kleine Erdtiere Nebenlöcher darin gebuddelt. Der Tunnel nach unten sah aus wie ein Sieb. Er mochte das nicht. Bei sich zu Hause sollte alles in Ordnung sein, fand er. Die Welt der Menschen war schon aufregend genug für ihn, da sollte wenigstens sein Zuhause ein Ort der Ruhe und der Erholung sein.

Missmutig stopfte er die neuen Löcher mit Erde zu. Einige waren Daumengroß, andere hatten sogar den Durchmesser seines Kopfes. Sie waren nicht alleine in dem Erdreich. Leider. Das Erdreich war fast so überbevölkert, wie die überirdische Welt. Nur nicht ganz so schlimm.

Die Erdtiere ließen sich nur schwer vertreiben. Wenn sie der Meinung waren, dieser Gang, den sie gerade buddelten, wäre nötig, taten sie es auch. Egal war ihnen, ob sie dabei durch den Bau der Kolis kamen. Tiere hatten keine großen Gehirne, dass hatte Abellus in seinem langem Leben auch schon feststellen müssen. Sie waren begriffsstutzig, daher war es besser, sich nicht über ihre Buddelei aufzuregen, das wusste er. Dennoch regte er sich bisweilen darüber auf.

Leise fluchend bewegte er sich durch den Erdtunnel in die Tiefe. Er konnte sich sehr schnell auf allen Vieren bewegen, aber auch aufrecht stehend, konnte er sich geschickt fortbewegen. Das war seiner Art so eigenen. Sie waren geschickt.

Kaum hatte er eine kleine Strecke hinter sich gebracht, sah er links von sich etwas Weißes aus der Erdwand schimmern. Er kratze mit seinem schwarzen Daumennagel darüber. Kein Zweifel. Das war ein Knochen. Schon wieder. Warum mussten diese Menschen aber auch ihre Abfälle von sich in der schönen Erde vergraben? Für manche Angewohnheiten der Menschenrasse hatte Abellus einfach kein Verständnis. Und das war so ein Fall.

Er grub den Knochen, es war wohl ein Oberschenkelknochen, vorsichtig aus der Wand, denn er wollte nicht riskieren, dass zu viel Erdreich nachrutschte. Wo ein Knochen war, gab es noch mehr davon. Dieser hier war noch nicht sehr alt. Abellus hatte gesehen, dass die Menschen ihre Überreste in Kisten verstauten, die sie dann ins Erdreich verschwinden ließen. Die Kisten waren mal aus dunklem Holz und mal aus hellem Holz. Glänzend und matt. Weiße gab es auch und schwarze. Abellus hätte für sich einen schwarzen genommen. Schwarz mochte er, die Farbe passte zu seiner Haut. Glänzend fand er auch hübsch.

Die Kisten verschwanden also – auch mit so einem Ritus, den Abellus nicht verstand – im Erdreich und wurden sorgfältig mit Erde bedeckt. Da ließ man sie dann. Sie vermoderten mit den Jahrzehnten und gaben den Inhalt frei. Der war dann auch schon – mit Hilfe von Krabbeltieren – sauber geputzt worden und es blieben nur noch weiße Knochen übrig. Gut, manchmal waren sie auch gelblich oder braun-schwarz. Die Knochen fand Abellus dann bisweilen in seinem Eingangstunnel zu seiner Höhle. Manchmal schienen die Knochen auch in der Erde zu wandern und kamen in seiner Küche oder in seinem Schlafzimmer heraus. Die Erde lebte. Man war nie allein.

Abellus kroch wieder aus dem Tunnel und schleuderte den großen Knochen in Richtung Gebäude mit dem hohen Turm. Sollten sich doch die Menschen besser um ihre Überreste kümmern! Er war es Leid, ihre Überreste bei sich zu Hause zu finden. Er war nicht besonders empfindlich, aber das ging zu weit, fand er.

Noch immer schlecht gelaunt, krabbelte er erneut durch den Tunnel und überraschte Holda, wie sie dabei war, mit Spucke einige Erdklümpchen zu Kügelchen zurecht zu kauen.

Er lächelte. Diese kleinen Kügelchen gaben prima Massagekugeln her, wenn sie mal hart geworden waren. Holda verteilte sie dann auf seinem Rücken und massierte ihn damit, bis die Kugeln zerfallen waren. Er liebte das! Seine Haut bekam dann eine extra Schicht Erde ab und seine Muskeln waren dann schön entspannt. Holda wollte ihn also verwöhnen. Manchmal war es nett, mit ihr zusammen zu sein.

>>Mensch, Meier!<<, knurrte Pastor Krech. >>Geht das denn nicht schneller?!>>

Hannelore Meier versuchte sich nichts anzumerken, aber dieser Roderich ging ihr mächtig auf die Nerven. Jetzt stand er schon wieder hinter ihr und meinte doch tatsächlich, dass sie schneller arbeiten würde, wenn er drohend hinter ihr stand und ihr Druck machte.

Sie hasste Druck! Sie hatte so schon Mühe, mit diesem neuen Computerprogramm zu recht zu kommen. Einen wütenden Roderich konnte sie dazu nicht auch noch gebrauchen.

Sie nickte pflichtschuldig und bewegte ihre Finger einen Tick schneller über die Tastatur. Hoffentlich verschwand dieser Kerl wieder schnell. Sie hatte es satt, von ihm schikaniert zu werden. Zu dumm, dass sie als Angestellte ihm kein Paroli bieten durfte. Nun, sie war im allgemeinen ein friedliebender Mensch, aber dieser Idiot musste einfach ein mal in die Schranken gewiesen werden.

>>Sie sind einfach zu langsam, Frau Meier. Das kann man ja nicht mit ansehen! Also, ich sage Ihnen, sie können von Glück reden, dass mein Vorgänger Sie eingestellt hat. Ich hätte das nicht getan. Strengen Sie sich gefälligst mehr an!<<

Hannelore schluckte ihren Ärger runter und versuchte, ruhig zu bleiben. Sie wusste, es wäre ein Fehler, sich von dem Chef provozieren zu lassen. Wenn sie ihrerseits ausfallend werden würde – worauf er sicherlich nur wartete – hätte Pastor Krech den Vorwand, um ihr eine Abmahnung zu verpassen. Und das wäre der Anfang vom Ende. Pastor Krech wollte sie los werden, das war offenkundig. Doch sie wollte ihm nicht den Gefallen tun, dass er sie unter einem Vorwand kündigen konnte.

Sie mied den Blickkontakt mit ihm und sah auf den verdreckten Teppichboden. Pastor Krech mochte Frauen, die sich ihm gegenüber unterwürfig zeigten. >>Es tut mir Leid, Pastor Krech. Ich werde mein Bestes tun und schneller arbeiten.<<

Zufrieden grunzend verließ Krech das Sekretariat. Er mochte es, seine Untergebenen zurecht zu stauchen. Er mochte es, wenn andere vor ihm Angst hatten. Er mochte seine Machtposition als Pastor. Ja, er müsste mal wieder über dämonische Sünden predigen. Die Menschen brauchten einfach eine feste Hand der Führung, sonst hatten sie keine Ahnung, wo sie hingehen sollten.

>>Verdammter Idiot!<<, schimpfte Hannelore leise in sich hinein. Wütend stieß sie ihren Fuß gegen den Schreibtisch, so dass der Computer erzitterte. Der Monitor flackerte kurz auf und war dann nur noch schwarz. >>Mist!<<, rief sie erbost und hielt sich mit der rechten Hand den Mund zu. Pastor Krech duldete keine Schimpfwörter. Hoffentlich war er inzwischen schon weit genug weg, so dass er ihren Fluch nicht hören konnte.

Das Urvieh

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