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3.Kapitel

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Herbst. Fünfzehn Grad im Schatten. Die Frauenwelt trägt Minirock. Ob wohl gebaut, Durchschnittsbau oder eine Dauerbaustelle – ein Mini darf es sein. Das Herbstmodell präsentiert sich unternehmungslustig und knapp, um einen Daumen breiter ist die Winterfassung. Und der nächste Sommer kommt bestimmt.

Ich sitze hinter meinen Pflanzen - immer wieder flitzen Beine vorbei, in hochhakigen Stiefeln. Manchmal haben sie schwarze Strümpfe, manchmal farbige, das ist nicht immer ganz zu erkennen. Und Deckenlampen scheinen hell, während Bürogeräte fabrizieren das Lied der Arbeit.

Meine Pflanzen haben im Laufe der Monate und Jahre beträchtlich an Ausdehnung gewonnen und ein lokales Kleinklima geschaffen; einmal am Tag gibt es Regen und Gewitter und alle Anfragen müssen draußen bleiben; nur mit Fräulein Blau gilt gesonderte Vereinbarung: ich falte einen kleinen Zettel und stecke ihn durch eine Ritze im Verbau, um meine Botschaft zu übergeben.

„AUCH SCHON ALLE LUKEN DICHT GEMACHT? VORSICHT, NICHT VERGESSEN: SPEZIALANTENNE AUSFAHREN!“

Es dauert ein wenig; da kommt ein Zettel zurück.

„LUKEN GESCHLOSSEN, ALLE SYSTEME KOSCHER. NICHT VERGESSEN: GESCHÜTZE AKTIVIEREN ZUM GEFECHT!“

Da nehme ich zwei Buntstifte, mit den Spitzen voran, klemme sie hinter die Ohren, lege meine Klammermaschine auf den Kopf und tauche langsam und voll mißtrauischer Blicke hinter der Trennwand auf, direkt vor Fräulein Blau – bis wir beide lachen.

Es ist nämlich die ganze Woche Betriebsevaluierung; externe Kontrolleure bewegen sich durch alle Etagen, mit Bleistift und Notizblock, rauf und runter, links und rechts, bis in alle Kellerräume und überprüfen den Zustand des Gebäudes; die Arbeitsplätze, das Mobilar, die Maschinen, selbst die Papierollen auf der Toilette. Unser Chef läßt keine Gelegenheit aus, Mitarbeiter anzuhalten und anstehende Aufgaben zuzuführen; Frau Soundso, tun sie bitte das, Herr Soundso, sehn sie bitte nach, Herr Gerade da, da sie gerade da sind, usw., usw., ... da heißt es, klug sein.

So vertiefe ich mich in die Akten, in die Matrix meiner Gehirnwindungen. Rechts neben der Pelargonie steht eine Kanne mit Kaffee, so muß ich nicht aufstehen und bleibe am Platz. Portionierte Milch und meine Vitamintabletten liegen in der Schublade. Nur Katheter hab ich keinen. Auch Fräulein Blau ist jetzt sehr beschäftigt und alle Scherze schweigen; aber überall herrscht jetzt Geschäftigkeit und Aufmerksamkeit für die Stunde.

Da passiert etwas, tief in mir. Es ist von täglicher Konsequenz und plötzlich doch eine causa irritabilis: ich muß auf die Toilette. War das schon immer? Im alten Rom, bei den Ägyptern? Die Frage ist müßig, doch um sie nicht sofort zu klären, drücke ich meine Schenkel zusammen. Denn mein Bauchgefühl sagt deutlich: Vorsicht! Die Pfeile fliegen tief! So schreibe ich am Computer weiter, in unnatürlicher Haltung. Doch ich selbst, ein Freund der Natur, umgeben von Pflanzen, werde immer unnatürlicher, meine Haltung geschraubt. Schließlich ist Aufschub nicht mehr möglich und eine Entscheidung nötig: Sauberkeit geht vor Sicherheit. Ich strecke meinen Kopf hinter den Pflanzen hervor und prüfe die Lage; dann aber stehe ich auf, gebückt und mit schwingender Krawatte. Nun ist es ein Dringliches; ich hüpfe an den ersten Kollegen vorbei, passiere den Drucker, biege um den großen Gummibaum und fühle mich wie gezogen von der Türe mit dem großen H - für Herren. In gekrümmter Haltung beziehe ich eine der freien Kabinen. Rasch das übliche Prozedere, Riegel vor, drei Lagen Papier, Hosen runter, Feuerwehr Marsch - Sauberkeit vor Sicherheit. Das erkenne ich unter großer Erleichterung.

Nach einer Weile betätigt jemand nebenan die Spühlung und tritt nach außen zum Händewaschen. Während dieses Vorganges erschallt ein Räuspern, streng und selbstbewußt. Und ich weiß, dieser Klang kann nur von zweierlei Herkunft sein: aus der Werkstatt meines Chefs oder von Micky Maus - eins von beidem.

Nachdem die Person wieder gegangen ist, wärme ich noch ein wenig meine Sitzbrille. Denn Sicherheit, sie ist besser als die Gefährlichkeit ...

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Nach Rückkehr und weiteren Operationen am Schreibtisch empfängt mich das Lager. Ich muß meine Bestellungen kontrollieren und ob alles vorliegt, wie es der Computer verspricht. Hier ist es ruhig und warm und ich bin unsichtbar; mehrere Regalreihen mit schmalen Gängen und drei Etagen versperren den Blick. Betritt eine zweite Person das Areal, hört man es früh genug und das geschulte Gehör weiß mit der Erfahrung zu unterscheiden: Freund oder Feind.

Ich inspiziere die Regale und mache bei jedem Teil, das sich mit der Liste deckt, einen Strich: Pissoirs, Toiletten, Bidets, etc.. Es verlangt Genauigkeit und Erfahrung, äußerlich sind es mitunter nur Kleinigkeiten, die ein Modell vom anderen unterscheiden, die sich aber im Grunde verhalten wie ein Ferrari und Minicooper. Und erklären sie das mal dem Kunden.

Nach einer Stunde aufmerksamer Produktschau geht am äußersten Rand des Lagers die Türe. Ich halte inne, spitze die Ohren; Stimmen, etwas bewegt sich. Ist es die Evaluierung, einer von den Kollegen oder gar die Generalversammlung? Es ist mir noch unklar. Doch dann verebbt die Bewegung wieder, wie eine unschlüssige Brise. Die Türe schließt sich wieder.

Jetzt greife ich an eine bestimmte Stelle im Regal, hebe den Deckel eines Spühlkastens und hole ein Bündel Zeitschriften hervor, Magazine, wie man sie kennt - zwischendurch erlaube ich mir, sie müssen nämlich wissen, ein wenig Auflockerung. Das muß sein. Denn durcharbeiten ohne Pause? Nicht mit mir!

Die abgelichteten Damen in den Zeitschriften sind von gepflegter Art, durchwegs gewählt nach sinnlichen Kriterien. Eine liegt kokett am Strand und informiert mit versprechenden Blicken, eine andere wiederum hält sich die Brüste und ist lockscheu, wieder eine andere übt sich in einer Pose, die offensichtlicher nicht sein könnte. Die Bilder gefallen mir. Nur daß man die Körperbehaarung konsequent und an allen Stellen entfernt hat, ist bedauerlich. Manchmal mag es notwendig sein, doch im Grunde wirkt es zu sauber, wenn der Pelz verbannt wird. Fragen sie den Fachmann. Und unter jeder Dame ein Name - Dolly, Maria, Jenny, Lili, etc.. Dolly hat etwas Liebliches, Maria die größten Brüste, Lili ein opulentes Pearcing doch Jenny - Jenny ist die beste.

Da geht am Eingang die Türe: Stimmen, Diskussionen, die Hauptkommission. Jetzt ist es soweit. Zwei Sekunden später sind die Magazine wieder im Versteck, neuer Rekord; denn jetzt, jetzt ist es Zeit. Ich nehme meine Unterlagen, drehe mich um und folge dem seitlichen Gang, für eine Weile; plötzlich in der Wand eine Geheimtür, aus der Entfernung nicht zu sehen - und ich verschwinde...

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Das zweite Ende des Fluchtweges befindet sich unter dem Treppenaufgang, hinter einem Schrank; die Türe wurde schon länger nicht mehr benutzt, ich öffne sie unter dem Zerreißen zahlreicher Spinnweben, schwer und voller Staub. Hier ist wenig Licht und niemand zu hören. Es existiert auch eine Toilette auf dieser Ebene, nicht weit und für den Fall des Falles. Ich gehen hin, öffne die Türe und mache Licht; die Luft ist rein, die Kabinen auch. Demnach gehört die ganze Etage mir. Hose runter, Deckel rauf, es geht doch. Was will man mehr...

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Sodann im Lift. Die Armbanduhr zeigt viertel vor zwölf. Jetzt noch etwas anzufangen, so kurz vor Mittag, es zahlt sich nicht aus. Die elektrischen Türen des Aufzugs haben eine spiegelnde Fläche, so rücke ich meine Krawatte zurecht, bringe meine Fasson in Stellung. Eine Nummer nach der anderen blinkt auf, schließlich mein Stockwerk, ich nehme Haltung an ...

Dann, Ungewöhnliches im Büro; nicht weit meines Platzes eine Unruhe, die ganze Etage hat sich versammelt. Hat jemand den Stein der Weisen gefunden, den Stern von Betlehem gesichtet? Aber ich kann nichts Besonderes erkennen.

Ist es uns überhaupt möglich, das Wesentliche stets am Anfang zu erkennen, jene Sternstunden, die gleich der Sonne erscheinen und die Routine beenden? Kann man überhaupt von Schicksal sprechen, wenn Unvermeidliches uns packt, abgerichtet auf unseren DNA-Code?

Schließlich wird es klarer: mein Chef ist gekommen, um uns zwei neue Mitarbeiter vorzustellen. Alle stehen um ihn, wie um den Mittelpunkt des Colloseums. Er stellt den ersten Jungkollegen vor, ich schüttle seine Hand. Er ist ein unsicherer, etwas steifer Typ mit Brille, zwei Spurrillen zu freundlich. Seinen Namen habe ich sofort wieder vergessen.

Dann, der zweite Neuzukauf: Isabell Matinell.

Eine Frau tritt vor. Große Augen, ein magnetisches Lächeln. Das Haar kräftig, mit einem Schimmer. Ohrringe, sehr trefflich, tadellose Kleidung, ein kleiner Wohlstandsbauch. Und der Händedruck: offen und herzlich.

„Frau Matinell wird uns im Verkauf, in der Abteilung für Wasserbetten unterstützen, „ gibt Chef bekannt, „ sie besitzt mehrjährige Erfahrung und ein Masterdiplom.

Ich sehe sie an, ohne Unterbrechung.

Da erinnert sich Chef eines seiner Scherze über Wasserbetten; für die hat er eine besondere Vorliebe und alle Kollegen müssen zuhören. Er baut die Pointe auf, behutsam, mit Bedacht und dann - der goldene Schuß. Die Belegschaft lacht, abrupt und aus vollen Hälsen, denn zehn mal erbrochen - da schmeckt´s am besten. Und die Neue schmunzelt, doch ihre Augen bleiben natürlich, mit eigenem Glanz. Und sie bewahrt tadellos Haltung, innen, sowie auswärts gerichtet.

Da ist die Vorstellung zu Ende; Chef macht eine zufriedene Bemerkung, begleitet von galanter Gebärde und führt die Neuen weiter ...

Ich bleibe zurück. Die Gruppe löst sich auf. Immer löst sich alles auf und manchmal, da wachsen Gebirge. Und ich gehe zurück auf meinen Platz, sonderbar gestimmt. Und ich setzte mich, langsam, von sonderbaren Ahnungen umsponnen - etwas Großes erwartet mich, schon bald.

Und auf dem Schreibtisch ein Stoß von Akten, so hoch wie ein Termitenbau ...

„ IHR MATERIAL ZUR EVALUIERUNG.

AN MICH ZU ÜBERMITTELN, DRINGEND!“

*

Prüfung hin, Prüfung her. Selbstverständlich. Der Chef hat mir ein Arbeitspensum hinterlassen, das auch mit Überstunden nicht zu bewältigen ist. Aber auch die Personenkontrolle hat sich nun verstärkt und die externen Prüfer der Evaluierung stehen überall zwischen den Schreibtischen, vor dem Gummibaum, am Auswurf vom Fax und sehen sich um. Sie tun ihre Arbeit gewissenhaft, dem Auftrag entsprechend. So wie alle, die morgen noch ihre Krawatte tragen und den Kaffee zu trinken gedenken, nicht wahr? Ein Kontrolleur erscheint über den Pflanzen, wie ein argwöhnischer Mond, er forscht, forsch; doch nichts, er sieht mich nicht, er kann mich nicht sehen. Schließlich, als die Gefahr vorüber, hebe ich meinen Kopf aus der Versenkung. Nun bin ich an der Reihe; mein Auge prüft scharf, aus vermeintlichem Grün: ja, überall herrscht Konzentration auf die Sache, der Hochbetrieb der Köpfe. Es sind große Kräfte, die das zusammen halten, es muß wohl so sein. Aber das ist es ja gerade - seitdem ich sie gesehen habe, bin ich mir nicht mehr sicher. Es ist mehr, denke ich mir, es gibt noch anderes und das ist bald nicht mehr zu halten ...

Noch am selben Tag Gewinnung weiterer Einsichten. Ich stehe unweit meines Platzes am Kopierer und, wie sollte es anders sein: kopiere. Da kommt mein Chef mit der Neuen, instruierend, belehrend. Am ersten Tag ist alles noch neu, wer kennt es nicht. Ich bleibe unauffällig, er professionell. Mein Chef ist gewandt im Umgang mit Menschen, in seinem Anzug, mit der Designerkrawatte, und die Neue eine Blume im routinierten Stall. Noch nie habe ich derartig Anmutiges gesehen, so schön, so gefaßt. Und dann das Unglaubliche; als die beiden an mir vorbeigehen, an der Rückseite ihres rechten Beins, unter dem Minirock hervorschießend: eine Laufmasche, ein Spalt im Gewebe. Ich erschrecke. Meine Brille, sie läuft an, beschlägt in Rekordschnelle. Als ich sie notdürftig gereinigt und wieder aufgesetzt habe, noch immer dasselbe. Auf bewegtem Fleisch, ziehend über den Schenkel, über die Wade, gar bis zur Ferse: Leck im Strumpf. Und die beiden führen ein informelles Gespräch ...

Als die Arbeit weiter geht, ereilen mich unerwartet Schwierigkeiten. Die Akten der Evaluierung sind aufwendiger, als gedacht, viele komplizierter. Ich gebe mir Mühe und versuche, einen klaren Kopf zu bewahren - das ist wichtig. Posten hin, Posten her, hier eine Verknüpfung, dort ein Korrektiv. Und dennoch, wandelnd durch kühle Berechnung, durch Formationen von Zahlen, durch Berge von Arbeit: diese Beine.

Und ich begreife, mit einem Lächeln und dem zarten Anflug von Verständnis: sie haben ein Strumpfproblem ...

Schließlich Ende des Tages.

Die Evaluierer haben große Arbeit geleistet und das meiste des Betriebes gefilzt, alles im Dienste der Sicherheit. Nichts Anstößiges wurde gefunden, die Struktur ist soweit in Ordnung. Außer ein paar Kleinigkeiten, die notiert und dem Protokoll mit allen Einzelheiten zu entnehmen sind. Aber nichts, das nicht mit Hausverstand und einem gutem Willen zu bewältigen wäre!

Entspannung tritt ein. Überall sieht man es, fühlt man es. Die Bewegungen der Kollegen sind gelöster, die drohende Wolke des Mißtrauens und möglicher Beschämung ist abgezogen. Haben es nicht alle gewußt: kein Grund zur Beunruhigung, nicht bei uns!

Nun ist es an der Zeit, den Tag gebührend zu beenden. Ich gehe auf´s Klosett und fülle zwei Gießkannen mit Wasser, denn es ist meine Aufgabe, in unserer Abteilung die Pflanzen zu gießen. Natur und Vegetatives zur Belebung, Gummibäume, Farne, Philodendron. So beginne ich am Gang, der durch große Fenster das Licht in alle Ecken bringt. Überall hin soll das kostbare Naß, an den Seiten, hinten und vorne, am Stamm; kein Topf soll vergessen werden. Ich beuge und strecke mich, drücke Äste zur Seite, mein Kreuz ist beweglich, manche Stellen nur schwer erreichen – und wenn nicht von vorne, sodann am besten: von hinten. Und ich strecke mich besonders weit hinein, da bin ich verschwunden ...

Nach wenigen Minuten kommt Bewegung auf den Gang, Stimmen, Schritte. Es ist mein Chef und: er ist motiviert:

"Sie wissen ja, liebe Kollegin, daß ich Trägheit und Trödelgeister einfach nicht dulden kann, auch keine Dumpfbacken; ja, liebe Frau Matinell, es sind nicht die Blindläufer, die diesen Betrieb dort hin gebracht haben, wo er heute steht, es waren hart arbeitende Leute, Frauen und Männer von einem Schlag, den man heute meist vergeblich sucht."

Und die Neue nickt und versteht es und Chef bleibt plötzlich stehen, wie um seinen Standpunkt nochmals zu bekräftigen - "Und es wird mir ein Anliegen sein, alle anderen Elemente, die das nicht so sehen, verstärkt zu finden und: zu fassen!"

Und ich blicke hinter dem Gummibaum hervor und erkenne, von Atemlosigkeit überwältigt - diese Beine, so schön, so edel und diese Laufmasche: heiß wie ein Lavariß!

*

Wahrlich! Das Schicksal ereilt uns zur unpassendsten Stunde!

Doch kann man ihm entfliehen, mit seinen Tagen voll Dunkelheit, dem Schweigen auf den Dächern, dem kleinen Silbermond?

Als ich am nächsten Tag ins Büro komme, ist es noch sehr früh. Es ist die Zeit, in der das Reinigungspersonal seine Arbeit verrichtet und draußen noch Dämmerung. Die Büroplätze sind verwaist, die Mistkörbe harren der Entleerung. Es muß gewischt, geputzt und gereinigt werden. Ich schreite durch den Gang, an den Saubermachern vorbei, wie eine zu früh gekommene Spezies. Mein nächster Anlaufpunkt ist die Kaffeeküche, wo das Leben beginnt. Denn darin stationiert ist eine Espressomaschine, kompakt und verlässlich, das Herzorgan der Küche und somit auch aller Büroexistenzen. Dann, völlig allein, im zarten Dekollete: Isabell Matinell.

Sie steht vor dem Gerät, im Halbdunkel, wie ein Engel vor seiner Harfe. Mit angenehmem Wortlaut gebe ich mich zu erkennen.

Kaffee! Aha!

Und ich mache Licht. Man weiß ja, wie das ist, die erste Woche, denn nichts weiß man. So zeige ich ihr, wo die Kaffedose steckt, in welchem Schrank der Zucker, in welchem Fach der Milchvorrat - jahrelange Erfahrung. Und dann, das Baby, die Maschine - wie die Kleine funktioniert! Alle Finessen der Bedienung, die man kennen muß, um ihr den dunklen Bohnentrunk zu entlocken.

Ich zeige ihr den Vorgang, jeden Handgriff. Sie, mit der größten Aufmerksamkeit. Und dann: Geräusche, Vibrationen und – Kaffee! In dünnem Strahl, sich stetig mehrend!

Nun lächeln wir beide. So kann es gehen!

Aus dem zweiten Stock, Markus Meisl, nicht wahr? Ja, ich kann mich erinnern. Und ich Isabella, nennen sie mich Isabella.

Wir geben uns die Hand.

Die Atmosphäre ist leicht, aber noch viel mehr – vibrierend. Mit manchen Leuten kann man gut, mit anderen weniger. Und Fräulein Matinell gehört eindeutig zur ersten Gruppe. Wir beide spüren die gute Wellenlänge, ein wenig überrascht, etwas ungeschickt, doch nonstop heiter.

Noch Zucker, vielleicht einen braunen? Ja? Drei bis vier Stück reichen? Völlig? Verstehe, geht mir auch so! Und wir lachen.

Erst fällt es mir nicht auf, doch dann, an ihrem linken Bein: wieder ein Schrick. Nicht so offensichtlich, wie am Tag zuvor, dünner, von begrenzterer Art, aber trotzdem, es ist ein Riß im Strumpf. Bei einer sonstigen Sicherheit im Geschmack, der tadelloser nicht sein könnte.

Entschuldigen Sie, Sie sind undicht. Strümpfe sollte man besser aussuchen, Altes verwerfen. Das ist üblich.

Natürlich sage ich das nicht.

Fräulein Matinell hat etwas, es ist Wärme, es ist Präsenz und ich genieße es. Keine Spur von Arroganz oder Derbheit wegen des Strumpfes, vielmehr Interesse und ein Gefühl für das Gegenüber. Wir unterhalten uns mit Anregung. Anfängliche Fragen: Wie bist du zu uns gekommen? Stammst du aus der Gegend? Oder: von weit, weit her!

Zugleich wird klar: schöner Brauenschwung und feminine Formen, alles vorhanden und genau dort, wo es die Natur ersonnen hat. Und dann, auch dabei und nicht zu darbungsvoll: ein kleiner Wohlstandsbauch. Er wirkt wie aufgesetzt. Ja, wer kennt das nicht! Zu viele Brötchen am Abend, so mancher Happen vor dem Fernseher. Er spricht eine authentische Sprache: nicht zu viel und nicht zu wenig. Ich finde, er ist süß.

Schließlich kommen die ersten Kollegen aus der Abteilung und bevölkern die Kaffeeküche. Die intime Atmosphäre ist dahin, wie sollte es auch anders sein: sie palavern, sind laut, drängen sich dazwischen. Dabei linsen sie dem neuen Ausschnitt auf die Weide und es gibt mehr Ochsen als Gras. Natürlich injizieren sie ein Gespräch - von der platten Sorte - um die Neue ins Spiel zu bringen. Zuerst ein dezenter Angriff auf meinen Hosenabschluß, er sei zu bündig. Dann meine Brille: sie sei schon wieder um einen Zentimeter dicker, verglichen zum Vorjahr. Aber Isabella ist nicht auf den Mund gefallen. Sie gibt kluge und sattelfeste Kommentare, die jede Schneid sogleich abkaufen. In manchen Fällen sogar besser als ich. Die Kollegen ziehen mit und merken gar nicht, daß ihnen das Zepter bereits entwendet wurde. Und Isabella macht weiter und schickt mir ein schelmisches Zwinkern ...

Schon eine Stunde später ist es hell in allen Räumen und die Putzfrauen mitsamt dem Müll verschwunden. Gediegener Bürogeist waltet an allen Tischen. Kollegen bohren in der Nase, Schönheitsköniginnen betrachten sich im Handspiegel; ihren Lippenstift optimierend, auch Nagelfeilen probierend. Denn die Kollegen von der Evaluierung sind seit gestern abgereist und kommen nicht wieder. Auch ich sitze an meinem Platz und arbeite fleißig. Seit einigen Minuten liegt eine Melodie auf meinen Lippen und ich kann nicht einmal sagen, woher sie kommt; ich pfeife und trillere den Ohrwurm hinter meinen Pflanzen, wie die Amsel im Gehölz. Mein Pensum ist umfangreich und aufwendig, nichts für schwache Kreaturen. Das kann man wohl sagen. Aber auch sonst geht es gut und ich nehm´s leicht!

Zugleich merke ich, wie Fräulein Blau unstet und nervöser wird. Irgendetwas beschäftigt sie, mit ansteigendem Quotienten; ich spüre, sie wirft einen Haken der Neugierde und Ungeduld an meine Seite, erfüllt von stummem Begehren. Werde ich sie an meine Seite ziehen?

Jetzt wird sie immer unruhiger, wetzt und rutscht auf dem Stuhl. Sie ist sie eben gewohnt, die tägliche Dosis ... und ich, ... ich habe den Stoff ...

Schließlich Erbarmen.

Ich unterbreche mein Pfeifen ...

„ACH JA, FRAU BLAU, ...

(sie reagiert mit großem, empfänglichem Blick)

... WAS MACHT EIN DILDO IM GERICHTSSAAL?“

Eine sophistische Frage, nicht ohne Tiefgang.

Ich lasse sie erst gar nicht raten ...

„ANKLAGE AUF MITHELFERSCHAFT ZUR UNTREUE UND ARTIFIZIERUNG DES PRIVATLEBENS!“

Meine Kollegin ist gerührt ...

- - -

Aber auch am Nachmittag gibt es viel zu tun. Der Chef hat eine wichtige Sitzung anberaumt. Das zeigt sich daran, daß am Sitzungstisch Orangensaft bereit steht, wo sonst nur Sprudel ist, der restlos wieder aufstößt. Ich nehme mir vom Zitrusnektar, dazu Mineralwasser: nicht zu viel und nicht zu wenig.

So hab ich´s gern.

Da kommt Fräulein Krüger in den Saal, die Sekretärin vom Chef. Mitte dreißig, gebildet, ein Hinterteil wie ein Frachtschiff. Sie trägt eine Mappe mit Dokumenten unter dem Arm und legt diese dem Chef zur Unterzeichnung vor, Haltungsnoten: vorbildlich.

Sie verwaltet Termine, organisiert Besprechungen, hält die Übersicht - sie ist die rechte Hand. Ohne den dicken Hintern geht gar nichts. Chef behandelt sie wie ein besonderes Inventar, einen vertrauten Monolithen. Jetzt ist die Unterfertigung beendet und sie geht wieder hinaus. Immer korrekt, immer loyal; aber das Hinterteil, Verzeihung: schon die Hälfte würde reichen!

Und dann, mir schräg gegenüber, der Clown, die Fliege - der Kollege aus der Wasserbettenabteilung. Oder sollte ich sagen: Collage aus der Kostümfraktion? Groß, schlaksig, immer kariertes Sakko, Fliege statt Krawatte - geschmackstechnisch bedenklich. Glattes, fallendes Haar und ein Kinn im Ausverkauf, so groß und vorstehend ist es. Er selbst arbeitet im Einkauf und glaubt, mit dieser Aufmachung und einem Drang zu extra-saloppen Bemerkungen einer besonderen Avantgarde anzugehören. Ich beachte ihn nicht weiter, als die Gase, die mir rückwärts ausbrechen.

Und dann, mir gegenüber Platz nehmend, als sollte es uns bestimmt sein: Isabella - die Neue. Ich proste ihr zu, sie erwidert lächelnd, strahlt mich an. Es ist, als würde uns etwas verbinden, ein herrliches Einvernehmen, von Natur aus gegeben.

Noch ordnet Chef seine Unterlagen; da bleibt Zeit, sich eine Stärkung zuzuführen. Ich nehme eine der in Plastik geschweißten Tabletten, löse sie aus der Verpackung und gebe sie in meinen Orangensaft; das gibt gehörig Wallungen und Brause, konzentrierte Vitamine und Mineralstoffe sind das, sagt mein Apotheker. Ich rühre zweimal um, proste Isabella zu, mit meinem galantesten Lächeln und mache den ersten Schluck. Von Armor bis Zielscheibe ist alles enthalten, den Rest verrät der Beipackzettel.

Allmählich haben sich die Nebenwirkungen gelegt und Chef erhebt das Wort. Schon im ersten Satz wird deutlich: die Versammlung steht unter dem Motto von Synergie und Zukunftsplanung - ein Film soll alles erläutern.

Liebe Kollegen!

Jeder einzelne von uns besitzt Erfahrungen, Fähigkeiten, die kein Kurs vermittelt! Talente auf vielerlei Ebenen! Nur führen diese Gaben oft ein versprengtes Dasein und es fehlt ihnen an Gesellschaft. Ich will, daß sich unsere Stärken verbinden! Ich möchte, daß jeder vom anderen lernt, ganz offen! Jeder ist einzigartig und braucht sich nicht zu verstecken. Daraus folgt: keine Angst!

Augenblicklich beginnt der Film, projiziert auf die weiße Wand, und in dieser Sekunde, in diesem Bruchteil, sehe ich diese Beine, diese Pythonschlangen einer Kollegin, die ihre Lage auf laszive Weise wechseln, um sogleich im Dunkel zu verschwinden.

Ich könnte nicht sagen, daß mich der Anblick überwältigt hätte, aber zusammen mit der Vitaminpille ergibt es eine Reaktion, und die wächst sich aus - zum Problem.

So beginnt Chef zu referieren, synchron zum Film.

„Ja, meine lieben Kollegen, China, der schlafende Riese, er schläft schon längst nicht mehr! Treten Sie näher und sehen Sie selbst!“

Der Streifen zeigt einen chinesischen Betrieb, in dem elektronische Teile gefertigt werden. Alle Angestellten haben hygienische Hauben und Laborhandschuhe und arbeiten fleißig. Mit Genauigkeit, Disziplin und klarer Vorgabe. Und in der nächsten Einstellung erfährt man schon, daß sie vor dem Beginn des Tages zusammen Sport betreiben, um Gesundheit und Gemeinsinn zu stärken.

„Ja, meine werten Kollegen, hier sehn Sie, warum im Reich der Mitte nichts anbrennt! Zuwächse in zweistelliger Höhe und ein Minimum an Krankenständen, daß es für jeden Unternehmer die Freude ist. Die Mongolen, ihre Nachbarn, haben dies erkannt und versuchen, die Chinesen zu imitieren!“

Inzwischen hat sich der Stoff meiner Hose angehoben und zugespitzt, zur Freude aller Indianer. Ein natürliches Zelt, mit feurigem Inhalt. Aber dieses Feuer, es tut weh. Es brennt wild und ohne Kontrolle. Wenn nichts geschieht, brennt es ein Loch in die Hose. Ich versuche an etwas Asexuelles zu denken, an Eisberge, an den Nordpol, an einen Tümpel am Abend, doch hilft es nur wenig.

„Ja, die Chinesen ...“

Inzwischen ist es mir doch gelungen, mein Zelt etwas zu legen, nun passen nur mehr kleine Indianer hinein, mit kurzen Federn. Ich bin dankbar für jeden Zentimeter, so ich überhaupt dankbar bin, wenn das Feuer brennt, konventionell und ohne Rauchentwicklung. Aber es ist eine große und dauernde Übung.

Da erscheint eine bildhübsche Chinesin auf der Leinwand, eine unermüdliche Arbeiterin am Fließband, doch diesmal ohne hygienische Haube und mein mühsam erlangter Fortschritt ist wieder dahin. Schlagartig. Es bleibt einem nichts erspart.

Endlich ist der Film zu Ende. Chef steht da mit geschwollener Brust und sieht in die Runde, um die Reaktionen entgegen zu nehmen.

Gibt es noch Fragen, meine Damen und Herren?

Schweigen im Raum. Durch die Belegschaft wabbert eine Unsicherheit und Zurückhaltung, weder Fisch noch Fleisch. Sekunden ohne Antwort.

Endlich eine Meldung. Isabella hebt ihre Hand und rettet uns. Ja wie denn eine solche Vernetzung nun zu erreichen sei, wollte sie wissen.

Chef: Synergie by Faithful and Alternative Extraction - und er läßt dabei nichts anbrennen.

S.F.A.E. - um es kürzer zu machen.

Isabella: Verstehe.

Nach einer weiteren Weile: Doppelschweigen.

K.W.F. - keine weiteren Fragen. Der Vortrag ist zu Ende. Das Licht geht an. Alle stehen auf und nehmen ihre Unterlagen. Ich sitze vor meinen und betrachte sie; denn ich kann noch nicht aufstehen, das geht nicht.

Chef, der am anderen Ende des Tisches sitzt, verlegt sich auf die Nachbereitung, wie immer nach seinen Vorträgen. Als er merkt, daß ich noch immer da bin: eine kleine Erkundigung.

Meisl, gibt es noch Fragen?

Nein, ... es ist nur, ... sich gleich vor Ort das Wesentliche zu notieren, in Stichworten - das hilft.

Chef wird hellhörig.

L.B.C.R. – sie betreiben originales L.B.C.R..

Was betreibe ich?

L.B.C.R. – Learning by Comprehensiv Recognition. Man definiert und festigt alles, solange es noch im Obergedächtnis ist, um die beste Verankerung zu erreichen. Die Hirnforschung hat dies erkannt und mit Statistik belegt. Alles eine Sache der Durchblutung.

Chef steht auf und tritt näher, nimmt nochmals seine Vortragshaltung ein ...

Ganz anders bei K.-K.O.: Hierbei geht man davon aus, daß dem Gehirn nur an bestimmten Tagen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stehen, aber auch nur dann, wenn die Lebensführung stimmt. Allerdings ist unter Berücksichtigung dieser Regel Enormes erreichbar, wiederum aber hat die Wissenschaft erkannt, daß eine partielle Durchblutung des Rückenmarks ...

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In den nächsten Tagen läuft alles gut.

Zeitig am Morgen bin ich im zweiten Stock und kontaktiere Isabella. Wir sitzen zusammen und lernen voneinander. Isabella hat einen wunderschönen Ausschnitt, verbrämt mit einem Muster und einen Minirock, der moderner nicht sein könnte. Muster sind zur Zeit überhaupt In und zieren so manchen Fleck im Gelände. Doch niemand kombiniert das Elegante so gut mit revolutionärem Inhalt wie Isabella und steht zur seiner Laufmasche. Nach und nach sollte sich erweisen, daß dies zu ihrem persönlichen Outfit gehört, wie das Gänseblümchen zur Frühlingswiese. Heute am Knie oder zwischen den Schenkeln, morgen auf der Wade oder schon anderswo: Schrick im Strumpf. So hab ich´s gern.

Würde es mir einfallen, jeden Tag ein Loch in meiner Hose zu verbuchen, mit allerlei Durchmessern und an fraglichen Stellen – fragen sie nicht! Dazu fehlt mir das Selbstbewußtsein.

Chef´s Programm des vernetzten Wissens ist voll angelaufen und umfaßt alle Abteilungen. Der Clown, die Fliege kommt herbei und richtet ein doppeldeutiges Wort an Isabella, mit grün kariertem Halsschmuck und unmöglicher Haartracht. Mich beachtet er dabei überhaupt nicht. Vielmehr fällt er meinen Aussagen ins Wort, als wäre ich Luft. Aber das Gleiche gilt für ihn, nur mit dem Unterschied – die Luft vom Clown ist schlecht und kann abgelassen werden.

Ruhig richte ich mein Wort an Isabella: in dieser Frage sind wir schon sehr weit gekommen, die Vernetzung ist erfolgreich, nicht wahr, aber findest du nicht auch: die Fliegen sind lästig.

Ja, da hast du recht. Ob es wohl ein Gewitter gibt? Man sollte die Fenster schließen.

Aber der Clown steht noch immer da, mit festem Blick und vorstehendem Kinn: Machomania.

Ja, meine liebe Dame, kontert die Fliege, Gewitter sind stark, voller Kraft und Charisma und: sie sind reinigend. Nichts für schwache Naturen, denn dort ist´s bald so abgebrannt wie auf dem Mond (eine Anspielung auf meine Glatze).

Dann würden sie bitte die Freundlichkeit haben, zuerst dort drüben anzufangen, (sie zeigt auf den Schreibtisch vom Clown), bevor der Blitz woanders einschlägt? Und Vorsicht: lassen sie es nicht zu wild bumsen.

Das hat gesessen. Ich habe die vollste Achtung vor Isabella´s Kunst; auch die Fliege hat´s begriffen. Aber an seiner selbstgefälligen Haltung hat sich nichts geändert; unerschütterlich und blasiert sein Lächeln, dazu der grün karierte Halsschmuck.

Große Vernetzung, große Bewegung, überall! Zwei, drei Stunden täglich sitze ich nun bei Isabella, diskutiere und lerne, beobachte und evaluiere. Und was ich stets besser begreife, mit jeder Sitzung – Isabella ist ein wunderbarer Mensch; taktvoll und achtsam, immer für einen Spaß zu haben und völlig unkompliziert. Das ist mehr, als man gewöhnlich verdient. Ich fühle mich wohl in ihrer Nähe, wenn wir die Akten studieren und unser kaufmännisches Wissen schleifen, wie einen rohen Diamanten.

Und der Clown, die Fliege? Der umkreist uns wie der Geier im Off. Aber wenn er schon glaubt, originell sein zu müssen, dann sollte er gleich an eine Generalrevision denken!

Da kommt es zu einem Zwischenfall. Ich hatte bereits vergessen, wie mein Leben noch vor Wochen dahingeplätschert war, so schön waren die Stunden mit Isabella verlaufen. Also, ich nehme die Treppen in den zweiten Stock, mit großem Schwung und Vorfreude! Als ich jedoch das Büro betrete, ist sie nicht anwesend. Überhaupt ist die Hälfte des Personals weg und die Plätze sind aufgeräumt. Noch stehe ich da, als mich eine der Verbliebenen bemerkt, eine Kollegin mit dicker Brille, Hakennase und sehr klein, kaum höher als ein Zaunpflock; sie scheint überrascht über mein Kommen, aber dann frage ich Fräulein Kautz:

"Äh, ... die Kollegen?"

"Die Kollegen? Sind auswärts, auf Schulung. Ein zweiwöchiges Seminar, im Oberhammergau, Vollpension, mit Frühstücksbuffet. Ja, wußten sie das denn nicht?!"

Noch stehe ich da, als könnte aus dem Esel noch ein Mustang werden, doch endlich habe ich begriffen und ziehe ab. Enttäuscht und langsam; Kollegin Käutzchen verwundert.

Da passiert es; ich stehe am Gang und starre aus dem Fenster, als mich wieder die Schwermut erfaßt, die melancholische Grundhaltung. Augenblicklich wird die Luft frostig, die Farben verkümmern. Ich sehe draußen die Bäume und die Leitungen der Stromgesellschaft. Bald werden alle Blätter gefallen sein und die Drähte sich ziehen wie schwarze Einbahnstraßen, mit Krähen drauf. Im Nebel ... im November, ... dem trübsten Monat ...

Und meine Lider werden schwer, getunkt in Traurigkeit - es ist eine seltsame Ahnung, gespeist von Witzlosigkeit: vielleicht nicht bestimmt zu sein für diese Welt und dennoch leben zu müssen ... auf Abstellplätzen, im Off - verheiratet mit der Kälte ...

- - -

Tage später; ich helfe meinem Vater beim Bau einer Schaukel. Um den Vorgang gemäß Lehrbuch durchzuführen, hat er die Einzelteile auf dem Vorplatz aufgelegt, alles streng nach Winkel. Er hält den Gesichtsschutz und schweißt die Elemente zusammen; ich bin aufmerksam, reiche die Elektroden. Und: lerne.

Dann die Aufstellung. Das Fundament mißt ein mal eins, solider Beton. Darin eingegossen sitzen die Lager, die der Konstruktion Halt und Stützte verleihen. Um das hundert Kilo schwere Ding in die Höhe zu bringen, bocken wir es mit Holzsparren auf, das geht gut - bis zu einer gewissen Höhe. Schließlich packen wir es von beiden Seiten; Vater zieht vorne, ich drücke hinten. Es geht langsam, es macht uns Mühe, wir keuchen: doch wo ein Wille, da auch nicht Stille!

Wir lassen nicht locker; da fehlen nur noch Zentimeter - die Schaukel ruckt vor und landet im Fundament. Hier läßt Vater los, springt zur Seite und zieht die Schrauben an. Ich halte, sichere. Nach der letzten Mutter ist es geschafft - eine Schaukel so groß wie noch nie, ein Monument, ragend in den Himmel. Wenn auch das Sitzbrett und die Seile noch fehlen, so steht sie da. Und drüber ziehen die Wolken ...

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Der Kronprinz des Selbstvertrauens

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