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Wir waren vollkommen harmlos

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Renate Wullstein

Ich bin in Potsdam aufgewachsen, weil mein Vater hier als Diplomat ausgebildet wurde in Babelsberg, Akademie für Staat und Recht. Ich wurde in ein Wochenheim gesteckt, wie die meisten Diplomatenkinder. Später wohnten wir in Berlin. Anfang der Achtziger kaufte ich mir in Paretz einen Bauernhof, und als wir den wieder verkauft haben, 1986, überlegte ich mir: gehe ich nach Berlin oder nach Potsdam? Da fiel mir ein, dass ich in Potsdam aufgewachsen bin, hatte ich völlig vergessen wegen der vielen Umzüge in meinem Leben. Bin ich also nach Potsdam.

Ich durfte nicht mehr veröffentlichen, seit ich einen Ausreiseantrag zu laufen hatte, mein Mann und ich, wir haben aus der Not eine Tugend gemacht: Keramik hergestellt und verkauft. Und wir sind damit reich geworden... Hier in Potsdam hab ich die Miniaturfiguren auf der Straße verkauft. Eine Stunde verkauft, tausend Mark in der Tasche, die Leute rissen einem das aus den Händen. Und ins Café Heider und Leute eingeladen, ich wußte nicht, was ich mit dem Geld sonst machen sollte. Ich war jeden Tag im Heider. Eigentlich den ganzen Tag. Aber ich sehne mich nicht zurück. Manchmal wünscht man sich, soviel Zeit zu haben für den Austausch mit anderen Leuten, aber es war zugleich entsetzlich, weil wir viel planten und nichts umsetzen konnten. Wir wollten immer schon all das machen, was wir jetzt machen: Galerie, Café, Verlag. Wir wollten eine eigene Infrastruktur aufbauen, wir hatten alles, vom Bäcker über den Anwalt, Schornsteinfeger, Klempner, Künstler sowieso – die traf man im Heider. Wir hätten eine eigene kleine Stadt aufmachen können. Und die haben wir jetzt. All die Leute, die damals planten, haben jetzt diese Geschäfte, erst mal jeder für sich, weil die Existenzsicherung schwierig war nach der Wende, aber wir kommen allmählich wieder zusammen und kooperieren irgendwie. Der Bäcker Isenmann, der eine Zeit in Chile war, jetzt ein Bistro hat, die Malerin Olga Maslo, mit ihr habe ich gleich nach der Wende einen Laden aufgemacht, die Glasgestalterin Astrid Germo, die uns den Laden vermietete. Sie hatte schon zu DDR-Zeiten einmal in der Woche Atelierverkauf; und ich sagte zu ihr: Jetzt ist Kapitalismus, da können wir jeden Tag aufmachen. Also hatte ich mit Olga so eine Art Galerie-Laden. Ihre Bilder haben wir so was von rasend verkloppt, viel zu billig.

Einige sind tot. Jens Bitter, ein Heider-Stammgast, der mir später den Bauernhof abkaufte, kam in Latzhosen, stellte sich vor mir auf und sagte: Willst du mal mein Ding sehen? Vor versammelter Mannschaft. Du Angeber, denke ich und sage: Zeig mal. Fängt der an, die Hose aufzuknöpfen und mir wurde klar, er wird es mir zeigen. Da kriegte ich Panik und hatte Mühe, ihn abzuhalten.

Die Stasi-Geschichte... Alle sahen in ihre Akten: Wer war es? Da gab es wieder ein Auseinanderrücken. Einige sind noch nicht enttarnt, von denen heißt es jetzt: sag keine Namen, nachher stimmt es nicht. Meine Potsdam-Akte habe ich nicht bekommen.

Mein Ex-Mann gehört zum Heiderklüngel, einer der wenigen, die nicht mehr in Potsdam sind. Er restauriert alte Sachen in einem Dorf bei Rathenow. Der hatte das beliebteste Café nach der Wende, das Café Schwarz. Kamin, Gewölbe, Springbrunnen, Terrasse, üppig ausgestattet die Räume, da feierten wir viele Feste, es war immer bis auf den letzten Platz besetzt. Eine Mischung wie im Heider, Künstler, Handwerker, Beamte. Allerdings war das illegal, irgendwann zeigte der Nachbar ihn an, und die Gewoba hat dafür gesorgt, dass er zumacht. Seine Investitionen hat er nicht reingekriegt in der kurzen Zeit, er ist da hoch verschuldet rausgegangen.

Am 7. Oktober 89 war ich dabei, nicht drin, aber ich habs von draußen beobachtet, weil es schon Gerüchte gab, sie wollen das Heider räumen. Ich wollte mit Astrid in die Pilze, sie sagte: Da ist eine Gegendemo geplant, da müssen wir hin. Wir sind also in die Brandenburger – damals Klement-Gottwald oder einfach Broadway, da war schon Polizei und eine Masse Leute, die vom Luisenplatz in Richtung Kirche spazierten. Mein Sohn war sieben, den hatte ich auf den Schultern, sie hatte ihre Tochter auf den Schultern, und wir sind direkt an die Polizeikette ran, die Polizisten sahen zwar ziemlich verunsichert aus, aber mir schlackerten die Knie. So was hatte ich noch nie erlebt. Diese Schieber, Polizeiautos mit Schiebern vorn dran, was heute normaler Alltag ist. – Jedenfalls zitterte ich, und Astrid sagte: Laß uns abhauen, ich hab keine Lust auf Knast. Wir sind also in den Wald, fanden aber keine Pilze, sondern statt dessen Eicheln gesammelt für die Kinder, die in der Schule Eicheln abgeben sollten für die Tiere im Winter. Ich brachte meinen Sohn nach Hause, zu einer Bekannten, und bin noch mal los, zum Heider. Und da war es schon soweit. Ich stellte mich in einen Hauseingang, sah, wie die da runtergesprungen sind von den Autos und das Heider räumten. Zuerst die Bunten, also Punks, Hausbesetzer, die mit den grellbunten Haaren. Ich registrierte, wer drin bleibt. Aber sie nahmen fast alle mit. Die Polizei kam zu uns und wollte uns mitnehmen, ich sagte: Ich komm nicht mit, hab ein Kind zuhause. Die ließen mich in Ruhe, nahmen die beiden Punks neben mir aber mit. Das war für die Punks eher ein Event, manche haben sich gewehrt, sich schleifen lassen, manche haben gewinkt, alle gegrüßt die draußen standen, aber da stand kaum jemand, die Friedrich Ebert-Straße war leer, abgesperrt, die Straßenbahn fuhr nicht, damit sie das Heider in Ruhe räumen können und niemand zusieht.

Das Heider war so harmlos. Es gab keine Untergrundbewegung, keine Opposition, wir waren vollkommen harmlos. Wir haben unser Zeug gesponnen, aber Ideen waren ja immer der große Feind. – Das Heider war eine Insel, aber eine, die nur im Osten so sein konnte, wie sie war. Ein paar Leute von uns konnten in den Westen fahren, wenn irgendwer achtzig wurde, oder so. Stöckmann ist nach West-Berlin gefahren, er hätte bis 24 Uhr bleiben können, kam aber um acht ins Heider. Wir staunten: Was machst du denn hier?? Sagt er: Er wollte zurückkommen, bevor das Heider schließt. Und ich: Hast du ne Scheibe? Er: Da gibt es so was nicht wie das Heider. Da gibt es Cafés für jede Szene, aber nicht das. Das Heider war eine besondere Mischung, eben nicht bloß Szene oder nicht bloß eine, sondern die Omas und Opas, die da Kaffee tranken, außerdem die Schüler von der Helmholzschule, und die sogenannten Intellektuellen und die Künstler. Handwerker, Arbeiter kamen, im Heider war alles vertreten, auch die Bürgermeisterin Hanke saß da gern. Stöckmann hatte seine Freunde im Westen gefragt und beschrieben, was er sucht. Und die offerierten ihm die verschiedenen Szenen an den verschiedenen Orten. Da bekam er Heimweh.

Abends um neun hat das Heider schon geschlossen, dann sind wir alle in den Claudius-Club gezogen. Klub der Künstler und Architekten, heute die Spielbank. In den 80er Jahren gab es aus huygienischen Gründen im Heider kein Essen, also unser Steak mit Erbsen und Pommes frites im Künstlerklub gegessen, manchmal kam JOOP zu Besuch aus dem Westen.

Montags sind wir alle in der Stadt umhergeirrt, weil das Heider geschlossen war. Haben uns mal im „Babette“ getroffen, ungern, war eben eine Notlösung. Das Heider war eine Sucht. Das Gemeinschaftsleben dort. Weshalb wir montags völlig verzweifelt waren. Wir begegneten uns auf dem Broadway auf der Suche nach einander: Weiß du, wo Dings ist, hast du den gesehen? Jeden Tag sahen wir uns und merkten montags, wie abhängig wir von dieser Gemeinschaft sind. Sten war Inventar, Ulrich Preuß, ist inzwischen tot. Ein Multitalent: Schriftsteller, Maler, Musiker. In der Badewanne ertrunken.

Unsere Gesellschaft war offen, aber auch geschlossen insofern, als wir von jedem, der neu hinzukam, dachten, er ist im Auftrag der Stasi da. Im Heider durfte man ausnahmsweise einen Stuhl vom Nebentisch nehmen, Tische zusammenrücken war eher unerwünscht wie überall in der DDR-Gastronomie, aber jeder hat von außen gemerkt: das ist ne Gruppe. Wir kommunizierten über die Tische hinweg und spielten unsere Spielchen. Es wurde exzessiv gesoffen, Andreas, Roger und Sten, die ließen sich zum Beispiel achtzig Schnäpse bringen und tranken hintereinander weg. Schappi, Peter Wawerzinek., ein Berliner Autor, wurde damals wenig veröffentlicht. Schappi kam jedenfalls manchmal ins Café Heider. Ein Entertainer. Christa Köhler, die Schwester von Karl Heider, hat gekellnert und gewacht über die Disziplin und weiß ich was. Es gab einen großen Achtertisch, wo Schappi mit dran saß, und irgendwann hat er angefangen auf dem Tisch zu trommeln, das haben andere Tische aufgenommen und mitgemacht, so dass im Heider ein großes Trommelkonzert entstanden ist. Christa ist fast ausgerastet, wusste aber nicht damit umzugehen, und es hat ihr irgendwie gefallen. Normalerweise wäre so was nicht möglich gewesen. Aber es war ein besonderer Abend. Da ist spontan etwas entstanden, was da nie war. Nichts Aggressives, Freude, viel Suff. Christa hatte keine Chance. Sie hat Schappi doch noch rausgeschmissen, aber, na ja. Sonst erinnere ich mich bloß, welche Männer ich da abschleppte.

Die Gemeindepädagogen waren stark unter Beobachtung. .....Damals war uns immer gegenwärtig, es könnte jeder sein von uns. Ich versuchte damals, das zu ignorieren, achtete allerdings meist drauf, was ich sage und was nicht. Ich war politisch nicht engagiert, bloß genervt, dass man keine eigene Kneipe aufmachen kann, dass man die Ideen, die man hatte, nicht umsetzen konnte in der DDR. In der Mittelstraße gab es eine illegale Galerie, die immer wieder mal verboten werden sollte. Es gab Sommerfeste, die unerwünscht waren. Mich hat das genervt, dass es jedes Mal Ärger gab, egal, was man machte, das Kreative sollte unterbunden werden. Das hat uns an diesen Ort Heider gefesselt, wo man nie so richtig zum Orgasmus kam, immer wieder Ideen entwickelte...

A: ...um sie auf sexueller Ebene „abzuführen“?


Genau. Das wurde umgeleitet, da konnte man es ausleben. Deshalb wundern sich die Wessis, warum das im Osten so freizügig war. Es war unsere Möglichkeit kreativ zu sein. Individuell, frei zu sein, zu machen, was man Lust hat. Deswegen war das so ausgeprägt, das Gerammle. - Im Heider bekam ich den Tip für meine spätere Potsdamer Wohnung – also da lief echt alles über die Heider-Börse – ein Privathaus, da brauchte ich nicht über das Wohnungsamt, die KWV. Zahlte jedoch dreifache Miete. Mußte trotzdem zum Wohnungsamt, um mich polizeilich anmelden zu können. Und da sagten die zu mir: Sie haben kein Wohnrecht in Potsdam. Sie kriegen hier keine Wohnung. Sag ich: Warum? und: Wo habe ich denn Ihrer Meinung nach Wohnrecht? Da wurde nicht drauf geantwortet. Dieses Scheiß-Gefühl. Diese Ohnmacht.


Damals im Café Heider

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