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2. Habgier und Rassenwahn

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So wie sich manche Männer dem vorherrschenden Muster von Gehorsam und Pflichterfüllung punktuell widersetzten, hatten die meisten Soldaten im Krieg immer wieder eigene handlungsleitende Motive, die im Zuge der laufenden Einsätze befriedigt werden konnten oder bei Bedarf zusätzliche Initiativen auslösten. Bei der Darstellung der Tätigkeit der SS-Totenkopfstandarten während der ersten beiden Jahre der deutschen Besetzung Polens waren bereits verschiedene Fälle von Plünderungen nachweisbar. Solche Taten setzten sich in der Sowjetunion fort. Der frühere SS-Reiter Friedrich S. berichtete 1963, wie Männer seiner Schwadron des 2. Regiments eines Tages von einem Erschießungseinsatz zurückkehrten. „Einige von den heimkehrenden Kameraden“, so der Zeuge, „hatten neue Uhren, Ringe, Zigarettenetuis u. ä. bei sich, die von Juden stammten“.29 Zu Hause im Reich wurden solche neuen Besitztümer gerne herumgezeigt. Stolz präsentierte die Ehefrau eines Angehörigen der 1. SS-Infanteriebrigade Freundinnen und Nachbarinnen das neue silberne Tafelbesteck, welches der Gatte im Osteinsatz wohl den jüdischen Besitzern vor deren Ermordung geraubt hatte.30 In den Stationierungsorten, auf dem Marsch, bei der Zusammentreibung oder der Erschießung der Juden boten sich vielerlei Gelegenheiten, um sich alle Arten von Wertsachen anzueignen. Einem Hilfsschreiber der SS-Kavallerie, der außerdem Arbeiten für die Poststelle des Brigadestabs erledigte, fielen im Anschluß an einen Erschießungseinsatz mit mehreren tausend Opfern etliche Päckchen auf, die ein einzelner SS-Mann im September 1941 nach Hause schicken wollte. Als der in der Verwaltung angestellte Soldat aus Neugier einige der Päckchen öffnete, entdeckte er Goldketten, Ringe und sonstigen Schmuck der ermordeten Juden.31

Derartiges Verhalten stellte beileibe keine Ausnahme dar und erforderte immer wieder Interventionen der Truppenkommandeure. Standartenführer Fegelein sah sich Ende September 1941 zur Herausgabe eines Befehls an seine SS-Reiter genötigt, der sich ausschließlich dieser Problematik widmete. Einleitend stellte der Kommandeur in seiner schrillen Art erbost fest: „Es ist unverständlich, daß es einzelne Männer gibt, die einfach aus einem inneren Hang heraus requirieren müssen.“ In der Folge bemerkte er unwillig, in der Vergangenheit „nicht einmal, sondern immer wieder dringend“ auf ein Abstellen solcher Mißstände gedrungen zu haben und schilderte dann den Fall eines SS-Mannes, der sich „dauernd Gold, Silber und Geld organisiert“ habe. Den SS-Soldaten habe er deshalb vors Kriegsgericht stellen müssen. Seine Männer ermahnte Fegelein, ihren Familien und Eltern solche Schande zu ersparen; außerdem befahl er zukünftig alle „markanten Bestrafungen“ wegen Plünderns der Truppe umgehend bekanntzugeben.32

Im Zusammenhang mit Fegeleins eigenen Plünderungszügen in Warschau müssen solche Appelle natürlich äußerst fragwürdig anmuten. In Wirklichkeit bediente sich der SS-Offizier auch später immer wieder gerne am ‚offiziell‘ von der SS geraubten Plünderungsgut. Bei Himmler erreichte er auf eine Anfrage im Dezember 1944 die Zuweisung von zwölf goldenen Taschenuhren, die er als Geschenk für verdiente Männer der 8. und 22. SS-Kavalleriedivision verwenden wollte. Daß die Uhren aus dem Besitz ermordeter Juden stammten, war Fegelein bekannt. Im internen Schriftverkehr wurde die Quelle vielsagend mit dem Terminus „aus den bekannten Beständen“ umschrieben.33 Über die Begehrlichkeiten der SS-Männer waren die Truppenkommandeure bestens orientiert. Offiziell waren Plünderungen jedoch auch bei der Waffen-SS verboten und wurden zum Erhalt der Disziplin innerhalb der Truppe geahndet. Mitunter bot sich jedoch eine Gelegenheit, die Untergebenen für ihren Einsatz beim Judenmord zu belohnen. So gestattete Hauptsturmführer Charwat, der Chef der 1. Schwadron des Reiterregiments 2, den eingesetzten Schützen nach Abschluß einer Vernichtungsaktion, sich an Uhren oder Füllfederhaltern aus dem Besitz der getöteten Juden zu bedienen.34

Neben der Befriedigung der eigenen Habgier oder anderer niederer Beweggründe drückte sich das bei den meisten SS-Männern vorhandene nationalsozialistische Weltbild in Ressentiments gegenüber den als „Untermenschen“ wahrgenommenen Bürgern der besetzten Länder aus. Rassismus als einer der wesentlichen Bestandteile nationalsozialistischer Ideologie wurde innerhalb der Waffen-SS kontinuierlich im Rahmen der weltanschaulichen Schulung propagiert. Ein Vortrag beim 1. Reiterregiment im Januar 1941 hatte das „deutsche Volk als rassisch, völkische Einheit“ zum Thema.35 Drei Monate später wurde zur Schulung der Mannschaften des 2. Kavallerieregiments ein Vortrag mit dem Titel „Was heißt rassisches Denken?“ gehalten.36 Rassistische Stereotype traten auch in der Berichterstattung der SS-Verbände zu Tage. Als ein Zug der 4. Schwadron Anfang Oktober 1939 erstmals die Gegend von Kutno erreicht hatte, berichtete der Zugführer von dort: „Die Einwohner der Dörfer sind sehr stupid und primitiv und fügen sich eifrig allen Anordnungen.“37 Sturmbannführer Lombard, der Kommandeur der berittenen Schwadronen des Kavallerieregiments 1, urteilte im Sommer 1941 über die Bevölkerung in seinem Einsatzgebiet, es habe Ortschaften gegeben, „in denen ein so verdrecktes und in jeder Beziehung eckelhaftes [sic] Volk lebte, daß Mann und Pferd froh waren, wenn weiter gezogen werden durfte.“38

Das rassistische Weltbild der SS-Männer und ihre Verachtung der Lebenswelt im Osten traten noch im Zuge der westdeutschen Ermittlungsverfahren immer wieder in abfälligen Bemerkungen zu Tage. Als Alexander W., ein früherer Soldat der 1. SS-Brigade, 1967 im Zusammenhang mit den Judenerschießungen zu einem Ort befragt wurde, bemerkte er scheinbar lässig: „Ich weiß zwar nicht, ob man zwei bis drei ‚Buden‘ als Ort bezeichnen kann.“39 Derartige Einstellungen sind beispielhaft für die massenhafte Internalisierung der rassistischen Kategorien des Nationalsozialismus. In Ost- und Ostmitteleuropa wirkten sie immer wieder direkt handlungsanleitend und hatten vielfältige Facetten der mörderischen Besatzungspolitik zur Folge. Ludwig L, ein Angehöriger der 1. SS-Brigade, erinnerte sich bei seiner Vernehmung an einen Vorfall im Jahr 1941: „Im Verlaufe der damaligen Einsätze konnte man beobachten, daß viele Tausende russ. Soldaten, die keine Waffen mehr mit sich führten, heimwärts wanderten. Die Leute waren vollkommen harmlos. Gelegentlich einer Rast an einer Rollbahn kam unserer Kp. ein russischer Soldat mongolischen Typ’s an uns vorbei. Ich sah, daß dieser Mann angehalten und dann weitergeschickt wurde. Von rückwärts legte ein jüngerer SS-Mann glaublich mit einem Karabiner auf ihn an und schoß ihn in das Genick.“40 Schon zu Beginn der Einsätze in der Sowjetunion hielt Obersturmführer Otto Held vor der versammelten 2. Schwadron des Reiterregiments 1 eine Rede, in der er seine Männer vielsagend belehrte, daß „die Russen, Slawen und Juden minderwertige Menschen“ seien, mit denen dementsprechend verfahren werden könne.41

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