Читать книгу Das Erbe von Sunneck. Band 2 - Martina Frey - Страница 9

Nassau

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Die Sonne, die eben noch das Mühlbachtal mit ihrem wärmenden Atem durchflutet hatte, verschwand langsam hinter dem Hügel. Sofort setzte die Kälte ein und Raureif bildete sich auf den Gräsern. Die Häuser von Nassau waren bereits im abendlichen Schatten eingetaucht, während die Lahn im letzten goldenen Licht glitzerte.

Lorentz stand an der Wehrmauer und starrte gedankenverloren über das Tal. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er über seine Stirn, sein Blick noch immer auf die Fernstraße gerichtet.

Vom Westen her näherte sich der Bote aus Mechtheim. Endlich.

Ihm war immer noch nicht klar, aus welchem Grund Gerald von Stein heute Morgen einen Mann nach Mechtheim geschickt hatte. Nur zufällig hatte Lorentz davon mitbekommen und die Gelegenheit genutzt, an den Boten eine Bitte zu richten.

Lorentz stieß sich von der Mauer ab und rannte über den Hof, dem Reiter entgegen, der den steilen Weg zur Burg heraufkam. Drei Soldaten öffneten das Burgtor und ließen ihn passieren.

»Hast du sie gesehen?«, fragte Lorentz sofort.

Der Mann, auf dessen Gesicht der Schweiß glänzte, nickte beflissentlich. »Ja, Herr, das habe ich. Sie sah hübsch aus.«

»Verdammt, Mann, ich will nichts von ihrer Schönheit hören. Wie geht es ihr? Wird sie gut behandelt? Was hat sie gesagt?«

Seitdem er die Trümmer von Sunneck verlassen hatte, dachte er, gegen jegliche Vernunft, immerzu an Jonata. Dieser Simon von Mechtheim unterschied sich in seinem Wesen kaum von dessen grausamen Bruder, sodass Lorentz um Jonatas Wohlergehen besorgt war. So oft er sich auch ermahnte, seine Gefühle zu ihr konnte er nicht vergessen.

»Wie Ihr mir aufgetragen habt, fragte ich sie nach ihrem Wohlbefinden«, fuhr der Bote fort. »Ihr geht es gut, Herr. So wie es aussieht, behandelt man sie entsprechend, obwohl …»

Lorentz packte den Mann an den Schultern und rüttelte ihn. »Was heißt obwohl?«

»Ich will ja nichts sagen, aber ihr Kleid …« Der Bote schüttelte den Kopf. »Das sah aus … wie das einer Magd, nicht angemessen für eine Edle …«

Lorentz ließ die Schultern des Mannes los.

Sein Magen krampfte sich zusammen. Was würde er dafür geben, um mit seinem Streitross gen Mechtheim zu ziehen und diesem elenden Haufen von Schurken den Garaus zu machen. Aber er hatte ihr ja dieses dämliche Versprechen geben müssen.

Gerald von Stein wartete beharrlich auf seine Rache. Noch immer dürstete es ihn nach Vergeltung für den Tod seiner Gemahlin und seines Sohnes, die damals elend in einer brennenden Kirche umgekommen waren. Die Schuld daran trugen Ulrich und Simon von Mechtheim.

Es wunderte Lorentz, dass Gerald so lange Ruhe gab. Vielleicht hatte er die Geduld verloren und den Boten geschickt, um Simon von Mechtheim den Krieg zu erklären? Das musste Lorentz herausfinden.

Was würde aus Jonata werden, sollte es tatsächlich zum Kampf kommen? Sie saß bei den Mechtheimern fest, zugegeben freiwillig, dennoch wäre ihr Leben in Gefahr.

»Sie sagte, ich soll Euch an Euer Abkommen erinnern«, berichtete der Bote weiter.

»Daran muss sie mich nicht erinnern«, brummte Lorentz mürrisch und folgte ihm zum Rittersaal, wo Walram und Gerald auf die Rückkehr des Mannes warteten. In Gedanken versunken stieg Lorentz die Steinstufen hinauf in das obere Stockwerk.

Gerald und der Grafensohn saßen wie erwartet auf breiten Schemeln an den Fenstern und tranken Wein. Elisabeth, die noch immer auf Burg Nassau verweilte, war ebenfalls anwesend. Als Lorentz mit dem Boten eintrat, verstummte ihr Gespräch.

Niemand störte sich an den beiden, so dass der Bote ohne Aufforderung sprach: »Simon von Mechtheim willigt in das Treffen ein.«

Gerald hob eine Faust. »Wenn er sich nicht daranhält, wird er es bereuen.«

»Darf ich fragen, warum Ihr Euch mit ihm treffen wollt?«, erkundigte sich Lorentz.

Gerald wandte sich ihm zu. »Ich habe die Absicht, diesem Raubritter Forderungen zu stellen. Dieser elende Hund soll nicht glauben, ich hätte vergessen, was er und sein verdammter Bruder meiner Familie angetan haben.«

Elisabeth zuckte unter den harten Worten des Ritters zusammen. Lorentz fiel wieder einmal auf, dass Gerald seine Gefühle, was die Mechtheimer Ritter anging, nicht gut unter Kontrolle hatte. Was hatte er mit diesem Treffen vor?

Er lächelte die junge Frau beruhigend an. Der Bote hatte seine Nachricht überbracht und verließ den Rittersaal. Erst als er fort war, sagte Walram: »Ihr solltet vorsichtig sein, Gerald. Diesem Raubritter ist nicht zu trauen. Er könnte Euch eine Falle stellen und Euch hinterrücks ermorden.«

Gerald nickte bedächtig. »Ich werde vorsichtig sein. Es gibt aber etwas, das ich klären will. Ritter Lorentz brachte mich darauf.«

Dieser tauchte wieder aus seinen Gedanken auf. Er? Was hatte er gesagt, damit Gerald ein solches Wagnis einging?

»Was genau habt Ihr mit Simon von Mechtheim zu besprechen?« Die Frage hatte er heute Morgen schon stellen wollen. Geralds finstere Gesicht hatte ihn davon abgehalten. »Ihr habt doch nicht vor, ihn zu töten? Das würde Jonata in Gefahr bringen. Denkt an unser Versprechen.«

Gerald winkte ab. »Das Ehrenwort an Eure Verlobte habe ich nicht vergessen, Lorentz. Solange sie in Mechtheim ist, verschone ich dieses Tal.« Mehr gab Gerald nicht preis, was ihn ärgerte. Auf was hatte Lorentz ihn gebracht? Worüber hatten sie gesprochen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Was genau hatte Gerald mit dem Raubritter zu klären? Es störte Lorentz, dass Gerald ihn im Ungewissen ließ.

»Geht es Jonata gut?«, fragte Elisabeth plötzlich.

Lorentz beruhigte sie: »Der Bote hat sie gesehen. Sie ist wohlauf.«

Seine Worte beruhigten sie.

»Ach übrigens«, sagte Walram nun heiter. »Meine liebe Schwester erinnert mich immer wieder an mein Versprechen.«

Elisabeth kicherte. »Die Feier.«

»Genau. Ich habe beschlossen, dir deinen Willen zu lassen.«

»Ich wusste es.« Elisabeth klatschte erfreut in die Hände. »Ich habe auch schon eine Gästeliste erstellt. Isalda und ihre Mutter werden bald eintreffen.« Sie drehte sich zu Lorentz. »Isalda wird so glückselig sein, Euch zu sehen. Ich werde sie damit überraschen.«

»Wir sollten uns von den Dingen, die uns umtreiben, etwas ablenken«, sagte Walram gutgelaunt. »Ein Fest ist genau das Richtige.«

Lorentz neigte seinen Kopf und seufzte leise. Ein Fest war das Letzte, was er brauchte. »Ein guter Einfall, Walram.«

Ihm stand nicht der Sinn für Feierlichkeiten.

Jeden Augenblick verbrachte Lorentz damit, die letzten Momente auf Sunneck in seinen Erinnerungen heraufzubeschwören. Ganz egal, welchen anderen Weg er gewählt hätte, er hätte Jonata nicht zurückhalten können. Sie hatte schon immer ihren eigenen Kopf.

Er musste aufhören darauf zu hoffen, dass sie eines Tages vor dem Nassauer Tor stand, um zu ihm zurückzukehren. Er wollte kein Narr sein und etwas nachtrauern, was verloren war. Zu allem Überdruss kam jetzt auch noch Isalda. Er hatte wirklich schon genug Probleme. Warum musste ausgerechnet diese Frau in sein Leben zurückkehren?

Schlechtgelaunt verließ er den Saal und wollte nach seinem Hengst sehen, der von der letzten Jagd eine Verletzung davongetragen hatte. Auf dem Weg zu den Stallungen traf er auf Martin und Linus.

»Ist der Bote angekommen?«, wollte Martin wissen, ehe Lorentz die beiden Männer erreicht hatte. »Hat er Jonata gesehen?«

»Ihr scheint es gutzugehen.« Er musste daran denken, was der Bote gesagt hatte. Sie trug ein Kleid, nicht einer Edlen entsprechend. Wurde sie wirklich gut behandelt? Oder hielt man sie als Magd?

»Also ist sie noch dort.« Linus schüttelte spöttisch grinsend den Kopf. »Diese Frau hat den Verstand verloren.«

»Das sagst du, seitdem wir die Ruinen von Sunneck verlassen haben«, stellte Martin fest.

»Es hat sich ja nichts geändert. Sie glaubt tatsächlich, dass sie die Mechtheimer durch ihre Anwesenheit schützen kann.«

»Tut sie«, sagte Lorentz. »Solange sie dort ist, werden weder ich noch Gerald Rache nehmen.«

»Und warum schickte Gerald den Boten dorthin?«

»Er will sich mit Simon treffen. Frage mich aber nicht aus welchem Grund. Darüber schweigt er sich aus.« Diese Tatsache gefiel Lorentz gar nicht. »Ich wünschte mir, ich könnte dem Ganzen ein Ende bereiten.«

Seine Freunde wussten genau, von was er sprach.

»Nun, du kannst dich hinten anstellen«, erklärte Martin mit hämischer Grimasse. »Ich hörte im Dorf, dass es rachedurstige Männer gibt, die Mechtheim niederbrennen wollen. Sie rüsten sich zum Kampf. Vorneweg Burckhart von Isingen.«

»Burckhart?« Linus prustete los. »Dem sind doch erst ein paar Barthaare gewachsen.«

»Mag sein, aber sein Hass treibt ihn um. Er sammelt wehrhafte Männer um sich, allesamt Feinde der Brüder von Mechtheim.«

»Den tötet Simon mit Links. Ich hörte, er hat sich erholt. Dank Jonata.«

Kalte Wut stieg in ihm auf, sobald Lorentz daran dachte, dass sich Jonata mehr um ihren Feind kümmerte, als um die Menschen, die sie brauchten und liebten. Zum Beispiel ihre Schwester Roberta. Lorentz hatte sie und Hermine nach Wiesbaden gebracht. Das Mädchen konnte keine Nacht durchschlafen und wurde von Alpträumen geplagt. Die Angst vor Ulrich hatte die Fröhlichkeit aus Roberta vertrieben. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Und um wen kümmerte sich Jonata?

»Ich wünschte, ich könnte ihn ein für alle Mal …« Lorentz beendete seinen Satz nicht.

»Du wirst sie verlieren, wenn du diesem Lumpen etwas antust«, sagte Martin und schien genau zu wissen, von was Lorentz gesprochen hatte.

Die Worte waren wie Messerstiche in seiner Brust.

»Ich habe sie längst verloren«, murmelte Lorentz patzig und wandte sich ab. Mit ihren Worten hatte Jonata ihn nicht so verletzen können, wie mit ihrem Fortgehen. Sie hatte sich verändert. Das war ihm aufgefallen, als sie ihm auf Sunneck gegenübergestanden hatte. Voller Ingrimm und Trauer. Ulrich und die Ehe mit ihm, hatten sie für Lorentz zu einer Fremden gemacht. Damit hatte er seine Jonata, die er liebte längst verloren.

»Sei nicht zornig, Lorentz«, hörte er Linus sagen. »Wenn du dir zu viele Gedanken um Jonata machst, wirst du eines Tages beginnen sie zu hassen.«

»Sie hat mich zurückgewiesen, für einen Raubritter. Ich hasse sie nicht, aber ich werde ihr das so schnell nicht verzeihen.« Er sagte es mit solcher Inbrunst, dass er vor seinen eigenen aufschäumenden Gefühlen zurückschreckte.

»Ich kann zwar nicht gutheißen, was sie getan hat«, sagte Linus, »aber sie wollte Frieden. Ich glaube, sie will den Balg von Ulrich dort zur Welt bringen, wo er hingehört. Unheil gehört zu Unheil.«

Martin schlug den beiden Männern auf die Schultern. »Seht nicht alles so schwarz. Wir haben ein gutes Leben in Nassau. Eines Tages werden wir den Mechtheimern und Eppsteinern gegenüberstehen und sie besiegen. Bis dahin genießen wir das Leben. Ich hörte, Walram lässt ein Fest vorbereiten.«

Linus ließ sich von seinem Kameraden ablenken, während Lorentz noch immer in seinen Gedanken festhing. »Gutes Essen, Musik und eine schöne Frau auf meinem Schoß, das würde mir gefallen. Dir nicht auch, Lorentz?«

Aus seiner Grübelei gerissen, hob er den Kopf. »Was soll mir gefallen?«

»Du solltest dich um anderes kümmern, als um Jonata, Kamerad«, sagte Linus. »Hol dir eine der Mägde in dein Lager. Ich sah, wie das Mädel mit den roten Haaren dich jeden Tag beobachtet. Sie hat Feuer und wird dich ablenken.«

Die Magd war ihm nicht aufgefallen. »Isalda kommt nach Nassau«, berichtete Lorentz und wollte nicht auf die Aufforderung seines Freundes eingehen.

»Aha«, murmelte Martin und sagte daraufhin nichts mehr.

»Wer ist das?«, erkundigte sich Linus.

»Eine alte Freundin aus vergangenen Tagen«, antwortete Lorentz gedehnt.

Linus runzelte die Stirn. »Ist sie schön und noch zu vergeben?«

Eine Antwort erhielt er nicht. Weder von Martin noch von Lorentz.

Das Erbe von Sunneck. Band 2

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