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Kapitel Drei

Als sie sein Entsetzen bemerkte, fing sie an zu lachen.

Am nächsten Morgen wurde Giulia unsanft von Libero geweckt, als er im Korridor über den Teppich stolperte. Und so kam es, dass er und seine Tante gemeinsam frühstückten, bevor alle anderen aufwachten. Als der frische Kaffeeduft Carlos Schlafzimmer durchflutete, gesellte er sich ebenfalls dazu und so erzählten er und Giulia, was mit Helios los war.

„Macht euch keine Sorgen“, beruhigte Libero sie, „diese Erfahrung weg von zu Hause wird ihm eine Hilfe sein und Mama hat auch schon einen Angriffsplan vorbereitet!“

Am Bahnhof ermahnte Giulia ihre Kinder in einem fort, sich bei ihrer Tante anständig zu benehmen.

Gaia hielt es vor Aufregung und Neugier kaum mehr aus, während man Helios wie üblich schon von weitem ansehen konnte, dass er in diese Geschichte hineingezwängt worden war. Er zog Gaias schweren Koffer hinter sich her, weil Libero ihn dazu gezwungen hatte: „Ein Fräulein trägt keine schweren Lasten!“, dieser Cousin hatte ihn schon ganz mürbe gemacht.

Libero, der eine Jeans und ein T-Shirt und dazu eine ockergelbe Mütze vom Katastrophenschutz trug, die seinem Cousin und seiner Cousine unpassend erschien, schleppte das ganze restliche Gepäck so mühelos, als ob es leere Koffer wären.

Der Zug verließ den Bahnhof pünktlich nach Fahrplan. Nur sie drei besetzten das Abteil. Libero hob die Koffer auf die Gepäckablage und schlug vor:

„Komm, Gaia, lass uns in den Restaurantwagen gehen und einen Snack besorgen, wir werden erst spät auf dem Bauernhof eintreffen und bis dahin solltet ihr bei Kräften bleiben. Helios wird in der Zwischenzeit auf die Koffer aufpassen, es wird sich niemand an unseren Sachen vergreifen. Falls doch, dann knurr ganz einfach!“ meinte er und grinste seinen Cousin dabei an. „Und wenn du nicht eingeschnappt bist, bringen wir dir auch was zu essen mit...“

Libero und Gaia verließen zusammen das Abteil, zur großen Erleichterung von Helios, der nun endlich allein sein konnte.

Er starrte aus dem Fenster in die monotone Landschaft. Sie hatten gerade das Industriegebiet hinter sich gelassen und man konnte die ersten bestellten Felder sehen. Sein Blick schweifte über Felder, Felder und noch mehr Felder und dann über Hügel, Hügel und noch mehr Hügel und Felder.

Plötzlich sah er das Spiegelbild eines Mannes im Fenster, er saß auf dem Sitz in der benachbarten Sitzreihe, auf der anderen Seite des Ganges.

Wann war er ins Abteil gekommen? Helios hatte das Öffnen der Tür nicht bemerkt.

Der Mann war ganz in Schwarz gekleidet und trug eine seltsame Brille auf der Nase. Er las ein Buch mit einem schwarzen Ledereinband. Die Seiten waren aus Seidenpapier. Das Buch schien gut hundert Jahre alt zu sein. Auf dem Kopf trug er einen Hut mit großer Krempe, die sein Gesicht verdeckte. Er wirkte zugegebenermaßen alles andere als vertrauenerweckend.

Helios drehte sich nicht um, sondern beobachtete das Spiegelbild weiter durch die Fensterscheibe. Allein mit diesem Kerl zu sein, machte ihm Angst. Jetzt wünschte er sich, dass sein großer, starker Cousin so schnell wie möglich ins Abteil zurückkehren würde, aber von ihm und Gaia war weit und breit nichts zu sehen.

Währenddessen las der Mann weiter in seinem Buch und hielt nur gelegentlich inne, um auf eine alte Uhr zu schauen, die er aus der Westentasche, unter seinem eleganten aber altmodischen Anzug zog.

Das brachte Helios noch mehr auf die Palme. Er fragte sich, worauf er wartete, es musste sich ganz sicher um etwas sehr Wichtiges handeln, wenn er ununterbrochen auf die Uhr schaute.

Dann, nachdem der Mann ein weiteres Mal auf seine Uhr geschaut hatte, klappte er das Buch plötzlich zu und bückte sich, um etwas aus seiner schwarzen Tasche zu holen, die zwischen seinen Beinen auf dem Boden stand. Die leicht hochgezogenen Hosenbeine gaben den Blick auf die schwarzen, mageren Knöchel und die seltsamen Socken frei, die wie schwarzes Fell aussahen.

Helios konnte seine Angst nicht mehr unter Kontrolle halten und fing an zu zittern. Da fing der Mann, während er weiter in der Tasche kramte, an zu lachen, so als hätte er sein Entsetzen bemerkt. Es war ein tiefes, schauriges Lachen, das in Helios Ohren widerhallte und um es nicht länger hören zu müssen, hielt er sich mit beiden Händen die Ohren zu. Er schloss die Augen, um das Spiegelbild dieses Mannes im Fenster nicht länger sehen zu müssen und betete im Stillen: „Mach, dass Libero zurückkommt, mach, dass Libero zurückkommt“.

Die Tür zum Abteil öffnete sich mit entschiedenem Schwung.

„Helios, was machst du da? Hast du dir in der Stadt eine Ohrenentzündung eingehandelt? Du willst doch hoffentlich nicht uns arme Bauerntölpel mit diesem Virus für zivilisierte Stadtmenschen umbringen!“

Helios zuckte zusammen, dann, als er die scherzende Stimme seines Cousins erkannte, drehte er sich um und sah Libero, der mit einer Tüte und einem Getränk in der Hand auf der Türschwelle stand und lachte. Hinter ihm biss Gaia in ein riesiges Croissant.

Von dem Mann keine Spur, wie er aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden. Es war alles verschwunden: der Mann, sein Buch, seine Uhr und seine Tasche.

Libero setzte sich neben ihn, gab ihm ein Croissant und bemerkte, dass er zitterte.

„Ist etwas passiert?“, fragte er ihn.

„Ich denke, ich bin nur etwas reisekrank vom Zugfahren ...“, log Helios.

Gaia verstand, dass ihr Bruder einen seiner Anfälle bekommen hatte und nahm sich vor, Libero unter vier Augen davon zu erzählen.

Der Rest der Reise verlief ohne weitere Zwischenfälle. Libero erzählte den Freunden vom Erntefest, das in Kürze stattfinden würde und an dem alle Nachbardörfer teilnahmen. Die Veranstaltung würde im Freien stattfinden, mit Volkstänzen wie der Taranta, aber auch mit moderneren Tänzen.

Helios blickte seine Schwester und seinen Cousin an und fragte sich, wie die beiden so schnell auf eine Wellenlänge gekommen waren. Aber er war froh, nicht allein zu reisen, diese seltsamen Ereignisse fingen an, ihn zu beunruhigen. War er das Opfer einer Verschwörung oder sollte er anfangen an seiner geistigen Gesundheit zu zweifeln?

Libero wurde aufgeregt, es war an der Zeit, sich zum Aussteigen vorzubereiten. Aus dem Fenster hatte er das Haus von Frau Gina gesehen, das er als Orientierungspunkt gewählt hatte. Der Zug hielt an, er trug alle Koffer, während Gaia die Wagentür öffnete und nach draußen sprang, sie war aufgeregt wie jemand, der wie sie sehr wenig reiste.

Die Einheimischen bezeichneten das, was nicht mehr als eine Haltestelle war, als Bahnhof. Der einzige Komfort waren ein Unterstand mit einem undichten Dach und ein Fahrkartenautomat, der immer außer Betrieb war und zu allen Passanten sagte: „Wir weisen darauf hin, dass der Bahnhof unbewacht ist. Seien Sie vorsichtig vor Taschendieben!“.

Libero holte tief Luft und meinte:

„Endlich kann man wieder atmen! Herzlich willkommen in Campoverde.“

„Ich rieche schon den Duft der Felder“, bemerkte Gaia, „Riechst du es nicht auch, Helios?“

Helios bemerkte keinen Unterschied zur Stadt und zuckte nur mit den Schultern.

„Helios, du nimmst Gaias Koffer, ich trage den Rest“, befahl Libero.

Gaia amüsierte dieses Kavaliersverhalten, das sie in anderen Situationen als störend empfunden hätte. Es war aber so natürlich, dass sie das Spiel amüsiert mitspielte. Vielleicht hatte sie zu voreilig über ihren Cousin geurteilt, so ein Dummling war er eigentlich gar nicht ...

Gaia und Libero gingen wohlgelaunt am Automaten, der zum x-ten Mal denselben Satz wiederholte, vorbei in Richtung Unterführung.

Helios musste Gaias riesigen Koffer mit beiden Händen packen, um die Treppen der Unterführung hinunter und dann wieder hinauf zu steigen. Das war echt anstrengend.

Er war überzeugt, dass die Tante mit ihrem Auto auf sie wartete, sodass er auf den letzten Stufen alle seine Kräfte zusammenraffte.

Aber draußen vor dem Bahnhof angekommen, erwartete sie nur ein leerer Parkplatz. Libero bog zusammen mit seiner Cousine links auf eine enge und mehr schlecht als recht gepflasterte Straße ab. Auf beiden Seiten der Straße gab es nur zwei Wasserkanäle, die die Straße auf der einen Seiten von den Maisfeldern und auf der anderen von den Weizenfeldern trennten.

Helios schnappte nach Luft und schrie ihnen verzweifelt zu, anzuhalten. Seine Schwester drehte sich verwundert um, sie hatte ihren Bruder seit Jahren nicht mit lauter Stimme sprechen, geschweige denn, derart schreien hören.

„Wo ist Tante Idas Auto?“, fragte Helios.

„Oh, ich habe vergessen zu sagen, dass sie mich vorhin angerufen hat, um mir zu sagen, dass sie nicht kommen kann. Camilla, unsere Kuh, könnte jede Minute kalben und sie kann sie nicht allein lassen“.

„Camilla, kalben? Aber wie sollen wir das schaffen?“, fragte Helios, außer Atem.

„Keine Sorge, es sind nur vier Kilometer bis zum Bauernhof“, erklärte Libero mit ruhigem Tonfall.

„Vier Kilometer?“, waren Helios letzte Worte.

„Komm schon, Mann! Der Koffer deiner Schwester hat sogar Räder!“, spornte Libero ihn an und lief weiter.

Von Weitem konnte man schon die ersten Häuser des Dorfes sehen.

„Da ist es! Das Haus mit dem Kirschbaum davor, das ist unser Bauernhof“.

Libero zeigte auf ein Bauernhaus in venezianischem Rot mit dunkelgrünen Fensterläden. Vor dem Haus gab es einen wunderschönen gepflegten Garten, hinter dem Haus befanden sich der Stall und die Wäscheleinen, und daher erstreckten sich die Felder.

„Mama, wir sind da!“, rief Libero, während er die Koffer auf dem Fußweg abstellte und zum Stall rannte.

Tante Ida trat vor die Haustür.

„Meine Nichte und mein Neffe!“, rief sie voller Freude.

Gaia fiel ihr um den Hals. Helios näherte sich erschöpft und gab ihr höflich einen Kuss auf die Wangen.

Ida war knapp über fünfzig, aber ihre Schönheit war noch nicht verblasst, auch wenn sie nichts tat, um sie hervorzuheben. Sie war mittelgroß und schlank, gut proportioniert, aber ihre Arme und Beine hatten verjüngte straffe Muskeln, die jeder Langstreckenläufer beneiden würde. Das harte Leben auf dem Bauernhof war ihr tägliches Training. Sie hatte blondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, einen hellen Gesichtseint und wunderschöne grüne Augen, wie die ihres Neffen.

Während Libero aus dem Stall zurück kam, rief er fröhlich:

„Camilla hat ein Mädchen bekommen! Es gibt frische Milch!“

Die Tante lud sie ein, ins Haus zu kommen. Der Tisch war gedeckt und in der Luft lag der Duft vom fertigen Mittagessen. Die Freunde aßen hungrig, Gaia hörte nicht auf, ihrer Tante von den Emotionen der Reise zu erzählen.

Nach dem Mittagessen half Gaia der Tante, die Küche aufzuräumen, während Libero Helios hinter sich her über den Bauernhof schleppte und ihn bat beziehungsweise befahl, ihm bei allen Arbeiten zur Hand zu gehen.

Am Abend erklärte ihnen die Tante, dass sie im Wohnzimmer auf dem Schlafsofa schlafen müssten, bis sie den Dachboden in Ordnung gebracht hätten, der ihr Sommerquartier sein würde.

Gaia eilte hinter ihrer Tante die Treppen hinauf, um den Dachboden zu besichtigen. Helios dagegen war von dieser weiteren schlechten Nachricht schockiert.

Sie stiegen in den ersten Stock, wo sich die Schlafzimmer der Tante, von Libero und Ercole, dem Nesthäkchen der Familie, der im Scout Camp war, befanden. Ida zeigte ihr die Holzleiter, die auf den Dachboden führte. Sie selbst würde nicht hinaufsteigen, sie war zu müde, um rauf und runter zu klettern. Sie war im Laufe des Tages schon mehrmals dort gewesen, um die Fensterläden zu öffnen und das Zimmer zu lüften.

In der Zwischenzeit ging die Tante in ihr Zimmer, um heimlich mit ihrer Schwägerin Giulia zu telefonieren. Sie wollte sie über die Ankunft der Geschwister informieren.

Giulia ließ das Telefon keine zweimal klingeln.

„Hallo meine Liebe, wie geht es dir?“, fragte Ida.

„Gut, danke. Aber jetzt erzähl‘ doch mal, wie ist es gelaufen?“

„Er hat es geschafft, zu Fuß vom Bahnhof bis hierher zu laufen. Er dachte, ich würde sie mit dem Auto abholen. Aber Libero hat ihm als Ausrede erzählt, dass Camilla, unsere Kuh, kalben musste“, lachte Ida.

„Ich hätte ihn zu gern so schweißgebadet gesehen!“

„Nach dem Mittagessen“, wollte Ida weitererzählen, aber Giulia unterbrach sie.

„Er hat etwas gegessen?“

„Ja, er hat die Nudeln und das Fleisch verputzt.“

„Wow! Zu Hause beißt er nur einmal von einem Brötchen ab.“

„Es wird nicht einfach sein, er sag nichts“, sagte Ida. „Aber du wirst sehen, dass wir ihn ein wenig aufbauen werden.“

Im Hintergrund hörte man Carlo Fragen stellen und lachen.

„Fernseher und Videospiele habe ich verschwinden lassen, wenn schon eine Rosskur, dann richtig.“

Helios lag auf dem Sofa und konnte keinen Muskel bewegen. Seit Jahren hatte er sich nicht so viel bewegt.

In der Schule gelang es ihm immer, mit der einen oder anderen Ausrede, die Sportstunde zu schwänzen.

„Helios, komm schon, ruf bitte deine Schwester, ich brauche jemanden, der mir hilft, das Abendessen vorzubereiten“.

Helios traute seinen Ohren nicht, es schien ihm unmöglich, aufzustehen.

Aber die Tante rief mit dem bestimmenden Ton eines Generals, der keinen Widerspruch zuließ:

„Helios, hast du gehört?“

„Ich geh‘ ja schon“, antwortete er und lief mit einem Begräbnisgesicht zur Leiter.

Unter der kleinen Holzleiter angekommen, blieb er stehen und fing an, nach seiner Schwester zu rufen.

Aber trotz der lauten Rufe ihres Bruders antwortete Gaia nicht.

Immer verzweifelter kletterte er die Stufen hinauf. Das Halbdunkel auf dem Dachboden machte ihm Angst. Der Weg erschien ihm Stufe um Stufe immer endloser. Als er den Kopf durch die rechteckige Luke steckte, rief er erneut nach seiner Schwester, aber wieder bekam er nur Schweigen zur Antwort. Er machte sich Mut und stieg auch die letzten Stufen hinauf. Von oben packte etwas seinen Arm.

Helios blieb erstarrt stehen, die Augen geschlossen. Panik breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Ich hab dich!“, rief Gaia, die ihren Bruder in diesem Zustand sah.

„Geh weg, du blöde Kuh, ich hab´ mir Sorgen gemacht, du hättest mir antworten können.“

Gaia ließ sich nicht provozieren und da sie fasziniert von all den Dingen war, die sie gefunden hatte, sagte sie:

„Dieser Dachboden ist voller seltsamer Sachen. Komm, sieh mal hier ...“

Helios stieg auf den Dachboden und folgte seiner Schwester, die alte Fotos durchblätterte.

„Sieh mal, wie komisch er aussieht“, sagte sie und gab ihm die Fotos.

„Was ist daran komisch?“, fragte Helios.

„Wie was?“ erwiderte Gaia, „erkennst du ihn denn nicht?“

„Wen?“, fragte Helios erneut.

„Na, Papa!“, rief Gaia.

„Papa? Du hast recht, so gekleidet hatte ich ihn nicht erkannt, er sieht Libero ähnlich. Der zieht sich genauso an!“

Endlich kam nach langer Zeit ein Lächeln über seine Lippen. Gaia schaute sich inzwischen neugierig die anderen Fotos an.

„Hast du das gesehen? Er sieht aus wie Libero, als er klein war. Er ist so seriös und schmollend, dass man ihn fast nicht wiedererkennt.“

Auf dem Foto konnte man ein Kind sehen, mager, mit einem starren Blick ins Leere, blass und ausdruckslos.

„Er sieht aus, als ob er von Außerirdischen entführt wurde", meinte Gaia.

Das Bild zeigte ihn im Garten, er hielt seine Spielautos fest in der Hand. Das Foto war in der Dämmerung aufgenommen worden, mit dem Sonnenuntergang im Rücken. Neben seinem langen Schatten war ein zweiter Schatten zu sehen, obwohl das Kind allein auf dem Foto war.

Helios starrte das Foto an und bemerkte besorgt:

„Siehst du diesen Schatten?“

„Welchen?“

Helios wurde aufgeregt:

„Den hier, siehst du den? Der gehört zu keinem Körper“, sagte er und zeigte darauf.

„Der hier? Du irrst dich, der kommt vom Baum“.

Obwohl sie von der Perspektive nicht unbedingt überzeugt war, versuchte Gaia trotzdem, ihren Bruder zu beruhigen.

Helios wollte nicht den Eindruck erwecken, verrückt zu sein, und um nicht wieder auf das Thema zurückzukommen, erklärte er, warum er da war.

„Wir müssen runter, die Tante hat nach dir geschickt, sie braucht Hilfe, um das Abendessen vorzubereiten.

„Bleibst du hier?“, fragte Gaia, sprang wie von einer Tarantel gestochen auf, um zur Leiter zu gehen.

Helios dachte nicht im Traum daran, alleine da oben zu bleiben.

„Nein, ich komme mit dir nach unten“, antwortete er.

Als Gaia in die Küche kam, hatte ihre Tante schon mit den Vorbereitungen für das Abendessen begonnen und sie machte sich sofort nützlich.

Helios wollte die Beine hoch legen und sich auf dem Sofa ausstrecken, als Idas Stimme ihn aufschreckte.

„Was machst du da? Komm schon, komm her und hilf uns. Es ist noch nicht Zeit, sich auszuruhen, du kannst den Tisch decken.“

„Wo ist Libero?“, fragte Gaia.

„Er ist sicher dabei, die Ställe zu schließen“, antwortete Ida. „Helios, warum gehst du ihn nicht holen, sobald du hier fertig bist“

„Ich gehe“, bot sich Gaia fröhlich an.

„Nein, dich brauche ich hier, lass deinen Bruder nur gehen“.

„Ja“, antwortete Helios erschöpft, der seltsamerweise einen Bärenhunger hatte.

Draußen vor der Haustür hielt er Ausschau nach seinem Cousin, der draußen auf den Feldern auf dem Traktor saß und in den Himmel schaute.

Helios kam laut rufend näher, heute schienen alle ihr Gehör verloren zu haben, so wie Gaia antwortete jetzt auch Libero nicht auf sein Rufen.

„Hoffen wir, dass es ansteckend ist, so verliere ich auch das Gehör und kann mich hinlegen, ohne auf irgendwen hören zu müssen", dachte Helios.

Er musste die ganze Strecke bis zum Traktor zurücklegen, bevor er eine Antwort bekam.

„Warum schreist du so?“, fragte Libero.

„Es ist Zeit nach Hause zu kommen, das Abendessen ist fertig“, antwortete Helios.

„Komm hoch“, lud ihn Libero ein, als ob er nicht gehört hätte, was Helios gesagt hatte.

„Ich, da hoch?“

„Ja, hier hoch, ich zeig dir was.“

Helios kletterte hinauf, Libero machte ein wenig Platz und sie setzten sich zusammen hin.

„Sieh nur, wie herrlich!“, rief Libero aus und zeigte auf den Himmel. „Kannst du dir vorstellen, dass ich bis vor ein paar Jahren nicht in der Lage war, ihn zu sehen?“

„Was?“, fragte Helios und versuchte Gott weiß welche Seltsamkeit zu entdecken.

„Den Himmel“, antwortete er.

„Den Himmel?“

„Ja, den Himmel, er ist so wunderschön, aber oft heben wir für eine lange Zeit unseres Lebens nicht den Kopf, um ihn anzuschauen. Damit meine ich nicht, ihn zu betrachten, um zu sehen, wie das Wetter ist, sondern ihn still zu bewundern, so wie das Meer, das sich mehr auf Augenhöhe befindet und deshalb häufiger geschätzt wird. Bleibst du jemals stehen, um ihn zu beobachten?“

„Nein“.

„Das solltest du aber. Das hat eine sehr belebende Wirkung und rückt viele Dinge in den richtigen Blickwinkel.“

Helios war erstaunt über die tiefen Gedanken seines Cousins und schwieg eine Weile mit ihm, um ihn zu betrachten.

Die blendend weißen bis rauchfarbenen Wolken hingen zwischen zwei Himmelslagen, einem bleiernen Himmel unter ihnen und einem türkisfarbenen über ihnen. Die Schattierung vermischten sich mit den ockerfarbenen Nachklängen einer inzwischen fast untergegangenen Sonne, die das Licht auf sie warf und ihren Scheitel Gold färbte, sodass der Eindruck entstand, das Licht aus einer anderen Welt zu sein, das dort war, um ein Leben zu erleuchten, das auf ihnen stattfand. Dicht, wie Eischnee, die weißen und chaotisch, wie der Malausbruch eines dreijährigen Jungen, die grauen.

Unter allen Wolken erregte eine seine besondere Aufmerksamkeit. Sie hatte die Gestalt eines Einhorns, die sich dunkel vor dem weißen Hintergrund abzeichnete, als würde das graue Tier über die weißen Himmelsweiden rennen. Genau wie in einem Fresko von Tiepolo, streckte sich diese natürlich aufgebrochene Decke ins Unendliche, jenseits des Sichtbaren empor, in ein Mysterium, dem gegenüber sich unsere Seelen klein und gleichzeitig unsterblich fühlen.

Libero sprang plötzlich vom Traktor.

„Jetzt habe ich Hunger“, sagte er laut lachend.

„Hast du keinen Hunger, Helios?“

„Doch, hab ich.“

„Also komm runter und lass uns essen gehen, vielleicht lasse ich dich beim nächsten Mal eine Runde mit dem Traktor fahren.“

Und dann machte er sich auf den Heimweg.

Helios vergeudete keine Zeit und folgte ihm, der Hunger machte sich wieder bemerkbar.

Der Sichelmond

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