Читать книгу Laktatexpress - Im Tal der Ortsschildsprinter - Matt Gelpe - Страница 9

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WENN ICH KÖNIG VOM WUPPERTAL WÄR’…

»Ich fühl’ mich gut! Die Form stimmt, der Trainer ist zufrieden. Die Waage zeigt kaum noch Ausschlag. Heute ist mein Tag. Heut mach’ ich sie alle fertig.

Geh’ ich direkt am ersten Berg weg oder lass’ ich sie zappeln und degradier’ sie in der zweiten Hälfte zu Statisten? Ich frag’ mich, was ein schönerer Sieg ist? Aber Vorsicht, der eine war im Höhentrainingslager, und wer weiß, wer gerade noch ’ne heimliche Intensitätswoche absolviert hat. Ich muss aufpassen, nicht zu übermütig gleich am Anfang die Körner zu verpulvern… Ach was, erst drei Wochen Alpen, dann die Superkompensation und gestern die Vorbelastung. Heute passt’s, heute lass’ ich die Glocken klingeln!

Hast du die Flaschen an der Streckenteilung abgestellt? Gut, okay. Ich fahre mit zwei großen Flaschen, innen mit Farbe die Flüssigkeit angemalt. Die anderen sollen denken, dass ich mit anderthalb Kilo in den Haltern am Start stehe. Aber am ersten Berg werd’ ich sie eines Besseren belehren. Sie sollen sich quälen – ich will das Entsetzen in ihren Augen sehen. Wenn ich mich leichtfüßig absetze, unwiderstehlich wie ein Adler schwerelos aufsteige. Die Satteltasche ist auch mit Luftpolsterfolie ausgestopft. ’Ne Panne wäre fatal, aber ich fahre heute auf Sieg! Sekt oder Selters – heute muss es klappen.

Das Ortsschild wird meines sein. Ach was, der Zwischensprint, die Bergwertung, der Gesamtsieg! Dazu das Trikot des aggressivsten Fahrers – und das des besten Jungseniors. Alle übereinander, das wird mollig warm. Ach ja, schön so im Rampenlicht! Erst das Sieger-Interview, dann gleich die obligatorische Dopingkontrolle – Zielpissen im Stehend-Anschlag kann ich ja. Schließlich raus aufs Podium. Handshake mit dem Bürgermeister, Gruß ans Publikum und dann die Küsschen…

Zwei oder drei? Wie macht der Petacchi das noch? Ich glaube, international sind drei. Mit der linken Seite anfangen. Und die werden scharf auf mich sein, die Mädels. Ich bin der Sieger! Der Beste, der absolute Gewinner. Schampuskaiser! Während ich so da oben stehe, werden die anderen langsam ins Ziel trudeln. Tja, bei so ’ner Bergetappe muss der eine oder andere schon mit dem Zeitlimit kämpfen. Aber Jungs, kommt schon, Kopf hoch, ist doch nur Radsport.

Obwohl, so sicher sollte ich mir nicht sein. Vielleicht klemm’ ich mich anfangs einfach nur hinten ran. Lass’ die anderen arbeiten. Mach’ ein schmerzverzerrtes Gesicht und erzähl’ was von Übertraining. Da werden sie attackieren und ihre Chancen in der Flucht suchen, sich vorne im Wind bei der Tempoarbeit aufreiben, um mich zu zermürben. Aber ich werde wie Phönix aus der Asche steigen und sie alle Lügen strafen!

Heute ist der Tag gekommen, um für Jahre der Demütigung belohnt zu werden. Jahre, in denen ich hinten im Peloton um Anschluss gekämpft habe. Heute wird zurückgezahlt – für all die Tage, an denen ich alleine nach Hause fahren musste, weil die Form nicht für die vorletzte Kuppe reichte. Für die Zeiten, wo mein Name Seiten weiter hinten in den Ergebnislisten auftauchte. Aber ab heute wird alles anders! Sie werden vor mir zittern. Ab jetzt bin ich der Chef des Pelotons, der König der Landstraße, der Patron der Patrone – ähh: der Kapitän der Kapitäne!

Noch ein letzter Check: neue Kette, Laufräder und Hinterbau geputzt. Das neue Trikot zum Zeichen meiner Überlegenheit strahlt in reinstem weiß. Das Sitzpolster ist frisch gecremt. Vier Gels müssten für die Distanz reichen. Auch die Details zählen. Ich bin hochkonzentriert. Dasselbe Ritual wie vor jedem Rennen. Jetzt in den Flow kommen und dann durchziehen. Ein Blick in die Augen der Kontrahenten. Sie sollen spüren, dass der Sieg ab heute nur noch an mich gehen kann. Der Helm, die neue verspiegelte Sonnenbrille, der Pulsgurt… Was ist mit dem Pulsgurt? Oje, der Pulsgurt. Ohne Pulsgurt würd’ ich am ersten Berg überziehen. Garantiert, roter Bereich – und zack! – Krämpfe, vorzeitiges Ende, Abbruch, dasselbe wie immer. »Ich muss noch mal hoch, meinen Pulsgurt holen… Wartet ihr auf mich? Fahrt nicht ohne mich los…!«

»Mein Gott, Gelpe, Mann, jetzt hol endlich deinen Pulsgurt und beeil dich! Is’ ja schon gut, wir warten. Können wir nicht ein Mal pünktlich wie jede andere Radsportgruppe auch zur Dienstagsabend-Trainingsrunde starten?«

Laktatexpress - Im Tal der Ortsschildsprinter

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