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Prolog

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Die Neonröhren surrten unbarmherzig mit einem durchdringenden, nervenden Ton, der sich wie ein Tinnitus in seinem Kopf festsetzte. Durch das kalte Flackern nahm er seine Umgebung wahr, wie einen alten Film mit lauter Einzelbildern und abgehackten Bewegungen. Es machte ihm Kopfschmerzen, deshalb rieb er sich müde die Schläfen. Das fehlende Tageslicht hielt ihn zudem in einem leicht depressiven Dauerzustand. Sein Arbeitsplatz glich wahrlich nicht einer paradiesischen Insel, aber es gab sicherlich schlimmeres. Man kann sich an alles gewöhnen, dachte er resigniert, große Gefühlsregungen waren ihm ohnehin fremd. Sein Inneres war genauso kalt, wie das Arbeitslicht, das auf ihn herabstrahlte. Er war eine fleißige Arbeiterbiene mit einem Robotergehirn. Gefühle waren bei seinem Auftrag nur hinderlich. Er musste zwar die menschliche Seele in- und auswendig kennen, aber nur um sie exakt berechnen zu können, Voraussagen zu machen, wie Menschen sich in bestimmten Situationen verhalten, um dann präzise darauf reagieren zu können. Sein Motto hieß: Man muss die menschliche Seele kennen, ohne selber eine zu haben, das ermöglicht effektives Arbeiten. Manche hielten ihn für unmenschlich, unnahbar, vielleicht sogar grausam. Wenn er recht überlegte, kannte er niemanden, der ihn für mitfühlend und liebevoll hielt. Aber das war ihm nie wichtig gewesen. Er wollte nicht geliebt werden, sondern einen perfekten Job abliefern. Er konnte nichts mit Menschen anfangen, die sich überall anbiederten, nur um ein wenig Liebe und Zuneigung zu erhaschen, was ohnehin nicht gelang. Denn schließlich war ja jeder auf der Suche nach Anerkennung und Wertschätzung, deshalb würde man sie bei seinem Gegenüber nicht finden. Zwei Suchende können einander nicht helfen, sie saugen sich nur gegenseitig aus, wobei es meistens einen Gewinner und einen Verlierer gibt.

Er selber kannte nur seinen Auftrag, seine Mission. Dafür war kein Preis zu hoch. Er hielt einen Moment inne und sann über diesen Gedanken nach. Zufrieden nickte er. Es war seine patriotische Pflicht, hier unten, sozusagen in der Unterwelt, die Fäden der Macht in Händen zu halten, auch wenn es schönere Arbeitsplätze gegeben hätte. Mitten in einer hochmodernen, aber tief unter der Erde gelegenen, Bunkeranlage war seine Einheit unaufspürbar für Freund und Feind. Das war heute nicht mehr so leicht zu unterscheiden, dachte er grimmig, die Grenzen verschwammen immer mehr. Und noch schwieriger ließ sich Gut und Böse auseinanderhalten. Dabei mussten sie gerade das jeden Tag neu entscheiden und manchmal auch neu definieren. Sie waren quasi die göttliche Autorität, die festlegte, was Gut und Böse ist. So mussten sie sich manchmal eines bösen Menschen bedienen, um das Gute zu erreichen, oder selber Böses tun. Der Zweck heiligt in dem Fall die Mittel. Zum Glück gab es niemanden, der über ihre Entscheidungen zu Gericht saß, denn ihre Arbeit war extrem geheim. Genau genommen war ihre Behörde so geheim, dass sie praktisch gar nicht existierte. In keinem Stellenplan tauchten sie auf, kein Organigramm hatte sie erfasst. Es gab sie einfach nicht. Nur ihre effektive Arbeit konnte ein aufmerksamer Beobachter vielleicht erkennen. Aber auch hier waren er und seine Mitarbeiter bemüht, dass alles nach Zufall aussah, nach einer höheren Fügung. Gerne hätte er es die Hand Gottes genannt, aber er wusste nicht, ob Gott wirklich mit allem einverstanden gewesen wäre. Nun, irgendjemand musste es ja tun, wenn Gott sich schon so vornehm zurückhielt. Irgendwie fühlte er sich an Gottes Statt, wenn er über Leben und Tod, über Recht und Unrecht entscheiden musste. Und war er nicht auch annähernd mit den gleichen Vollmachten ausgestattet? Er war keine fiktive Lachnummer wie Bruce Allmächtig, seine Macht war real und perfekt organisiert. Vielleicht lag es an diesen Allmachtgefühlen, dass seine Mitarbeiter ihren Chef für leicht paranoid hielten, vielleicht aber auch an diesem Ort, den sie alle aus tiefstem Herzen hassten. Nur er war der Meinung, dass es ja nicht umsonst ein Geheimdienst sei, und so waren sie an diesem Ort gelandet, der zwar nicht dem seelischen Wohlbefinden seiner Mitarbeiter zuträglich war, aber der wahrscheinlich der sicherste Ort Deutschlands war. Obwohl das nur auf Angriffe von außen zutraf. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand, dass es wohl schon Agenten gegeben habe, die sich in den kilometerlangen, völlig gleich aussehenden Betongängen hoffnungslos verirrt hatten und nur durch Zufall dem schrecklichen Erschöpfungstod entgangen waren. Es macht sich natürlich nicht so gut in der Personalakte, wenn dort steht, dass ein Agent mit der Doppelnull ins Lazarett eingeliefert werden musste; nicht wegen Feindkontakt, sondern weil er sich im eigenen Hauptquartier verirrt hat. Deshalb wurde über solche Vorfälle vornehm geschwiegen. Aber mit dem Begriff, Sicherheit, war wohl die Abwehr von äußeren Gefahren gemeint. Deshalb fühlten sie sich als die wichtigste Behörde in Deutschland. Jeder potentielle Staatsfeind war ihnen persönlich bekannt, auch wenn die meisten sich als harmlose Spinner herausstellten, im Fall der Fälle konnte man die gefährlichen rechtzeitig aus dem Verkehr ziehen. Dass man natürlich nicht nur Feinde, sondern auch gute Freunde überwachte war ein offenes Geheimnis und wurde stillschweigend geduldet. Man musste nur dafür sorgen, dass die Presse keinen Wind davon bekam, sonst regten sich die jeweils Bespitzelten künstlich auf bis wieder Gras über die Sache gewachsen war. Das war inzwischen zu einem bekannten Ritual geworden und irritierte niemanden mehr. Die Arbeit der Geheimdienste war heute immer mehr mit einer riesigen Heuchelei verbunden. Jeder weiß, was geschieht und es wird stillschweigend geduldet, nur wenn es herauskommt, hat niemand davon gewusst.

Aber heute ging es um mehr. Der Mitarbeiter, dessen wirklichen Namen niemand in der Behörde kannte, hatte einen Vorgang auf dem Tisch liegen, der vielleicht ausgesprochen gefährlich werden konnte, und er wollte es verhindern, indem er die richtigen Fäden zog. Er drückte die Sprechanlage und ließ seine Sekretärin hereinkommen. „Haben wir einen Außenagenten, der sich mit Terroristencamps im Raum Indien und Pakistan auskennt, dann lassen Sie ihn bitte auf 11.00 Uhr in mein Büro kommen. Und kopieren Sie bis dahin dieses Dossier.“ Er hatte nämlich kein Vertrauen zu den elektronischen Medien. Wie er selber am besten wusste, konnte man alles hacken, außer Papier. Punkt 11.00 Uhr klopfte es an der Tür und ein sehr sachlicher Vorgang mit sehr persönlichen Konsequenzen nahm seinen Lauf. „Ich habe hier eine Zielperson, die vor einigen Jahren die ganze Familie durch ein Verbrechen verloren hat und sozial völlig entwurzelt ist. Sie hat ihre religiöse Überzeugung verloren oder vielleicht verändert. Sie hat in den letzten zwei Jahren verschiedene Kampftechniken gelernt und sich sprachlich und kulturell auf einen Aufenthalt in der für uns relevanten Krisenregion vorbereitet. Es besteht der Verdacht, dass die Zielperson sich vor Ort einer Terroristengruppe anschließt und eventuell die Ausrüstung für einen Anschlag erhält. Sie müssen die Person unbedingt im Auge behalten und, wenn nötig, ausschalten, die nötige Freigabe haben Sie ja. Die Zielperson hat den Flug schon gebucht, sorgen Sie dafür, dass Sie in der gleichen Maschine sitzen und lassen Sie sich von meiner Sekretärin die Adresse unserer Kontaktperson vor Ort geben, damit Sie im Ernstfall Unterstützung haben. Hier ist das Dossier, studieren Sie den Mann gründlich! Ich will saubere Arbeit sehen. Gibt es noch Fragen?“ Eigentlich war das rein rhetorisch gemeint, aber dieses Mal kam tatsächlich eine Rückfrage: „Ich sehe gerade, dass er für eine Schweizer Firma arbeitet, sollten wir nicht die Schweizer Kollegen informieren?“ – „Nein, wir wollen nicht die Pferde scheu machen, bevor wir nicht wissen, ob überhaupt etwas dran ist. Die Schweizer sind ein wenig paranoid wenn es um die nationale Sicherheit geht. Lieber kein Risiko eingehen, diese Kollegen sind schwer einzuschätzen.“ Als er wieder allein war fühlte er sich besser. Er war sich sicher, dass er seinem Land einen großen Dienst erwiesen hatte. Dieser Mann würde keinen Schaden anrichten, was immer er auch vorhatte! Und wieder hatte die Behörde unsichtbar die Demokratie beschützt, wie es ihre Aufgabe war. Dafür war das Opfer, in diesem Bunker arbeiten zu müssen, sicher nicht zu groß.

Der Tag, an dem die Kuh vom Dach fiel

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