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Kapitel 2: Die Hand Gottes

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Inspektor Khanna war sauer. Das passierte wahrlich nicht oft, denn eigentlich war er ein richtiger Gemütsmensch. Obwohl er dem Papier nach Hinduist war, fühlte er sich wie eine dieser ewig lächelnden Buddha Statuen, die immer so glücklich und zufrieden schienen. Auch sein Körperbau tendierte in diese Richtung. Er war nicht wirklich fettleibig, nur mit einem stark ausgeprägten Bauchansatz. Das hatte natürlich auch Vorteile, konnte er doch seinen Bauch bequem als Ablage benutzen und musste sich nicht lange nach Dingen strecken, die er sich nehmen wollte. Bewegung gehörte nämlich nicht zu seinen bevorzugten Tätigkeiten. Er war ein kleines bisschen träge, aber er selbst bevorzugte die Ausdrucksweise „bedacht“. Viele Probleme lösten sich von selbst, wenn man ihnen nur etwas Zeit ließ. Deshalb dauerte manches bei ihm vielleicht ein bisschen länger. Seinen Vorgesetzten war das gerade recht gewesen. Auf keinen Fall wollte man so einen übereifrigen Gerechtigkeitsfanatiker auf seinem Posten. „Die meisten Probleme sind gar keine, wenn man sie nur lange genug betrachtet“, hatte der Polizeipräfekt philosophisch formuliert. So waren sie alle gut gefahren. Und Khanna genoss einen ausgezeichneten Ruf bei Untergebenen und Vorgesetzten gleichermaßen. Aber natürlich war auch er Polizist geworden, damit er die Schwachen und Wehrlosen beschützen konnte und die Bösen bestrafen, auch wenn es eben manchmal etwas länger dauerte. Gerechtigkeit, wie er sie verstand, war ihm durchaus wichtig. Nur sein Chef sah das anscheinend ganz anders, sie hatten nie über solche grundsätzlichen Fragen gesprochen. Für Khanna war es einfach klar, dass alle Polizisten im Grunde das gleiche wollten. Heute musste er allerdings erkennen, dass er da von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen war.

Sein Chef war zu ihm gekommen und hatte ihn angewiesen, zwei Verbrecher freizulassen. Ihre Schuld war nachgewiesen, es gab keinen Zweifel. Sie hatten eine junge Frau schwer misshandelt und vergewaltigt, das Mädchen war erst 16. Es war seine Aufgabe gewesen, zu ihr ins Krankenhaus zu fahren, um mit ihr zu sprechen. Diesen Tag würde er nie mehr vergessen. Er hatte das Zimmer betreten und folgte dem Arzt zu dem Bett, wo das Opfer lag. Als der Arzt zur Seite trat, schrak er zurück. Er war schon einiges gewohnt als Polizist, aber das hier berührte ihn sehr. Die zarte junge Frau war nicht wiederzuerkennen. Ihr Gesicht war zugeschwollen, Nase und Wangenknochen gebrochen von den brutalen Schlägen. Die langen Haare hatte man ihr abgeschnitten und den Schädel glatt rasiert, um die Platzwunden am Kopf zu nähen. Der Körper war von Wunden, Prellungen und Brüchen übersät, als wäre sie stundenlang gefoltert worden, der Intimbereich war durch die massive Vergewaltigung nicht mehr wiederherzustellen. Dieses Bild würde er so schnell nicht wieder loswerden. Er hatte versucht, mit ihr zu reden, aber sie sprach mit niemandem mehr, vielleicht nie mehr. Aus ihrem geschwollen, blau angelaufenen Gesicht schauten zwei Augen wie tot ins Leere und zeigten keine Regung, die darauf schließen ließ, dass sie noch irgendetwas mitbekam. Sie würde ihres Lebens bestimmt nicht mehr froh werden, wenn man das überhaupt noch Leben nennen konnte. Die Ärzte meinten, der seelische Schmerz wäre so groß, dass der Geist einfach abgeschaltet hätte, um nicht das unerträgliche immer und immer wieder zu durchleben. Eigentlich war sie lebendig tot. Als er allein im Fahrstuhl des Krankenhauses war, musste er sich übergeben, das war selbst für ihn als abgebrühten Inspektor zu viel. Zwei Tage lang bekam er keinen Bissen mehr herunter. Das hatte noch nie jemand geschafft. Die Täter dagegen zeigten keine Spur von Reue. Im Verhör schilderten sie großspurig jede Einzelheit, als hätten sie eine Heldentat vollbracht. Er musste sich an seinem Stuhl festkrallen, damit er ihnen nicht an die Gurgel sprang. Am liebsten hätte er sie gleich an Ort und Stelle aufgehängt, oder ihnen das Gleiche angetan, wie sie dem armen Mädchen. Aber die beiden Männer gehörten zum Clan des Polizeipräfekten und damit waren sie unantastbar. Khanna war schon klar gewesen, dass es nicht einfach werden würde, sie vor Gericht zu bringen und dann noch eine Verurteilung zu erwirken. Aber so mir nichts dir nichts die Tür aufzuschließen und diese Monster freizulassen, war ja geradezu eine Einladung, dass sich Verbrechen lohnt. Hier wurden die Guten bestraft und die Bösen belohnt. Das machte ihn so wütend.

Er erinnerte sich: Vor einiger Zeit hatte es einen großen Schauprozess gegen eine Gruppe Vergewaltiger und Mörder gegeben. Alle volljährigen Täter wurden seinerzeit zum Tode verurteilt. Khanna hatte den Prozess mit Genugtuung verfolgt und gehofft, dass davon eine Vorbildwirkung ins ganze Land ausging. Aber es war alles nur Show gewesen. Das Opfer war eine Ausländerin, die Medien der ganzen Welt hatten den Prozess aufmerksam verfolgt und es gab blutige Demonstrationen überall im Land. Die modernen Kräfte witterten Morgenluft für ihr Anliegen der Gleichstellung von Mann und Frau. So hatte das Gericht gar keine andere Wahl, als diesen Verbrechern die Höchststrafe zu geben. Aber die Vorbildwirkung blieb aus. In den kleineren Städten und Dörfern änderte sich gar nichts. Eine Vergewaltigung war ein Kavaliersdelikt und eine Frau eben nur eine Frau und in den Augen vieler Männer kein Mensch. Wenn die Täter dann noch zu einflussreichen Familien gehörten, waren sie praktisch unantastbar, sonst gab es hier und da eine Verwarnung oder eine Geldstrafe zur Wiedergutmachung.

Mit schwerem Schritt bewegte sich Khanna nach Hause. Heute brannte die Sonne besonders heiß und er tupfte sich fortwährend den Schweiß von der Stirn. Die Gassen waren wie ausgestorben, obwohl die schlimmste Mittagshitze längst vorüber war, und so gab es nichts, was ihn von seinen trüben Gedanken hätte ablenken können. Wie sollte er das seiner Frau erklären? Sie war längst nicht so bedacht und langsam wie er selbst. Im Gegenteil, sie hatte ein ungeheuer feuriges Temperament. Normalerweise liebte er genau das an ihr, weil es seinem Leben Schwung und Farbe verlieh, aber es hatte auch seine Schattenseiten. Wenn sie sich über etwas aufregte, dann hatte Khanna gehörig Respekt vor ihr. Und dieses Thema würde sie aufregen, davon war er überzeugt. Sie war geradezu eine Gerechtigkeitsfanatikerin. Wenn sie genug Macht bekäme, würde es schon bald keine Verbrecher auf dieser Welt mehr geben, weil sie nur eine Strafe kannte, die Todesstrafe, eventuell mit vorausgehender Folter. Manchmal dachte er, seine Frau müsste eine Inkarnation des grausamen Gottes Shiva sein. Aber sie konnte ja auch sehr lieb sein, wenn sie wollte. Und sie konnte sehr gut kochen, ein böser Mensch würde nicht so gut für sein leibliches Wohl sorgen. Er roch schon den Geruch des Essens als er um die Ecke bog. Vielleicht würde es gar nicht so schlimm werden. Vielleicht verstand sie es ja, dass er nur Befehle befolgen musste und die wahren Schuldigen an anderer Stelle zu suchen waren.

Padmini, Khannas Frau, spürte gleich, als ihr Mann zur Tür hereinkam, dass etwas nicht stimmte. Aber sie hatte gelernt, wie ihr Mann zu nehmen war. Sie ließ ihn erst einmal hereinkommen. Es war nicht gut, den Mann nach einem harten Arbeitstag gleich einem Kreuzverhör zu unterziehen oder ihm alles zu unterbreiten, was zuhause passiert war. Er würde einen Moment brauchen, um anzukommen, obwohl sie natürlich neugierig war, was ihm solches Kopfzerbrechen bereitete. Es war nicht leicht ihn aus seiner Gemütsruhe zu bringen. Das wiederum machte ihr zu schaffen. Wie oft hatte er sie damit schon zu Raserei gebracht, und das war durchaus wörtlich zu verstehen. Wie konnte man nur so gelassen sein, wenn es um wirklich wichtige Dinge ging?! Gerade letzte Woche hatte ihr Ältester einen Tadel mit aus der Schule gebracht. Er hatte den Lehrer aufs Übelste beschimpft, weil der seinem Freund eine Strafarbeit aufgebrummt hatte, dabei wollten die beiden an dem Nachmittag etwas unternehmen. Fast wäre es zu Handgreiflichkeiten gekommen, wäre nicht ein anderer Lehrer zu Hilfe geeilt. Aber ihr lieber Mann hatte nur abgewinkt und gemeint: „Der muss sich nur die Hörner abstoßen, der wird von allein ruhiger.“ Der Junge war acht, was sollte der sich abstoßen, wenn er sechszehn war? Aber ihr Mann war nicht aus der Ruhe zu bringen, es interessierte ihn einfach nicht und sie konnte sehen, wie sie allein mit der Erziehung klar kam. Deshalb konnte sie sich nicht vorstellen, was ihn jetzt derart aus dem Gleichgewicht brachte. Aber wenigstens der Appetit war ihm geblieben. Statt sich auf eines der Polster sinken zu lassen, führte sein Weg schnurstracks in die niedrige Küche, die das ureigene Reich seiner Frau war. Kein Uneingeweihter hätte sich darin zurechtgefunden. Überall hingen Töpfe und Pfannen an den Wänden, Gewürze baumelten von der niedrigen Decke und versperrten die Sicht für normal gewachsene Menschen. Padmini war eine sehr kleine Frau und wirbelte unter all dem Chaos hin und her. Bei ihr saß jeder Handgriff, selbst im Dunkeln hätte sie alles gefunden. Und hell war es ja wirklich nicht, selbst jetzt am Tag. Das Haus hatte winzige Fenster, damit die Sonne die Räume nicht zu sehr aufheizte. Bis Khannas Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, folgte er einfach dem Geruch von dampfendem Linsencurry und ließ sich auch von den Gewürzen, die ihm durch das Gesicht streiften, nicht von seinem Weg abbringen. Als er am Topf stand, war sein Zorn schon fast verraucht und ebenso die Angst vor dem grausamen Gott Shiva, der in diesem Moment in Gestalt seiner Frau neben ihm stand und ihm einen Löffel zum probieren gab. Wer so gut kochte, konnte nicht grausam sein! Dann scheuchte Padmini ihn aus der Küche und befahl ihm, die Kinder zu rufen. Die drei Kleinen stürzten sich mit großem Jubel auf ihren dicken Papa, der fast das Gleichgewicht verloren hätte und den niedrigen Tisch mit allem, was darauf stand unter sich begraben hätte. Khanna ließ sich seufzend auf die Sitzpolster plumpsen und von seinen Kindern malträtieren. Er liebte die kleinen Plagegeister über alles und darunter litt seine Strenge vielleicht ein klein wenig. Aber seine Frau hatte die Kinder gut im Griff, das war ja genug für die Erziehung, tröstete er sich. Padmini stellte ihre Autorität auch sofort unter Beweis, als sie ins Zimmer kam. Ein Wort und die Kleinen ließen von ihrem Vater ab und lümmelten sich auf ihren Platz. Dann gab es eine gefräßige Stille. Padmini war wirklich eine ausgezeichnete Köchin, die etwas rundliche Figur ihres Mannes kam ja nicht von ungefähr. Sie fasste sie als Kompliment auf, weil er ihrem guten Essen nicht widerstehen konnte. Und Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. In diesem Magen hatte viel Liebe Platz.

Als die Kinder sich kreischend nach nebenan verzogen, um irgendein neues Computermonster mit unaussprechlichem Namen zu besiegen, konnte Khanna seinen Ärger nicht mehr für sich behalten. „Ich musste heute die Vergewaltiger von der Flusssiedlung freilassen, Anordnung von ganz oben!“ - „Die beiden, die das arme Mädchen so zugerichtet haben, dass sie nicht mehr leben will?“ Padmini erinnerte sich noch gut, wie ihr Mann aus dem Krankenhaus gekommen war. Keinen Bissen hatte er an diesem Tag herunter gebracht und der lächelnde Buddha war in tiefer Traurigkeit versunken. Zuerst war sie fassungslos dann begann sie innerlich zu brodeln wie ein Vulkan. Er hatte das Mädchen doch gesehen, er wusste, dass die beiden schuldig waren. „Und das hast du einfach so gemacht? Die müsste man doch erhängen oder wenigstens erschießen, wenn nicht noch schlimmeres.“ Padmini hätte einen ganzen Apparat von Strafen aufführen können, aber sie fand nichts, was schlimm genug war, um diese Männer zu bestrafen. Sie schaute ihren Mann entgeistert an und verstand die Welt nicht mehr. Gerade von ihm hätte sie das nicht erwartet. Was hatte er doch für hohe Ideale gehabt, als er Polizist geworden war. Schnell war er die Karriereleiter hochgeklettert und war als junger Mann schon Inspektor. Sie hatte ihn immer bewundert und ihn ihren Helden genannt, der die bösen Ungeheuer besiegt. In der Geschichte ihres Landes gab es viele solcher Epen von tapferen Kriegern, die auszogen, um die Schwachen zu beschützen. Er liebte es, wenn sie ihn zärtlich Rama nannte, nach dem großen Helden, der seine Frau Sita aus den Fängen des Vergewaltigers, eines Ungeheuers mit vielen Köpfen, zurück eroberte. Und jetzt, jetzt war er selber ein Handlager des Ungeheuers geworden. Er hatte die Vergewaltiger laufen lassen, ihr geliebter Held war zum Feigling mutiert. Er hatte die Waffen gestreckt vor den vielen Köpfen, die das Böse in dieser Zeit zeigte. Anordnung von ganz oben, das hatte ihn doch noch nie interessiert. Padmini gestand sich bitter ein: Das war nicht mehr der Mann, den sie geheiratet hatte. Wie sollte sie jemals wieder zu ihm aufschauen? Wie sollte sie ihren Kindern mit Stolz sagen: Das ist euer Papa, der würde alles für uns tun!? Sie zog es vor, den Rest des Tages ihren Mann zu ignorieren, damit er merkte, was sie von ihm hielt. Normalerweise hätte sie ihm eine Riesenszene gemacht, wäre schreiend durch das ganze Haus gelaufen. Aber sie war so enttäuscht, dass sie nicht einmal dazu in der Lage war. Und sie spürte, dass ihm diese stille Verachtung noch viel mehr zu schaffen machte.


Am nächsten Morgen wurde Inspektor Khanna unsanft aus dem Schlaf gerissen. Es war ein heftiges Poltern an der Tür, das ihn geweckt hatte. Er fasste neben sich, aber Padmini war nicht da. Plötzlich erinnerte er sich wieder an den Streit. Sie hatte die Nacht nebenan verbracht, sicher ziemlich unbequem auf den alten Bodenkissen, aber sie meinte, sie könne im Moment nicht mit ihm in einem Raum sein. Frauen! Die müssen alles immer so grundsätzlich und absolut sehen, dachte er bitter. Wenn ein Mann sagt, er macht das, dann macht er das, dann muss ihn seine Frau nicht alle halbe Jahre daran erinnern, diesen Spruch hatte er mal gelesen und für sehr weise befunden. „Viele Probleme lösen sich eben doch von allein“, murmelte er vor sich hin. Und wenn er jetzt nicht bald aufstand, dann löste sich das Problem der geschlossenen Tür auch von allein, so heftig, wie jemand dagegen polterte. Als er öffnete, stürzte sein Assistent völlig atemlos herein. „Inspektor, Inspektor, die beiden sind tot!“ Khanna verstand nicht, wovon Mali überhaupt redete und schüttelte nur mit großen Augen den Kopf. Nebenbei setzte er, ganz automatisch, einen Kessel Wasser für Tee auf. Padmini räkelte sich auf den Kissen, viel geschlafen hatte sie nicht, aber diesen Triumph wollte sie ihrem Gatten nicht gönnen. So tat sie als wäre sie völlig entspannt aus tiefsten Träumen erwacht: „Wer ist tot?“ fragte sie erstaunt. „Na, die beiden Vergewaltiger, die ihr Mann gestern freigelassen hat!“ Jetzt war es mit der Gelassenheit vorbei. Padmini und ihr Mann stürmten beide auf die Straße, dem verdutzten Mali voraus. Er meinte, sie könnten sich ruhig erst anziehen, man müsste ja nicht gleich sehen, dass er seinen Chef aus dem Bett geholt hatte, auch wenn es noch sehr früh war. Aber das hier war ihnen beiden zu wichtig. So lotste Mali die verknitterten Gestalten zu dem Ort, wo man die zwei Toten aufgefunden hatte. Es war eine kleine Seitengasse, nicht weit von ihrem Wohnort entfernt. Trotz des abgelegenen Ortes, hatte sich schon eine ansehnliche Menschenmenge versammelt, die neugierig versuchte etwas von der Sensation mitzubekommen. Mühsam kämpften sie sich durch die Mauer aus Körpern. Khanna kniete sich aufgeregt hin und untersuchte die Leichen. Es waren auf den ersten Blick keine Verletzungen zu sehen. Und doch musste es ein Mord sein, denn sie konnten ja schlecht beide zugleich am selben Ort zufällig tot umfallen. Das musste der Gerichtsmediziner sofort anschauen. Khanna drehte sich um, und gab entsprechende Anweisungen, aber Padmini hatte schon eine Antwort parat: „Das ist die Hand Gottes!“, flüsterte sie irgendwie befriedigt und spielte mit ihren langen dunklen Locken. Khanna hoffte inständig, dass der Pathologe irgendeine natürliche, oder zumindest irdische Erklärung finden würde, sonst müsste er sich für den Rest seines Lebens die Vorwürfe anhören, dass er durch die Freilassung der beiden Übeltäter ein Gottesurteil erzwungen habe. Er seufzte innerlich, mit seiner Frau war nicht zu spaßen. So hingebungsvoll sie lieben konnte, so unerbittlich konnte sie auch sein, wenn sie von etwas überzeugt war. Solch einen Menschen will niemand zum Feind haben. Der Gerichtsmediziner kam schon wenig später und untersuchte die Leichen. Dann verkündete er das vorläufige Urteil kurz und knapp: „Todeszeitpunkt - etwa Mitternacht, Todesursache – keine äußere Gewalteinwirkung, näheres erst nach der Obduktion, frühestens morgen, die Ergebnisse aus dem Labor wahrscheinlich erst zum Ende der Woche.“ Khanna seufzte wieder, diesmal lauter. Padmini wiederholte deutlicher und für jeden hörbar: „Die Hand Gottes!“ Und auf einmal ging diese Parole wie ein Buschbrand durch die Menschenmenge. Jeder flüsterte dem Nachbarn zu: „Die Hand Gottes“. Heute wollte er lieber im Büro frühstücken oder gar nicht, jedenfalls mochte er seiner Frau nicht über den Weg laufen, sonst würde sie auch noch Hand Gottes spielen und ihn ins Jenseits befördern. Vielleicht auch umgekehrt. Er wusste nicht genau, ob überhaupt einer von ihnen eines Mordes fähig war, aber er wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen… So gingen sie getrennte Wege, Khanna ins Büro, mit einem Umweg über Malis Wohnung, der ihm etwas zum Anziehen ausborgte, Padmini nach Hause, wo sie die Kinder fertig machen musste. Als sie in die Küche kam, glühte der Wasserkessel auf dem Herd bereits, den ihr Mann vorhin aufgesetzt hatte. Das Wasser war verkocht und er war von der Hitze völlig aus der Form geraten. Sie nahm eine Holzzange und versenkte den Topf im Wasserbassin mit kaltem Wasser. Zischend barst er auseinander. Sie beobachtete das Schauspiel mit großer Genugtuung und stellte sich vor, der Wasserkessel wäre ein Vergewaltiger, dem auf diese Weise der Garaus gemacht würde. Vielleicht stammte sie aus dem alten Geschlecht des grausamen Gottes Shiva. Dieser Gedanke gefiel ihr ungemein.

Der Tag, an dem die Kuh vom Dach fiel

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