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2. Kapitel: Die Schlacht um den Turm

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Wir blieben auf dreitausend Metern, bis wir uns über dem Stadtzentrum befanden, und gingen dann herunter. Inzwischen waren einzelne Gebäude und Straßenzüge wieder erleuchtet. Der Turm der Nationalbank stach als riesiger Zeigefinger in die Nacht. Das gab dem Landeanflug noch einmal eine gewisse Pointe. Dann sanken wir senkrecht nach unten und setzten schließlich auf der Independence Plaza auf. Die Turbinen liefen aus, als der Erste Pilot die Aggregate drosselte.

»Alle System bleiben online«, sagte ich. »Wir sind in Kriegsgebiet. Bei Alarm will ich in dreißig Sekunden in der Luft und in drei Minuten im Orbit sein.«

Die Crew nickte einhellig. Ich teilte die drei Mann für den Schichtbetrieb ein. Außerdem ließ ich mir von den beiden Hundertschaften, die wir mit heruntergebracht hatten, vier Mann abstellen, um die Geschütztürme zu besetzen. Das Schiff war gefechtsbereit und online mit dem verschlüsselten Kanal der Bodentruppen. Auch zum Mutterschiff und dem Rest der Flotte im Raum hielten wir eine Breitbandverbindung.

»Die Stadt ist in unserer Hand«, spottete General Rogers. »Und der Planet ist es in vierundzwanzig Stunden oder wie lange immer hier ein Tag-und-Nacht-Zyklus dauern mag!«

»Sicher ist sicher«, sagte ich. »Das habe ich bei meinem Chefausbilder gelernt.«

»Das muss ja ein ganz schöner Paranoiker gewesen sein!«

»Ich weiß nicht, ist schon lange her.« Ich zwinkerte ihm zu. »Er hieß Rogers!«

»Kenn ich nicht.« Der Alte stapfte zur Schleuse.

Auf den Schirmen verfolgten wir, wie er nach unten fuhr und ausstieg. Seine Adjutanten folgten ihm. Das Korps ging über die Heckrampe raus, nahm in ordentlicher Formation Aufstellung und wurde dann an den Kommandanten der Bodentruppen überstellt. In Kampfgruppen zu fünf oder sieben Mann unterteilt, verschwanden die Soldaten in der Nacht. Sie sickerten in die Wohngebiete ein, die Block für Block, Haus für Haus, Wohnung für Wohnung durchkämmt werden mussten. Die Leute waren nicht zu beneiden. Wir hatten das Leuchten der Erleichterung in den Augen ihrer Kameraden gesehen, die wir auf die Geschütztürme der Enthymesis geschickt hatten. Vor ihnen lag, soweit man es sagen konnte, eine ruhige Wache, während die anderen Jungs in die Hölle des Häuserkampfs geschickt wurden. Der Widerstand der Laya war nach militärischen Gesichtspunkten nicht mehr allzu stark, aber äußerst zäh und verbissen. Sie nutzten jeden taktischen Vorteil geschickt aus und verwandelten jede Ladenzeile und jeden Hof in einen potenziellen Hinterhalt.

Dann betraten auch wir die Elevatorkanzel.

Die Nacht war schwülheiß. Als wir die Enthymesis verließen, fiel uns das Klima an wie ein besonders hinterlistiger und bösartiger Feind. Aus den offen stehenden Luken des Schiffes wallte weißer Dampf und selbst die integrierten Aggregate unserer Anzüge spien Schwaden ab, die wie unstoffliches Lametta um unsere Schulter und Rückenteile waberten. Zweischichtige selbstklimatisierende Anzüge der dritten Generation, aber man bekam Lust, sie sich vom Leib zu reißen und ins Meer zu springen. Von dem Platz aus, auf dem wir niedergegangen waren, führte eine breite Allee direkt nach Norden, eine einzige kilometerlange Rampe, die sich verführerisch dem nächtlichen Ozean dieser Welt zuneigte.

Ich tauschte einen Blick mit Jennifer. Einst waren wir hier mit einem schnellen zweisitzigen Scooter entlanggebrettert, waren über das Wasser gejagt, das sich in abendlicher Dünung hob und senkte, und hatten unsere eigene kleine Insel angesteuert, wo wir einen ungestörten Honeymoon verbringen wollten. Der Rest war Geschichte und doch war es seltsam, jetzt wieder hier zu stehen, exakt an der Stelle, von der alles seinen Ausgang genommen hatte, Jahre später, die durch unsere Wiederkehr verschwanden. Alles schien viel länger her, als es dem Kalender nach war, und zugleich näher, wie wenn man ein Blatt zusammenfaltete und die entgegengesetzten Enden flach aufeinanderlegte. Der Sprunggenerator erzeugte einen solchen Effekt im Raum: Er klappte Regionen, die Lichtjahre voneinander entfernt waren, zusammen und brachte sie so dicht heran, dass sich keine physische Entfernung mehr zwischen ihnen befand. Das Gleiche taten wir nun in der Zeit: Wir verschmolzen das Sin Pur unserer Erinnerung mit dem von heute.

Der Platz hatte geradezu riesige Ausmaße. Selbst ein Koloss wie die Enthymesis fiel auf diesem nicht weiter auf. Die Landungstruppen der ersten Welle hatten einen doppelten Ring um den Platz gelegt, der als Erstes gesichert worden war. Von dort aus kämpften sie sich sternförmig in die Stadtteile und Außenbezirke Pura Citys vor. Man hörte gelegentlich noch die peitschenden Schüsse und grollenden Explosionen, die sich die endlosen Straßenschluchten entlangarbeiteten. Die Laya leisteten erbitterten Widerstand. Nicht, dass sie gegen das Erste Eingreifkorps der Union den Hauch einer Chance gehabt hätten, aber sie schienen entschlossen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen und es den Besatzern, die wir in ihren Augen waren, so schwer wie möglich zu machen. Das brachte ihnen hohe Verluste und es zog die Sache für uns in die Länge.

An der Schmalseite des Platzes ragte das höchste Gebäude des Planeten in den schwitzenden Himmel, eines der imponierendsten der ganzen Galaxis: der mehrere hundert Stockwerke hohe Turm der Nationalbank von Sin Pur. Ein Monolith aus Obsidian. Dunkle Ringe bänderten ihn, wo Abschnitte von zwanzig oder dreißig Etagen im tiefen Schwarz eines Blackouts lagen. In anderen Geschossen wurde gekämpft. Brände reckten die Fäuste aus den zersprengten Fensterfronten aus unzerstörbarem Elastalglas und gestikulierten über den teilnahmslosen Abgründen. Wir nahmen ihren Protest ins Protokoll. Eine Eliteeinheit war damit beschäftigt, das Gebäude zu sichern, das eine vertikale Stadt in der Stadt war. Offenbar gab es ein paar versprengte Unverbesserliche, die ihnen das Leben schwer machten. Sie würden in wenigen Augenblicken niedergekämpft sein. Dann ging es darum, das Allerheiligste in unseren Besitz zu bringen: den Tresorraum der Nationalbank von Sin Pur.

Wir standen da und sahen zu dem Stroboskop der Schusswechsel auf, das sich zweihundert Etagen über unseren Köpfen abspielte wie ein besonders fesselndes und lebensechtes Action-Holo. Kaskaden von Glasscherben rieselten die kilometerhohen Stahlflanken herunter. Explosionen blitzen. Das Echo von gegellten Kommandos rankte sich wie eine grelle Girlande um den schweigenden Obelisken. Schwere Gegenstände und schreiende Kämpfer stürzten in die Tiefe.

Wir standen herum wie die Touristen, die wir einst gewesen waren. An strategisch sensiblen Punkten wie dem Raumhafen, den Raffinerien, den Kasernen und anderen neuralgischen Stätten wurde noch gekämpft. Alle Informationen dieser nach Dutzenden zählenden Kriegsschauplätze liefen bei General Rogers zusammen, der hundert Meter weiter im Schatten unseres Schiffes war und ein interaktives Mehrebenen-Gefechtshologramm bediente. Wir selbst konnten nichts tun als abwarten.

Ich glich die Bilder mit meinen Erinnerungen ab. Auch damals war der Platz umstellt und von Eliteeinheiten gesichert gewesen. Auch damals hatte es irgendwo Schüsse gegeben. Auch damals lag der ganz spezielle Geruch von Tod und Gefahr in der Luft. Damals hatte die Lunte zu schwelen begonnen, die wenig später die halbe Galaxie in Brand setzte. Dennoch war etwas anders gewesen. Der Turm!

Jennifer war meinen Blicken und meinen Gedanken gefolgt.

»Sie haben aufgestockt«, sagte sie nur.

Tatsächlich hatte man dem monströsen Gebäude, das wie ein steingewordenes Fanal in den trüben Nachthimmel ragte, mehrere Dutzend neue Etagen aufgesetzt.

Ich nickte.

»Weiß man, wie viel Kapital hier liegt?«

»Vielleicht werden wir es diese Nacht erfahren.« Jennifer grinste.

Bis jetzt konnten wir nur Mutmaßungen anstellen. Es hieß, dass die Sineser nicht unbeträchtliche Mittel hier geparkt hatten. Zur Zeit des trügerischen Friedens von Lombok unterhielt Sin Pur beste Geschäftsbeziehungen zu dem Imperium, dem es offiziell nie angehörte. Ebendas machte es für die Sineser interessant, die hier das Geld aus ihren verbrecherischen Transaktionen wuschen und lagerten. Als Sina aufhörte zu existieren, sahen die Laya diese Mittel als ihr legitimes Erbe an. Wie uns das politische, war ihnen das finanzielle Vermächtnis einer galaktischen Großmacht in den Schoß gefallen. Dass sie ihrer Nationalbank ein paar zusätzliche Geschosse spendierten, war der harmlosere Effekt davon. Bedenklicher war, dass der einst unbedeutende Casinoplanet mit einem Mal auch strategische Ambitionen entwickelte. Man rüstete massiv auf, und als man glaubte, die Union auf dem falschen Fuß erwischen zu können, besetzte man den Nachbarplaneten Musan, um die Grundlage für ein kleines, aber aufstrebendes interstellares Reich zu schaffen.

Diesen Zahn waren wir im Begriff ihnen zu ziehen. Und als kleinen Nebeneffekt würden wir hoffentlich endlich Einblick in die Bücher ihrer Nationalbank bekommen, die schon traditionell nichts anderes getan hatte, als unsaubere Gelder in saubere zu verwandeln und das organisierte Verbrechen auf einem Dutzend Welten zu finanzieren.

»Es müssen viele Milliarden sein«, sagte Jennifer. »Alte Währung. Wie viel das Zeug noch wert ist, weiß im Augenblick niemand.«

Natürlich war die Börse geschlossen. Sämtliche Werte des kleinen Inselstaates befanden sich im freien Fall. Die Union würde auch hier ein Protektorat einrichten, eine Garnison auf den Planeten legen, Finanz und Politik gleichschalten – und zum nächsten Unruheherd weiterziehen.

Aber so weit war es noch nicht!

Irgendwo wurde Alarm gegeben. Sirenen heulte los. Soldaten schrien und gestikulierten.

Dann hörten wir auch schon das tiefe Dröhnen von Turbinen.

»Scheiße!« Wir warfen uns auf den Boden und kauerten uns in den Schutz der vorderen Steuerbordstelze. Die Krallen, die die Enthymesis in die gepflegten Rabatten geschlagen hatte, waren so groß wie Wohnhäuser. Sie boten auch bei einem Luftangriff eine gewisse Sicherheit.

Und darum handelte es sich.

Ein Jagdbomber donnerte im Tiefflug die lange Aufmarschstraße entlang. Er zog unglaubliche Mengen an Feuer auf sich. In regelmäßigen Abständen waren Geschütze entlang der Magistrale postiert. Der doppelte Ring um die Independence Plaza war mit schweren Luftabwehrkanonen versehen. Und auch unser Explorer nannte zwei Zwillingsläufe sein Eigen, die auf Gefechte im Raum ausgelegt waren. All diese Batterien begannen nun ihre pumpende Arbeit. Sie spien mehr Energie aus, als die totgefallene Stadt in diesem Augenblick verbrauchte. Der Boden bebte. Aus den umliegenden Gebäuden wurden Fassadenelemente herausgesprengt. Der Luftdruck des Jägers ließ alles an Glas zerbersten, was sich noch in seinen Fassungen befunden hatte. Über Kilometer wurde die Innenstadt in ein Inferno umherfliegender Scherben verwandelt. Die zahllosen Geschütze schossen sich auf ihn ein. Aber er war zu schnell und zu tief. Außerdem musste er über eine beeindruckende Abschirmung gebieten. Das Feuer floss von seinen Flanken ab wie der Schaum von den Finnen eines springenden Delfins.

»So ein Bastard!«, hörte ich General Rogers quer über den riesigen Platz brüllen. »Warum bringt ihn nicht endlich jemand zur Strecke?« Dann beeilte er sich, in seinen durch Kraftfelder gesicherten Unterstand zu hechten.

Der Jäger donnerte über uns hinweg. Er beschrieb eine Haarnadelkurve, die selbst Jennifer den Atem stocken ließ. Dann klinkte er zwei Torpedos aus und beschleunigte in der Gegenrichtung, dass der Überschnallknall die Luft in unseren Lungen wanken ließ.

»Achtung!«

Ich presste mich, so dicht es ging, an den kühlen Stahl der Enthymesis. Dann brach die Hölle los. Die Explosion war ein Schock. Obwohl die gesamte Masse des Explorers zwischen uns und dem Projektil lag, war es, als hätte ich einen Kopfstoß vor die Brust bekommen. Mir blieb der Atem weg. Ich hörte auch nichts mehr! Dann war da ein Rasseln und Keuchen, das nichts Menschliches mehr hatte, bis ich begriff, dass ich selbst es war, der nach qualvollen Sekunden wieder Luft bekam. Flüssiges Feuer troff rings um uns von den Flanken unseres Schiffes.

War es ein atomarer Gefechtskopf gewesen?

Brandgeruch breitete sich aus. Ich schloss das Helmvisier meines Anzugs und ging auf interne Versorgung. Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Kanal der lokalen Kommunikation sich aufbaute. So lange krachte und knirschte es ohrenbetäubend.

»Bist du okay?« Das war Jennifers Stimme.

Sie kauerte neben mir auf allen vieren und folgte gerade meinem Beispiel.

»Ich denke schon.« Ich ließ einen raschen Systemcheck über den Anzug laufen. »Was war das?«

»Aerosol.« Sie stand auf, wobei sie für schreckliche Sekunden wie eine alte Frau aussah, die die Hüfte nicht mehr richtig hochkriegte.

»Es waren zwei.« Ich spähte durch den Vorhang aus Feuer, der von der Seite der Enthymesis herabwallte. Allmählich lichteten sich die Flammen. Durch ihr Wabern, das uns umgab wie ein riesiges Zelt, sah ich auf den Platz hinaus. Der zweite Torpedo hatte Rogers und seinen improvisierten Gefechtsstand getroffen. Die Kraftfeldkuppel über dem elektronischen Feldherrnhügel schien gehalten zu haben. Aber mehrere Soldaten, die sich außerhalb davon aufgehalten hatten, waren zur Unkenntlichkeit verbrannt.

Wir jagten die Abschirmungen unserer Anzüge bis zum Anschlag hoch und traten durch das Feuer ins Freie. Der Jäger entfernte sich mit röhrenden Turbinen in nördlicher Richtung. Inzwischen waren zwei Abfangjäger zur Stelle, die sich an sein Heck hefteten. Und dann brachen mehrere Scyther aus der schwülen Nacht. Gegen diese Übermacht hatte er keine Chance. Die Verfolger schossen ihn zusammen. Die Maschine verging in einem weißen Ball, dessen Donner aufs Meer hinausrollte. Aber er hatte uns gezeigt, dass wir noch lange nicht die Kontrolle über diesen Planeten hatten.

»Norton ruft Brücke«, keuchte ich in die Lokale, »Meldung!«

»Hier Brücke«, antwortete der Erste Pilot erstaunlich prompt. »Überlastung sowie Spannungsrückschlag im Bereich des Geschützturms auf der Backbordseite. Ich fürchte, die Jungs haben was abgekriegt.«

»Sonst?«

»Sonst keine weiteren Schäden.« Der Mann räusperte sich. »Wir könnten hier einen oder zwei Sanitäter gebrauchen.«

»Schon unterwegs.« Ich leitete die Anforderung an den allgemeinen Gefechtskanal weiter. Auch auf dem Platz kamen gerade mehrere San-Staffeln angerannt, um sich um die Opfer des Luftangriffs zu kümmern.

Ich sah Rogers, der aus seinem Unterstand herauskam und ungerührt über die verkohlten Leichen hinwegstieg. Er musste die Meldung auch bekommen haben. Ich winkte und rief ihn gleichzeitig über die Lokale. Dann sah ich, dass er einer Sanitätsabteilung ein Zeichen gab und sie in unsere Richtung wedelte. Die Leute kamen herübergelaufen. Ich dirigierte sie in den Elevator der Backbordstelze.

»Hilfe ist unterwegs«, sagte ich.

Dann gingen wir über den Platz zu Rogers.

»Gesichert, ja«, rief ich, als wir auf Steinwurfweite heran waren. »Die Stadt ist in unserer Hand?!«

Zwanzig Meter vor dem Unterstand hielt ich an. Die Verheerungen des Angriffs waren gewaltig. Rogers’ halber Stab war ausradiert.

»Bastarde!«, spuckte er uns sein Lieblingswort vor die Füße.

»Wo kam er her?«, fragte Jennifer.

»Das versuchen wir gerade festzustellen«, knurrte der General. »Er hat sämtliche Vorfeldaufklärung unterlaufen.«

»Der Atomschlag«, sagte ich. »Wir haben unsere eigenen Instrumente geblendet.«

»Rede kein dummes Zeug, Frank«, blaffte er.

»Dummes Zeug!« Ich wies auf die verbrannten Körper, bei denen jede Hilfe zu spät kam. Man konnte sie zusammenkehren und ins Meer kippen.

»Irgendwo muss er ja hergekommen sein!« Jennifer entrollte wieder das große Gefechtsdiagramm, eine interaktive Holografie von der Breite eines Direktorenschreibtischs. »Als er geortet wurde, befand er sich schon innerhalb des Erfassungsradius unserer Flugabwehr.«

»Wie kann das sein?« Ich beugte mich über die Darstellung.

»So ein Scheißkerl!« Rogers war noch nicht in der Lage, von der Schimpfkanonade zur Analyse überzugehen.

»Er kam sehr tief herein«, sagte ich. »Wir hatten Glück, dass er nicht unter dem Bauch der Enthymesis durchgeflogen ist!«

»Zwischendurch ist er gestiegen«, bestätigte Jennifer meine Beobachtung. »Aber am Anfang war er wahnsinnig tief.«

»Das erklärt manches, aber nicht alles«, grollte Rogers.

»Er ist unterhalb des Meersspiegels angeflogen.« Jennifer ging in den Aufzeichnungen zurück.

»Wie kann das sein?«

»Die Dünung geht immer noch sehr hoch. Zwischen Wellenkämmen und -tälern bis zu zehn Metern.« Sie sah mich an. »Er ist in einem der gekrümmten Wellentäler angeflogen, die von der Atomexplosion aufgeworfen wurden!« Wider Willen schien sie dem Fliegerass Bewunderung zu zollen. Das war ein Manöver ganz nach ihrem Geschmack.

»Aber das reicht nur als Erklärung für die letzten paar Kilometer«, sagte Rogers, der sich langsam abkühlte. »Aber wo kam er her? Ist er vom Himmel gefallen.«

»Es war ein planetarer Jäger«, sagte Jennifer. »Luftverteidigung. Kein Schiff aus dem Orbit.«

»Er kam vom Meeresgrund.« Ich kratzte mich am Kopf, aber es ging nicht, weil ich das Visier noch geschlossen hatte.

Rogers und Jennifer sahen mich an. Der General glotzte verständnislos. Jennifer dachte eine Weile nach und nickte dann.

»Du könntest recht haben.«

»Das Meer ist zwischen den Inseln nicht sehr tief«, erklärte ich dem perplexen Rogers. »Aus der Zeit, als Sina Hegemonialmacht war, gibt es überall unterseeische Basen und Laboratorien.«

»Wir haben eines davon erkundet«, fiel Jennifer ein. »Aber wir sind nicht dazu gekommen, die Untersuchungen systematisch auszuweiten.«

Rogers hatte die Hand gehoben, um uns zum Schweigen zu bringen. »Ich entsinne mich dunkel«, sagte der Held von Persephone. »Ihr hattet da etwas gefunden. Aber ihr wurdet entführt und später sind wir der Sache nie mehr richtig nachgegangen.«

Jeder grübelte still vor sich hin.

»Aber ihr habt recht, verdammt. Aus sinesischer Zeit können unzählige Unterwasserbunker und sonstige Anlagen vorhanden sein.«

»Scheiße!«, stöhnte ich.

»Das müssen wir klären.« Rogers stiefelte zu seinem Gefechtsstand zurück. In der Kommunikation konnten wir hören, wie er sich an seine Kommandanten vor Ort wandte. Er wies sie an, Kampftaucher und marine Drohnen einzusetzen.

»Herrje, das sind Millionen Quadratkilometer an Meeresboden«, stöhnte ich. »Es dauert Jahre, das alles zu erkunden.«

»Ich denke, dass sich die strategisch interessanten Anlagen auf den Äquator und die Umgebung der Hauptstadt konzentrieren«, sagte Jennifer. »Im Übrigen kontrollieren wir den Orbit.«

Ich nickte. Aber schon damals war es uns äußerst schwergefallen, die Anlagen aufzuspüren, selbst mit Satellitenunterstützung. Alles, was tiefer als dreißig oder vierzig Meter im Wasser lag, war auch aus dem Orbit nur schwer zu orten.

»Ein seismisches Profil des Planeten wäre hilfreich«, dachte ich laut nach.

»Dazu müsste man ihn bombardieren«, sagte Jennifer.

»Wir sind sowieso gerade dabei.« Ich sah sie an. »Aber wenn wir nun wissen, wonach wir suchen, genügt auch ein kleines Kaliber, irgendwo weit draußen im Ozean.«

»Hier sind wir jedenfalls nicht sicher.«

Mit gemischten Gefühlen sahen wir zu, wie die Sanitäter mit den beiden Verletzten aus der Elevatorkanzel kamen. Die Männer hatten Verbrennungen an den Armen erlitten, als der Spannungsrückschlag ihren Feldgenerator krepieren ließ. Außerdem standen sie unter Schock.

»Wohin mit Ihnen?« Der Chef der San-Staffel sah mich fragend an.

»Ins Basement«, sagte ich nach kurzem Überlegen.

Ich hatte gesehen, dass Rogers seine Siebensachen zusammenpackte und auf den Tower der Nationalbank zumarschierte. Seinen Gefechtsstand in den Fundamenten eines Gebäudes zu errichten, wo zweihundert Stockwerke über seinem Kopf noch gekämpft wurde, das war eine Sache nach seinem Geschmack. Und warum nicht?

»Die Vorhalle und die Basis sind gesichert«, sagte ich. »Auch die ersten einhundert Etagen, soweit ich das von hier aus beurteilen kann. Richten wir dort einen Verbandsplatz und eine neue Zentrale ein.«

Wir betraten die Nationalbank von Sin Pur über den Haupteingang. Von dem fünf Stockwerke hohen Portal aus musanischem Marmor waren mächtige Brocken heruntergebrochen. Die Glastüren, die einst in den steinernen Bogen eingelassen waren, existierten nicht mehr. Die Aufhängung einer Drehtür baumelte noch lose in ihrem Lager, ein flügellahmer Ventilator. Überall ragten Kabel der ehemaligen Sicherheitselektronik ins Leere. Wir schritten über das Chaos aus Splittern und Fetzen hinweg und passierten das Kraftfeld, das anstelle der alten Eingangsüberwachung installiert worden war. Es registrierte automatisch unsere IDs und ließ uns durch. Wären wir nicht Offiziere der Union gewesen, hätte es uns ohne Vorwarnung zu Asche verbrannt.

In der Vorhalle erwartete uns ein breughelsches Höllengemälde. Überall lagen Verwundete herum. Die beiden Aerosolbomben und der mit Überschallgeschwindigkeit über den Platz peitschende Hagel aus Glasscherben hatten ganze Arbeit geleistet. Die Soldaten waren verbrannt, durchsiebt, ihrer Gliedmaßen beraubt, zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Die wenigen Sanitäter taten, was sie konnten. In Lachen aus Blut und Erbrochenem watend, setzen sie in fast fließbandartiger Routine Betäubungsinjektionen, um wenigstens das ohrenzerfetzende Gebrüll der Verletzten zu dämpfen. Doch ständig schleppten sich neue Opfer herein oder wurden von ihren traumatisierten Kameraden in die Halle geschleift. Die Handvoll Ärzte und Pfleger waren hoffnungslos überfordert. Jennifer griff sich aufs Geratewohl eine Injektionspistole, lud sie mit dem Anästhetikum, das sich auf vielen Kriegsschauplätzen bewährt hatte, und ging dann mit leerer Miene von einem Verwundeten zum anderen. Im Sekundentakt war das charakteristische Zischen zu hören, mit dem die Morphine wieder einen, der sich die Seele aus dem Leib schrie, von seinen Qualen erlöste. Vorläufig. Denn was mit all den Leuten passieren sollte, wenn sie in ein paar Stunden wieder zu sich kamen, war im Augenblick nicht zu sagen.

General Rogers hatte keinen Blick an das Desaster verschwendet. In Begleitung seines zusammengeschmolzenen Stabes stiefelte er nach hinten in die einstige Lobby des Instituts. Im Schatten des mächtigen Nordpfeilers, der die gewaltige Fassade des Turmes trug und der Schutz gegen Beschuss von außen bot, schlug er einen neuen Befehlsstand auf. Ein hochgewachsener Offizier baute sich vor ihm auf und machte Meldung. Ich war zu weit entfernt, um sein Namensschild zu sehen oder seine Worte zu verstehen, aber es konnte nur Colonel Tariq sein, der Oberkommandierende der Bodentruppen. Er und Rogers begannen, aufeinander einzubrüllen. Der Colonel war einen Kopf größer als der untersetzte General, aber an Stimmgewalt waren sie einander ebenbürtig.

Ich beschloss, mich vorerst um den Aufbau des Verbandsplatzes zu kümmern. Der leitende Arzt des Sanitätsteams hatte mich schon entdeckt. Sein weißer Kittel sah wie die Schürze eines Metzgers aus. Auch er hatte eine Injektionspistole in der Hand, mit der er unkontrolliert herumfuchtelte.

»Nehmen Sie Haltung an und machen Sie Meldung!«, sagte ich. Alles konnten wir jetzt brauchen, aber keine Führungsoffiziere, die den Kopf verloren.

Er holte tief Luft und riss sich zusammen.

»Conrad Draeger«, sagte er dann, den Blick fest auf meine Brusttasche geheftet, die ihn darüber informierte, wer vor ihm stand. »Stabsarzt.« Er knirschte mit den Zähnen. »Bei allem Respekt, Sir, aber so eine Sauerei habe ich noch nicht erlebt!«

Ich verkniff mir die Frage, was er überhaupt schon erlebt hatte. Aber er las mir anscheinend von der Stirn ab, was ich hatte entgegnen wollen.

»Ich habe den Vormarsch in Sina City begleitet. Ich bin wahrlich kein Greenhorn und ich verliere auch nicht gleich die Nerven. Aber das hier …« Er ließ eine Geste der Ohnmacht über die Ansammlung von Schwerverletzten gleiten, die allmählich zur Ruhe kamen.

Jennifer drückte einem der Sanitäter die Injektionspistole in die Hand und kam zu uns herüber. Ihre Miene war leer, traurig und unvorstellbar müde. Draeger nickte ihr respektvoll zu. Sie bedachte ihn mit einem abwesenden Blick. Dann sah sie mich mit einer Skepsis an, die mich frösteln ließ.

»Wir sind hier, um Ihnen zu helfen«, sagte ich rasch. »Machen Sie eine Aufstellung, was Sie brauchen. Dann werden wir es umgehend anfordern und unverzüglich nach unten bringen. Das Mutterschiff …«

Ich kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Draußen wurde wieder Alarm gegeben.

»Was wir brauchen«, äffte der Stabsarzt. Sein Ton lavierte hart am Rand zur Insubordination. »Alles brauchen wir. Alles! Es ist von allem zu wenig da.«

Er verstummte und lauschte auf die Sirenen. Irgendwo schien wieder ein feindlicher Flieger im Anflug zu sein.

»Vor allem würde mich interessieren, wer dieses Himmelfahrtskommando angeordnet hat.«

»Das ist nun nicht Ihr Problem«, sagte ich.

»Und ob es mein Problem ist!« Er wischte sich mit der blutbefleckten Hand über das Gesicht. »Ich muss die Schweinerei schließlich zusammenkehren, die dabei entsteht.«

»Reißen Sie sich zusammen, Mann!« Ich sah ihm fest in die Augen. »Eine Aufstellung, was Sie benötigen, nach Prioritäten gestaffelt, und wir werden sehen, was wir für Sie tun können.«

Er zwang sich, meinem Blick standzuhalten, auch wenn seine Lider flatterten und seine Augen immer wieder seitlich ausbrechen wollten.

»Wir sollten hier lieber weggehen«, sagte Jennifer leise.

Sie zog uns ein paar Meter tiefer in die Halle hinein.

Soldaten brüllten Kommandos. Die Kraftfelder, die die zerstörte Glasfront ersetzten, knisterten, als ihre Leistung bis zum Anschlag hochgefahren wurde. Dann war wieder das nervenzermahlende Röhren einer Turbine zu hören. Die Abwehrgeschütze auf dem Platz begannen, aus allen Rohren zu feuern. Auch der verbliebene Turm der Enthymesis schoss sich auf die anfliegende Maschine ein. Wie in einer Abfolge einzelner Standbilder sahen wir die ausgeklinkten Torpedos, die sich selbsttätig ihre Ziele suchten und dann mit der Wucht sterbender Sonnen krepierten. Aber auch das vereinigte Sperrfeuer war nicht wirkungslos. Der Jagdbomber war getroffen. Er überschlug sich, kreiselte ein paarmal um seine Achse und explodierte dann.

Der riesige Platz war bloß noch ein Wühlen blutiger Flammen. Die Kraftfelder stauten eine Woge magnetischen Feuers und drängten sie stöhnend zurück. Über der Independence Plaza wütete ein Inferno, dessen Dröhnen uns in die Knie gehen ließ. Um die Enthymesis machte ich mir im Grunde keine Sorgen. Beim Atmosphäreneintritt war das Schiff stärkeren Belastungen ausgesetzt gewesen. Aber die Soldaten, die noch dort draußen unterwegs waren, hatten keine Chance. Der kilometerhohe Turm, in dessen Eingangshalle wir uns befanden, wankte. Der Boden zitterte wie ein Sterbender in den Krämpfen des Todeskampfes. Die Flammenwand löste sich auf. Tonnenschwere Trümmer regneten vom Himmel und zerschellten auf dem zu Ruß verbrannten Platz.

Ich hatte mich unwillkürlich geduckt. Als ich mich wieder aufrichtete, spürte ich Draegers Blick auf mir liegen. Der Mann sah mich durchdringend an, aber er sagte kein einziges Wort.

Ich suchte Jennifer. Sie stand ein paar Schritte abseits, hatte ihr Display aktiviert und fragte den Gefechtskanal ab.

»Er kam von Süden«, sagte sie. »Die Ortung erfasste ihn, als er keine drei Kilometer vom Stadtrand entfernt war.«

»Angesichts der Geschwindigkeit hat die Abwehr gut gearbeitet«, brummte ich.

»Er ist durchgebrochen«, sagte Jennifer.

»Immerhin haben sie ihn zur Strecke gebracht.«

Die Plaza lag jetzt im stillen Schweigen eines nächtlichen Friedhofs. Ganz am gegenüberliegenden Ende, nur eine Silhouette mit gesenktem Kopf, harrte die Enthymesis aus. Sie schien unversehrt. Ich verkniff es mir, die Brücke zu rufen. Im Moment gab es andere Dinge zu tun.

»Wir müssen Unterstützung bei Reynolds anfordern«, sagte ich. »Hier unten gehen wir ein.«

Jennifer nickte. Kein Mensch konnte wissen, wie viele Jäger die Laya noch aus ihren submarinen Basen auf uns hetzten.

»Die Aufstellung!«, rief ich zu Draeger, der unschlüssig herumstand und mit glasigen Blicken die Verwundeten musterte. Der Zustrom an neuen Verletzten war zum Erliegen gekommen. Die gewaltige Explosion hatte alles Leben auf dem Platz und im Stadtzentrum ausgelöscht. Die Soldaten, die sich in die Halle hatten retten können, waren ruhiggestellt. Wenigstens hörte so das Geschrei auf, das an den Nerven zerrte.

»Schnell!« Ich beschrieb eine wedelnde Handbewegung.

Auf dem Kommunikator rief ich die Marquis de Laplace. Es dauerte unangenehm lange, bis der Kanal sich aufbaute. Das Schiff war gerade auf der anderen Seite des Planeten und die Relais nach der Orbitalschlacht nur bedingt funktionstauglich. Wie in vorsintflutlichen Zeiten mussten wir uns mit einer einfachen akustischen Leitung begnügen. Und wie selbstherrlich waren wir in diese Schlacht gegangen!

»Norton an Brücke«, sagte ich. »Könnt ihr mich hören?«

Es krachte ein paarmal. Dann besann sich die Technik anscheinend, in welchem Jahrhundert wir uns befanden, und ließ endlich sich dazu herab, mich durchzustellen. Wir entbehrten jetzt schmerzlich des Tloxi-Kontinuums. In der kurzen Phase der einvernehmlichen Zusammenarbeit hatten Probleme dieser Art für uns aufgehört zu existieren. Jetzt waren wir auch hier weit zurückgeworfen.

»Hier John Reynolds! Ich höre dich, Frank.«

»Gott sei Dank.« Ich atmete auf.

»Was ist denn da unten bei euch los?«

»Hier ist die Kacke am Dampfen!«

»Wir registrierten mehrere schwere Explosionen, darunter mindestens eine atomare.«

»Letztere geht auf Rogers’ Konto. Wie weise die Entscheidung war, lasse ich dahingestellt.«

»Ist die Stadt gesichert? Wir empfangen hier widersprüchliche Meldungen.«

»Wir sind in die Bredouille geraten«, stöhnte ich. »Zwei Sachen: Wir brauchen unbedingt einen hochauflösenden Scan der Planetenkruste. Die Laya unterhalten noch submarine Basen, von denen aus sie uns immer wieder Jabos auf den Hals hetzen.«

Schweigen. Das Problem an Reynolds war, dass er eine Sache immer erst bis in alle Eventualitäten durchdachte, ehe er sich zu einer Antwort entschließen konnte.

»Bis du noch da, John?«

»Ich höre dich, Frank. Aber es ist schwierig. Wir hatten schwere thermische Gefechte und einen geradezu verschwenderischen Einsatz von Mikroannihilatoren. Ich muss erst neue Satelliten aussetzen und sie auf das Schwerefeld des Planeten kalibrieren.«

»Wie lange?«

»Ein paar Stunden.«

»Dann fang an.«

»Aye!«

Conrad Draeger kam herbeigelaufen, in der Hand einen Zettel mit blutverschmierten Kritzeleien. Im grünen OP-Licht der Notbeleuchtung konnte ich kein Wort entziffern. Dass die Ärzte immer eine solche Sauklaue haben mussten!

»Was ist das zweite?«, fragte Reynolds.

»Feldlazarett«, rief ich in den Kommunikator. »Wir haben allein hier – wir sind in der Halle der Nationalbank.«

»Ich habe dich in der Ortung.«

»Na, wenigstens das. Also wir haben hier mindestens fünfzig Schwerverwundete, alle erstversorgt und notdürftig sediert, aber keine Möglichkeit, sie zu operieren.«

»Verstehe.«

»Ich gebe dir die Liste durch, die der leitende Stabsarzt aufgesetzt hat.«

»Bin ganz Ohr.«

Ich versuchte, aus dem Zettel schlau zu werden. Dann schmiss ich ihn weg und gab Draeger stattdessen den Kommunikator in die Hand. Er griff dankbar zu und ratterte seine Wunschliste herunter. Fünf Ärzte, zwanzig Hilfskräfte, drei voll ausgestattete Feld-Ops, hundert Liter Blutkonserven, fünf Medizinkoffer der Standardausrüstung A, zwei Notfallgeneratoren. Als er fertig war, gab er mir den HandKom zurück.

»So weit, so gut«, hörte ich Reynolds’ nachdenkliche Stimme. »Und wie soll ich das zu euch nach unten schaffen?«

»Was heißt: wie?« Ich war perplex. »Du packst es in ein Shuttle und fliegst es verdammt noch mal hierher.«

Ich ignorierte Jennifers strafenden Blick. Ohnehin kostete es mich meine ganze Selbstbeherrschung, das alberne Sprechfunkgerät, zu dem mein Kom degradiert war, nicht einfach an die Wand zu schmeißen.

»Negativ«, hörte ich Reynolds’ näselnde Stimme. »Laut Gefechtsmonitor hat die ganze Stadt Status Rot, was Einflugerlaubnis angeht.«

»Wer hat das zu verantworten?«

»Wahrscheinlich Rogers«, sagte Reynolds. »Oder Colonel Tariq. Soll ich feststellen …«

»Das wird nicht nötig sein«, tobte ich. »Ich bin der ranghöchste Offizier der Union auf dem Boden dieses Planeten und ich befehle dir …«

Jennifer Hand war auf meinem Arm, Johns Stimme ebenso aufdringlich an meinem Ohr.

»Ihr habt keine Lufthoheit über Pura City«, sagte er aufrichtig bedauernd. »Es tut mir leid, Frank. Aber gemäß den Einsatzbestimmungen der Union kann ich keine weiteren Einheiten in einen Bereich schicken, der noch nicht gesichert ist. Zumal nichtkämpfende Verbände wie eine Sanitätsstaffel.«

»Na hurra. Dann sorg dafür, dass wir die Lufthoheit zurückgewinnen!«

»Wir müssen sehen, was wir von hier aus dazu beitragen können«, maulte er ausweichend.

»Herrgott im Himmel! Haben wir nicht eine ganze Streitmacht im Orbit?«

»Frank.« Jennifer stand dicht vor mir. So dicht, dass ich ihren Atem riechen konnte. Er war sauer von Stress. Auch mit ihr stimmte irgendetwas nicht. Die Jennifer Ash, die ich einst gekannt hatte, wäre in die Enthymesis gestiegen und hätte die Sache irgendwie zu Ende gebracht. Aber sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst.

»John kann nichts dafür«, sagte sie milde. »Er wird tun, was in seiner Macht steht.«

»Das ist zu wenig«, grollte ich. In den Kommunikator rief ich: »Was ist denn mit der Flotte? Wie ist überhaupt der Status bei euch da oben?«

Es dauerte wieder unangenehm lange, bis er antwortete.

»Die verbliebenen Großschiffe der Laya haben die Kampfhandlungen eingestellt und sich ergeben. Ich habe ein paar Shuttle rübergeschickt, um die Verwundeten zu versorgen, die Schiffe zu sichern und die Besatzungen gefangen …«

»Du schickst Sanitäter zu den Laya, aber uns verweigerst du sie?«

»Ich verweigere sie euch nicht«, sagte er bestimmt. »Die Gründe habe ich dir eben genannt.«

Ich holte Luft und zählte bis drei.

»Weiter«, sagte ich dann.

»Die Jagdgeschwader sind niedergekämpft. Nach unseren Informationen wurden sie bis zur letzten Maschine aufgerieben.«

»Ich vermute eher, dass sie sich in submarine Basen zurückgezogen haben.«

»Das können wir nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Es war zwischenzeitlich alles ein wenig unübersichtlich.«

»Gut. Und sonst?«

»Die Amboss-Kreuzer und die anderen Großkampfschiffe sind in ihre Heimathäfen zurückgekehrt.«

»Bitte?«

»So stand es im Aufmarschplan des Generalstabs.«

»Von mir aus, aber ist das nicht ein bisschen voreilig?«

»Die Kampfhandlungen im Orbit sind beendet. Die Schiffe sollte so rasch wie möglich wieder in die Regionen zurückkehren, in denen sie stationiert sind, um dort Präsenz zu zeigen.«

Das musste ich erst einmal verdauen.

»Das heißt, die Marquis de Laplace ist das einzige Schiff der Union, das noch im Orbit ist?«

»So sieht es aus, Frank.« Reynolds klang tatsächlich ein bisschen kleinlaut. »Wir dachten ja, die Situation am Boden sei ebenfalls so gut wie bereinigt.«

»Das ist sie aber nicht«, fauchte ich. »Im Augenblick sieht es so aus, als seien wir in die Defensive geraten.«

»Haltet durch«, sagte mein Stellvertreter auf der Brücke der Marquis de Laplace. »Im Augenblick sind meine verfügbaren Kräfte durch die Aufbringung der Laya-Schiffe gebunden. Aber ich gehe auf alle Fälle sofort an die Tiefenscans der Planetenrinde. Das Lazarettshuttle wird bereitgestellt. Es kommt runter, sowie die Luft über dem Stadtkern frei ist.«

»Vielen Dank!«

Der Kanal brach mit einem hässlichen Kreischen zusammen. Ich starrte in die fragenden Gesichter von Jennifer und Draeger.

»Ihr habt’s gehört«, sagte ich. »Wir sind auf uns allein gestellt.«

Der Stabsarzt blies die Luft aus.

»Ich kann diese Männer ein, zwei Stunden stabilisieren. Danach müssen sie ausgeflogen oder operiert werden. Sie sterben uns sonst weg wie die Fliegen.«

»Wir sitzen in der Tinte.« Ich steckte den Kommunikator weg und sah mich in der Halle um. Die Sanitäter waren damit beschäftigt, verbrannte oder verstümmelte Extremitäten notdürftig abzubinden, unter Schock stehende Soldaten zu sedieren, tiefe Fleischwunden provisorisch zu versorgen.

»Hilfe ist unterwegs«, sagte ich matt.

Ich nickte dem Mann zu und ließ ihn dann stehen.

An Jennifers Seite ging ich ein paar Schritte auf Distanz.

»Wir könnten die Leute auf die Enthymesis schaffen«, sagte sie. »Es sollte nicht schwierig sein, in den Orbit durchzubrechen.«

»Die meisten sind, soweit ich es beurteilen kann, nicht transportfähig.«

»Wir müssen es versuchen. Jeder Einzelne wäre es wert.«

»Im Moment müssen wir erst einmal klären, wie die Situation da draußen ist.«

Ich sah sie ernst an und sie nickte ergeben. Dann durchquerten wir die Halle und begaben uns zu Rogers, der in der Zwischenzeit einen neuen provisorischen Gefechtsstand aufgebaut hatte.

Mit Tischen und Sofas hatte man eine Barriere erzeugt, hinter der sich neue Stab halbwegs häuslich eingerichtet hatte. Rogers’ Adjutanten kontrollierten mehrere interaktive Statushologramme. Auf den ersten Blick konnte ich erkennen, dass es nicht gut aussah. Unsere Einheiten am Boden waren überall auf dem Rückzug. Mehrere Stoßtrupps schienen ganz aufgerieben worden zu sein.

»Was ist mit dem Hafen?«, fragte ich den General, der mit steinerner Miene die dreidimensionale Darstellung der Stadt musterte. Die blauen Bezirke, die von der Union gehalten wurden, schmolzen zusammen, während die roten Flächen der Laya von der Peripherie her alles überwucherten.

»Wir hatten den Hafen in unserer Hand.« Colonel Tariq stand als fleischgewordener Vorwurf neben Rogers.

»Und dann?«, fragte ich.

»Die Flutwelle, die von dem nicht abgesprochenen und nicht angekündigten, vollkommen überflüssigen Atomschlag gegen Sentinel Island ausgelöst wurde, hat die Anlage überrollt und unsere Leute ins Meer gespült!«

»Können ihre Männer nicht schwimmen?«, stieß Rogers hervor.

»Sie wurden von Kampftauchern der Laya überwältigt, die daraufhin die Hafenanlagen besetzten.« Der Oberkommandierende der Bodentruppen ignorierte den General und sprach nur zu mir. »Soweit sie nicht von dem Tsunami zerstört worden waren.«

»Machen Sie sich nicht ins Hemd«, knurrte Rogers. »Es war nur ein Bataillon. Bis die Sonne aufgeht, weht die Fahne der Union über dem Containerterminal.«

Tariq setzte seinen Bericht mir gegenüber fort.

»In den Wohnvierteln und auch in den Industriebezirken wurden unsere Einheiten in Häuserkämpfe verwickelt. Stellenweise halten wir noch Brückenköpfe. Aber aufs Ganze gesehen, sind wir auf dem Rückzug.«

Jennifer hatte sich über das Gefechtsholo gebeugt und die Lage mit ausdrucksloser Miene studiert.

»Wir müssen auf eine feste Verteidigungsstellung zurückgehen«, sagte sie. »Und Luftunterstützung abwarten.«

»Das kann ein wenig dauern«, knirschte Tariq. »Die Marquis de Laplace …«

»Ich habe mit John Reynolds gesprochen«, warf ich ein. »Die Gemengelage ist mir bekannt.«

»Die Frage ist«, fuhr Jennifer in ihren Überlegungen fort, »ob der Platz zu halten ist. Solange wir keine uneingeschränkte Lufthoheit haben, werden wir auch ihn aufgeben müssen.«

»Wir haben ihn bereits aufgegeben«, sagte Colonel Tariq. »Dort draußen befindet sich kein Grashalm mehr, der auf unser Kommando hören würde.« Er besann sich. »Ihren Explorer einmal ausgenommen, dessen militärischen Wert ich allerdings gering einschätze.«

»Die Enthymesis hat gerade einen Jagdbomber abgeschossen«, sagte ich.

»Ich stimme Ihnen zu«, sagte Jennifer zu Tariq. »Am Boden ist das Schiff von geringem Nutzen und aus der Luft kann sie den Einheiten, die in Häuserkämpfe verwickelt sind, wenig Entlastung bringen. Ich schlage vor, wir lassen sie, wo sie ist. So gibt sie wenigstens diesem Gebäude Feuerschutz.«

»Noch so ein Problem«, sagte Tariq. »Die Nationalbank ist alles andere als gesichert. Einhundertundfünfzig Stockwerke über unseren Köpfen wird erbittert gekämpft. Und falls es den verteidigenden Einheiten der Laya gelingt, die Träger zu sprengen, donnern uns hunderttausend Tonnen Stahl auf den Kopf.«

»Das wäre eine Verzweiflungstat«, sagte ich. »Das würden sie selbst nicht überleben.«

»So etwas soll schon vorgekommen sein«, versetzte er düster. »Wenn sie in die Enge getrieben sind und keine andere Möglichkeit mehr sehen, könnten sie sich zu einem solchen Fanal entschließen.« Er warf Rogers einen finsteren Blick zu. »Immerhin könnten sie so den gesamten verbliebenen Generalstab der Union ausradieren!«

»Malen Sie den Teufel nicht an die Wand«, brummte Rogers, ohne aufzusehen.

Er löste sich von den Holos und kam um den Tisch herum, auf dem die Projektoren montiert waren.

»Tatsache ist«, sagte er, »wir sind ihnen in den Sack gelaufen.« Und es klang, als zolle er seinen Gegnern dafür Respekt.

»Ich denke eher, wir sind uns selber in den Sack gelaufen«, sagte ich.

»Was willst du damit andeuten, Frank?« Rogers’ Frage war im Wortlaut sachlich, im Ton drohend.

»Wir sind Opfer unserer Überheblichkeit geworden«, sagte ich ganz ruhig. »Wir haben gedacht, wir erledigen das mit links, die Laya sind ja keine Gegner für uns …«

Unsere Blicke fraßen sich ineinander. Ich überlegte, ob man ihn für diese Sache zur Rechenschaft ziehen konnte. Aber zum einen war der Plan für diesen Einsatz nicht auf seinem Mist alleine gewachsen. Auf der Brücke der Marquis de Laplace drückten sich zu dieser Stunde mehrere hohe Generalstabsoffiziere herum, in deren Haut ich lieber nicht stecken mochte. Zum anderen würde niemand, absolut niemand in der ganzen Union es wagen, den Helden von Persephone vor ein Kriegsgericht zu zerren, mochte er sich zuschulden kommen lassen, was er wolle. In gewisser Weise war das eine Gefahr, nicht zuletzt für ihn selbst. Er hielt sich für unangreifbar.

»So haben wir uns das mit Sicherheit nicht gedacht«, führte er aus.

Es wunderte mich, dass er nicht losbrüllte, wie er generell in der letzten Stunde, seit wir uns in die Lobby der Nationalbank geflüchtet hatten, sehr viel ruhiger geworden war. Die Zähne aufeinandergebissen, den Blick konzentriert, stand er über die Gefechtsholografien gebeugt da und gab nüchterne Anweisungen an die Stoßtruppführer vor Ort. Hier einen Brückenkopf halten, dort ein paar Straßenzüge zurückgehen, bis man auf eine bauliche Situation traf, die leichter zu verteidigen war.

»Die drei Amboss-Schiffe wurden abgezogen«, sagte ich mit einem Hauch von Vorwurf in der Stimme.

»Wir dürfen unsere Flanken nicht entblößen«, antwortete er trocken. »Auch wenn es im Moment nicht überzeugend klingt: Wir haben noch jede Menge andere Welten zu verteidigen da draußen.«

Ich nickte.

»Jede Menge«, wiederholte er. »Seit wir Sina in den Staub getreten haben, gebieten wir über gewaltige Ressourcen, aber unerschöpflich sind sie nicht.«

»Können wir die strategischen Plaudereien auf später verschieben?«, bat Colonel Tariq. »Wir haben nämlich alle Hände voll zu tun.«

Ich gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er weitermachen solle. Dann zogen Jennifer und ich uns zurück. Wir suchten uns einen Winkel, wo wir uns für einen Moment besinnen konnten.

Am Rand der Lobby hatte man die Sofas, die dort zu gemütlichen Sitzgruppen kombiniert gewesen waren, zusammengeschoben und teilweise aufeinandergestapelt. Wir ließen uns in eines davon fallen, in dessen Rücken ein ganzer Turm weiterer Möbel aufragte. Die meisten waren angesengt, von Blut und anderem Schmutz besudelt, teilweise waren die Furniere zersplittert. Es war ein Jammer. Jedes einzelne dieser Schmuckstücke – gravimetrische Polster aus Tloxi-Produktion, überzogen mit kostbarer sinesischer Seide – war mehr wert, als ein normaler Angestellter der Nationalbank von Sin Pur im Jahr verdient hatte. Jetzt waren sie Schrott. Und das war nur ein besonders drastisches und augenfälliges Bild für den Zustand dieser ganzen Welt. Ein Ferienidyll, ein Paradies für Hochzeitsreisende, ein Südseeplanet, der in einem ewigen Goldenen Zeitalter zu leben schien – jetzt war er Kriegsschauplatz, auf dem mit Kernwaffen gekämpft wurde. Und ganz gleich, wie diese Nacht enden würde, die Hauptstadt des Planeten, sein Wirtschafts- und Verwaltungszentrum, würde bis zum Morgen dem Erdboden gleich sein.

Wir saßen da und versuchten, zu Atem zu kommen. Eine aufmerksame Ordonnanz, die zur Betreuung des Stabes abgestellt war, brachte uns etwas zu trinken. Wir bemerkten jetzt erst, wie erschöpft wir waren, dabei war es erst wenige Stunden her, seit wir den Boden dieser Welt betreten hatten.

Die Lage in der Eingangshalle hatte sich ein wenig normalisiert. Die Schwerverletzten lagen im künstlichen Schlaf. Die Sanitäter hatten Blut, Glasscherben und menschliche Körperteile entfernt, die Verwundeten der Reihe nach auf Decken oder Teppiche gebettet, eine Notaufnahme für Neuzugänge eingerichtet. Es ging halbwegs zivilisiert zu. Die Straßen Pura Citys waren erfüllt von zurückflutenden Soldaten der Union. An manchen Brennpunkten ging der Rückzug kontrolliert vonstatten. Die Einheiten gingen in rollenden Schichten, reihum einander Feuerschutz gebend, auf vorab definierte Auffangstellungen zurück. Die Verluste waren gering. Alles machte einen geordneten Eindruck. Anderswo mussten ganze Viertel Hals über Kopf geräumt werden, weil unsere Brückenköpfe zusammenbrachen. Die Stoßtrupps der Union wurden überrannt und aufgerieben. Oder sie ließen sich einschließen und leisteten aus dem Rücken der über sie hinweggehenden Front erbitterten Widerstand. Aber die Laya waren im Vorteil. Sie kannten jeden Hof und jede Feuerleiter. Unsere Einheiten hatten, wenn sie einmal abgeschnitten und eingekesselt waren, keine Chance mehr. Die Laya machten dann auch keine Gefangenen.

Immer wieder kamen Trupps von fünf oder auch dreißig Mann in den Schutz der meterdicken Pfeiler gerannt, hinter die wir uns zurückgezogen hatten. Es waren Unverletzte oder leicht Verwundete, aus dem einfachen Grund, weil man die Schwerverletzten, die nicht mehr selbst laufen konnten, hatte zurücklassen müssen. Die Soldaten wurden versorgt und verteilten sich dann in der riesigen Eingangshalle. Manche schliefen sofort ein, zu Tode erschöpft von den mörderischen Kämpfen und dem kaum weniger zehrenden Klima. Andere gingen wieder nach draußen, um rund um die Independence Plaza eine neue Verteidigungsstellung aufzubauen. Wieder andere nahmen den tausend Treppenstufen umfassenden Aufstieg zu den oberen Etagen in Angriff, um den dort noch immer verbissen kämpfenden Einheiten Entlastung zu bringen. Die Elevatoren in dem dreihundert Stockwerke hohen Turm waren, wie alle elektrischen Anlagen, abgeschaltet. Sie mussten zu Fuß dort hinauf. Und hinter jeder Tür, in jedem Korridor, in jedem Raum konnte eine Sprengfalle lauern oder ein Kommando der Laya warten. Ab und zu war ein fernes Bersten und Brechen zu hören, das sich von dort oben durch die Stahlträger der Skelettkonstruktion zu uns arbeitete. Explosionen und Schüsse. Einmal stürzte eine Elevatorgondel den Schacht hinunter und zerschellte in den Basements, noch zehn Stockwerke unter uns.

Mehrmals kam es auch zu weiteren Luftangriffen. Das Muster war immer dasselbe. Die Maschinen tauchten irgendwo weit draußen über dem Meer auf, als seien sie vom Himmel gefallen. Bei Höchstgeschwindigkeit rasten sie in die Stadt hinein, unterliefen sämtliche Vorwarnzeiten unserer Abwehr, die ohnehin auf einen unbedeutenden Rest zusammengeschmolzen war, und klinkten ihre Torpedos aus. Den Platz selbst griffen sie nicht mehr an. Die riesige Freifläche war im Moment militärisch uninteressant und der Enthymesis konnten sie keinen Schaden zufügen, vielmehr waren deren Geschütze so ziemlich das Einzige, was sie noch fürchten mussten. Dafür belegten sie unsere in Auflösung begriffenen Brückenköpfe mit Aerosolbomben und beschleunigten so ihren Zusammenbruch. Und im Augenblick gab es nichts, was wir dagegen tun konnten.

Jennifer saß neben mir auf dem unangenehm bequemen Sofa und verfolgte die Vorgänge auf der Gefechtssimulation. Ich sah mit einem Auge zu, während ich krampfhaft überlegte, wie wir die aussichtslos erscheinende Situation in den Griff bekommen konnten. Dabei fiel mir auf, dass die interaktive Holografie immer wieder erlosch und sich neu aufbaute. Hatte ihr Kom eine Macke? Aber dann merkte ich, dass ein Eingabefehler die Ursache war. Jennifer hatte auf ein falsches Symbol getippt.

Jennifer Ash produzierte Fehleingaben, und zwar am laufenden Band!

Ich wischte mit der Hand durch das Statusfeld des Hologrammerzeugers. Die Darstellung erlosch. Jennifers Rechte schwebte in der Luft, der ausgestreckte Zeigefinger wollte eben wieder ein Symbol aktivieren. Die Hand zitterte.

Ich nahm Jennifers Hand in die meine. Sie war eiskalt und nass von Schweiß.

»Was ist mit dir?«, fragte ich.

»Es geht mir gut«, sagte sie bestimmt. Aber wir wussten beide, dass das gelogen war. Nach einigen Sekunden, in denen sie erfolglos versucht hatte, mir ihre Hand zu entwinden, gab sie den Widerstand auf.

»Bist du krank?«, fragte ich.

Sie sah mich in ihrer traurigen und melancholischen Art an, bei der ich mir immer wie ein dummer Junge vorkam.

»Es ist alles ein bisschen viel«, sagte ich. »Das gebe ich zu. Wir können einfach in die Enthymesis steigen und zur Marquis de Laplace fliegen.«

Mit leicht schräg gelegtem Kopf musterte sie mich.

»Ich bin schwer traumatisiert, Frank«, sagte sie leise.

»Das weiß ich.«

»Es ist in mir. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch kontrollieren kann.«

»Du hast gesagt, du hättest das in einem – Bereich in dir versiegelt.«

»Das ist richtig.«

»Ich weiß ja nicht, wie – dicht dieser Bereich ist.«

»Nicht sehr dicht.« Sie sah mich auf eine nackte und schutzlose Weise an, die wehtat. »Es zerfrisst mich von innen her.«

»Wir können jederzeit abhauen. Ich glaube nicht, dass sie der Enthymesis hinterherkommen, wenn Commodora Ash erst einmal richtig durchstartet.«

Sie legte die Hand auf meine Wange. »Du bist süß, aber du brauchst nicht versuchen, mich aufzuheitern.«

»Es ist, wie ich sage.«

»Das ändert ja nichts an der Situation«, sagte sie. »Hier unten sterben unsere Leute!«

»Ich weiß«, seufzte ich. »Ich überlege ja auch pausenlos, was wir machen können.«

»Gib mir fünf Minuten.« Ihr Blick war unstet, flackernd. Der Blick einer gebrochenen Frau. Dann schloss sie die Augen und legte die Handflächen aneinander. Sie sank in eine leichte Prana-Bindu-Trance. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis die Konzentration ihre Wirkung entfaltete. Ich hatte ihr oft genug dabei zugesehen, um ihre Atemzyklen zu kennen. Jetzt vergingen mehrere Minuten, ehe ihre Atmung ruhiger und tiefer wurde und das nervöse Rollen ihrer Augäpfel unter den geschlossenen Lidern aufhörte. Dann konnte ich spüren, wie sich ein Kraftfeld um sie aufbaute. Sie zapfte geheime Energiequellen an und lud sich neu auf. Aber es war nicht mehr viel Saft in diesem Akku. Ein letztes Aufbäumen würde noch möglich sein, ein Strohfeuer, eine Verzweiflungstat, und danach würde sie in eine tödliche Erschöpfung fallen, körperlich und seelisch ausgebrannt, wie sie es niemals gewesen war.

Ich nahm meinen HandKom.

»Norton ruft Enthymesis.«

Der Erste Pilot war sofort dran.

»Hier Enthymesis«, sagte er.

»Meldung, Statusbericht!«

»Geschützturm II bemannt und voll einsatzbereit. Alle übrigen Systeme arbeiten ebenfalls einwandfrei. Solange sie nur diese Aerosoldinger schmeißen, können sie uns nichts anhaben.«

»Ist gut. Bleiben Sie auf Ihrem Posten.«

»Wie Sie vielleicht gesehen haben, haben wir einen von ihren Jägern abgeschossen.«

»Sehr gut. Ich werde Sie für den großen Stern der Union vorschlagen, wenn das hier ausgestanden ist.«

»So war es nicht gemeint.«

»Doch, das war eine saubere Sache.«

»Commodore Norton, Sir?«

»Pilot?« Ich musste mir endlich seinen Namen merken. Der Mann war besser, als ich gedacht hatte. Er hatte unsere schäbige Behandlung nicht verdient.

»Ich weiß, dass das meine Kompetenzen überschreitet, aber ist es nicht schade, ein solches Pfand wie die Enthymesis ungenutzt hier herumstehen zu lassen?«

»Sie haben vollkommen recht. Wir überlegen gerade, wie wir sie am effektivsten einsetzen.«

»Danke, Sir.«

»Halten Sie sich bereit. Es kann sein, dass es plötzlich ganz schnell geht.«

»Die Crew ist auf Posten.«

»Sie hören von mir!«

Etwas anderes beanspruchte meine Aufmerksamkeit: Ein einzelner Unionssoldat schleppte sich über den Platz, schien mitgenommen, aber zumindest nicht schwer verletzt. Immerhin konnte er ohne fremde Hilfe aufrecht gehen. Und er marschierte, leicht auf dem linken Bein hinkend, quer über den riesigen Platz, ohne Deckung, ohne sich nach einer solchen auch nur umzusehen.

Irgendetwas fesselte mein Auge an ihn und ich behielt ihn im Blick, ohne sagen zu können, warum eigentlich. Es war ein einfacher Infanterist, höchstens Corporal oder Sergeant. Seine Uniform war ziemlich zerfetzt und er trug einen Rucksack, wie er bei den Stoßtruppen üblich war, an einem Gurt über der rechten Schulter. Das Ding schien schwer zu sein und der zweite Gurt war anscheinend kaputt. So hatte seine Erscheinung etwas Quälendes, wie sie so über den kilometerweiten Aufmarschplatz gehumpelt kam.

»Sehen Sie diesen Mann?«, fragte ich den Ersten Piloten der Enthymesis.

»Er ist ja nicht zu übersehen«, kam es von der Brücke unseres Explorers, sechzig Meter über dem zu Ruß gebrannten Pflaster der Independence Plaza. »Was ist mit ihm?«

»Ich weiß nicht«, gab ich wahrheitsgemäß zurück. »Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.«

»Er scheint verletzt.«

»Können Sie ihn scannen?«

»Wenn Sie meinen.«

Es war nur ein akustischer Kanal von geringer Bandbreite, den wir über den Handkommunikator hielten. Ich konnte hören, wie er die entsprechenden Eingaben vornahm.

»Corporal Tandor Palacci«, sagte der Pilot nach wenigen Sekunden. »Zweites Korps des Dritten Bataillons unserer Eingreiftruppe.«

»Haben Sie seine Daten?«

Anstelle einer Antwort erschien die Akte des Soldaten auf meinem Display. Ich ging auf mediale Wiedergabe. In meiner Handfläche schimmerte das Bild eines groß gewachsenen, gut aussehenden blonden Jünglings von neunzehn Jahren.

Ich sah durch den knisternden Energievorhang auf den Platz hinaus. Der Mann, der sich dort heranschleppte, konnte gar nicht so viel mitgemacht haben, wie nötig war, die Differenz in seinem Erscheinungsbild zu erklären. Er war nicht ein Meter neunzig, sondern höchstens eins siebzig. Er war auch nicht blond, sondern schwarzhaarig. Seine Augen waren nicht blau, sondern dunkel. Er war nicht blutjung, sondern mindestens in meinem Alter.

»Achtung!«, schrie ich quer durch die Halle. »Dieser Mann darf nicht passieren!«

»Was ist los?«, fragte der Erste Pilot aus meiner linken Hand.

»Dieser Mann ist nicht, wofür er sich ausgibt«, rief ich. »Er hat einem unserer Männer die ID abgenommen …«

Weiter kam ich nicht. Der Fremde hatte das zerschossene Portal der Nationalbank von Sin Pur erreicht. Er schritt durch das Kraftfeld, das dabei seine Identität auslas. Die Steuerelektronik registrierte den Chip, dem er einem unserer toten Soldaten geraubt hatte, und ließ ihn passieren.

»Achtung!«, gellte ich noch einmal

Inzwischen waren auch die Männer, die im vorderen Bereich der Lobby herumlungerten und sich erholten, aufmerksam geworden. Sie sahen irritiert zwischen mir und dem Fremden hin und her. Aber es war zu spät.

Der Mann stand diesseits des Energievorhangs, schwang den schweren Rucksack von der Schulter und richtete sich triumphierend auf.

Ich hatte die Offizierspistole gezogen und auf ihn abgedrückt. Das Strahlenbündel zerriss ihm die Brust, obwohl er einen starken Kampfpanzer trug, wie er zur Ausrüstung der Frontsoldaten gehörte. Er brach zusammen. Das verhinderte, dass er sein Bündel mitten in unsere Leute werfen konnte.

Die Bombe explodierte in seinen Händen.

Ich langte nach oben und riss den Turm aus aufeinandergestapelten Sofas auf uns herunter. Die Möbel polterten auf uns herab. Jennifer kauerte sich instinktiv zusammen. Ich warf mich über sie. Die ergonomische Kuhlung unseres Sofas nahm uns auf, während die anderen die Flammenwand abfingen, die auf uns zuraste.

Der Donner brach sich in der riesigen Halle und rollte darin hin und her wie die Brandung einer Sturmflut in einem Hafenbecken.

Wir wühlten uns aus einem Chaos brennender Sitzgelegenheiten hervor. Der Verbandsplatz, der eben halbwegs aufgeräumt worden war, bot wieder ein Bild des Schreckens. Die Explosion hatte ein Dutzend Männer, die während der letzten Viertelstunde hier Zuflucht gefunden hatten, getötet, ein weiteres Dutzend schwer verletzt. Wieder schwamm der Boden aus kostbarem Marmor in Blut, wieder füllte ohrenbetäubendes Geschrei die vornehme Lobby.

Die Ordonnanz, die uns gerade noch Thermosflaschen mit Tee gebracht hatte, kam mit einem Handfeuerlöscher gelaufen und erstickte die Flammen, die rings um uns züngelten. Ich trat mir den Weg durch den Irrgarten zersplitterter Möbel frei.

Drüben war Conrad Draeger um die Verwundeten bemüht. Er senkte einen Blick in mich, der Bände sprach, sagte aber auch jetzt kein einziges Wort. Aus den Männern, die davongekommen waren, griff ich mir sechs heraus und teilte sie als Wachen ein. Sie bezogen draußen Posten und hatten die Aufgabe, jeden zu überprüfen und zu entwaffnen, der sich dem Gebäude näherte, mochte er noch so abgerissen und erschöpft sein.

Als ich in den Albtraum der Halle zurückkehrte, lief ich beinahe in General Rogers hinein. »Wir müssen etwas unternehmen«, sagte ich. »So kann es nicht weitergehen.«

»Was schlägst du vor?«

»Wir haben die Enthymesis.«

»Das ist richtig, aber was kann sie ausrichten?«

»Sie ist bewaffnet und sie ist praktisch unverwundbar.«

»Dann seht, was ihr mit ihr anstellen könnt.«

Jennifer kam ebenfalls herbei. Sie wirkte benommen, noch halb weggetreten. Das lag am Schock der schweren Explosion wie auch an der Trance, die sie nur langsam abschüttelte. Alles an ihr war schwerfällig und funktionierte nur wie gegen große Widerstände. Ich sah sie prüfend an. Sie nickte. Aber mir war klar, dass sie höchstens noch wie ein Roboter agieren würde. Mit der alten Jennifer Ash hatte sie im Augenblick nichts mehr gemein.

Ich rief wieder die Brücke.

»Okay, hier kommt Ihr Einsatz!«

»Tut mir leid, das eben«, sagte er. »Ich hatte den Kerl auf dem Schirm, aber ich habe nicht schnell genug geschaltet.«

»Nicht Ihr Fehler. Wir hatten alle eine etwas zu lange Leitung.«

»Ist es schlimm?«

»Sehr schlimm.«

»Scheiße!«

»Passen Sie auf: Heben Sie ab und kommen Sie bei geringer Höhe hier herüber, um uns an Bord zu nehmen.«

Durch den Energievorhang spähend, dessen Sicherheit sich als trügerisch erwiesen hatte, sah ich über den Platz. Er führte den Befehl sofort aus. Die Enthymesis erhob sich gerade so weit, dass sich ihre wohnhausgroßen Stahlkrallen aus dem Untergrund lösten. Bei leichtem Schub aus den seitlichen Korrekturdüsen glitt das mächtige Schiff auf uns zu, eine dreihundert Meter breite Wand.

»Wie ist die Lage?«, fragte ich, während ich das Manöver verfolgte.

»Planmäßiger Rückzug an allen Fronten«, sagte der Pilot. »Die Union hat einen doppelten Ring um den Platz gelegt. Wir halten in allen Richtungen noch ein oder zwei Blocks.«

Das war wirklich ernst. Es hieß, dass es nur noch eine Frage von vielleicht einer Stunde war, bis wir auf die Plaza selbst zurückgedrängt waren. Die riesige Freifläche war nicht zu verteidigen. Die schweren Kämpfe und Bombardements hatten die letzten Erhebungen, die als Deckung hätten dienen können, weggebrannt. Es gab keine Denkmäler, keine Blumentöpfe, keine Sitzbänke mehr, hinter denen man sich verschanzen konnte. Wir würden den Platz räumen und dann nur noch die Lobby der Nationalbank halten.

»Okay, das reicht. Wir kommen jetzt rüber.«

Ich vergewisserte mich, dass Jennifer einsatzbereit war. Die Enthymesis stand so dicht vor dem Portal des Bankenturmes, wie ihre weit auskragenden Aufbauten es erlaubten. Das sechzig Meter hohe Schiff schmiegte sich an den Sockel der ersten zwanzig Etagen, oberhalb derer sich der stählerne Monolith verjüngte. Seine gewaltige Masse und seine undurchdringlichen Abschirmungen bot einen guten Schutz, falls wir wirklich auf diese letzte Stellung zurückgehen musste. Aber so weit war es noch nicht.

Geduckt rannten wir nach draußen und zu der offen stehenden Elevatorkanzel der vorderen Steuerbordstelze. Wir stiegen ein und stiegen nach oben, wobei sich unser Panorama auf beklemmende Weise weitete. Außer der Nationalbank selbst gab es keine Gebäude von vergleichbarer Größe. Aus sechzig Metern Höhe sahen wir über die ganze Stadt Pura City, die an allen Ecken und Enden brannte. Leichtes und schweres Geschützfeuer hallte in den Straßenschluchten wider, die in der unangenehmen Finsternis des Blackouts lagen. Ab und zu rollten mächtige Explosionen, und glühende Trümmer flogen über die Dächer der umliegenden Häuser hinweg. Eine Staffel aus mehreren Jagdbombern zog über die westlichen Viertel dahin, warf Aerosolbomben ab und dreht im blutigen Widerschein der sich entfaltenden Feuerpilze wieder ab.

»Heilige Scheiße!«, stöhnte ich, als ich mich durch die Schleuse drückte und die Brücke betrat.

»Ja, es ist ernst.« Die beiden Piloten und der WO sahen zu mir auf. Sie schienen sich in den letzten Stunden nicht von der Stelle gerührt zu haben.

Jennifer nahm einen der rückwärtigen Plätze ein. Jetzt erst fiel mir auf, dass sie während des Landeanfluges nur das Park-off durchgeführt hatte. Ihr Leib-und-Magen-Manöver. Dann hatte sie den Hauptbedienplatz freiwillig geräumt. Im Grunde hätte mir da schon dämmern müssen, dass sie nicht die Alte war.

Sie wählte sich über ihren HandKom, der wiederum über ihre Unterarmmanschette mit ihrer Anzugsteuerung verbunden war, in die Systeme der Enthymesis ein. Ich bezog den Platz des Kommandanten.

»Abheben!«

Ein Ruck lief durch das Schiff, dann schwebten wir auf. Der Pilot vergrößerte selbsttätig den Abstand zum Bankenturm. Dann glitten wir wie eine riesige, selbsttragende Elevatorplattform neben der eintönigen Abfolge von Stockwerken und Simsen in die Höhe.

Ich ließ die lokale Kommunikation online auf den allgemeinen Gefechtskanal gehen.

»Norton an Tariq. Wie geht es Ihren Leuten im Turm?«

»Es geht so. Sie würden sich über ein wenig Unterstützung freuen.«

»Mal sehen, was wir für sie tun können.«

»Das wäre wirklich zu freundlich.«

»Wo?«

»Die Laya halten sich in den Etagen 188 bis 190 verschanzt. Wenn Sie von Norden her anfliegen, haben Sie freie Schussbahn.«

»Na, dann machen wir das doch.«

Jennifer hatte sich unterdessen die Pläne des Gebäudes auf ihr Display geholt. Jetzt warf sie sie auf die große Panoramafront. Das entband uns von der leidigen Aufgabe, einhundertneunzig Stockwerke von Hand mitzuzählen. Wir vergrößerten die Distanz noch ein wenig, schwenkten um den Turm herum auf die Nordseite und stiegen bis zu den genannten Etagen auf.

»Sagen Sie Ihren Leuten, dass sie in Deckung gehen«, rief ich in den Gefechtskanal.

»Schon geschehen.«

»Brücke an Geschützturm II«, sagte ich dann auf der Lokalen. »Fertig machen für begrenzte Maßnahmen! Feuerbefehl abwarten!«

»Aye, Geschütz ist feuerbereit.«

Aus hundert Metern Entfernung sahen wir in die großen Glasfronten hinein. Die Stockwerkszählung wurde daraufprojiziert. 188 war dunkel und tot. Aber in 189 schien Bewegung zu sein. Der Pilot schaltete unaufgefordert zwischen verschiedenen Auflösungen und Spektren hin und her. Im Infrarotbild erkannten wir etliche Gestalten, die sich dicht zusammenkauerten. Die Scans ergaben, dass es keine Unionssoldaten waren.

»Feuer!«

Das schwere Zwillingsgeschütz nahm seine Arbeit auf. Eine Kaskade aus zerschmetterten Glaselementen regnete in die Tiefe. Explosionen lohten aus dem kassettenförmigen Inneren der Etage. Rauch stieg auf. Aus Strahlenwaffen wurde zurückgeschossen. Auch ein Feldwerfer wurde abgebrannt. Die Enthymesis schwankte ganz leicht, als sie den Impakt absorbierte. Insgesamt nichts, was ihrer Abschirmung gefährlich werden konnte.

»Feuer einstellen!«, sagte ich auf der Lokalen. »Eine Runde höher«, zu den beiden Piloten.

Wir stiegen ein paar Meter weiter auf. Einige ganz Verwegene hatten dort selbst die Fenster eingeschlagen und das Feuer auf uns eröffnet. Wir sahen einen schweren Feldwerfer, der auf einer Lafette montiert war. Sie mussten ihn in Einzelteilen dort hinaufgebracht haben, denn am Stück war er für die Elevatoren viel zu groß.

»Achtung«, sagte ich. »Das ist ein anderes Kaliber.«

Aber die beiden Männer im Geschützturm hatten schon geschaltet und das Ding mit einer Salve unschädlich gemacht.

»So weit, so gut«, hörte ich Colonel Tariqs Stimme. »Aber sie haben Sprengladungen in alle tragenden Pfeiler gebohrt.«

»Das müssen Ihre Leute vor Ort erledigen«, sagte ich.

»Wir sind an der Sache dran. Es ist nur …«

Der Kanal brach zusammen. Direkt vor unseren Augen entspann sich ein heftiger Schusswechsel. Es war zu unübersichtlich, als dass wir uns hätten einschalten können. Explosionen blitzten. Mehrere Personen lieferten sich ein Handgemenge. Sie waren so ineinander verkeilt, dass sie aus den klaffenden Fensterhöhlen stürzten. Sie fielen in die Tiefe. Eine weitere schwere Detonation zerriss das Knäuel menschlicher Leiber. Offenbar hatten sich einige Männer geopfert und waren einem Selbstmordattentäter in den Arm gefallen, der in einer letzten Verzweiflungstat den Turm zum Einsturz bringen wollte.

Wir kreisten noch eine Weile um den stählernen Monolithen. Hier und da hielten sich kleine Widerstandnester, die wir durch gezielten Beschuss von außen auslöschen oder so weit in die Defensive drängen konnten, dass die Bodentruppen sie in eigener Regie überwältigten. Schließlich war der gesamte Turm unter Kontrolle. Das nahm uns nicht nur die Furcht, er könne über unseren Köpfen zusammenbrechen, sondern setzte auch mehrere hundert Mann an Spezialkräften frei, die durch die Kämpfe gebunden gewesen waren. Sie begaben sich, so schnell es ging, nach unten und bereiteten sich darauf vor, die Nationalbank zum Platz und den umliegenden Straßen hin zu verteidigen.

»Was hast du?«, fragte ich Jennifer, die sich wieder in ihre holografischen Darstellungen vertiefte.

»Erinnerst du dich an unseren letzten Aufenthalt hier?«

»Wie könnte ich ihn je vergessen?«

»Die Anlage, die wir gefunden haben.«

»Was ist damit? Glaubst du, dass sie als submariner Hangar für ihre Jets taugt?«

»Die Basen müssen in der Nähe der Stadt sein«, sagte sie. »Wenn die Maschinen von weiter draußen anflögen, beraubten sie sich des einzigen Vorteils, den sie haben.«

»Je länger der Anflug, umso größer das Risiko, dass unsere Instrumente sie rechtzeitig orten.«

»Eben. Deshalb ist es unnötig, den ganzen Planeten zu durchleuchten.«

»Haben wir denn die Koordinaten? Es war ja ein riesiges Labor, wir haben es nur zum kleinsten Teil erkundet.«

»Ich habe gerade eine Suchanfrage an die Marquis de Laplace geschickt. In den Speichern muss noch etwas davon liegen.«

»Es ist sehr lange her und seitdem ist einiges geschehen.«

»Quantenrechner vergessen nichts.«

»Das System ist mehrere Male neu aufgespielt worden seither.«

»Da kommt es schon.«

Sie warf die Daten wieder auf den großen Schirm. Die Piloten hatten ihre Sessel herumgeschwenkt und unserem Wortwechsel irritiert zugehört.

»Was ist das?«, fragte der Erste.

»Das ist die Lagekarte einer großen unterseeischen Anlage«, erklärte ich. »Wenige Minuten nördlich der Stadt. Wir vermuten, dass sie noch auf die Sineser zurückgeht. Vermutlich ist es nicht die einzige submarine Basis, deren sich die Laya in dieser Schlacht bedienen, aber zweifellos die größte und bedeutendste.«

»Kurs liegt an.«

»Sie begreifen sehr schnell.«

Wir flogen nach Norden. Die Enthymesis beschleunigte und ließ das Stadtgebiet in wenigen Augenblicken hinter sich. Es wurde hell. Die Rauchsäulen von Bränden standen in der Luft. Irgendwo hatte eine Explosion ein ganzes Viertel in ein weißes Kissen aus Staub verwandelt. Die Instrumente schlugen aus, als sie Schusswechsel registrierten. Wir gerieten in die Zielerfassung schwerer Waffen, waren aber über den Bereich hinweg, bevor sie uns hätten gefährlich werden können. Es tat mir leid, die Enthymesis nicht als fliegende Artillerie einsetzen zu können. Unsere Bodentruppen hätten ein wenig Luftunterstützung gut gebrauchen können. Aber die beiden Heere waren so dicht ineinander verkeilt, dass es unmöglich war, von oben zu intervenieren. Wir hätten mehr Schaden angerichtet, als dass wir Entlastung gebracht hätten. Mit Drohnen und KI-gestützten Lenkwaffen wäre es etwas anderes gewesen. Aber nichts dergleichen hatten wir an Bord. Es sollte ja nur ein kurzer Taxiflug werden, um den Oberkommandierenden abzusetzen, auf dass er den Planeten in Besitz nehme …

Über dem Hafen zogen wir Feuer auf uns. Die Anlagen waren in einem traurigen Zustand. Die Kämpfe und die Flutwelle hatten die Kräne zerknickt wie Spielzeug, die Gleise herausgerissen, Tausende Container ins Meer gespült. Jetzt wurde der Bereich wieder von den Laya kontrolliert, die auf der nördlichsten Landspitze eine schwere Batterie installiert hatten. Sie gab ein paar Schüsse auf uns ab. Die erste Salve ging vorbei. Offenbar entbehrte man doch die Feuerleitzentrale auf Sentinel Island, die Rogers ausgeschaltet hatte. Dann schoss der Richtkanonier sich auf uns ein.

Ich ließ den Ersten Piloten Schub wegnehmen, um mir die Sache genauer anzusehen. Ein paar Einschläge detonierten an unserer Steuerbordflanke und wurden von der Abschirmung gestreut.

»Feuer erwidern!«, sagte ich auf der Leitung zum Geschützturm.

Die Flugabwehrstellung und unsere beiden Jungs am Zwillingsgeschütz lieferten sich einen Schlagabtausch. Am Ende flog die Batterie am Hafen in die Luft, als ihr Feldgenerator explodierte.

»Gute Arbeit«, sagte ich auf der Lokalen. Dann rief ich die Marquis de Laplace.

»Norton an Mutterschiff. Haben Sie unsere aktuellen Koordinaten?«

»Hier Mutterschiff«, antwortete Reynolds mit der üblichen Verzögerung. »Wir haben euch auf dem Schirm.«

»Belegt den Bereich großflächig mit Clustern. Die Laya halten hier eine starke Präsenz.«

»Negativ«, kam es zurück. »Wir haben noch nicht wieder volle Manövrier- und Handlungsfreiheit.«

»Was ist denn bei euch da oben los, Herrgott noch mal?! Immer noch dabei, Gefangene zu hätscheln?«

»Der ganze Orbit ist übersät mit Trümmern! In zwei, drei Tagen werden neunzig Prozent davon abgesunken und in die Atmosphäre gestürzt sein.«

»Wir haben aber keine drei Tage«, brüllte ich. »John, verdammt! Diese Schlacht muss sich in den nächsten zwei, drei Stunden entscheiden oder wir können einpacken.«

»Ich will mal sehen, was ich für euch tun kann.«

»Was ist mit den Tiefenscans?«

»Gib mir eine Stunde. Das hier ist ein Minenfeld. Ich weiß nicht, ob wir in der nötigen Auflösung und Präzision arbeiten können.«

»Pass auf, wir haben die Lage einer Basis aus den alten Karten rekonstruiert. Das erledigen wir selber. Danach wäre ein klein wenig Unterstützung wirklich toll.«

»Was habt ihr vor?«

»Wir haben vor dem Krieg hier eine große unterseeische Station entdeckt.«

Wie immer brauchte er einen Moment, um sich zu besinnen.

»Du willst mir hoffentlich nicht erzählen«, sagte er dann, »dass ihr sie bombardieren wollt!«

»Genau das haben wir vor!«

»Frank, wir hatten noch keine Gelegenheit, diese Labors ausführlich zu erkunden. Es wäre übereilt, sie einfach so zu Klump zu schießen!«

»Bei aller Freundschaft, John. Aber diese Basen werden benutzt, um Luftangriffe auf unsere Bodentruppen zu fliegen, die eingekesselt und im Rückzug begriffen sind. Wenn wir hier unten nicht völlig aufgerieben werden wollen, müssen wir etwas unternehmen.«

»Wir haben nicht die geringsten Ahnung, welche Technologie in diesen Labors entwickelt wurde. Sina war drauf und dran, einen funktionierenden Zeitreisegenerator zu entwickeln.«

»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.«

»Es wäre ein Fehler.«

»Bekomme ich die Scans und die Cluster?«

»Eine Stunde.«

»So lange kann ich nicht warten.«

Die Piloten signalisierten, dass Alarm gegeben worden war. Die Instrumente schlugen aus, die Ortung spielte verrückt.

»Was zum Teufel …«

Aber dann sahen wir es schon mit unseren eigenen Augen. Drei Jagdbomber befanden sich plötlich vor uns, als wären sie wenige hundert Meter vor uns materialisiert; sie kamen frontal auf uns zu. Im Raum wäre etwas Derartiges mit einem Warpmanöver zu bewerkstelligen gewesen, aber es hätte Piloten vom Rang und der Verwegenheit einer Jennifer Ash gefordert, einen Korridor bis auf solche Nähe an den Gegner heranzuführen. Unter atmosphärischen Bedingungen gab es nur eine Erklärung: Der Ozean hatte sie ausgespuckt. Und das belegte unseren Verdacht, denn sie konnten nur aus jener Basis gekommen sein, die wir schon im Visier hatten. Die sinnlose Debatte mit Reynolds hatte ihnen die Zeit gegeben, ein letztes Aufgebot loszuschicken, ehe wir sie in den Meeresgrund rammten.

Einige Salven Störfeuer auf uns abgebend, rasten die drei Maschinen in aufreizender Nähe an uns vorbei, zwei auf der Backbordseite. Sie wussten also, dass unsere Geschützturm dort zerstört war. Und einer schrammte beinahe unseren ungeschützten Bauch. In unserem Rücken fächerten sie auf und bildeten Angriffsformation. Es war kein Zweifel möglich, was sie im Schilde führten.

»Rogers, Tariq, aufpassen!«, schrie ich in den Gefechtskanal. »Drei Feindmaschinen im Anflug!«

Mein Pilot warf die Enthymesis in der Luft herum und jagte ihnen nach. Im Tiefflug donnerten wir über die brennende, in Trümmern liegende Stadt.

Die Sonne ging auf.

Die Laya klinkten Raketen aus, die auf den Turm der Nationalbank zurasten. Das Gebäude ragte wie ein riesiger erhobener Zeigefinger über den Platz an seiner Nord- und Westseite auf. Immer noch stieg Rauch aus seinem Stahlgitter, auch kleinere Brände lohten hier und da aus den gesprengten Fenstern. Aber die Einheiten, die den dreihundert Etagen hohen Koloss freigekämpft und gesichert hatten, hatten ihre Zeit zu nutzen gewusst. Auf dem Dach und auf den Absätzen der sich stufenweise verjüngenden Konstruktionen standen schwere, auf Lafetten montierte Feldwerfer. Sie bereiteten den Angreifern einen angemessenen Empfang. Zwei der Raketen wurden vor dem Einschlag zerstört. Die dritte bohrte sich auf Höhe des 150. Stockwerks in die Skelettkonstruktion und explodierte mit mörderischer Wucht. Tonnenschwere Betonelemente wurden herausgerissen und in die Tiefe geschleudert. Der Turm wankte bedrohlich. Aber er blieb stehen.

Die Mannschaften an den Batterien übertrugen das Feuer an ihre KIs. Es waren automatisch antizipierende Nachführungen, die für Gefechte im Raum entwickelt worden waren. Sie konnten über Entfernungen und bei Geschwindigkeiten vorausberechnen, wo sich die gegnerischen Maschinen in einigen Sekunden befinden würden, die für menschliche Richtkanoniere nicht zu erreichen war. Die Feldwerfer verwandelten den Luftraum rund um den Turm in eine Todeszone. Der erste Laya war getroffen und zerschellte in einem grellweißen Feuerball. Den zweiten nahmen sich meine beiden Männer im Geschützturm der Enthymesis vor. Er versuchte, den Turm zwischen sich und uns zu bringen. Aber in Manövern von beeindruckend geringen Radien bei enormen Beschleunigungswerten, brachten die Piloten es fertig, ihn zu stellen. Dann war er zum Abschuss freigegeben.

»Gute Arbeit«, sagte ich zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten. »Wir dürfen den Turm auf keinen Fall verlieren. Es ist unsere letzte Rückzugsmöglichkeit in der Stadt.«

Jennifer und der WO, die auf ihren rückwärtigen Plätzen ihre Displays bearbeiteten, warfen mir skeptische Blicke zu.

»Was ist?«, fragte ich.

»Noch einen solche Treffer können wir uns nicht erlauben«, sagte Jennifer. Sie war online auf die Gebäudesysteme der Nationalbank gegangen. Während wir in immer engeren Spiralen um den riesigen Monolithen aus Stahl herumkurvten, neigte er sich ganz leicht. Die oberen hundert Stockwerke bekamen eine Schlagseite von zwei oder drei Grad.

»Wie sieht es aus?«, war Colonel Tariqs Stimme auf dem Gefechtskanal zu hören. »Müssen wir evakuieren?«

»Noch nicht«, sagte ich rasch. Der Ring, den die Laya um die Innenstadt zogen, wurde von Minute zu Minute enger. Auf der Plaza wären unsere Leute einfach zusammengeschossen worden. »Der Turm ist stabil. Allerdings können wir uns einen weiteren Impakt auf keinen Fall mehr leisten.«

»Dann sehen Sie zu, dass Sie ihn verhindern.«

»Wir arbeiten dran.« Dann fiel mir noch etwas ein. »Ich hoffe, Ihre Leute in den oberen Etagen haben Fallschirme.«

»Sie haben Wing Suits«, sagte Tariq. »Damit können sie im Notfall abspringen. Aber ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, dass wir mehrere hundert Leute in der Lobby und im Basement haben, die meisten davon Verwundete.«

»Beinahe wäre es mir entfallen.« Ich ließ den Kanal zuschnappen und wandte mich wieder an die zwei Piloten. »Wo ist eigentlich der dritte Angreifer?«

»Hat nach Westen abgedreht«, sagte der Erste. »Ich glaube, er führt irgendwas im Schilde!«

Wir ließen die Enthymesis auf der Westseite des Turmes heruntergehen. Die klobigen Stelzfüße noch zehn Meter über dem Boden, schwebte das Schiff als fliegender Wellenbrecher vor dem mächtigen Portal, von deren glänzendem Marmor nicht mehr viel übrig war.

»Feindmaschine im Anflug«, sagte der zweite Pilot.

»Er macht einen Torpedo scharf«, sekundierte Jennifer aus meinem Rücken.

»Weiter nach unten gehen!«, rief ich. »Er versucht, unter uns hindurch in die Lobby zu schießen.«

Der Explorer sackte durch. Aus der großen Allee, die nach Westen ging, jagte der Bomber heran. Er klinkte ein Geschoss aus und dreht nach Norden ein, um sich mit kreischenden Turbinen aufs offene Meer hinaus zu flüchten. Der Torpedo kam wenige Meter über dem Boden auf uns zugerast.

»Feuer!«

Aber unser Zwillingsgeschütz ragte starr nach oben! Im Raum hätte man eine Rolle fliegen können. Für den Häuserkampf in einer kleinteiligen Innenstadt war der dreihundert Meter lange und sechzig Meter hohe Stahlklotz der Enthymesis einfach nicht geschaffen.

Die Piloten ließen das Schiff durchsacken und in einem haarsträubenden Manöver einen Satz nach vorne machen. Wie ein Fußballspieler, der eine scharf geschossene Flanke volley nimmt, erwischten wir den Torpedo mit der vorderen Backbordstelze. Der Explorer taumelte und erdröhnte in der mächtigen Aerosolexplosion. Für einige Sekunden befanden wir uns im Zentrum eines riesigen Feuerballs. Die Abschirmung ging in die Knie. Mehrere schreckliche Augenblicke fürchtete ich, sie könne zusammenbrechen. Die Implosion der Kraftfeldblase, in der wir uns befanden, hätte das Schiff zerknickt und unsere Lungen zerfetzt. Dann verpuffte die Kugel aus flüssigem Feuer zum Glück, zähflüssige Stränge aus brennendem Öl troffen von unseren Flanken ab.

»Danke, Enthymesis«, sagte Colonel Tariq auf dem Gefechtskanal. »Das war knapp.«

»Gern geschehen«, keuchte ich. »Wie ist Ihr Status?«

»Die Männer auf den Vorposten haben ein bisschen was abgekriegt. Leichte Verbrennungen, nach allem, was ich sehe.«

»Wechseln Sie sie aus. Und passen Sie auf, dass niemand mehr dem Turm zu nahe kommt.«

»Das ist leichter gesagt als getan.«

»Wir können nicht überall sein.« Ich wandte mich wieder an unsere Crew. »Wo ist unser Freund?«

»Nach Norden aufs offene Meer hinaus«, sagte der zweite Pilot.

»In diesem Moment verschwindet er von den Schirmen«, fügte Jennifer hinzu.

»Wo?«

»Genau dort, wo wir vermutet haben.«

»Okay!« Ich ballte die Faust. »Dann wollen wir dafür sorgen, dass er auch nicht wieder auftaucht.«

Wie ein gereizter Stier senkte die Enthymesis die Stirn und flog wieder die lange nördliche Ausfallstraße entlang. Zu unserer Rechten stieg die Sonne aus dem Meer. Ihr Licht tauchte die Straßen, Plätze und Gebäude Pura Citys, von denen kaum eines unversehrt war, in blutiges Licht. Der Ozean schimmerte golden auf der Ostseite, blauschwarz im Westen. Der Himmel war klar. Es war ein Tag, um an den Strand zu gehen. Oder auf der endlosen Promenade Pura Citys ein wenig zu shoppen. Oder sich von der langen Nacht in einer der Vergnügungshöllen zu erholen, im Bungalow zu bleiben und Liebe zu machen.

»Zielkoordinaten erreicht«, sagte der Zweite Pilot.

Der Erste Pilot fing die Enthymesis ab und brachte sie in der Luft zum Stehen. Wir schwebten einige hundert Meter über dem Meer. Der Passat trieb die Dünung in gleichmäßigen Wogen, diagonal unter uns hindurch, nach Südwesten. Es sah aus wie eine anfang- und endlose Herde großer grauer Tiere, die unter uns hindurchzog.

»Antimateriesprengkopf scharf machen«, sagte ich. »Zündung in sechzig Meter Tiefe.«

Ich drehte mich um und warf Jennifer einen fragenden Blick zu.

»Lieber achtzig«, sagte sie. »Laut Radar haben wir eine Wassertiefe von fünfzig Meter. Dann kommen mehrere Meter Sand und Geröll. Darunter beginnt erst die Betonschale …«

»Einverstanden.« Ich schwenkte meine Aufmerksamkeit zu dem WO hinüber, der die Daten eingeben musste.

»Glaubst du wirklich«, fragte Jennifer, »dass das eine gute Idee ist?«

»Hast du eine bessere?«

»Es ist ein sehr schweres Kaliber.«

»Soweit ich weiß, ist es das einzige, das wir haben.«

»Der Erdstoß wird eine weitere Flutwelle auslösen und die nördlichen Viertel der Stadt verwüsten.«

»Da steht sowieso kein Stein mehr auf dem anderen.«

»Es kann auch sein, dass die Erschütterung den Turm zum Einsturz bringt.«

»Wenn es noch einen weiteren Luftangriff gibt, ist die Nationalbank in jedem Fall Geschichte. Und das heißt dann, dass das gesamte Unternehmen gescheitert ist!«

»Sie haben noch andere Basen. Ein Angriff erfolgte direkt von Süden.«

»Aber diese hier ist die wichtigste. Ich vermute, dass hier auch der Stab und die gesamte Leitung sitzt.«

Wir sahen uns an. Sie wirkte jetzt ganz ruhig, aber ich spürte die Erschöpfung, die sie wie ein muffiger Geruch umgab. Es kostete sie Kraft, jedes einzelne dieser Wörter zu formulieren.

»Sir?« Der WO wartete auf meine Freigabe.

»Ich wüsste keine Alternative«, sagte ich zu Jennifer.

Sie nickte ergeben.

»Gibt es eine Möglichkeit«, fragte ich den WO, »die Sprengkraft des Projektils zu verringern, sagen wir: sie zu halbieren?«

»Tut mir leid, Sir. Antimaterie ist Antimaterie«, erklärte er. »Ich könnte höchstens in den Bombenschacht gehen und einen Teil der Ladung entfernen.«

»Wie lange dauert das?«

»Zehn Minuten.« Er hob die Schultern. »Viertelstunde, vielleicht.«

Ich schüttelte den Kopf. »So viel Zeit haben wir nicht!«

»Da unten tut sich was«, meldete der zweite Pilot. »Aktivitäten in großer Tiefe.«

»Sie versuchen, ihr Geschwader in Sicherheit zu bringen«, sagte Jennifer.

»Projektil ausklinken«, rief ich. »Sofort! Dann auf Sicherheitsabstand gehen.«

Ein unmerkliches Zittern lief durch das Schiff, als zehn Decks unter uns die Feldgeneratoren anliefen und die tonnenschwere Hydraulik in Gang setzten. Der Torpedo wurde freigegeben. Er fiel wie ein Stein in die Tiefe. Eine kurze Zündung seines Ionenantriebs, weniger als eine Sekunde, reichte aus, ihn ins Wasser zu jagen und zehn Meter Fels und Stahlbeton zu durchschlagen. Dann wurde das winzige Containment, das bis dahin in komplizierten Aufhängungen aus künstlicher Gravitation geschwebt hatte, hinauskatapultiert. Ein Kügelchen Antisilizium, zu klein, als dass man es mit dem bloßen Auge hätte sehen können, reagierte mit der Umgebung aus baryonischer Materie.

Die Enthymesis war auf mehrere Kilometer Höhe aufgestiegen und dabei einige hundert Meter zur Seite geschert.

Wir sahen einen Trichter im Wasser entstehen, dessen Rand sich konzentrisch nach außen wegbewegte.

»Zündung«, sagte der WO fürs Protokoll.

Ein unvorstellbar lange Sekunde geschah nichts.

Dann brach das Meer auf und eine Fontäne stieg hundert Meter in die Höhe. Ein künstlicher Geysir, entstanden aus tausenden Tonnen verdampften Ozeans. In Rogers Quartier würde das Geschirr zu klirren anfangen und auch die Instrumente der Marquis de Laplace würden ausschlagen.

Der riesige Pylon aus Wasser und Dampf stand weiß wie Diamantstaub im Licht der Morgensonne. Der Passat zupfte Strähnen heraus. Dann brach die turmhohe Säule in sich zusammen. An ihrer Stelle entstand ein zweiter Trichter. Die Randwoge des ersten war nach außen weggerollt und hatte dabei eine flache Schüssel ins Meer gepflügt. Jetzt bildete sich ein Strudel. Der riesige Hohlraum, den die Detonation in den Untergrund gerissen hatte, lief gurgelnd voll. Fünfzig Meter unter dem Wasserspiegel war ein Krater entstanden. Außerdem war die submarine Basis gesprengt. Über ihre Ausdehnung konnten wir nur Mutmaßungen anstellen. Wir hatten sie damals einige hundert Meter weit erkundet und dann den Rückzug angetreten. Vielleicht erstreckte sie sich über mehrere Kilometer? Das alles wurde nun weniger geflutet als zerquetscht und zerstampft. Das geheime Labor der Kaiserlichen Armee von Sina existierte nicht mehr. Und wir würden nie erfahren, an was man dort gearbeitet hatte.

Trümmer wurden nach oben gespült, darunter auch die Wracks zweier Jagdbomber. Der eine hatte sein Heck, der andere eine Tragfläche eingebüßt. Wie es aussah, waren wir einem weiteren Angriff nur um Sekunden zuvorgekommen.

Wir sahen zu, wie die Piloten aus den Kanzeln kletterten. Die Maschinen mussten außerordentlich robust sein, wenn ihre Cockpits dieser Detonation standgehalten hatten. Es waren sinesische Fabrikate, nicht mehr ganz neu, aber extrem widerstandsfähig. Wortlos schauten wir auf die Männer hinab, die sich an die schwimmenden Trümmer aus aufgeschäumtem Elastil krallten. Dann überließen wir sie ihrem Schicksal.

»So weit, so gut«, sagte ich. »Zurück in die Stadt!«

Es war damit zu rechnen, dass die Laya von anderen unterseeischen Basen aus, über die sie ohne Zweifel verfügten, weitere Attacken starten würden, um sich zu rächen und um vielleicht doch unseren Brückenkopf im Turm zu zerschmettern.

»Seismische Aktivität?«, fragte ich den WO, während die Enthymesis gemächlich Richtung Pura City einschwenkte.

»Ein Erdstoß der Stärke sechs«, sagte er nach einem kurzen Check seiner Instrumente. »Die Flutwelle blieb kleiner als erwartet. Leichte Zerstörungen am Hafen und entlang der nördlichen Promenade.«

»Da ist von unseren Leuten sowieso niemand mehr.«

»Der Turm der Nationalbank hat geschwankt, aber er steht.«

»Danke.«

Jennifer meldete einen einkommenden Ruf.

»Was macht ihr denn da unten?«, fragte John Reynolds mit Vorwurf in der Stimme.

»Ich habe dir gesagt, wir müssen das zu Ende bringen, John.«

»Eine halbe Stunde und ich hätte die Satelliten kalibriert gehabt!«

»Wir hatten keine halbe Stunde.«

»So war alles umsonst.«

»Das ist keine Forschungsexpedition«, sagte ich mühsam beherrscht.

»Das habe ich auch nicht behauptet«, erwiderte er giftig. »Aber wenn ich die Instrumente auf dieses Ereignis gerichtet hätte, wenn ich gewusst hätte, was ihr vorhabt …«

»Ich habe es dir nicht vorenthalten. Es war klar, dass wir die Basis bombardieren müssen, und wir haben dazu nur ein einziges Mittel an der Hand.«

»Ich dachte, du wolltest einen umfassenden Tiefscan der gesamten Planetenkruste, Frank.«

»Daran bin ich nach wie vor sehr interessiert. Wir haben Grund zu der Annahme, dass dies nicht die einzige Basis war, wenn auch, vermutlich, die bedeutendste.«

»Wir können dir die Daten hochgeben«, versuchte Jennifer zu schlichten. »Wir gleichen die Rechner der Enthymesis mit der Marquis de Laplace ab. Wenn du die exakten Koordinaten, den Zeitpunkt und die Stärke der Sprengung hast, müsstest du trotzdem etwas damit anfangen können.«

»Wir werden es versuchen.« Ihr gegenüber gab er sich gleich wesentlich konzilianter. Das war schon immer so gewesen, aber ich regte mich nicht mehr darüber auf.

»Wie sieht es sonst bei euch aus?«, fragte ich. »Ist die Lage im Orbit jetzt bereinigt?«

»Die Gefangenen werden zur Stunde ins Kleine Drohnendeck gebracht.«

»Habt ihr wirklich nichts Dringenderes zu tun?«

»Es gibt so etwas wie ein Kriegsrecht, Frank.«

Ich seufzte.

»Ihre Schiffe waren doch manövrierunfähig«, fuhr Reynolds fort. »Die meisten brannten und sie drohten in die Atmosphäre zu stürzen.«

»Ist ja schon gut.« Ich hatte Jennifers drohenden Blick aufgefangen. »Auf die Gefahr, mich zu wiederholen: Es wäre eine enorme Erleichterung, die übrigen Basen zu orten und mit Antimaterieclustern zu belegen. Und dann würden die Truppen in dieser Stadt sich über jede Form der Unterstützung freuen.«

»Wir sind so gut wie bei euch«, sagte Reynolds auf der Brücke der Marquis de Laplace.

»Das wäre sehr schön. Norton Ende.«

Jennifer sah mich tadelnd an, während der WO und die beiden Piloten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnten.

»Hier unten müssen wir uns von den Bastarden zusammenschießen lassen und er hat nichts Eiligeres zu tun, als ihnen Tee und belegte Brötchen zu bringen.«

»Wir stehen unter spezieller Beobachtung«, sagte Jennifer, »unser Verhalten in diesem Konflikt wird von den übrigen Völkern unserer Einflusssphäre ganz genau betrachtet werden.«

»Unser Verhalten«, grollte ich. »Und die Laya? Angriffe auf Verwundete und Sanitätsstationen? Nach allem, was wir wissen, machen sie überhaupt keine Gefangenen!«

»Wir haben sie angegriffen und sind dabei, ihren Planeten zu besetzen.«

»Sie haben der Union den Krieg erklärt.«

»Sie haben ihren Austritt erklärt, das ist ihr gutes Recht.«

»Sie haben Musan besetzt und sämtliche Einrichtungen der Union gestürmt, Diplomaten ermordet, Zivilisten verschleppt.«

»Je härter wir zuschlagen, umso mehr Sympathien kostet uns das bei den anderen Völkern.«

»Wenn wir sie gehen lassen, erklären morgen alle anderen ihren Austritt.« Ich musterte sie fassungslos. Früher hätte ich gedacht, sie wolle mich nur provozieren. Aber so viel Energie hatte sie im Augenblick nicht mehr.

»Und wäre das so schlimm?«, sagte sie leise.

»Es war deine Linie«, rief ich. »Hart durchgreifen, ein Exempel statuieren! Trügt meine Erinnerung oder warst das nicht du, die mit Rogers immer die schönsten Aufmarschpläne ausgearbeitet hat?«

»Wir sehen ja, wohin uns das alles führt.«

»Sollen wir abziehen?«

»Natürlich nicht.« Sie sah mich unendlich müde und traurig an. »Wir haben schon zu viel Blut in diese Sache investiert.«

»Dann lass sie uns zu Ende bringen.«

Jennifer nickte, erwiderte aber nichts mehr. Auch die Mienen meiner Crew waren nachdenklich geworden.

Was taten wir hier? Den Völkern der Galaxis die Segnungen der Zivilisation bringen! Und wenn sie sie nicht wollten, drängten wir sie ihnen eben mit Waffengewalt auf.

»Es ist nicht der rechte Augenblick für Grundsatzdiskussionen«, sagte ich versöhnlich. »Lass uns das hier durchstehen, dann finden wir vielleicht ein wenig Muße.«

»Dieser Augenblick kommt nie.« Ihr Lächeln zeigte an, dass sie mein Angebot des Einlenkens annahm.

»Wir müssen zu Rogers«, sagte ich.

Die Enthymesis ging auf der Independence Plaza nieder. Als sei sie die natürliche Verlängerung des Sockels, stand sie vor dem mächtigen Portal der Nationalbank und schirmte es durch ihre wuchtige Masse ab. Ich übergab die Brücke wieder an die Crew, die bis auf Weiteres hier auf Bereitschaft bleiben musste. Die Männer hatten einen guten Einstand gegeben. Wenn das mal keine Feuertaufe war!

Im Elevator der mittleren Steuerbordstelze fuhren wir nach unten. Auf ihrem Display checkte Jennifer die Lage. In unmittelbarer Umgebung war alles ruhig. Wie stiegen aus der Kanzel und traten, unter dem Bauch unseres Schiffes, auf den riesigen Platz hinaus. Die Morgensonne kam auf der Ostseite über die Häuser und beschien die Fassaden der Westseite. Tauben und Möwen patrouillierten über der kilometerweiten Fläche. Der Schatten des mit Abstand höchsten Gebäudes der Stadt wies als riesiger schwarzer Balken direkt nach Westen. Trügerischer Frieden lag über diesem Herzen Pura Citys. Allein das Tageslicht linderte den Albtraum, in dem wir seit unserer Landung befangen gewesen waren. Aber noch war es nicht vorbei.

Geduckt liefen wir unter dem Schiff hindurch, an den Vorpostenstellungen vorbei, die hinter ihren Verhauen aus Schrott und heruntergebrochenen Betonteilen hervorlugten und grinsend salutierten. Wir vergewisserten uns, dass unsere IDs noch intakt waren. Dann schritten wir durch den Energievorhang in die Lobby der Nationalbank.

Man hatte die ärgste Schweinerei beseitigt, die durch den Bombenanschlag entstanden war. Das improvisierte Lazarett machte einen halbwegs ordentlichen Eindruck. In der ganzen Halle herrschte Kommen und Gehen. Ständig fluteten weitere Soldaten aus den umliegenden Straßenzügen herein: Veteranen des Häuserkampfs oder Stabsmitarbeiter, Spezialkräfte oder ganz normale Infanteristen. Die meisten waren zu Tode erschöpft. Aber ich konnte auch Erleichterung in den Gesichtern lesen. Unser Angriff auf die Basis, dicht vor den Toren der Stadt, hatte überall Druck von der ringförmigen Front genommen und das Risiko weiterer Luftangriffe minimiert. Die Männer, die verwundet oder einfach am Ende ihrer Kräfte waren, begaben sich zu Doktor Draeger und seinen Mitarbeitern. Sie wurden versorgt, dann suchten sie sich ein ruhiges Plätzchen, um sich auszuruhen. Inzwischen waren auch die Basements, die mehrere Ebenen tief unter die Lobby hinabreichten, mit hunderten unserer Leute belegt.

Die Soldaten, die noch überschüssige Kräfte in sich spürten, kehrten auf den Platz zurück und lösten ihre Kameraden ab. Oder sie aktivierten die Agrav-Generatoren ihrer Anzüge und schwebten in den Elevatorschächten nach oben, um die Flugabwehrgeschütze zu bemannen und die Stabilisierungsarbeiten zu unterstützen. Die obere Hälfte des Turmes war leicht eingeknickt. Ein Ingenieursteam war dabei, sich die Sache anzusehen.

»Schöne Aktion.« General Rogers war nach wie vor in seinem Element. »Ich werde euch für den Großen Stern vorschlagen.«

»Den haben wir schon.« Jennifer stiefelte knurrend an ihm vorbei. Sie ließ sich in eines der angesengten Sofas fallen, die am Rand der Lobby ungeordnet beieinanderstanden, und winkte eine Ordonnanz herbei, die ihr etwas zu trinken brachte.

»Wie sieht es hier aus?«, fragte ich.

»Gar nicht schlecht.« Der Held von Persephone strahlte mich unternehmungslustig an. »Wir konsolidieren uns.«

»Soll das heißen, dass unser Rückzug langsamer wird?«

»Pah, Rückzug. Wir haben die Front überall zum Stehen gebracht. Es sieht so aus, als ob die Aktionen der Laya an Koordination und innerem Zusammenhalt verlieren.«

»Die Unterwasserstation war auch ihre Zentrale«, sagte ich.

»Kann schon sein.« Er grinste. »Jedenfalls sieht es nicht mehr ganz so beschissen aus wie vor deinem beherzten Zuschlagen.« Er senkte die Stimme und warf einen skeptischen Blick in Richtung Jennifer. »Ist sie okay?«

»Es geht so.« Ich sah nicht ein, weshalb ich die Situation beschönigen sollte. »Sie ist ausgebrannt.«

»Wegen der alten Sache?«

»Ich weiß nicht, wie lange sie sich noch unter Kontrolle hat.«

»Keiner von uns hat Lust, länger als unbedingt nötig hier herumzusitzen.«

»Ich habe mit Reynolds gesprochen.«

»Wir haben es mit angehört.« Rogers verbreiterte sein Grinsen. »Von einem wie ihm hätte ich mehr Verständnis erwartet. Aber das ist das alte Lied mit den Etappenschweinen. Wenn einem selber nicht die Brocken um die Ohren fliegen, verliert man jeden Sinn für die Schönheiten des Lebens.«

»Ich rufe gleich noch mal hoch.«

»Nein lass.« Er griff selbst zu einem Handkommunikator und aktivierte das Symbol der Marquis de Laplace. »Hier spricht Pura City«, sagte er, als die Anzeige auf Grün gegangen war. »Ich hoffe, Ihre wissenschaftliche Tüftelei zeitigt demnächst Ergebnisse.«

»Hier Reynolds«, war Johns Stimme zu hören. »Wir haben’s gleich. Wir haben die Daten der Enthymesis durch den Rechner gejagt und sie mit alten Karten des Planeten abgeglichen. Im Augenblick können wir etwa ein Dutzend auffällige Strukturen erkennen, bei denen es sich um submarine Bauten handeln könnte. Unsere Satelliten sind jetzt auch auf Position, sodass wir …«

Rogers hatte das Gerät am ausgestreckten Arm in die Luft gehalten und Reynolds näselnde Art zu sprechen nachgeäfft. Wie seit eh und je waren die Durchsagen meines früheren WOs wahre Geduldsproben.

»Nehmen Sie die dicksten Kaliber, die Sie haben, und jagen Sie sie in alles, was auch nur irgendwie verdächtig aussieht.«

»Ich weiß nicht«, stammelte Reynolds, vierhundert Kilometer über unseren Köpfen.

»Das ist ein Befehl!«, sagte Rogers knapp. »Nehmen Sie die Einschläge mit den seismischen Detektoren an Bord der Einstein-Satelliten auf. Das liefert ein Bild, das an Klarheit und Schärfe nichts zu wünschen übrig lässt. Und wenn sich darauf weitere auffällige Strukturen zeigen, möchte ich, dass Sie sie ebenfalls bombardieren.«

»Aye!«

Ich kannte Reynolds wahrlich lange genug, um den gequälten Unterton herauszuhören. Er musste sich diese Meldung abtrotzen. Rogers und er waren sich nie ganz grün gewesen. Der alte Schlachtenlenker verachtete den Theoretiker, auch wenn der genialste Wissenschafter, der je auf einem Schiff der Union Dienst getan hatte, ihm einige grandiose Waffen für sein Arsenal geliefert hatte, und diese Verachtung beruhte auf Gegenseitigkeit, sah Reynolds in Rogers doch nicht ganz zu Unrecht nur den Militär, der bei jeder Entdeckung und Erfindung einzig darauf sah, was für eine Nutzanwendung sie für seine Truppe hatte.

»Des Weiteren …«, fuhr der General im Ton eines Diktates fort.

»Moment bitte.« Reynolds schien abgelenkt.

Ich holte mir den Kanal auf mein eigenes Display und schaltete auf Holostream. Unser Satellitennetz war jetzt über dem Planeten etabliert, sodass wir wieder auf vernünftigen Breitbandverbindungen kommunizieren konnten. Ich erkannte John Reynolds, wie er leibte und lebte. Er starrte in die Miene eines Adjutanten, der ihm atemlos und stotternd Meldung machte. Der Mann sprach zu leise, als dass ich seine Worte verstanden hätte. Aber Reynolds’ entgeisterte Miene besagte nichts Gutes.

»Was ist los?«, fragte Rogers.

»Moment noch!« Auf der Brücke der Marquis de Laplace steckten Reynolds und der Adjutant die Köpfe zusammen.

Inzwischen war auch Jennifer aufmerksam geworden. Sie kam leichtfüßig herbeigelaufen. Von ein paar Schlucken Apfel-Mango-Tee vollkommen remontiert. Man konnte meinen, sie sei wieder erholt, höchstens noch ein wenig übermüdet.

»Da oben stimmt irgendwas nicht«, sagte sie.

»Reynolds«, rief General Rogers in die Übertragung. »Ich will, dass Sie alles, was Sie an Shuttles, Drohnen und Planetenfähren im Kleinen Drohnendeck haben, mit Männern und Material füllen und hier runterschaffen. Meines Wissens müssten Sie auch noch die Endeavour haben. Die Crew soll sich bereithalten …«

Reynolds reagierte gar nicht. Die Art, wie er Rogers’ unmissverständlichen Kommandeurston ignorierte, ließ mich nervös werden.

»Wir haben hier gerade ein kleines Problem«, brachte er endlich heraus.

»Was denn für ein Problem?«, brüllte Rogers.

»Die Laya.« Reynolds wand sich.

»Was ist mit ihnen?«

»Wir haben die Gefangenen ins Kleine Drohnendeck gebracht«, sagte mein Stellvertreter auf der Marquis de Laplace. »Wie es aussieht, haben sie gemeutert und …«

»Gemeutert?« Rogers stand kurz vor einem seiner gefürchteten cholerischen Ausbrüche.

»Sie haben die Wachen überwältigt und halten sich mit ihnen verschanzt.«

»Im Drohnendeck?« Ich machte Rogers ein Zeichen, mich mit Reynolds sprechen zu lassen. Die Marquis de Laplace war mein Schiff. Alles, was dort oben vorging, betraf mich zuerst.

»Sie waren natürlich entwaffnet. Den genauen Hergang kann ich dir nicht sagen, Frank.« Reynolds schien froh zu sein, dass er jetzt wieder mich als Ansprechpartner hatte. »Sie haben einige unserer Leute getötet, die übrigen halten sie als Geiseln.«

»Wie viele sind es?«

»Gefangene? Mehrere hundert.«

»Okay«, sagte ich. »Das ist nicht allzu viel. Lass die Durchgänge zu den anderen Segmenten bewachen und schalte ein Lähmfeld auf das Deck, bevor sie sich der Schiffe dort bemächtigen.«

»Bereits geschehen.«

»Haltet sie hin«, fuhr ich fort. »Versucht auf alle Fälle, die Cluster auszulösen und die Basen zu bombardieren. Das verschafft uns hier unten Luft. Und dann …«

Die Übertragung war weg! Mitten im Satz war der Kanal zusammengebrochen. Wir hatten den Kontakt zum Mutterschiff verloren.

»Wer hatte eigentlich diese elende Idee mit den Gefangenen?«, fluchte General Rogers vor sich hin.

»Ein Gebot der Menschlichkeit«, versetzte Jennifer schlicht.

»Schon mal was vom trojanischen Pferd gehört?«

»Das bringt uns jetzt alles nicht weiter«, sagte ich. »Zuerst müssen wir wissen, was da oben los ist.«

»Sie übernehmen die Marquis de Laplace«, knurrte Rogers. »Und dann veranstalten sie ein Preisschießen!«

»So weit wird es nicht kommen«, erklärte Jennifer fest.

Auch ich wunderte mich, dass der General unter die Schwarzseher gegangen war.

In diesem Augenblick wurde Luftalarm gegeben. Mehrere Maschinen waren von Süden und Westen her im Anflug. Es war gut denkbar, dass die Laya unseren Funkverkehr abhörten und Fakten zu schaffen versuchten, solange wir unsere Überlegenheit im Orbit nicht entfalten konnten.

General Tariq tobte wie ein Irrer in seinem improvisierten Verschlag aus aufeinandergestapelten Sofas und umgestürzten Tischen herum, um seine Luftabwehr zu koordinieren. Auf dem Platz und hoch oben, auf den Simsen des Bankenturmes, begannen die Geschütze zu arbeiten. Wir standen da und konnten nichts machen. Wenn die Jagdbomber es schafften, einen ihrer Torpedos in die Trägerkonstruktion zu platzieren, waren wir Geschichte.

Der Boden bebte unter dem Wummern der schweren Abschüsse. Durch die offen stehenden Elevatorschächte hallte ein unangenehmes Orgeln und Dröhnen. Die Enthymesis mischte sich unaufgefordert ebenfalls ein und gab dem Turm aus ihrer Zwillingskanone Feuerschutz. Eine Aerosolbombe entfaltet ihren mächtigen Feuerball auf der Terrasse der 190. Etage. Der Turm knirschte in den Grundfesten. Zum Glück waren die Fensterfronten und die nichttragenden Innenwände längst herausgesprengt oder weggebrannt, sodass das Bauwerk der Druckwelle kaum noch Widerstand entgegensetzte. Ein Torpedo verfehlte sein Ziel, ein anderer wurde kurz vor dem Einschlag von der Luftabwehr zur Strecke gebracht. Die Feindmaschinen drehten ab. Eine wurde noch abgeschossen. Eine zweite wurde von zwei Scythern gejagt. Wie schon einmal während der Nacht tauchten die Wesen aus dem Nichts auf, hetzten einen gegnerischen Bomber im Tiefflug ein paar Straßenzüge weit durch die Stadt und erlegten ihn mit gezielten Salven. Dann verschwanden sie wieder. Wie viele mochten es sein? Im Orbit musste ein ganzes Geschwader, ein ganzes Volk von ihnen sein. Wie kamen sie hier herunter? Wir wussten es nicht, denn wir konnten nicht mit ihnen kommunizieren. Jennifer hätte es vermocht, aber auch sie brachte zur Stunde nicht mehr die nötige mentale Kraft und Konzentration auf. Sie waren wie Raubtiere, die sich auf alles stürzten, was sich in ihrem Revier bewegte. Aber es schien unmöglich, sie zu strategisch sinnvollen Aktionen einzusetzen.

Ich tauschte einen Blick mit Jennifer. Sie schien ungefähr das Gleiche zu denken wie ich auch.

Dann wurde unsere Aufmerksamkeit wieder von den Ereignissen auf der Marquis de Laplace beansprucht. Als die Übertragung wieder kam, sahen wir sofort, dass sie nichts Gutes verhieß. Alle Symbole glühten rot. Feuer! Explosionen! Die Anforderungen für Sanitätspersonal und Kräfte zur Brandbekämpfung waren aktiv, als ob wir von hier unten aus etwas hätten unternehmen können. Die Feuerlöschdrohnen wurden angefordert, aber Reynolds hatte in der Zwischenzeit eine Sperre über sämtliche Shuttles, Bots und das sonstige Kroppzeug verhängt, das sich auf dem Kleinen Drohnendeck befand. Die KI, die das überwachte, war nicht autorisiert, eigenständig zu entscheiden, ob auch ein Brandschutzroboter unter das Profil fiel.

»Was ist da bei euch los?«, brüllten wir drei beinahe gleichzeitig.

Die Übertragung aktivierte Fenster und klappte sie wieder ein. Es war die Karikatur eines Action-Holos. Irgendwo war John Reynolds zu sehen, der mit offenem Mund auf ein Display starrte. Dann war er wieder weg.

»Es hat eine Explosion gegeben«, sagte Jennifer, die ihr eigenes Breitbanddisplay entrollte. »Und zwar …«

»Die Laya haben die Verbindung zwischen Segment VI und VII gesprengt«, hörten wir Reynolds’ Stimme, ohne ihn zu sehen.

»Was soll das heißen: gesprengt?« Ich war fassungslos.

»Gesprengt«, sagte er schlicht. Jetzt konnten wir ihn auch wieder erkennen. »Das Schiff bricht auseinander.«

»Was zur Hölle?!« Rogers zerrte so hektisch an Jennifers Unterarmmanschette, die das Statusholo projizierte, dass die Darstellung erlosch. Quälende Sekunden vergingen, bis der Stream sich wieder aufgebaut hatte.

»Die Marquis de Laplace ist manövrierunfähig«, gab mein Stellvertreter durch. »Wir haben den Kontakt zu den Segmenten VII bis XII verloren.«

Damit hatte die Brücke auch keine Kontrolle über den Reaktorblock und die Haupttriebwerke mehr.

»Oh mein Gott!« Ich konnte es nicht begreifen.

»Jetzt haben sie uns an den Eiern.« General Rogers war der grimmige Humor, mit dem er während der Nacht noch jeden Rückschlag kommentiert hatte, vergangen.

Meine Gedanken rasten den zwölf Kilometer langen Leib unseres Mutterschiffes entlang, das nun in der Mitte durchgebrochen war, ein zerknicktes Zepter. Die schweren Waffen – Antimateriecluster und Annihilatoren – befanden sich weiter vorne. Nicht auszudenken, wenn die Laya diese Kaliber unter ihre Kontrolle brachten. Die Endeavour, derzeit der einzige einsatzbereite Enthymesis-Explorer, war im Großen Drohnendeck geparkt. Aber allein im Kleinen Drohnendeck befanden sich einige hundert sekundäre Einheiten, von Lambda-Ionensonden über Shuttles und Fähren bis hin zu einem Geschwader schneller Jäger. Mit mehr als anderthalb Kilometern Länge war dieses Segment das größte der Marquis de Laplace. Ein Flugzeugträger von interstellarem Aktionsradius.

»John«, rief ich in die Übertragung. »Ihr müsst unbedingt verhindern, dass sie sich nach vorne kämpfen.«

Rogers nickte heftig. Es kam nicht oft vor, dass er jemandem zustimmte. Und wenn es geschah, brachte es automatisch ein mulmiges Gefühl mit sich.

»Wir haben ein Wachbataillon in die Durchgänge zu Segment V beordert.«

»Sehr gut. Sie dürfen auf keinen Fall in Richtung Großes Drohnendeck oder gar zur Brücke durchbrechen«, sagte ich. »Verstehst du? Auf keinen Fall!«

»Wir haben das im Griff, Frank«, sagte er mit einem Hauch von Ungehaltenheit.

»Das haben wir hier schon öfter gedacht«, erwiderte ich kühl. »Und die Situation entgleitet uns immer mehr.«

»Die Durchgänge sind gut zu verteidigen«, sagte Reynolds. »Sie haben auch nur leichte Waffen, die sie den Wachmannschaften …«

»Leichte Waffen?«, rief Rogers höhnisch. Er stand neben Jennifer und nahm den Blick nicht von den Livebildern. »Sie montieren gerade die Geschütze von den Jägern!«

Dann hatten wir in der Tat ein Problem!

Auf dem interaktiven Breitbanddisplay sahen wir zu, wie die Laya in Windeseile mehrere der schweren Maserkanonen von unseren Abfangjägern lösten und auf Lafetten wuchteten. Wenn sie diese in die Tunnels zu den vorderen Segmenten fuhren, konnten sie sich damit den Weg freischießen.

»John«, sagte ich. »Wir müssen handeln.«

»Sie kommen damit nicht durch«, erwiderte er zögernd.

»Das Risiko können wir nicht eingehen«, rief ich. »Unorthodoxe Maßnahmen!«

»Was schlägst du vor?«

Ich wechselte einen Blick mit Rogers, der sich mit dem Daumen unter der Kehle durchfuhr.

»Abkoppeln«, sagte ich.

Reynolds starrte in die Übertragung. Er presste die Lippen aufeinander. Dann nickte er.

»Segmentkupplung zwischen Segmenten V und VI lösen«, rief er seinen Adjutanten zu.

»Beeilt euch«, sagte ich noch. »Und wenn ihr freikommt, geht ein paar Kilometer auf Distanz!«

Die Waffen im Kleinen Drohnendeck waren nicht sehr weitreichend. Bordkanonen von schnellen Jägern und andere Geschütze. Allerdings gab es ein Problem. Die vorderen Segmente verfügten nur über Steuer- und Korrekturdüsen, nicht über eigene Antriebe.

»Ihr könnt ein paar Lambdas an die Segmentkupplung flanschen und als Booster verwenden«, sagte ich. »Schlimmstenfalls müsst ihr die Endeavour ausbooten und als Hilfstriebwerk einsetzen – wie schon einmal.«

»Erinnere mich nicht daran«, lächelte er flau.

Er gab seinem Stab ein paar Anweisungen.

»Und John?«

»Frank?«

»Die Cluster!«

»Gehen in dieser Minute raus.«

»Danke.« Ich war froh, nicht in seiner Haut zu stecken. »Wenn alles über die Bühne ist, erwarte ich deine Meldung.«

Der Kanal erlosch. Wir standen da und sahen uns an. Die Aktion, die eine Demonstration unserer Überlegenheit werden sollte, drohte in einem völligen Desaster zu enden.

»Da wird das Herz noch gewogen«, lachte General Rogers.

»Schöne Scheiße«, brummte ich.

»Du kriegst dein Schiff schon wieder.« Jennifer strich mir mit der flachen Hand über die Wange.

General Tariq kam von seinem improvisierten Befehlsstand angestiefelt.

»Was ist nun mit der Luftunterstützung?«, fragte er. »Meine Leute brauchen dringend Entlastung.«

»Es ist eine kleine Verzögerung eingetreten«, sagte ich.

Wir brachten ihn auf den neuesten Stand.

»Wenn ich gewusst hätte, dass dieser Einsatz von solchen strategischen Genies geplant wird, hätte ich mich krankgemeldet.«

»Sie können sich krankmelden, wenn das hier ausgefochten ist«, knurrte Rogers gutmütig.

»Mir ist nicht nach Scherzen zumute«, sagte der hochgewachsene Berufssoldat.

»Das war kein Scherz.«

»Die Lage ist auch hier unten alles andere als bereinigt. Wir konnten zwar den Vormarsch der Laya zum Stehen bringen und den Verteidigungsring um die Plaza stabilisieren, aber der Feind hat Scharfschützen auf einige Gebäude am Süd- und Westrand des Platzes gebracht.« Tariq sah uns finster an. »Das heißt: Er kontrolliert den Platz!«

»Im Turm sind wir sicher.« Rogers hob die Schultern.

»Solange er nicht über uns zusammenbricht.«

»Was sagen Ihre Ingenieure.«

»Sie können etwas improvisieren.«

»Das ist ihr Job.«

»Aber sie brauchen Energie.«

»Was haben sie vor?«

»Sie können die Elevatorschächte nutzen, um dem Turm ein zweites Skelett aus Feldkräften einzuziehen. Wir versteifen die Schächte durch Säulen aus künstlicher Gravitation.«

»Klingt gut«, schaltete ich mich ein.

»Ja«, gab er in ätzendem Sarkasmus zurück. »Die Idee ist gut. Aber zu ihrer Realisierung brauchen wir ein ganzes Kraftwerk. Die Generatoren würden so viel Saft fressen, wie ein kompletter Meiler ausspuckt.«

»Wie viel?«, fragte Jennifer.

»Viel.«

»Damit kann ich nichts anfangen.«

»Sagen Sie Ihren Leuten, Sie sollen eine Berechnung anstellen«, versetzte sie. »Dann können wir sehen, was wir für Sie tun können.«

»Was hast du vor?«, fragte ich

»Wir haben ja noch immer die Enthymesis«, erklärte sie. »Ihr Hauptreaktor liefert genug Energie, um eine Stadt zu versorgen. Man sollte auch ein paar Feldgeneratoren damit betreiben können.«

»Könnte klappen«, sagte ich. »Aber wir büßen an Bewegungsfreiheit ein. Die Enthymesis ist unser einziger Trumpf, falls hier unten doch noch etwas anbrennt.«

»Wenn wir die Basen bombardieren und uneingeschränkte Lufthoheit haben, wird hier nichts mehr anbrennen«, warf General Rogers ein.

»Auf Ihre Prognosen gebe ich ja nun nichts mehr«, knurrte Tariq. Dann wandte er sich an Jennifer: »Fünf Minuten!«

Ich nickte ihm zu. Er marschierte wieder zu seinem Stab zurück. Ich rief die Brücke der Enthymesis und ließ sie die Übertragung vorbereiten. In der Lobby stehend, nahmen wir das riesige Schiff gar nicht wahr, da wir unter seinem Bauch und zwischen seinen Stelzen hindurch auf den Platz sahen. Ich hatte die Statusangaben auf meinem Display. Der Reaktor war warm. Ich hatte die Crew angewiesen, die Systeme nicht herunterzufahren, sondern volle Einsatzbereitschaft zu wahren. Wenn es wieder Alarm gab, mussten wir in Sekunden in der Luft sein.

Jetzt sahen wir zu, wie ein dickes Hochspannungskabel an der Bauchseite zum Vorschein kam. Als bilde die Enthymesis eine Nabelschnur aus. Das Kabel berührte den Boden. Ein paar Soldaten liefen durch den Energievorhang nach draußen, um es einzubringen. Dann zerrten sie es quer durch die Halle zu den Nischen der Elevatoren. Dort war der Pioniertrupp aus Ingenieuren, Technikern und Bots damit beschäftigt, die Feldgeneratoren auszurichten. Einige Minuten später ragten fünf Meter dicke blau schimmernde Stränge aus purer Energie in die dreihundert Stockwerke hohen Schächte hinauf. Das Gebäude hatte eine zweite Trägerkonstruktion aus Antigravitation bekommen.

Keine Sekunde zu früh. Rollende Erschütterungen kündeten davon, dass die Marquis de Laplace endlich damit begonnen hatte, die übrigen Unterseebasen der Laya zu bombardieren. Aus dem Orbit belegte das in zwei Hälften zerbrochene Schiff die submarinen Hangars mit schweren Antimaterieclustern. Die Impakte waren gewaltig. Jeder Einschlag hatte die Wucht einer Atombombe. Zum Glück befanden sich nur wenige in unmittelbarer Nähe die Stadt. Die meisten waren weiter draußen, tausende von Kilometern entfernt. Sie zogen sich, dem Äquator folgend, einmal um den Planeten herum. Das dichte Netz hochsensibler Satelliten, das Reynolds in den letzten Stunden ausgebracht hatte, vermaß die Schwingungen und Wellen, die nach jeder Detonation den Schalenbau der Welt Sin Pur durchliefen. Das lieferte neue Daten. Die Kartografie des Planeteninneren wurde nachgeführt und verfeinert. Weitere Anomalien tauchten auf. Künstliche Strukturen, die teilweise mehrere hundert Meter tief in den Meeresboden eingebunkert waren. Die Marquis de Laplace bombardierte auch sie in einer zweiten, noch schwereren Welle. Dann konnten wir sicher sein, diese Gefahrenquelle ausgeschaltet zu haben. Das System submariner Basen und Rückzugsräume, das noch auf die Sineser zurückging, existierte nicht mehr.

Kampf mit den Tloxi

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