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Der Chronist

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Die Geschichte ist eine Geschichte der Menschen. Der Satz ist möglicherweise nicht ganz so trivial, wie er zunächst klingt. Die Natur hat ebenso wenig eine Geschichte wie ein Robotvolk, das in eisiger Konsequenz seine clandestinen Projekte verfolgt. Geschichte gibt es nur dort, wo es ein Bewusstsein von Geschichte gibt, und ein solches hat, soweit wir wissen, nur der Mensch. Menschen aber sind keine konstanten Wesenheiten. Sie leben in der Zeit und verändern sich in der Zeit. Sie ändern ihre Ansichten und ihre Motivationen. Sie altern, werden krank und sterben. Sie machen Fehler und scheitern. Sie haben Erben, denen sie etwas hinterlassen wollen – oder auch nicht. Sie werden müde und resignieren oder sie verrennen sich in etwas, das einem Außenstehenden kaum nachvollziehbar ist. Manchmal büßen sie ihre Zurechnungsfähigkeit ein, verlieren den Verstand, werden wahnsinnig.

Die Geschichte des römischen Imperiums ist nicht denkbar ohne den Caesarenwahnsinn. Ein Nero, ein Caligula scheinen typisch für das Kaiserreich. Schon der Alexander der babylonischen Episode ist davon nicht frei. Und war Napoleon zurechnungsfähig, als er seine Grande Armee gen Russland hetzte?

Menschen haben Schwächen und fixe Ideen, Idiosynkrasien und irrationale Antriebe, die ihnen selbst nicht durchsichtig sind. Sie werden Opfer von Verfolgungswahn und Paranoia. Nicht selten fallen sie auf ihre eigenen Ideologien und notdürftig zusammengeschusterten Weltanschauungen herein. All das treibt die Geschichte an. Aber die Individuen, die durch Geburt oder Ehrgeiz herausgehoben werden, scheinen besonders anfällig. Wenn einer einen Hebelarm in die Hand bekommt, mit dem er über das Schicksal von Millionen entscheiden kann, wirkt sich auch seine Persönlichkeit mit millionenfacher Hebelwirkung aus, im Guten wie im Bösen, sein Charisma und sein Spleen. Dann kann einer, dem man im gewöhnlichen Verkehr den Vogel zeigen würde, Völker und ganze Kontinente ins Verderben reißen.

Es gab Versuche, Geschichte vorherzusagen, durch vergleichende Morphologie oder durch die intelligente Statistik der Psychohistorie. Aber Verfahren dieser Art greifen nur im großen Fokus, bei großen Zahlen. Sie liefern Aussagen über große Menschenmassen und ihre Drift in großen Zeiträumen. Doch die Stochastik sagt nichts über den Einzelfall, und der Einzelfall ist dort zu berücksichtigen, wo der eine Feldherr, Reichskanzler oder Diktator so einflussreich wird, dass er die Millionen mit sich zieht. So etwas wird auf ewig unvorhersehbar sein. Selbst im Nachhinein ist es schwer zu erklären. Es lässt sich nur dadurch begründen, dass der Mensch ein Animal non rationale ist, Vernunftgründen und Einsichten gegenüber harthörig, verstockt und taub, allen Arten von Einflüsterungen, Spekulationen und Spintisierereien jedoch offen und hingegeben bis zur Selbstaufopferung. Warum das so ist, brauchen wir hier nicht zu erklären. Es genügt die Einsicht, dass es so ist. Die Geschichte ist eine Geschichte des Wahns, ob dieser nun Religion, Ideologie oder ganz nüchtern Machtrausch heiße.

Kampf mit den Tloxi

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