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02 SELBSTSTÄNDIG – UNABHÄNGIG – FREI

Was ist mit Schicksal, Führung oder Bestimmung?

KLAUS POPA

Ein neugeborenes Baby lebt in ständiger Abhängigkeit. Es ist darauf angewiesen, dass seine Eltern sich darum kümmern.

Als kleines Kind konnte ich meine Bedürfnisse und Wünsche kaum selbst erfüllen. Was habe ich dann gemacht? Ich weinte und schrie, wartete und hoffte, dass meine Eltern mir das gaben, was ich brauchte oder wollte.

Wenn man sich als Kind etwas wünscht, z. B. ein Fahrrad, bekommt man es entweder zum Geburtstag, zu Weihnachten, ein Jahr später oder gar nicht. Ab einem bestimmten Alter kann man sich den Wunsch nach einem Fahrrad vielleicht auch selbst erfüllen. Man gibt nicht mehr das gesamte Taschengeld aus, trägt Zeitungen aus oder wäscht Autos von Verwandten und Nachbarn. Irgendwann hat man das Geld zusammen, geht in ein Geschäft und kauft sich das Fahrrad – und später als Jugendlicher den Laptop oder das iPhone. Man ist nicht mehr auf Andere angewiesen; man muss nicht warten, sondern kann selbst handeln. Das sind erhabene Augenblicke.

Zutiefst befreiend …

Das Leben selbst in die Hand zu nehmen ist befreiend. Was war das für ein Gefühl der Unabhängigkeit, nachdem ich mein Studium beendet hatte und in meine erste Wohnung eingezogen war, abends in das eigene Auto einzusteigen, von der Arbeit nach Hause zu kommen und die Tür zur eigenen Wohnung aufzuschließen, oder am Monatsende das Gehalt auf mein Konto überwiesen zu bekommen.

Es ist in der Tat zutiefst befreiend, selbstständig zu sein. Man kann entscheiden, selbst bestimmen oder beeinflussen und gesteckte Ziele erreichen. Sein Leben auf die Reihe zu bekommen, heißt die Erfahrung zu machen: Hey, ich kann es schaffen. Ich kann mich auf mich selbst verlassen. Ein Bewusstsein des eigenen Selbst entsteht – man wird selbst-bewusst. Man entdeckt auch, wer man ist und was man kann. Man merkt, dass man durchaus die Fähigkeit und die Macht hat, Dinge im Leben zu bewältigen und sie gegebenenfalls zu verändern. Wenn man will, dass etwas geschieht, dann kann man es machen.

Solche Erfahrungen verleihen uns Stabilität und Stärke. Sie geben Menschen auch ein Gefühl von Freiheit, Sicherheit und Kontrolle. Es ist gut, selbst Verantwortung im Leben zu übernehmen und das Gelingen des eigenen Lebens nicht dem Zufall oder Anderen zu überlassen. Es ist gut, das Geld für das Fahrrad selbst zu erarbeiten. Das nennt man wohl erwachsen werden.

… aber auch erschreckend

Es ist aber auch erschreckend, wenn das eigene Leben nur von einem selbst abhängt. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass man allein nicht immer alles schaffen kann. Jeder, der schon einmal umgezogen ist, weiß, dass ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine sich schwer allein aus dem vierten Stock heruntertragen lässt. Um etwas Größeres zu bewältigen, braucht man andere Menschen. Ist man allein, bleibt das, was man nicht erledigen kann, einfach liegen. Was man selbst nicht hinbekommt, wird eben nicht getan.

Außerdem sieht und versteht der Einzelne längst nicht alles. Vieles, was mich betrifft, kann ich z. B. selbst nicht wahrnehmen; Möglichkeiten, Chancen und Grenzen der eigenen Entwicklung sind einem oftmals verborgen. Man braucht den Blick der Anderen. Wir brauchen andere Menschen und Andere brauchen uns – wir brauchen einander. Also doch nicht ganz unabhängig?

Einzelkämpfer

Vor nicht allzu langer Zeit bin ich innerhalb von drei Jahren viermal umgezogen, drei der Umzüge jeweils in ein anderes Land. Das häufige Wechseln von Wohnort und Umgebung ist heute etwas Normales. Für viele bedeutet es ein weiteres Praktikum in einer neuen Firma, das nächste Volontariat an einem anderen Ort, ein Auslandssemester, ein neuer Job, eine neue Stadt oder gar ein anderes Land.

Beim vierten Umzug war meine Euphorie über die Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und die vielen Möglichkeiten ziemlich verflogen. Ich merkte, dass es mich ermüdet hätte, ständig auf mich selbst gestellt zu sein. In der Fremde und an einem neuen Ort kann man sich oft nur auf sich selbst verlassen. Man kämpft immerzu allein und muss zwischen vielen Möglichkeiten wählen. Das erschöpft und lähmt – und manchmal überfordert es einen auch. Am meisten Kraft und Anstrengung hat mich aber gekostet, dass ich mich ständig neu zeigen bzw. verständlich machen musste. Ich musste deutlich machen, wer ich bin und was ich kann – nicht nur den Anderen, sondern auch mir selbst.

Fragen über Fragen

Wir leben in einer immer einmal wiederkehrenden Selbstbefragung: Wer bin ich? Was kann ich? Habe ich überhaupt etwas zu geben? Und ist man endlich an einem Ort oder in einer neuen Lebenssituation angekommen, lassen weitere Fragen nicht lange auf sich warten. Wie Meereswellen Sand abtragen, so erschüttern Fragen das Fundament unserer Entscheidungen. Bin ich überhaupt am richtigen Ort? Habe ich mich richtig entschieden? Hätte ich das Praktikum in der anderen Firma machen sollen? Wären meine Chancen im Berufsleben besser, wenn ich einen anderen Schwerpunkt im Studium gelegt hätte? Wenn ich jetzt diesen Job annehme, sitze ich hier dann nicht für die nächsten Jahre fest? Will ich denn das überhaupt? Solche Fragen verunsichern fundamental und rauben Kraft, Motivation und Freude.

Zutiefst einsam

Ausgelöst durch solche Fragen überkam mich an einem Abend in meinem Studentenzimmer in Amsterdam eine tiefe Einsamkeit. Die durch die Fragen heraufbeschworene Unsicherheit über meine Entscheidungen wurde durch das Alleinsein zusätzlich verstärkt. Damals verstand ich, dass ich als Mensch in meinen Entscheidungen und der Gestaltung meines Lebens einsam bin, zutiefst einsam. Letztendlich steht jeder Mensch wie auch ich mit seinen Entscheidungen allein da. Mir wurde – wie ich in einem Buch las – klar: „Menschlich gesehen liegt das Leben vor uns wie ein unbekannter Pfad. Es ist ein Weg, den jeder, soweit es um die letzten, tiefen Erfahrungen geht, für sich allein gehen muss. Unser innerstes Leben kann kein Anderer völlig mit uns teilen.“1

An dem Abend wurde ich mir meiner Sehnsucht nach einer Sicherheit bewusst, die nicht in mir, in meinen Entscheidungen und meinen Fähigkeiten ihren letzten Grund hat. Ich wünschte mir Gewissheit. Aber der Mensch kann sich eine letzte Sicherheit nicht selbst zusprechen. Sie muss von außen kommen. Außerdem sehnte ich mich nach Führung in meinen Entscheidungen. Mir wurde klar, dass völlige Unabhängigkeit scheinbar doch nicht in die Freiheit, sondern in die Unsicherheit führt.

Sicherheit in den letzten Dingen

Manche deuten diese Sehnsucht als Flucht vor der letzten Verantwortung oder als Unfähigkeit, die Unsicherheit und Einsamkeit des menschlichen Daseins zu ertragen. Meiner Erfahrung nach geht es nicht um eine fehlende Bereitschaft, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. An jenem Abend begriff ich aber, dass mein Herz immer unruhig bleiben wird – es sei denn, dass es in jemandem Ruhe findet, der uns Sicherheit gibt und uns führt.

Jemand, der für uns da ist

Wir sehnen uns nach jemandem, der in den Stunden der Einsamkeit und Unsicherheit für uns da ist. Unsere Schutzbedürftigkeit und die tiefe, existenzielle Einsamkeit können nicht von Menschen gestillt werden, auch wenn das heute in Filmen, Büchern und Zeitschriften immer wieder behauptet wird. Dies voneinander zu erwarten heißt, uns zu überfordern. Die Freundin oder der Freund, die Ehefrau oder der Ehemann, die Mutter oder der Vater, Freunde oder Arbeitskollegen, der Psychologe oder die Therapeutin können uns helfen, uns trösten, uns aufbauen und anderes mehr. Aber Sicherheit in den letzten Dingen – innere und endgültige Sicherheit – können Menschen uns nicht geben. Früher oder später müssen wir unseren eigenen Weg wählen, der über unser Geschick entscheidet – auch über unser ewiges. Spätestens dann sind wir auf uns selbst gestellt.

Der einzige Baumeister meines Lebens?

Spät in der Nacht ging ich in die Küche und machte mir einen Tee. Durch das Küchenfenster betrachtete ich den Nachthimmel. Mir wurde klar, dass es mir um mehr als um Sicherheit und Führung von außen ging. Letztendlich sehnte ich mich nach einem Leben, das mehr ist als das Ergebnis meiner eigenen Überlegungen, Anstrengungen und Handlungen. Ich sehnte mich nach dem, was das Leben mir schenkt, ohne dass ich es beeinflusst hätte, nach dem, was ich nicht selbst kreiert und erschaffen hatte. Ich wollte nicht der einzige Baumeister meines Lebens sein. Ich merkte: Nicht das, was ich mir selbst erarbeitet hatte, erfüllte mich mit der tiefsten Freude, sondern die Dinge und Begegnungen, die mir das Leben ohne mein Zutun geschenkt hatte.

Ich glaube, dass wir uns alle nach Begegnungen sehnen, die wir nicht geplant und kalkuliert haben, sondern uns einfach passieren. Wir sehnen uns auch nach Chancen und Möglichkeiten, die wir uns nicht erarbeitet haben, sondern uns geschenkt werden. Wir sehnen uns nach einer Bedeutung, die nicht wir selbst uns gegeben haben, sondern uns von außen zugesprochen wird.

Wir wollen entdeckt werden

Der moderne Mensch sehnt sich nach Schicksal. Wir leben in einer von der Wissenschaft entzauberten Welt. Unser Leben scheint immer mehr lediglich das Resultat von berechenbaren kausalen Zusammenhängen in einem entseelten Zeit-Raum-Gefüge zu sein. Schicksal, Abenteuer und Bedeutung gibt es scheinbar nur noch im Kino, in Computerspielen oder in Freizeitparks, aber nicht mehr im realen Leben. Wir sehnen uns danach, entdeckt zu werden. Die unzähligen Castingshows im Fernsehen sind ein Beispiel für den Wunsch Tausender, jemand Besonderes zu sein. Sie alle wollen ihre Chance auf Ruhm, Ehre und Einzigartigkeit bekommen.

Unsere Sehnsucht geht aber über ein unpersönliches Schicksal hinaus. Wir wollen gesehen werden. Der Schlüsselsatz im Film „Avatar“ lautet: „Ich sehe dich“. Wir sehnen uns danach, gesehen zu werden, das heißt angenommen und geliebt zu werden – so wie wir sind. Und wir sehnen uns nach einem guten Vater, der uns in der Unsicherheit und Einsamkeit unserer Entscheidungen zur Seite steht. Verantwortung übernehmen, unabhängig sein, Selbstbewusstsein aufbauen, Sicherheit spüren – das ist eben doch nicht alles. Sich sein Fahrrad selbst zu erarbeiten macht einsam. Wir spüren diese Einsamkeit und sie macht uns traurig und unglücklich.

Ruhe finden in Gott

An jenem Abend las ich in der Bibel die Schöpfungsgeschichte. Eine Passage sprach mich besonders an: „Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich! … Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie …“ (1. Buch Mose 1,26 – 28 EB) Diese Geschichte öffnete mir eine Tür zu einer Welt, in der Sicherheit, Führung, Hilfe, Bedeutung, Chancen und Möglichkeiten letztendlich nicht aus dem Menschen kommen oder vom Zufall herrühren, sondern von einem liebenden Gott. Diese Zeilen trafen direkt meine Sehnsucht.

Kürzlich sprach ich mit einem Freund, der nicht an Gott glaubt, über diese Gedanken. Er machte eine lange Pause, dachte nach und sagte schließlich: „Weißt du, die wichtigste Frage an das Christentum wäre wohl: Hält es das, was es verspricht? Ist da wirklich ein Gott, der sich sorgt und sich kümmert, der führt und hilft, der beschützt und liebt?“ Ich habe innegehalten und nichts gesagt. Später dachte ich mir: Beweisen zu wollen, dass Gott da ist, wäre menschliche Anmaßung. Ihn zu erleben und zu erfahren, ist dem Menschen möglich. Es ist ein Vorrecht.

Wagen Sie es. Fragen Sie nach Gott. Suchen Sie ihn. Sie werden erleben, dass auch Ihr Herz in Gott Ruhe findet.

Fragen zum Nachdenken

1. „Das Leben selbst in die Hand zu nehmen ist befreiend.“ Woran liegt es, wenn ich das nicht oder nicht immer so empfinde?

2. Was hindert mich daran, Kontakt mit diesem Gott aufzunehmen, „der sich sorgt und sich kümmert, der führt und hilft, der beschützt und liebt“?

Zur Vertiefung

Steve Wohlberg: Von Hollywood zum Himmel. Wie Gott mich aus meiner Verlorenheit herausholte, Advent-Verlag, Lüneburg 2007, 168 Seiten, Best.-Nr. 1816

Elí Diez-Prida: Leben 2.0 – Neu starten, befreit leben, sicher ankommen, Advent-Verlag, Lüneburg 2010, 144 Seiten, Best.-Nr. 7715

Bezugsquellen siehe S. 168 oder www.adventist-media.de

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