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KAPITEL III

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Donnerstag 16.September

Karl war schon wieder ziemlich spät dran. Er wollte eigentlich etwas früher zu der Podiumsdiskussion gehen. Man trifft ja auf solchen Veranstaltung den ein oder anderen Kollegen von der Konkurrenz, den man schon länger nicht gesehen hat. Ein schönes kühles Pils, ein paar Häppchen und der neueste Klatsch aus den anderen Redaktionen. Der Chefredakteur hat nochmal kurzfristig eine Redaktionskonferenz im engeren Kreis einberufen, weil er die nächsten Tage einfach auf Nummer sicher gehen wollte. Müller nervte Karl wieder ungemein, er brachte ihm ganz wichtige Ratschläge für den Abend mit, als ob Karl nichts von seinem Job verstehen würde. Müller war wohl einfach eifersüchtig, dass nicht er vom Chef zu der Podiumsdiskussion geschickt wurde, schließlich war das Hauptthema ja die Wirtschaft. Karl war‘s so was von egal, er gab nicht einmal einen Kommentar zu Müllers Einlassungen ab. Er war darüber selbst ziemlich erstaunt. Der neue Job erzeugte eine unglaubliche Selbstsicherheit, die ihn über solche Sachen erhaben machte.

In der Eingangshalle des Velodrom angekommen, empfing ihn eine umherstehende Masse an allerhand B- und C-Promis aus der Stadt. Der Beginn verzögerte sich wohl, da einer der Podiumsgäste ganz wichtigen Staatsgeschäften verpflichtet war. Er schlenderte so langsam in den Innenraum. Holte sich vorher in der Presselounge die überlebenswichtige Grundausstattung ab, Bier und Häppchen. Plötzlich entdeckte er Michael Hofmann. Ein alter Kollege aus Volontariatszeiten. Michael war mittlerweile beim Fernsehen gelandet, das hier live von der Veranstaltung übertragen sollte. Michael Hofmann war Regieleiter und schien ziemlich nervös zu sein. Karl bemusterte ihn während ihres kurzen Gesprächs sehr aufmerksam. Nach einem Vierteljahrhundert bemerkt man schon die Nuancen des Verhaltens anderer.

Er fragte, ob bei ihm alles paletti sei. Michael entgegnete ihm, dass er einfach etwas Bauchgrummeln habe, schließlich sei das das wichtigste Event vor der Wahl überhaupt. Wenn das schief geht. Er müsse sich mit lauter Praktikanten herumschlagen, weil der Sender kein Geld mehr für die ganzen Kabelträger ausgeben will. So nannte er irgendwie alle, die unter ihm arbeiteten. Was Karl aber viel stutziger machte, war die Tatsache, dass in Michaels Gesicht so ein Zucken unterhalb seines linken Auges deutlich wurde. Das hatte Michael noch nie. Er insistierte weiter, bis er den Eindruck hatte, dass Michael langsam ziemlich angefressen war. "Wirst schon sehen, was die nächsten Tage auf uns zukommt." verabschiedete sich Michael ziemlich genervt. Karl hatte keine Ahnung, was dieses kryptische Gerede bedeuten sollte, er schob es auf dessen Angespanntheit.

Endlich wurde es dann etwas ruhiger in diesem überdimensionierten Diskussionsforum. Eigentlich gedacht für Rockkonzerte, Sportveranstaltungen und dergleichen. Etwa 800 Personen zählte Karl in den Zuschauerreihen. Wahnsinn, wer tut sich so etwas freiwillig an und zahlt auch noch dafür. Mediengeile No-Names, die einfach mal im Fernsehen erscheinen möchten? Parteiclaqueure, die von den Parteizentralen hierher gekarrt wurden? Gerade in dieser Umgebung schien ihm so eine Massenveranstaltung etwas beängstigend. Nein, Karl wollte jetzt gar nicht an den ganzen alten Nazi-Quark erinnern, aber irgendwie machte ihm diese Stimmung im großen Rund und die ganze Choreografie etwas Kopfweh.

Dann war es soweit. Deutschlands bekanntester und wohl auch beliebtester Moderator - Karl war da explizit anderer Meinung - eröffnete das Podium. Zunächst waren die Spitzenkandidaten dran, die sich "bitte kurz vorstellen mögen". Dies scheint, wie beim Pawlow‘schen Hund das Signal für Politiker zu sein, sich ohne Punkt und Komma ins Nirwana zu reden. Von den eigenen Beweggründen, warum man überhaupt in die Politik gegangen ist, über das Stahlbad in der eigenen Partei, das einen ja doch irgendwie ein bisschen verändert, landet man beim politischen Gegner, bzw. Feind. Karl konnte diesen Euphemismus nicht mehr ertragen, dass sich Politiker in der Öffentlichkeit immer in der Art darstellen, dass man ja "eigentlich" auch ganz gut mit dem gegnerischen Kollegen könne. Es gehöre aber einfach zum politischen Geschäft, dass man sich medienwirksam auch mal etwas härter angeht. Das sei so, wie beim Fußball. Noch so ein beliebter Vergleich! Dieses erstaunlicherweise immer kurz vor einer Wahl, anbiedernde Herauskehren von Bodenständigkeit und Verständnis mit "den Menschen da draußen" – zum Kotzen!

Karl stand auf, zum Glück saß er ganz am Rand des mittleren Durchgangs, und holte sich in der Lounge ein Bier. Vielmehr ein Herrengedeck, das brauchte er jetzt. Er holte tief Luft und besann sich, dass er ja von dieser ganzen Show auch was zu Papier bringen sollte. Also, wieder runter und sich wieder öffnen für die lehrreichen, noch niemals vorher vernommenen Wortkreationen. Er ließ es über sich ergehen, bis endlich die zwei Vertreter aus Wirtschaft und Kultur dran waren. Kultur ist natürlich Frauensache. Eine Vertreterin aus der Theaterwelt brachte endlich etwas Humor und Weitblick in die ganze Runde. Es schienen alle, sogar die Spitzenpolitiker etwas aufzuatmen, so konnten sie einen kurzen Ausbruch aus ihrer realpolitischen Zwangsjacke genießen. Sehr kurzweilig, sehr originell, was die sehr attraktive Dame mittleren Alters in die Runde warf, zumindest fanden das die Zuschauer. Denn bei ihrem zum Schluss in die Runde geworfenen Satz, bemerkte man ein gewisses Entsetzen bei den Volksvertretern.

Sie behauptete, wenn es, und nicht nur in der Kulturpolitik, so weiterginge, wir "in der nächsten Zeit wohl noch so einiges erleben werden." Ist das Kultursprech?“ dachte sich Karl. Diesen Satz hat er doch gerade vorhin schon mal gehört. Die Antworten der jetzt voll in Fahrt kommenden Spitzenleute waren genauso zu erwarten, wie nichtssagend. Man müsse natürlich viel näher an den Menschen dran sein, ihnen zuhören. Aber der Politzirkus in Berlin lasse einem einfach nicht mehr genügend Zeit. Der Mann von der kleinsten Oppositionspartei brachte den Vergleich mit den Ärzten. Die hätten ja auch schon Zeitbudgets für Patienten, da komme das Menschliche einfach zu kurz. Wie Herz zerreißend!

Nun war der Mann der Wirtschaft dran, der Vorsitzende des DIHT. Ein Bild von einem Geschäftsmann. Immer irgendwie busy, in allem, wie er sich bewegte und redete. Zielführend seine Ausführungen, ohne Umschweife. Kann er sich doch gar nicht leisten, so viel Palaver um Kleinigkeiten. Er muss jeden Tag Entscheidungen treffen. Von einer Tragweite, die über das Politische hinausgehen. Denn in der Wirtschaft ginge es ja schließlich und endlich auch "um die Menschen". Obwohl dieser Lobbyist seit Jahren von einer Regierung profitiert, die alles andere als wirtschaftsfeindlich ist, merkte man ihm mit jeder Faser seine unternehmerische Unzufriedenheit an. Es sei ihm als Unternehmer ja gar nicht mehr möglich und überhaupt, man könne doch nicht immer nur von den Wohlhabenden verlangen, dass…

Karl schüttelte mit dem Kopf. Er hoffte bzgl. seiner Entscheidung, dass nur er aus der Redaktion hier sein dürfe, ganz naiv, mal etwas klitzekleines Neues zu hören. Zumindest ein einziger neuer Gedankengang. Nichts. Von niemandem, nicht mal von der Kultur. Witzig und unterhaltsam zu sein ist zwar nett und lenkt ab, hat aber ebenfalls wenig Substanz. Er war verzweifelt.

Er wusste ernsthaft nicht, was er bitteschön über diesen Abend schreiben sollte. Was könnte die Leser, die sowieso alle heute Abend vor der Glotze sitzen, morgen noch darüber lesen wollen? Karl spielte verschiedene Alternativen durch. Er könne morgen dem Chef erzählen, dass, als der den Artikel wegschicken wollte, irgendwie sein iPad abgestürzt sei. Und als er ihn wieder hochgefahren hätte, wäre der Artikel einfach verschwunden, ehrlich! Danach hätte er sich aus Frust darüber so in der Presselounge besoffen, dass alles zu spät war. Letzterer Gedanke war zumindest eine Option. Er hielt es wirklich nicht mehr länger aus, bis er noch den letzten Satz vom Mann der Wirtschaft hörte. Wenn die Politik meint, dass sie so weitermachen kann und all die fleißigen kleinen Unternehmer in ihrem Tun behindern will, dann soll sich die Politik mal ganz warm anziehen, denn "da wird in der nächsten Zeit ein ganz anderes Fass aufgemacht", und da wäre er sich sogar der Unterstützung vom "Mann auf der Straße" sicher.

Was sollte das alles? Stammtischparolen, elegant umgetextet für den akademischen Wutbürger? Irgendwann hätten die Leute die Schnauze voll und dann gibt es Revolution, und dann werden sich die Herren da oben mal umschauen. Na klar, hat ja in Deutschland schon immer so gut funktioniert, mit dem wütendem Volk!

Karl verließ den Ort des Schreckens mit dem Gefühl, auf einem psychologischen Seminar gewesen zu sein. "Wie schaffe ich es, endlich auch mal meine Meinung zu sagen, die aber keiner hören will". Sage und schreibe zwei geschlagene Stunden volle Aufmerksamkeit für null Ertrag. Er rief sich ein Taxi und ließ sich an seiner Stammkneipe absetzen, wo er sicher sein konnte, dass er hier ganz normale Menschen mit normalen Gesprächsthemen antraf.

Ein paar Jungs von seiner Freizeitmannschaft waren da und einer der Kollegen aus dem Sport, der zufällig auch hier um die Ecke wohnt. Die letzten Minuten des Europa-League-Spiels liefen und Karl fühlte sich endlich angekommen. Seine Zufriedenheit über diesen Moment schien keine Grenze zu finden. Jetzt nur noch drei Tage diesen ganzen Wahnsinn überstehen und dann ging das normale Leben wieder weiter. Toooooor! Sein Kumpel Anton fiel ihm in die Arme und übergoss ihn mit seinem komplett neu gezapften Pils. Anton war aus dem Pott und natürlich Anhänger der Dortmunder; der hatte es gut heute. Karl freute sich mit ihm, diese Bierdusche war wie der Gewinn der Meisterschaft für seine geschundene Journalistenseele.

Die letzte Instanz

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