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Kapitel 2 - Ein Date to go

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Freitags war traditionell der Wochentag in der Firma, der mit Meetings und Besprechungen vollgepackt war.

Um ganz ehrlich zu sein, Freitage lagen mir. Eigentlich hatte ich alle Hände voll zu tun. Trotzdem behielt ich den ganzen Tag meinen E-Mail-Account im Auge. Bei jeder neuen Nachricht zuckte ich zusammen.

Aber mein Gigolo in spe schien nicht gerade auf einen neuen Auftrag zu brennen. Seine Antwort ließ auf sich warten. Das machte mich irgendwie wütend. Ich war bereit gewesen, für seine Gesellschaft mehrere hundert Euro zu bezahlen. Ich hatte erwartet, dass er sich mit einer Antwort ein bisschen mehr beeilen würde. Klar, es war vermutlich albern, aber ich war richtig beleidigt, dass er sich so viel Zeit ließ.

Als mich abends um kurz vor sieben das vertraute Pling wieder aus meiner Skizze riss, hatte ich Daniel innerlich schon fast abgehakt. Ich war seit einer guten Stunde alleine im Büro. Tobias und Maik hatten pünktlich Feierabend gemacht, um sich noch einen Drink zu genehmigen, bevor sie mit ihren Freundinnen in die Oper gingen. Ich bezweifelte, dass irgendjemand von diesem traurigen Quartett wirklich Lust hatte, sich Puccini anzuhören. Aber es gehörte nun mal zu ihrem Elite-Gehabe dazu. Und der Chef war immer schwer beeindruckt, wenn sie davon in der nächsten Woche erzählten.

Seufzend legte ich meinen Stift zur Seite und öffnete meinen Mail-Account. Ich zuckte zusammen, als ich den Betreff las. „Mögliche Buchung Begleitung“ stand dort. Ich klickte die Nachricht an.

Liebe,

Isabel Bergmann, vielen Dank für Ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit mir. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich am nächsten Montag nicht zur Verfügung stehe. Vielleicht könnten wir unser Kennenlernen auf Dienstag verschieben? Der nächste Freitag ist terminlich kein Problem.

Ich freue mich auf Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen,

Daniel

Gott, war das förmlich! Sicher, ich hatte einen seriösen Kontakt gewollt. Aber so? Wir waren doch keine sechzig, da konnte man sich doch auch duzen. Trotzdem kam ich nicht eine Sekunde auf die Idee, seinen Vorschlag abzulehnen. Ohne lange Nachzudenken schrieb ich zurück.

Lieber Daniel,

danke für die Nachricht.

Klar, Dienstag geht es auch. Wir könnten uns um acht im Tavelli am Gänsemarkt treffen.

Kennen Sie das?

Mit freundlichen Grüßen,

Isabelle Bergmann

Mit freundlichen Grüßen? Was war denn los mit mir? Ich bezahle den Typen, da könnte ich ruhig etwas salopper sein.

Ich sah mir die Zeilen einen Moment an, dann straffte ich die Schultern. Ich war hier die Auftraggeberin, also konnte ich auch den Ton vorgeben. Ich löschte den letzten Satz. Stattdessen tippte ich:

Kennst du das?

Und dann schrieb ich weiter.

Ehrlich gesagt habe ich so etwas noch nie gemacht und mir kommt das Ganze ziemlich schräg vor. Aber wenn ich ohne Begleitung zu diesem Essen gehe, habe ich das Gefühl, meine Karriere zu gefährden.

Kannst du das verstehen? Oder hört sich das so an, als hätte ich die Kontrolle über mein Leben verloren? Ich arbeite übrigens als Architektin in einer ziemlich renommierten Firma. Ich habe während meines Studiums gedacht, es wäre mein absoluter Traum in einem so wichtigen Büro zu arbeiten.

Aber ich schweife ab, Entschuldigung.

Also, wenn Du einverstanden bist, sehen wir uns am Dienstagabend um Acht.

Viele Grüße und einen schönen Freitagabend,

Isabel

Ich sendete die Nachricht und begann leise summend, meine Sachen zusammenzuräumen. Vielleicht würde ja doch noch alles gut ausgehen. Ich rechnete nicht damit, dass dieser Daniel die Nachricht heute noch beantworten würde.

Es war Freitagabend – da hatte ein Mann wie er sicher Besseres zu tun, als zu Hause an seinem PC zu sitzen. Ich hatte gerade meine Tasche gepackt und wollte den Computer herunterfahren, als das vertraute Geräusch die nächste Nachricht anzeigte.

Von ihm.

Hallo Isabel,

ich weiß, wie es ist, wenn das Leben ganz anders ist, als man es sich vorgestellt hat.

Ich hoffe, ich kann dir helfen, das Geschäftsessen gut über die Bühne zu bringen.

Wir sehen uns dann am Dienstagabend um acht im Restaurant.

Ich wünsche dir ein schönes Wochenende,

Daniel

Ich las die Nachricht drei Mal. Mein Magen flatterte merkwürdig. Es waren doch ganz normale Worte. Trotzdem hatte ich das Gefühl, diese Mail würde irgendetwas in meinem Inneren zum Klingen bringen. Plötzlich war ich richtig aufgeregt, als hätte ich am Dienstag ein richtiges Date. Was würde da wohl auf mich zukommen?

Ich musste mich beruhigen. Vielleicht war dieser Daniel vollkommen durchgeknallt. Welcher normale, erwachsene Mann arbeitete im Escort-Bereich? Aber ich konnte es auf einmal nicht mehr abwarten, diesen Fremden kennenzulernen.

***

Dann kam der Dienstag aber doch viel zu schnell.

Als ich am späten Nachmittag vor meinem Kleiderschrank stand, hatte ich es plötzlich überhaupt nicht mehr eilig, zu diesem merkwürdigen Date zu kommen. Ich war fahrig und nervös und hätte das Ganze am liebsten abgesagt.

Wir hatten keine weiteren Nachrichten mehr ausgetauscht und ich konnte einfach nicht das Gefühl von Peinlichkeit abschütteln, dass dieser ganzen Situation anhaftete. Dass Daniel mir so sympathisch war, machte die Lage fast noch schwieriger. Was würde er bloß von mir denken? Dass ich nicht fähig war, einen Mann zu finden, der mit mir ausging? Wenn ja, hatte er den Nagel leider auf den Kopf getroffen.

Siedend heiß fiel mir ein, dass ich zwar ein Foto von ihm, er aber noch keines von mir gesehen hatte. Vielleicht dachte er, ich wäre fünfzig Jahre alt. Plötzlich war es mir unglaublich wichtig, jung und hip auszusehen. Daniel sollte auf den ersten Blick erkennen, dass ich eine Frau war, die nur mit dem Finger schnippen musste, um einen Mann für sich zu gewinnen.

Selbst, wenn es nicht ganz so war.

Ich zerrte ein kurzes Minikleid hervor, dass ich seit dem letzten Sommer nicht mehr angezogen hatte und suchte nach einer heilen Strumpfhose. Im Büro trug ich immer Anzughosen und Blusen, deshalb dauerte es eine Weile, bis ich in der Schublade eine passende fand. Dann wühlte ich in dem großen Flurschrank nach den hohen Wildlederstiefeln. Ich hatte sie nur einmal getragen, weil die Absätze eindeutig zu hoch für mich waren. Ich suchte noch eine enge Lederjacke heraus und betrachtete mich im Spiegel.

Ja, so konnte das gehen.

Nach einem hektischen Blick auf die Uhr beeilte ich mich, ins Badezimmer zu kommen, um mich zu schminken. Ich umrandete meine Augen mit Eyeliner, suchte einen dramatischen, roten Lippenstift heraus und machte mir mit dem Lockenstab ein paar Wellen in meine schulterlangen Haare. Oh je, es war schon halb acht. Es wurde höchste Zeit, mich endlich ins Auto zu setzen.

Ich ging zu dem großen Wandspiegel im Flur und warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Scheiße, ich sah aus wie eine aufgetakelte Nachtclubtänzerin. Ich rannte zurück in mein Schlafzimmer und riss mir die Klamotten vom Leib. Die Stiefel flogen in hohem Bogen in die Zimmerecke. Ich griff schnell eine Jeans aus dem Schrank und zog wieder die bunte Viskose-Bluse an, die ich vorhin erst ausgezogen und auf das Bett geworfen hatte. Dann schnappte ich mir meinen Mantel, schlüpfte in die Sneaker vor der Wohnungstür. Im Vorbeigehen griff ich noch nach einem Taschentuch, um mir den Lippenstift wieder abzuwischen. Die Haare band ich mir im Treppenhaus mit einem Zopfgummi zusammen.

Im Laufschritt erreichte ich die Nebenstraße, in der ich mein Auto geparkt hatte. Es stand nicht mehr da. Verdammt. Das konnte doch nicht sein. Hatte jetzt jemand zu allem Überfluss mein Auto geklaut? Ich hatte es mir erst vor kurzem gekauft und es waren noch einige Raten offen. Dann fiel mir ein, dass ich es vorgestern ganz woanders abgestellt hatte. Zur Arbeit nahm ich in der Regel die U-Bahn.

Ich rannte wieder los. Langsam hatte ich Seitenstechen. Es war mittlerweile fast viertel vor acht. An der Ecke sah ich, dass gerade ein Linienbus einbog. Ich sprintete zur Haltestelle und sprang im letzten Moment hinein. Dann würde ich halt später mit dem Taxi nach Hause fahren müssen. Das war ohnehin besser. Ich hatte das Gefühl, dass ich den Abend nicht ohne Alkohol überstehen würde. Der Bus fuhr gemächlich durch die Straßen und ich trommelte unruhig mit den Fingern auf meinem Bein. Aber wie durch ein Wunder bogen wir rechtzeitig in die richtige Straße ein.

Ich sprang an der Haltestelle heraus und hastete weiter, als ein Auto am Straßenrand meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Im Licht der Straßenlaterne sah ich einen dunkelhaarigen Mann, der sich ein graues Sweatshirt über den Kopf zog. Dann blieb er mit nacktem Oberkörper auf dem Fahrersitz sitzen und wühlte in einer Tasche neben sich. Ich starrte auf seine nackten Oberarme und ein Kribbeln lief durch meinen Magen. Es war eine Weile her, dass ich an nackte Männer gedacht hatte. Der Fremde zog ein weißes Hemd heraus und knöpfe es zu. Dann drehte er sich um und griff auf den Rücksitz. Kurz darauf hatte er ein Jackett ergriffen und öffnete die Wagentür.

Ich erstarrte, als der Typ genau vor mir aus dem Auto sprang. Oh Gott, das war ja dieser Daniel! Er sah völlig anders aus als auf dem Foto. Er war nicht rasiert, was ihm einen leicht verwegenen Ausdruck gab. Auch seine Haare waren nicht mehr so kurz und gepflegt wie auf dem Foto im Internet. Sie fielen ihm halblang in die Stirn und im Nacken kräuselten sie sich schon leicht. Er trug zu dem Hemd und dem Jackett Jeans und Turnschuhe. Er sah viel jünger aus, fast wie ein Student.

Ohne lange Nachzudenken ging ich zwei Schritte auf ihn zu.

„Daniel?“, fragte ich und lächelte ihn an.

Er sah irritiert aus. „Tut mir leid, Sie müssen mich verwechseln“, antwortete er dann kühl.

Ich musterte ihn noch einmal genauer.

Konnte ich mich so irren?

Der Mann sah dem Foto von diesem Daniel wirklich zum Verwechseln ähnlich. Heute ging aber auch wirklich alles schief. Ich starrte immer noch in das schöne Gesicht des Mannes. Er hielt meinen Blick für einen Moment stand. Mein Gott, was für Augen. Sie waren tiefbraun.

Dann besann ich mich und schüttelte verlegen den Kopf.

„Tut mir leid. Dann habe ich Sie wohl verwechselt.“

Ich drehte mich um und ging zum Restaurant. Der Abend ging ja gut los. Ich war noch nicht einmal angekommen und benahm mich schon dermaßen peinlich. Ich buchte jetzt nicht mehr nur Männer im Internet, sondern schmachtete auch Wildfremde auf der Straße an.

Merkwürdigerweise folgte mir der Kerl jetzt auch noch. Als ich an der Eingangstür zu dem italienischen Restaurant angekommen war, stand er genau hinter ihr. Ich sah ihn fragend an. Er musterte mich jetzt genauer. Dann hatte ich den Eindruck, dass sich in seinem Kopf ein paar Zahnräder in Bewegung setzten.

„Bist du Isabel?“, fragte er dann.

Ich nickte. „Ja.“

„Dann sind wir beide verabredet.“

Wie merkwürdig wollte dieser Kerl sich denn noch benehmen? Warum hatte er eben behauptet, er würde nicht Daniel heißen? Dieses Treffen war ein furchtbarer Fehler gewesen. Ich schwor mir, so etwas nie, nie wieder zu machen. Ich lächelte ihn verlegen an und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Wir betraten gemeinsam das Restaurant. Eine Kellnerin und brachte uns zu einem kleinen Tisch in der Ecke des Restaurants.

Ich war immer noch verwirrt. „Warum hast du denn eben gesagt, dass du nicht Daniel bist?“, eröffnete ich das Gespräch, als wir am Tisch saßen.

Er seufzte. „Keine Ahnung. Ich wollte … nicht in ein Gespräch verwickelt werden. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass du Isabel sein könntest.“

„Hast du gedacht, ich würde anders aussehen?“, hakte ich nach.

Er zuckte verlegen die Schultern. „Ich hatte gedacht, du bist älter.“ Hatte ich also doch Recht gehabt. „Du siehst eben nicht so aus, als müsstest du jemanden bezahlen, damit er mit dir ausgeht“, setzte er hinterher.

Puh, der Typ war aber direkt. Irgendwie hatte ich gehofft, wir würden so tun, als wäre das ein normales Treffen. Ich spürte, dass sich eine leichte Röte über mein Gesicht zog. Ich griff schnell nach der Speisekarte, die die Kellnerin schon auf den Tisch gelegt hatte, und versteckte mein Gesicht dahinter.

„Entschuldige, das sollte ein Kompliment sein.“ Daniel drückte die Karte in meiner Hand ein wenig nach unten, damit er mich ansehen konnte. „Tut mir leid. Du wirkst so normal, das bin ich nicht gewöhnt.“

Jetzt wurde ich neugierig. „Wie sind denn die Frauen sonst so, die dich buchen?“, fragte ich. Wenn er das Thema so deutlich beim Namen nennen durfte, konnte ich das schließlich auch.

Zu meinem Ärger schüttelte er den Kopf. „Darüber kann ich nicht reden.“

Ich versuchte, nicht allzu verletzt auszusehen. „Sicher.“

Verdammt, das lief alles nicht rund. Meine Gedanken wanderten zu dem Essen am Freitag. Niemand auf der Welt würde uns abkaufen, dass wir ein Paar waren. Ich räusperte mich.

„Wenn ich ganz ehrlich bin, glaube ich auf einmal, dass ich einen riesigen Fehler gemacht habe“, begann ich. „Ich glaube, wir sollten das Ganze lieber abbrechen.“ Daniel sah mich entsetzt an und öffnete den Mund, aber ich war schneller. „Ich bezahle natürlich das Honorar, keine Angst. Ich fühle mich einfach nicht wohl. Es war sowieso eine dumme Idee, meine Kollegen zu belügen.“

Ich wollte schon aufstehen, aber Daniel griff nach meinem Arm, um mich aufzuhalten. „Nein, warte.“

Ich fühlte seine warme Hand auf meiner Haut.

Er biss sich auf die Lippen. „Um die Wahrheit zu sagen, ich mache das hier erst seit kurzem“, begann er. „Ich hatte schon ein paar Buchungen, aber da waren die Frauen viel älter und wir haben uns benommen wie in einem schlechten Film. Ich habe höfliche Fragen gestellt und wir haben über Kultur und Politik geredet.“ Er atmete tief durch. „Es waren einfach Jobs. Aber du bist nett und jung. Und hübsch.“ Er grinste schief. „Ich komme mir hier so blöd vor.“

Ich lachte auf. „Du kommst dir blöd vor? Frag mich mal. Glaubst du nicht, ich versinke vor Verlegenheit fast im Boden? Ich meine, gibt es etwas Peinlicheres, als wenn man nicht in der Lage ist, einen Begleiter für ein Abendessen zu finden?“

Er sah mich ungläubig an. „Warum sollte dir das peinlich sein? Das ist doch Blödsinn. Vermutlich machst du das doch nur, um dir irgendwelche aufdringlichen Chefs vom Hals zu halten.“

Das war eine überaus schmeichelhafte Interpretation für mein Verhalten und ich entspannte mich wieder etwas. Vielleicht war das Ganze ja doch nicht so eine Schnapsidee. „Na ja, irgendwie schon“, sagte ich und hatte nicht mal das Gefühl, so richtig zu lügen.

Auf einmal plätscherte das Gespräch wie von selbst vor sich hin. Daniel fragte nach meinem Job und erkundigte sich nach dem Essen am Freitag. Ich erzählte von meiner Firma und vor allem von Maik und Tobias. Er hörte sich mein ganzes Gejammer mitfühlend an. Als ich zu der Stelle mit dem Aprilscherz kam, musste er sich sichtlich das Grinsen verbeißen. Ich verdrehte die Augen und konnte mit ihm zusammen über die ganze Angelegenheit lachen.

Als die Kellnerin kam, um die Bestellung aufzunehmen, hatte ich schon fast vergessen, dass ich das Treffen eben noch hatte beenden wollen. Wir bestellten Pizza und Rotwein und ich redete einfach weiter. Ich erzählte ihm von dem Großprojekt und wie gerne ich so eine Anlage von A bis Z entwerfen würde. Er stellte eine Menge kluger Fragen zum Thema Architektur und ich hatte das Gefühl, er würde sich wirklich für meinen Beruf und meine Visionen interessieren.

Nach einer Viertelstunde zog Daniel einen Stift aus seinem Jackett und wühlte in seinen Taschen nach einem Stück Papier.

„Ich denke, es kann nicht schaden, wenn ich mir ein paar Notizen mache. Wenn ich dich richtig verstanden habe, willst du deine Kollegen ja davon überzeugen, dass wir eine richtige Beziehung haben.“ Er notierte ein paar Sätze. „Wann haben wir uns denn kennengelernt?“

Ich war ihm dankbar, dass er die ganze Angelegenheit so ernst nahm. Selbstverständlich hatte ich mir über eine mögliche Kennenlern-Geschichte schon Gedanken gemacht. Ich erklärte ihm, dass wir uns bei der Silvesterparty meiner besten Freundin kennengelernt hätten und nach ein paar Dates zusammengekommen wären.

Wir hatten mittlerweile unsere Teller leergegessen und auch die Flasche Wein war fast leer. Daniel hatte sich beim Trinken aber ziemlich zurückgehalten. Ich musste allerdings zugeben, dass ich den Löwenanteil des Merlots bekommen hatte.

Jetzt freute ich mich, dass ich nicht mit dem Auto hierher gefahren war. Ich trank normalerweise nicht viel Alkohol und war ziemlich beschwipst. Das war vermutlich auch der Grund, warum ich ständig die goldenen Sprenkel ansehen musste, die das Kerzenlicht in Daniels braunen Augen aufblitzen ließ. Und warum mein Blick immer wieder an seiner breiten Brust hängenblieb. Oder an seinen perfekten Lippen. Als die Kellnerin die Teller abräumte, wollte ich nicht, dass der Abend schon vorbei war. Deshalb schlug ich vor, noch einen Espresso und ein Dessert zu bestellen.

Beim Nachtisch erzählte ich Daniel von meiner Familie. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern und auch zu meinen zwei Brüdern, aber ich sah sie nicht oft. Sie lebten alle nach wie vor in dem kleinen Dorf, in dem ich aufgewachsen war. Mein großer Bruder hatte im letzten Jahr geheiratet und jetzt warteten meine Eltern sehnsüchtig auf Enkelkinder. Mein kleiner Bruder hatte sich zu unser aller Erstaunen zu einem Leben als Landwirt entschieden.

„Jetzt weißt du eigentlich alles, was du wissen musst“, beendete ich meinen Bericht. Ich nahm den letzten Löffel meiner Sahnespeise. „Das Problem ist bloß, ich weiß überhaupt nichts über dich.“

Daniel kniff die Augen zusammen. Sah er plötzlich ein bisschen nervös aus, oder bildete ich mir das nur ein? „Da gibt es nicht so viel zu wissen“, sagte er ausweichend.

Ich zögerte. Überschritt ich eine Grenze, wenn ich ihn ausfragte? Aber ein bisschen was von seinem Backround musste er mir doch anvertrauen können.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, nickte er leicht. „Was willst du denn wissen?“, fragte er freundlich lächelnd.

„Na, zuerst mal, was du beruflich so machst.“

Er sah mich an und hob langsam die Augenbrauen. „Was ich beruflich mache?“

Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn. „Oh, entschuldige. Ich wusste nicht, ...“, stammelte ich. „Ich meine, ich dachte, das wäre nur so eine Art ... “

„... Hobby?“, fragte er mit einem Grinsen.

Ich nickte, immer noch verlegen.

Es war seltsam, wie offensiv er damit umging, dass er sich für Geld an Frauen verkaufte. „Nein, natürlich ist das ein richtiger Job. Aber das kann ich meinen Kollegen ja schlecht sagen. Wir müssen uns also einen anderen Beruf für dich ausdenken.“

Wieder nickte er. „Klar, da hast du Recht.“ Er dachte einen Moment nach. „Wie wäre es mit Arzt?“

Ich sah ihn zweifelnd an. Ich hatte mehr an irgendeinen Bürojob gedacht. Etwas, bei dem keiner Fragen stellen würde. Aber Arzt? Da merkte man doch sofort, wenn jemand sich nicht wirklich auskannte. „Okay“, sagte ich zögernd. „Wenn du meinst.“

Er musste über meinen Gesichtsausdruck lachen. „Keine Angst, ich werde dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich kenne mich aus mit Medizin.“ Er schmunzelte, als er mein immer noch zweifelndes Gesicht sah. „Nicht nur, weil ich einige Folgen Emergency Room gesehen habe“, beruhigte er mich. „Sag einfach, ich arbeite für die Uniklinik Eppendorf.“

Ich wiegte den Kopf. Ob er da nicht ein bisschen hoch pokerte? Schließlich hatte er nichts zu riskieren. Nur ich würde mich lächerlich machen, wenn er bei dem Essen wie eine Witzfigur wirkte. „Und welche Fachrichtung?“, fragte ich dennoch nach.

„Neurologie.“

Ich runzelte die Stirn. „Wie kommst du denn ausgerechnet darauf?“

„Ich kenne mich mit dem Gehirn aus.“ Er beugte sich leicht vor. „Ich weiß eine Menge über menschlichen Wahnsinn“, flüsterte er mit einer gespielt gruseligen Stimme.

Ich sah ihn verwirrt an. Er machte noch eine kleine Kunstpause, dann musste er lachen. „Keine Angst, ich kenne mich da wirklich gut aus. Mein Bruder ist Neurologe und er redet von nichts anderem. Da kommt man gar nicht Drumherum, eine Menge aufzuschnappen.“

Sein Bruder war Arzt? Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie mich diese Information überraschte. Sicher, Daniel war ein seriöser Begleiter und kein Callboy. Er wirkte weder drogensüchtig noch unterprivilegiert. Trotzdem irritierte es mich, dass sein Bruder Neurologe war. Das wies doch darauf hin, dass Daniel aus einer gebildeten Familie kam. Das passte alles nicht zusammen. Mein Schubladendenken wurde hier wirklich gehörig durcheinandergewirbelt.

Ob Daniel auch studiert hatte?

Ich verkniff mir neugierige Fragen. „Also, dann. Neurologe“, sagte ich stattdessen und nickte.

Wir phantasierten noch ein bisschen herum und sammelten Details über unsere ausgedachte Beziehung. Dabei lachten wir viel und ich hatte das Gefühl, wir würden uns schon länger kennen. Aber um halb zehn sah ich, dass Daniel auf seine Uhr schielte. Das holte mich mit einem Schlag in die Realität zurück. Ich hatte schon wieder fast vergessen, dass das hier für ihn kein Date war.

Es war ein Job. Nicht mehr, nicht weniger..

„Wir sollten langsam bezahlen“, sagte ich und winkte die Kellnerin heran. Sie brachte kurz darauf die Rechnung und reichte sie ganz selbstverständlich an Daniel.

„Oh, das mache ich.“ Ich griff nach dem Zettel, bevor sie ihn auf den Tisch legen konnte. Die Kellnerin machte große Augen. War es wirklich immer noch so selten, dass eine Frau das Essen bezahlte? „Es ist sein Geburtstag“, erklärte ich schnell, um ihr einen Grund für mein Verhalten zu liefern.

„Mio dio!“, rief sie aus. Sie sah uns geradezu bestürzt an. „Das hätten sie uns doch sagen müssen“, erwiderte sie mit ihrem charmanten, italienischen Akzent. „Warten Sie einen Moment.“

Kurz darauf kam sie mit einem kleinen Törtchen wieder, in dem eine Kerze steckte. Sie zündete sie an und gratulierte einem sichtlich verlegenen Daniel wortreich zu seinem Geburtstag. Er wusste gar nicht, wo er hinsehen sollte und bedankte sich unbeholfen in gebrochenem Italienisch.

„Na, vielen Dank auch“, zischte er mir zu, als wir zusammen das Restaurant verließen.

Ich unterdrückte ein Kichern. „Nächstes Mal sage ich einfach, ich wäre Feministin, okay?“

„Ich dachte, nächstes Mal bezahlt dein Boss“, antwortete er trocken.

Wir waren bei seinem Auto angekommen und ich streckte ihm die Hand zum Abschied hin. Er schüttelte sie.

„Vielen Dank“, sagte er und auch wenn ich ihm in Zeiten des Online-Bankings Gott sei Dank keine Geldscheine in die Hand drücken musste, wussten wir beide, was er meinte. „Ich würde dich ja nach Hause fahren, aber ich habe es leider eilig“, setzte er hinzu und schenkte mir wieder sein gewinnendes Lächeln.

Diesmal zog es bei mir nicht. Es war gerade mal kurz nach zehn. Um ehrlich zu sein hätte ich mich sehr gern von ihm nach Hause fahren lassen. Aber ich wollte nicht zickig sein.

„Schon okay“, erwiderte ich cool. Ich versuchte, ihn nicht wieder so schmachtend anzusehen.

Er war ein … Geschäftspartner.

Das sollte ich nicht vergessen.

Ich hatte mich von seinen braunen Augen und seinem Charme gehörig einwickeln lassen.

„Falls du noch irgendwelche Infos hast, die ich bis Freitag auswendig lernen soll, dann schick mir einfach eine Mail“, sagte er und zog seinen Autoschlüssel aus der Tasche.

Ich war gerührt. Das war wieder ziemlich nett und aufmerksam.

Ich seufzte. „Vielen Dank für alles.“ Dieses Treffen war wirklich das reinste Wechselbad der Gefühle für mich. Warum war ich bloß so empfindlich? Das war doch gar nicht meine Art.

Daniel war schon auf dem Weg zur Fahrertür seines Wagens, als er sich noch mal zu mir umdrehte. „Soll ich dich am Freitag vielleicht vor dem Essen abholen? Es wirkt sicher viel natürlicher, wenn wir gemeinsam ankommen.“

„Ja, sehr gerne.“ Ich war augenblicklich wieder versöhnt. „Das wäre toll. Ich maile dir meine Adresse.“

„Dann bis Freitag.“

Er beugte sich vor und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ich spürte für einen kurzen Moment sein unrasiertes Kinn an meiner Wange. Unwillkürlich atmete ich tief seinen Geruch ein. Er roch ein bisschen nach einem herben Duschgel und Espresso. Ich hatte plötzlich den albernen Drang, meinen Kopf für einen Moment an seine kräftige Schulter zu legen. Gott sei Dank war ich kein allzu impulsiver Mensch.

„Gute Nacht, Daniel“, wünschte ich leise.

„Komm gut nach Hause“, erwiderte er in der gleichen Lautstärke.

Ich sah ihm zu, wie er in sein Auto stieg und davon fuhr. Dabei hatte ich keine Ahnung, wie ich mich fühlten sollte. Es war kalt und ich zog meinen Mantel enger um mich. Ich musste lange auf den Bus warten. Über mir glitzerten die Sterne an einem klaren Himmel.

Als ich endlich in meiner Wohnung ankam, ließ ich mich auf mein Sofa fallen und schloss für einen Moment die Augen. Es gab diese Momente, die das Leben in ein vorher und nachher einteilen. Wendepunkte, die man rückblickend als rote Fähnchen auf der eigenen Landkarte des Lebens erkennen konnte. Heute war so ein Tag gewesen. Ich war mir nur nicht sicher, ob es daran lag, dass ich so etwas Unerhörtes getan hatte, wie einen Mann zu buchen.

Oder ob es daran lag, dass ich Daniel kennengelernt hatte.

Date to go - (K)ein Mann zum mitnehmen

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