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Mit einem Fackelzug in die neue Zeit

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Überall wird an diesem Tag konferiert und gearbeitet. Besonderen Einsatz zeigen auch Joseph Goebbels und seine Helfer. Sie organisieren innerhalb kürzester Zeit einen abendlichen Fackelzug durchs Brandenburger Tor und die Wilhelmstraße.

Sie wollen genau jetzt für den Reichspräsidenten wie für die gesamte Bevölkerung ein Zeichen setzen und zeigen, welche Macht hinter der nationalsozialistischen Bewegung steht. Deshalb bieten sie nicht nur die Berliner SA- und SS-Einheiten auf, sondern lassen auch Verbände aus der weiteren Umgebung mit gemieteten Lastwagen in die Reichshauptstadt bringen. Sie zwingen den Rundfunk, der bisher streng überparteilich geführt wurde, dazu, die Veranstaltung landesweit zu übertragen. Goebbels weiß die modernen Massenkommunikationsmedien für seine Propaganda einzusetzen.

Und so formt sich nach Einbruch der Dunkelheit ein gewaltiger Fackelzug: SA-Leute, Parteimitglieder, Hitlerjungen sammeln sich, begleitet von Spielmannszügen, Musikkapellen und Fahnenträgern, am Großen Stern im Tiergarten – 17.000 sind bei der Polizei angemeldet. Innenminister Frick hat eigens für sie die Bannmeile des Regierungsviertels aufgehoben.

Kurz nach acht marschieren die ersten von ihnen mit Fackeln durchs Brandenburger Tor. Von hier aus geht es unter den Klängen des „Friedericus-Rex-Marsches“ durch die Wilhelmstraße. Vorbei an Reichspräsident Paul von Hindenburg, der am erleuchteten Fenster die Huldigungen der Menge entgegennimmt und mit der Hand den Takt zu den alten Militärmärschen schlägt. Vorbei auch an Adolf Hitler, der mit Göring und Frick im von Scheinwerfern erleuchteten Fenster der Reichskanzlei steht. Der neue Reichskanzler ist beglückt von so viel Huldigung, weit beugt er sich über die Brüstung, winkt und grüßt die Massen mit erhobenem Arm.

Chefstratege Goebbels jubelt bei der Direktübertragung im Rundfunk in die Mikrofone: „Das, was wir unten erleben, diese Tausende und Tausende und Zehntausende und Zehntausende von Menschen, die in einem sinnlosen Taumel von Jubel und Begeisterung der neuen Staatsführung entgegenrufen – das ist wirklich die Erfüllung unseres geheimsten Wunsches, das ist die Krönung unserer Arbeit. Man kann mit Fug und Recht sagen: Deutschland ist im Erwachen!“

Nur mühsam kann die Polizei die Straßen sichern. Zahlreiche Schaulustige mischen sich unter die Marschierenden. Es ist ein Rausch, dem sich nur wenige entziehen können, die vor Ort sind. „Berlin ist heute Nacht in reiner Faschingsstimmung. SA- und SS-Trupps sowie uniformierter Stahlhelm durchziehen die Straßen, auf den Bürgersteigen stauen sich die Zuschauer. Im und um den ‚Kaiserhof’ tobt ein wahrer Karneval“, notiert der Publizist, Kunstmäzen und Zeitchronist Harry Graf Kessler in sein Tagebuch. Neben patriotischen Hymnen wie der „Wacht am Rhein“, dem „Deutschlandlied“ oder „O Deutschland hoch in Ehren“ erklingen aber auch das Horst-Wessel-Lied („Die Straße frei den braunen Bataillonen“) sowie antisemitische Parolen.

Und doch soll der Eindruck nicht trügen: An diesem Abend gehen viele Berliner auch anderen Tätigkeiten nach. Im Staatlichen Schauspielhaus gibt Gustaf Gründgens den Mephisto, das Deutsche Theater spielt Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ und im Ufa-Palast am Zoo läuft „Der Rebell“ von Luis Trenker. Ein volles Haus hat auch das Reit- und Fahrturnier am Kaiserdamm. Der vor zwei Tagen als Reichskanzler zurückgetretene Kurt von Schleicher hat hier ein Pferd laufen, das symbolträchtig „Abschied“ heißt. In einigen Bezirken wagen sich auch ein paar Gegendemonstranten auf die Straße – Kommunisten und Anhänger des sozialdemokratischen Reichsbanners. Sie werden von der Polizei auseinandergetrieben.

Goebbels, dem die Direktübertragung im Rundfunk nicht reicht, erzwingt um 22 Uhr eine weitere Reportage der „Berliner Funkstunde“, die in allen deutschen Sendern übertragen wird. Erst nach Mitternacht schließt die Übertragung – nur die Sender Stuttgart und München haben zu diesem Zeitpunkt bereits auf Geheiß der Landesregierungen abgeschaltet. Noch hört nicht ganz Deutschland auf die Nationalsozialisten. Das änderte sich jedoch bald.

Später wird Goebbels den Fackelzug mit großem Aufwand eigens für Fotografen und Kameras nachstellen lassen, damit das imposante Ende dieses Tages der Nachwelt noch besser in Erinnerung bleibt. Er inszeniert damit auch visuell die Legende von der „Machtergreifung“ Hitlers. Der Begriff suggeriert, die Nationalsozialisten hätten sich die Macht durch Kampf gegen die herrschende Elite des ungeliebten Weimarer Parteienstaats erobert. Dass Hitler vom Reichspräsidenten und gerade mit Hilfe der Intrigen der konservativen Eliten an die Spitze einer Koalitionsregierung berufen worden war, in der die NSDAP noch dazu nur eine Minderheit bildete, dies überdeckte die Goebbel’sche Legende von der „Machtergreifung“. Deshalb sind die Begriffe „Machtübertragung“ oder „Machtübergabe“ treffender für die Ereignisse des 30. Januars 1933.


Fackelzug der „nationalen Verbände“ SA, SS und Stahlhelm zur Feier der „Machtübernahme“ durch das Brandenburger Tor.


So oder ähnlich verlief der 30. Januar 1933. Die Schilderung des Tages folgt in großen Zügen den Erinnerungen der Beteiligten, wie etwa jenen von Hindenburgs Staatssekretär Otto Meissner oder Joseph Goebbels. Teils im Nachhinein niedergeschrieben, teils mit politischen Absichten verbunden, geben diese Quellen eine subjektive Sicht auf die Ereignisse wider. Dennoch lassen sie die Atmosphäre des Tages erahnen.

30. Januar 1933

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