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2. Historischer Hintergrund: Zur Entwicklung von Fleischkonsum, Lebensmittelhygiene und Schlachtereiwesen

Schlachtungen zur Lebensmittelerzeugung (sowie für Opfer-Rituale) sind prinzipiell bereits seit dem Altertum bekannt, inklusive der hygienischen Zusammenhänge und gesundheitlicher Aspekte. Eine behördliche Aufsicht der Schlacht– und Viehmärkte kannten bereits die alten Griechen, ein organisiertes Metzgereiwesen spätestens das Römische Reich. Wie andere Handwerkergruppen schlossen sich auch die Metzger im Mittelalter und der frühen Neuzeit zu Zünften, später Innungen zusammen. Sie übernahmen die Versorgung der Bevölkerung mit Fleischprodukten und verwandten Lebensmitteln – eine Aufgabe, die mit der Zeit immer mehr von kommunaler Seite organisiert wurde. Geschlachtet wurde zunächst hauptsächlich auf Märkten oder Höfen, oder direkt in den Straßen und Gassen der Ortschaften, bis zur Einrichtung öffentlicher Schlachthäuser und staatlich sanktionierter Fleischbeschauer ab dem 14. Jahrhundert. Prinzipiell war das Schlachtwesen in Preußen seit dem 16. Jahrhunderts durch königliche Verordnungen limitiert, die gewährleisten sollten, dass Viehschlachtungen nun nur in staatlichen Betrieben durchgeführt wurden.5

Größere kommunale Schlachthäuser in Städten und Gemeinden kommen schließlich maßgeblich im 18. Jahrhundert auf, zum Teil mit getrennten Schlachträumen für die christlichen und jüdischen Bevölkerungsteile. Im Zuge der Gewerbefreiheit und den Preußischen Reformen entstehen ab 1810 auch private Schlachthöfe, die zunächst jedoch meist die notwendigen Hygieneansprüche nicht erfüllen konnten. Prägend für das Bild der deutschen und europäischen Städte sind große Viehmärkte, „Wursthöfe“ und Markthallen, in denen die Lebensmittel- und Fleischproduktion, sowie die Weiterverarbeitung und der Verkauf auf herkömmlichen Handwerks- und Gewerbeniveau organisiert waren, und die meist noch in innerstädtischen Lagen situiert waren. Zuvor war es meist üblich gewesen, Vieh Zuhause auf dem eigenen Hof zu schlachten, oder die Schlachtung dort durch einen Metzger vornehmen zu lassen.6

Den spürbaren Einzug der Industrialisierung in den Schlachtbetrieb brachte das Städte- und Bevölkerungswachstum, der damit einhergehende Hygieneanspruch sowie der weitere technologische Fortschritt des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Prägend war vor allem die Einführung der Fließbandtechnologie in die Massenproduktion durch Henry Ford, Frederick W. Taylor und andere in die Stahl- und Automobilindustrie, jedoch auch die Lebensmittelproduktion.7 Ein Mitarbeiter Fords ließ sich gar für die seine Produktionsabläufe von dem, was er in den Schlachthöfen sah, inspirieren – den so genannten „disassembly lines“.8 Schlachthöfe mit ersten einfachen mechanischen Fließbandkonstruktionen entstanden schon um 1845 in den USA, in den Gewerbegebieten von Cincinatti, Ohio. 1866 entstand das große Schlachthaus Communipaw in New Jersey vor den Toren New Yorks.9 Ohne Kühlmöglichkeiten konnten Tiere zunächst nur im Winter geschlachtet und Fleisch transportiert werden, zum Beispiel nach Europa und in die Karibik. Ebenfalls in den USA, im Ballungsgebiet von Chicago, Illinois, hielt die industrialisierte Fließbandproduktion in den Schlachthöfen Einzug – zur Jahrhundertwende um 1906 wurden dort in Großfabriken bis zu 12 Millionen Schweine, Rinder und Schafe im Jahr industriell geschlachtet.10 Insgesamt fünf Großbetriebe konnten sich, analog zu anderen Industriezweigen, zügig als Marktführer etablieren und beschäftigten Tausende Arbeiter. Vorangegangen war dieser Entwicklung die Einführung von Eisenbahnkühlwagen um 1880, die die zentrale Schlachtung von Vieh in Chicago sowie den Weitertransport von zerlegten Fleischstücken ins Landesinnere erlaubte, und die klassische – wesentlich teurere und aufwendigere – Beförderung von lebenden Tieren zu den Endkonsumenten ablöste. Chicagos Bevölkerung wuchs dabei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von etwa 30.000 auf 1,7 Millionen Einwohner.11 Der Prozess der Schlachtung und Zerlegung wurde durch die industrialisierte Herangehensweise in den Großbetrieben Chicagos zeitlich und preislich optimiert, es entstand gar ein beinahe marktbeherrschendes Kartell in der US-Fleischproduktion, der sogenannte „Beef Trust“.12 Neben der Lebensmittel-Fleischerzeugung umfassten die Produktionsabläufe bald auch alle erdenklichen Nebenprodukte, die sich aus Schlachtabfällen herstellen ließen, zum Beispiel Seifen, Leder, Klebstoffe, Zahnbürsten, Gelantine oder auch Violinsaiten.13 Die wirtschafts- und arbeitspolitische Situation geriet erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit, neben US-Präsident Theodore Roosevelt befasste sich auch der Schriftsteller Upton Sinclair öffentlichkeitswirksam mit der Thematik (vgl. 3.4). 1906 wurden die ersten entsprechenden Verbraucherschutzgesetze der USA vom Kongress verabschiedet.14

Die deutsche und europäische Entwicklung des Schlachtgewerbes wurde zwar von den technologischen Erfahrungen der US-Industrie maßgeblich geprägt, dennoch wurden die Schlachthöfe selten privatisiert, sondern eher in staatlicher bzw. kommunaler Hand betrieben. In zahlreichen deutschen Städten und Ballungsräumen entstanden zum Ende des 19. Jahrhunderts Schlachthöfe auch nach US-amerikanischem Vorbild, wenngleich Bauinspirationen besonders dem französischen Schlachthoftyp mit stärker separierten Gebäuden folgten, der im Ursprung noch auf einen Erlass Napoleons I. zurückging und sich im großangelegten Pariser Schlachthof La Villette manifestierte.15 Prominente Beispiele waren unter anderem der Zentralvieh- und Schlachthof Berlins, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffnet und dessen Planung maßgeblich vom bekannten Mediziner und Naturwissenschaftler Rudolf Virchow mit angestoßen wurde, der Aachener Schlachthof, mit dessen Planungen 1877 begonnen wurde und der in den 1890er Jahren in Betrieb ging, der Schlacht- und Viehhof München, der Alte Karlsruher Schlachthof sowie der von der örtlichen Metzgerinnung initiierte und 1884 eröffnete Schlacht- und Viehhof Frankfurts, der zu den modernsten und größten Europas zählte und die Stadt am Main zu einem Hauptumschlagplatz des Viehhandels in Süddeutschland machte.16 In Sachen Verbraucherschutz stellte die mit dem Reichsfleischbeschaugesetz vom 3. Juni 1900 initiierte amtliche Fleischuntersuchung die wichtigste Kontrollinstanz zwischen Primärproduktion und Verbraucher dar.17

In heutiger Zeit – viele der ursprünglichen traditionellen Schlachthöfe wurden bereits geschlossen – fügt sich die deutsche Lebensmittelproduktion und damit auch das Schlachtwesen umfassend in internationale Produktionsprozesse ein, hierzulande in der Regel zusätzlich zu den Vorgaben des hiesigen Rechts auch gemäß den Richtlinien der Europäischen Union. Neben der Frage wirtschaftlich effizienter Produktionsprozesse spielen in jüngster Zeit auch Fragen der besonderen Produktqualität, des Tierschutzes und der Nachhaltigkeit eine enorm verstärkte Rolle.18

5 KRÜGER, Cindy: Die Geschichte des Lebensmittelhygienischen Instituts der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, Dissertation, Leipzig 2007, S. 7 ff. sowie SCHLÜTER, Aline Silja: Die amtliche Fleischuntersuchung der Tierart Rind in Deutschland: Retrospektiven, Status quo und Perspektiven, Dissertation, München 2006, S. 11 f.

6 MOHRMANN, Ruth E.: „Blutig wol ist Dein Amt, o Schlachter…“ - Zur Errichtung öffentlicher Schlachthäuser im 19. Jahrhundert, in: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Marburg 1991, S. 103 ff., MÖSCHNER, Günter: 1. März 1881: Eröffnung des „städtischen Central- Vieh und Schlachthofes“, in: Berlinische Monatsschrift 3/1997, Berlin 1997, S. 5 ff., OBERT, Michael: Schlachthof, in: Hundert Jahre Bürgerverein Oststadt, Jubiläumsbuch 1996, Hrsg.: Bürgerverein Oststadt e.V., Karlsruhe 1996, S. 117 ff., sowie VETTER, Ute: Schlachthofabriss. Blutige Geschichte, online unter: http://www.fr-online.de/hanau/schlachthofabrissblutige-geschichte,1472866,3207712.html (abgerufen am 20.05.2013, 18:20 h); vgl. auch PATTERSON, Charles: "Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka" – Über die Ursprünge des industrialisierten Tötens, Frankfurt an Main 2004, S. 71 ff.

7 KLÜVER, Reymer: 1906. Schlachthöfe – Tod am laufenden Band, in: GEO EPOCHE. Das Magazin für Geschichte. Bd. 30: Die Industrielle Revolution. Wie Dampf, Stahl und Strom die Welt veränderten, Hamburg 2008, S. 160 sowie BUSCHMANN, Walter: Schlachthof Aachen. Schlachthof als Gewerbe, online unter: http://www.rheinische-industriekultur.de/objekte/aachen/Schlachthof/Schlachthof.html (abgerufen am 19.05.2013, 19:35 h).

8 KREITLING, Holger: Industriegeschichte: Das Vorbild des Fließbands ist der Schlachthof, auf WELT ONLINE, online unter: http://www.welt.de/kultur/history/article13416694/Das-Vorbild-des-Fliessbands-ist-der-Schlachthof.html (abgerufen am 20.05.2013, 18:10 h).

9 MEISNER ROSEN, Christine: The Role of Pollution Regulation and Litigation in the Development of the U.S. Meatpacking Industry, 1865-1880, New York 2007, S. 297 ff.

10 KLÜVER, Reymer: 1906. Schlachthöfe – Tod am laufenden Band, S. 152 ff.

11 KLÜVER, Reymer: 1906. Schlachthöfe – Tod am laufenden Band, S. 153 f.

12 KLÜVER, Reymer: 1906. Schlachthöfe – Tod am laufenden Band, S. 156.

13 KLÜVER, Reymer: 1906. Schlachthöfe – Tod am laufenden Band, S. 162.

14 KLÜVER, Reymer: 1906. Schlachthöfe – Tod am laufenden Band, S. 157 sowie S. 162.

15 MOHRMANN, Ruth E.: „Blutig wol ist Dein Amt, o Schlachter…“, S. 103 ff.

16 Vgl. AYBAR, Canan-Aybüken: Geschichte des Schlacht- und Viehhofes München, München 2005, BUSCHMANN, Walter: Schlachthof Aachen. Schlachthof als Gewerbe, online unter: http://www.rheinischeindustriekultur.de/objekte/aachen/Schlachthof/Schlachthof.html (abgerufen am 19.05.2013, 19:35 h), LERNER, Franz: Ein Jahrhundert Frankfurter Fleischversorgung. Festschrift zum 100jährigen Bestehen d. Fleischerinnung u. d. Schlacht- und Viehhofs 1884-1984, Frankfurt 1984, MÖSCHNER, Günter: 1. März 1881: Eröffnung des „städtischen Central- Vieh und Schlachthofes“, S. 5 ff. und OBERT, Michael: Schlachthof, S. 117 ff. sowie SCHINDLER-REINISCH, Susanne: Berlin-Central-Viehhof. Eine Stadt in der Stadt, Berlin 1996, u.a.

17 SCHLÜTER, Aline Silja: Die amtliche Fleischuntersuchung der Tierart Rind in Deutschland, S. 9.

18 Vgl. z.B. KUHRT, Nicola: Fleischindustrie: Regierung rügt Tierquälerei in Schlachthöfen, online unter: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/schlachthoefe-arbeiten-mit-hoher-fehlerquote-tiere-leiden-unnoetig-a-840156.html (abgerufen am 19.05.2013, 20:40 h), LÜTGE, Gunhild: Fleischwirtschaft: Die Schlächter…, online unter: http://www.zeit.de/2012/09/Fleisch-Schlachten/komplettansicht (abgerufen am 18.05.2013, 16:20 h).

Das Schlachthaus als Thema der Literatur

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