Читать книгу Kluge Frauen scheitern anders - Nadine Nentwig - Страница 6

Idealismus versus Realität Eigentlich könnte doch alles so schön sein hier

Оглавление

Nachdem die erste Euphorie verflogen war, sah ich zunehmend auch die Schattenseiten meines Selbstständigen-­Daseins. Weil Rosa und ich in vielen Dingen ­unterschiedlicher Meinung waren, ging unheimlich viel Zeit für Diskussionen drauf. Das fing schon bei den kleinsten Kleinigkeiten an und zog sich bis ins Unermessliche. Am Ende war jede Entscheidung mehr oder weniger ein Kompromiss mit fadem Beigeschmack. So war ich zwar selbstständig, konnte aber doch nie wirklich mein eigenes Ding machen.

Auf der anderen Seite hatte es natürlich auch Vorteile, dass wir gleichberechtigte Gesellschafterinnen waren. Wir konnten Sorgen und Nöte miteinander teilen oder uns gegenseitig vertreten, wenn eine mal krank oder im Urlaub war. Zudem hatten wir auf unseren Reisen meistens höllisch viel Spaß und lachten nicht selten Tränen. So wurde ich zum Beispiel mal auf einer Fashion Show von der Presse versehentlich für die Freundin von Joko Winterscheidt gehalten, nur weil ich zufällig neben ihm gesessen und zwei Worte mit ihm gewechselt hatte. Als die Modenschau vorbei war, fand ich mich plötzlich umzingelt von tausend Kameras und wurde von den Reportern aufgefordert, mit meinem ­vermeintlichen Freund zu posieren. Während Joko gewohnt cool und absolut professionell reagierte, lief ich knallrot an und ergriff schlagartig die Flucht.

Eher peinlich als lustig war mein erstes Zusammentreffen mit Elle Macpherson, für die wir einige Interviewtermine mit der deutschen Presse vereinbart hatten. Sie empfing ihre Interviewpartner in einer Suite im Berliner Hotel Adlon und ich war höllisch aufgeregt – schließlich hatte ich noch nie einen Star dieser Kategorie persönlich kennengelernt und wusste dementsprechend gar nicht, wie man sich zu verhalten hatte. Sollte ich einen Knicks machen wie bei der Queen? Oder ihr einfach nur lässig die Hand schütteln? Ich hatte keine Ahnung! Als ich die Suite betrat, befand sich The Body bereits im ersten Interview, das sie höchst professionell und unglaublich charmant meisterte. Davon abgesehen, sah sie einfach fantastisch aus, war supermegadünn, riesig groß und selbst von Nahem absolut faltenfrei. Ich warf ihr ein schüchternes Lächeln zu und huschte so unauffällig wie möglich in den Nebenraum. Als das Interview zu Ende war, kam sie wie selbstverständlich zu mir herüber, begrüßte mich mit einem festen Händedruck und einem lässigen »Hi. Nice to meet you«. Total benebelt von so viel beeindruckender Star-Aura, anders kann ich mir den peinlichen Blackout echt nicht erklären, stammelte ich ihr ein »You are welcome« entgegen. Was ja so viel heißt wie »Gern geschehen«. Woraufhin sie nur freundlich grinste und sich wieder ins Nebenzimmer verzog, wo bereits der nächste Interviewpartner auf sie wartete. Als ich meinen kleinen Fauxpas realisierte, war es natürlich schon zu spät und ich hätte mich vor Scham am liebsten in der Luxusbadewanne der Suite ertränkt. Es wäre wenigstens ein stilvoller Tod mit ordentlichem Presserummel gewesen. Zum Glück konnte ich aber ein paar Tage später schon wieder darüber lachen.

Weniger lustig war allerdings, dass mit dem Erfolg auch die Ansprüche unserer Kunden wuchsen. Je mehr Geld sie uns zahlten, desto größer wurde der Druck. Überstunden ohne Ende sowie Anrufe abends um elf Uhr waren da keine Seltenheit. »Kannst du mal eben ...«, »Ich brauche mal schnell ...«, »Du musst dringend ...« – alles hatte oberste Priorität und war von äußerster Dringlichkeit. Und ich hatte damals einfach noch nicht genug Schneid, dem Ganzen Einhalt zu gebieten, was zur Folge hatte, dass ich mich zunehmend vereinnahmen ließ.

Hinzu kam, dass ich quasi fünf Jobs gleichzeitig hatte. Gemeinsam mit Rosa war ich nicht nur Geschäftsführerin einer Agentur und PR-Beraterin für unsere Kunden, sondern auch Buchhalterin, Putzfrau und Personalleiterin. Die Tage hatten gar nicht genug Stunden für all diese Aufgaben. Und so saß ich nicht selten auch am Wochenende noch über den Buchhaltungsbelegen, fuhr nach Feierabend Altglas zum Container oder kaufte morgens vor der Arbeit noch schnell Toilettenpapier fürs Büro. Da wir selbstverständlich trotzdem weiterwachsen wollten, kam es zudem öfter vor, dass wir uns auch sonntags im Büro trafen, um uns auf einen Pitch vorzubereiten. Das Ganze zehrte trotz Yogapausen und Asienurlauben unheimlich an meinen Kräften, aber die Erfolge, die wir durch unseren unermüdlichen Einsatz verbuchten, waren dieses Opfer wert. Dachte ich zumindest.

Tipp: Outsourcen

Wenn Du Dir am Anfang noch keine Mitarbeiter leisten kannst und die Arbeit droht, Dir über den Kopf zu wachsen, lagere einfache, aber zeitraubende Aufgaben an Virtuelle Assistenten aus. Von der Datenbankpflege, über Recherchetätigkeiten bis hin zur Erstellung von Präsentationen – es gibt unzählige Bürotätigkeiten, die sich problemlos an einen Virtuellen Assistenten übertragen lassen. Der Service wird sowohl von Einzelunternehmern, als auch von Agenturen angeboten, dementsprechend variieren auch die Preise.

Anbieter sind zum Beispiel:

• my-vpa (www.my-vpa.com).

• eAssistentin (www.eassistentin.de).

• manage my business

(www.manage-my-business.de).

• Virtuelle Helfer (www.virtuelle-helfer.de).

Die Selbstständigkeit war für mich immer schon Inbegriff der totalen Unabhängigkeit gewesen. Wie oft hatte ich voller Sehnsucht den hippen Typen hinterhergeschaut, die den ganzen Tag lang lässig mit ihren Laptops im Café abhingen. Hatte meine freiberuflich arbeitenden Freunde beneidet, die nie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein mussten. Und überhaupt: Als Selbstständige konnte ich doch kommen und gehen, wann ich wollte, war ich niemandem Rechenschaft schuldig, konnte ich unliebsame Aufgaben einfach delegieren. Ein Traum!

Dachte ich.

Leider sieht die Realität ganz anders aus, wie ich sehr bald feststellen musste. Denn die totale Unabhängigkeit, wie ich sie mir ursprünglich vorgestellt hatte, gibt es so eigentlich gar nicht. Tatsächlich sind wir überall und ständig von anderen Menschen abhängig und viel öfter, als wir vielleicht denken, auf deren Hilfe oder Goodwill angewiesen. Sei es nun im Job oder im Privatleben. Besonders deutlich wird dieser Umstand allerdings erst, wenn das Kartenhaus zusammenbricht. Dann wird oftmals auf recht drastische Weise sichtbar, wie sehr wir einander wirklich brauchen – eine Lektion, die ich jetzt ein für allemal lernen sollte.

Es fing schon damit an, dass ich in der Selbstständigkeit ziemlich schnell an meine eigenen Grenzen kam. Denn wenn man nicht fünf Jobs gleichzeitig machen will, muss man lernen, abzugeben und andere um Hilfe zu bitten. Der Tag hat nun mal leider nur 24 Stunden, wodurch zumindest die zeitlichen Mittel schon einmal begrenzt sind – obgleich ich selbstverständlich versucht habe, diese 24 Stunden so effektiv wie möglich zu nutzen. Ganz so, wie es mir in den unzähligen Frauenzeitschriften und Werbeclips immer vorgelebt worden war. Morgens eine Stunde joggen, sich unterwegs mal eben einen grünen Smoothie holen, danach zehn Stunden im Job durchpowern, sich abends noch mit Freunden oder dem Partner treffen und nebenbei spannenden Hobbys nachgehen. Alles kein Problem. Für die tollen Powerfrauen aus der Werbung. Ich persönlich habe meistens nicht mal ein Zehntel davon geschafft. Und das war auf Dauer ein sehr unbefriedigendes Gefühl. Zurückgeführt habe ich diesen Umstand aber nicht auf die Tatsache, dass es einfach total unrealistisch ist, sich am Tag so viel vorzunehmen. Vielmehr habe ich an meinem Engagement und meinem Selbstmanagement gezweifelt. Hatte ich doch von Managern ­gelesen, die jeden Tag morgens um halb fünf aufstehen, um ihr Tagespensum zu schaffen. Weil das für mich aber nicht infrage kam, blieb mir nur eines übrig: Ich musste lernen, abzugeben.

Und so kam ich an meine erste Mitarbeiterin, die tatsächlich ein wahrer Segen war. Nicht nur, weil sie mir Arbeit abnahm, sondern weil sie mir auch menschlich schnell ans Herz wuchs. Da wir uns anfangs ein Großraumbüro teilten, verbrachten wir jeden Tag sehr viel Zeit miteinander – Zeit, in der natürlich nicht nur gearbeitet, sondern auch mal gequatscht wurde. So hatten wir die Möglichkeit, uns kennenzulernen, was zwar einerseits sehr schön war, andererseits aber auch schnell zu Problemen führte. Denn je näher mir diese Person stand, desto schwieriger fiel es mir, sie um etwas zu bitten, von dem ich wusste, dass sie es nicht mochte. Zum Beispiel um Überstunden.

Dabei bereiteten mir mehrere Aspekte Unbehagen. Zum einen war mir natürlich klar, dass sie mich vermutlich für meine Bitte mindestens den Rest des Tages verfluchen würde, denn wer bleibt schon gern länger im Büro als unbedingt nötig? Zum anderen gab es da auch immer eine innere Stimme, die zu mir sagte: Du bist die Chefin, also hast du gefälligst auch den Mehraufwand auszubaden. Es stand also zugleich immer die Frage im Raum, ob meine Bitte überhaupt berechtigt war.

Als Rosa schwanger wurde und plante, Elternzeit zu nehmen, standen wir vor einer weiteren Herausforderung, die wir nur mit noch mehr Personal stemmen konnten.

Tipp: Tausch Dich aus

Als Rosa schwanger wurde, habe ich einige Male mit einer erfolgreichen Unternehmerin telefoniert, die selbst Mutter zweier Kinder war und uns viele organisatorische Tipps geben konnte. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden, sondern kann von den Erfahrungen anderer profitieren. Vielleicht hast Du jemanden im Bekanntenkreis, der bereits seit mehreren Jahren selbstständig ist und bereit ist, seine Erfahrungen mit Dir zu teilen.

In Rosas Abwesenheit war ich die alleinige Ansprechpartnerin für unsere Mitarbeiter. Dabei wurde mir bewusst, dass nicht nur ich meine Angestellten regelmäßig um etwas bitten musste, sondern natürlich auch umgekehrt: Meine Mitarbeiter mussten mich ebenfalls ab und an um Hilfe bitten und auf mein Verständnis hoffen – Verständnis, das ich zugegebenermaßen auch nicht immer aufbringen konnte.

Zum Beispiel erinnere ich mich noch gut an unseren Mitarbeiter Marc, der stark hypochondrische Züge hatte. Fast schon wöchentlich konfrontierte er mich mit neuen Krankheitsbildern, in denen er sich glaubhaft wiedererkannt haben wollte. Eines Morgens rief er total alarmiert an, klagte über Sehstörungen und hatte sich selbst eine beginnende Multiple Sklerose diagnostiziert - was mir auf den ersten Blick nicht sonderlich wahrscheinlich erschien. Trotzdem konnte ich ihn mit dieser Vermutung schlecht zur Arbeit zitieren. Ich schickte ihn also zum Arzt und es stellte sich heraus, dass er eine leichte Bindehautentzündung hatte, die mit ein paar homöopathischen Augentropfen locker wieder behoben werden konnte.

Was mir zu Beginn meiner Selbstständigkeit übrigens auch nicht bewusst gewesen war, war die enorme Verantwortung, die man nicht nur für sich, sondern auch für seine Angestellten trug. Von dem Tag an, an dem wir unsere erste Mitarbeiterin einstellten, waren wir nicht mehr länger nur für uns verantwortlich. Das bedeutete, dass jede unternehmerische Entscheidung, die wir trafen, automatisch auch Auswir­kungen auf viele weitere Menschen hatte. Und mit diesem ­Bewusstsein sägt man nicht mal eben einen Kunden ab, nur weil er nervt und ständig morgens um sieben Uhr anruft. Wenn ich das getan hätte, wäre ein wichtiger Etat weggebrochen und ich hätte vielleicht einen Mitarbeiter entlassen müssen. Im Vergleich zu diesem Horrorszenario waren die fordernden Kunden immer das kleinere Übel für mich. Gleichzeitig hatte dieser Umstand Einfluss auf mein Handeln, was mich extrem unfrei machte. Begleitet wurde das Ganze außerdem von der Angst, weitreichende Fehlentscheidungen zu treffen oder Kunden nicht zufriedenzustellen. Dabei ist es das Natürlichste der Welt, dass Kunden auch mal die Agentur wechseln. Gerade weil das Agenturgeschäft hart umkämpft ist und es Konkurrenten wie Sand am Meer gibt.

Fazit:

Sein eigener Chef zu sein, bedeutet nicht, dass Du dadurch automatisch mehr Zeit und weniger Stress hast. Eher im Gegenteil: Druck und Verantwortung wachsen mit zunehmendem Erfolg. Trotzdem musst Du längst nicht alles als gegeben hinnehmen.

Was mir erst in meiner Selbstständigkeit klar geworden ist:

• Mitarbeiterführung ist kein angeborenes Talent, das man entweder hat oder nicht. Sowas kann (und sollte) man lernen! Es gibt unzählige Seminare (www.semigator.de) zu diesem Thema und je intensiver Du Dich mit diesem Bereich auseinandersetzt, desto sicherer und einfacher wird Dir der Umgang mit Deinen Mitarbeitern fallen.

• Es ist wichtig, seinen Kunden gleich von Beginn der Zusammenarbeit an klare Grenzen aufzuzeigen und auch mal Nein zu sagen. Wie ich (leider erst viele Jahre später) feststellen durfte, können die meisten Auftraggeber ganz gut damit leben.

• Wer den Anspruch hat, alles allein stemmen zu wollen, kommt schneller an seine Grenzen, als ihm lieb ist. Es ist wichtig bestimmte Aufgaben frühzeitig zu delegieren, um sich selbst auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren zu können.

Kluge Frauen scheitern anders

Подняться наверх