Читать книгу Kluge Frauen scheitern anders - Nadine Nentwig - Страница 7

Schwanger, na und? Ich zeige meinem Körper, wer der Herr im Hause ist

Оглавление

In meinem Bekanntenkreis gibt es einen Running Gag. Entstanden ist er an einem Abend, an dem Freunde von mir ein Konzert gaben, bei dem ich Rita kennenlernen durfte. Rita sah aus wie die Punkrock-Version von Marilyn Monroe: wasserstoffblonde Locken mit fettem schwarzem Haaransatz, verlaufenes Augen-Make-up, weißes, bauchfreies Spitzenoberteil mit Löchern und dazu eine knallenge Lederhose mit schwarzen Plateau-High-Heels. Irgendwie kamen wir auf das Thema Heuschnupfen und ich sang ein Klagelied über meine Beschwerden. Daraufhin kam von ihr nur ein knappes »Allergien? Krieg ich nicht. Ich zeig’ meinem Körper, wer der Herr im Hause ist«. Und damit war das Thema für sie beendet.

Seither kursiert der Satz in meinem Freundeskreis lustig umher und sorgt vor allem zwischen mir und meinem Mann immer wieder für Gelächter. Dabei ist Ritas Denke viel weiter verbreitet, als mir damals vielleicht bewusst war. Denn auch ich ignoriere immer wieder gern die Zeichen meines Körpers – obwohl ich weiß, dass sie sich nur bis zu einem gewissen Grad ignorieren lassen und dass das alles andere als gesund ist. Aber gerade wenn man ­selbstständig ist, darf man sich keinen Krankheitstag erlauben – dachte ich. »Selbst und ständig« lautet hier die Devise. Da passen ­körperliche Wehwehchen nun mal so gar nicht ins Programm. Aus diesem Grund pumpte ich mich nicht selten mit allen möglichen Medikamenten voll und schleppte mich gern auch mal krank ins Büro. Und mein Körper hat, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei ihm bedanken möchte, eine ganze Zeit lang ohne Murren mitgemacht. Die Taktik ging also auf. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich schwanger wurde. Denn Tatsache ist: Spätestens, wenn man Mutter wird, bekommt man seine eigenen körperlichen und zum Teil auch psychischen Grenzen klar und deutlich aufgezeigt. Zum ersten Mal so richtig bewusst wurde mir dieser Umstand an einem Sonntagnachmittag. Wir waren im Pitch um einen großen internationalen Modekonzern, der für unsere Agentur einen riesigen Schritt nach vorn bedeutet hätte. Aus diesem Grund lag mir sehr viel daran, den Etat für uns zu gewinnen. Um das zu erreichen, musste ein Konzept her. Und zwar nicht irgendein Konzept. Nein nein, das beste Konzept, das wir je erarbeitet hatten! Wir standen also mächtig unter Druck, weshalb wir beschlossen, auch das Wochenende durchzuarbeiten. Die Woche war bereits schon enorm anstrengend und nervenaufreibend gewesen. Doch mein Ehrgeiz und mein Siegeswille waren so groß, dass ich fest davon überzeugt war, noch über genug Energiereserven zu verfügen, um das Wochenende durcharbeiten zu können. Und so war es auch. Bis ich die Heimreise des Grauens antrat.

Als ich am späten Sonntagnachmittag vollkommen erschöpft die Bahn nach Hause nahm, fand ich mich plötzlich in einem Pulk besoffener Fußballfans wieder. Ich wohnte ­damals in der Nähe des Stadions, weshalb es für mich eigentlich keine Besonderheit war, mir mit grölenden ­Trikotträgern eine Bahn zu teilen. Als ich jedoch an diesem Tag von unzähligen, nach Schweiß, Alkohol und Kotze stinkenden Typen umringt war, fand ich das alles andere als lustig. Innerlich schwankte ich zwischen »Ich muss mich gleich übergeben«, »Ich bring hier gleich jemanden um« und »Gleich fang ich an zu heulen«. Meine Nerven lagen so dermaßen blank, dass ich wirklich ernsthaft überlegte, einen dieser grölenden Vollpfosten eigenhändig mit seinem dämlichen Fanschal zu ­erwürgen. Der Impuls war auf jeden Fall da und ich bin mir sicher: Dafür hätte ich auch noch die Kraft aufgebracht. Doch der Qualen nicht genug, spitzte sich die Situation noch zu. Denn ungefähr auf der Hälfte der Strecke machte plötzlich die Bahn schlapp und alle Passagiere wurden gebeten, auszusteigen. Gemeinsam mit dem johlenden Fußballtross machte ich mich also auf den Weg nach draußen, wo sich die gesamte Meute auf dem nahe gelegenen McDonald‘s-­Parkplatz versammelte. Ich, aus Mangel an ­Alternativen, wutschnaubend mittendrin. Ich wurde angerempelt, angehustet, angeniest, angesungen und jemand schüttete mir versehentlich Bier über die Jacke. Um Schlimmeres zu verhindern, nahm ich schließlich all meine Kräfte zusammen und bahnte mir den Weg ins Restaurant. Dort angekommen, bestellte ich mir erst einmal den fettesten Burger, den es gab, obwohl ich eigentlich Vegetarierin war. Laut motzend verzog ich mich anschließend in die hinterste Ecke, verschlang wütend meinen Burger und versuchte, mich erst einmal zu beruhigen. Leider brachten die geschätzten tausend Kalorien keine Linderung und auch ein Ersatzbus, der wenigstens ein nahendes Ende in Aussicht gestellt hätte, war nicht in Sicht. Und so beschloss ich, meinen Mann um Hilfe zu bitten, der an diesem Nachmittag Dienst hatte. Schon als ich seine Stimme hörte, brachen alle Dämme und die Tränen flossen in Strömen. »Hol mich hier raus! Sonst sterbe ich«, heulte ich voller Dramatik. Woraufhin mein armer Mann natürlich höchst alarmiert war und wahrscheinlich dachte, mir wäre sonst was passiert. »Was ist denn los?«, gab er entsetzt zurück. »Ich will sofort hier weg. Komm jetzt einfach!«, schrie ich ihn an. Ich war wirklich nicht in der Stimmung für lange Erklärungen.

Daraufhin legte ich auf, schleppte mich mit letzter Kraft an den Straßenrand und wartete dort auf Erlösung in Form unseres Autos. Als mein Mann dann endlich, mit Panik in den Augen und quietschenden Reifen, auf dem Seitenstreifen anhielt, ließ ich mich auf den Autositz fallen und heulte drei Stunden lang hysterisch durch, bis ich schließlich in einen tiefen Schlaf fiel.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte und zum Glück wieder bei klarem Verstand war, ließ ich die Geschehnisse des Vorabends noch einmal Revue passieren. Solche ­Drama-Queen-Auftritte sahen mir alles andere als ähnlich (was übrigens auch mein Mann bestätigen kann) und ich hatte zwar durchaus nah am Wasser gebaut, aber das erklärte keine dreistündige Heulorgie. Der Grund konnte also nur die äußerst unglückliche Verquickung aus Schwangerschaftshormonen und akuter Überarbeitung sein. Eine explosive Mischung, wie ich nun weiß. Denn wenn mein Mann nicht gekommen wäre, um mich abzuholen, ich weiß nicht, wie dieser Abend für mich und die geschätzten hundert ­Fußballfans geendet hätte. Auf jeden Fall nicht gut. Und zwar für mindestens einen von uns.

Um also das Leben meines Kindes und auch das aller anderen Menschen zu bewahren, beschloss ich an diesem Morgen einmal mehr, meine eigenen Grenzen zu respektieren. Zwar zog ich den Pitch trotzdem noch wie geplant durch und das auch mit Erfolg. Der Bahnvorfall war mir jedoch noch wochenlang so präsent, dass ich über ausreichend Kraft und Entschlossenheit verfügte, Grenzen zu setzen und andere um Hilfe zu bitten – etwas, das bei mir offenbar immer erst dann funktioniert, wenn ich wirklich nicht mehr anders kann. Wie eine Art Notfallhebel, den ich ziehe, wenn ich total am Boden bin und förmlich dazu gezwungen werde. Am Ende ist der Überlebensdrang glücklicherweise dann doch immer stärker als die Scham, um Hilfe bitten zu müssen.

Komischerweise bin ich mit dieser wirklich hirnrissigen und absolut gar nicht logischen Vorgehensweise nicht allein auf dieser Welt. Wie oft musste ich in meinem Bekanntenkreis mit ansehen, wie sich Freunde quälten und kasteiten, nur um ja keine Hilfe annehmen zu müssen. Allerdings habe ich mich nie gefragt, warum das so ist.

Nun bin ich natürlich weder eine renommierte Psychoanalytikerin noch eine studierte Wissenschaftlerin. Deshalb gehe ich jetzt einfach mal ganz plump davon aus, dass es meinen Freunden genauso geht wie mir: Dass sie denken, wenn sie jemanden um Hilfe bäten, sei das ein Zeichen von Schwäche und es mache sie verletzlich und angreifbar, wenn sie zugäben, etwas nicht allein zu schaffen. Dass sie befürchten, sie büßten an Autonomie ein, wenn sie in bestimmten Situationen auf andere Menschen angewiesen seien oder sie stünden in jemandes Schuld, wenn sie seine Hilfe annähmen. Dabei vergessen wir, dass all diese Gefühle der falschen Auffassung entspringen, dass wir Menschen dazu gemacht seien, immer alles allein zu regeln. Das stimmt aber nicht. Ich gebe mich zwar auch immer wieder gern dieser Illusion hin, weil es sich einfach gut anfühlt, stets Herr der Lage sein zu können. Tatsache ist aber, dass kein Mensch auf dieser Welt immer alles super im Griff hat, alles prima allein hinbekommt, nie auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Und – wenn wir mal ehrlich sind – das ist doch auch gar nicht schlimm! Ich persönlich habe jedenfalls überhaupt gar kein Problem damit, jemandem mal ein bisschen unter die Arme zu greifen – in welcher Form auch immer. Oft ist uns die Hilfe, die wir leisten, sogar noch nicht einmal bewusst. Mir hat zum Beispiel mal eine gute Freundin unbewusst die Augen geöffnet, indem sie einfach nur voll ehrlicher Bewunderung gefragt hat, wie ich »schwanger sein«, »herumreisen« und »eine Agentur leiten« überhaupt unter einen Hut bekomme. »Wieso? Ist das denn nicht selbstverständlich?«, habe ich daraufhin nur verwirrt geantwortet. Bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel: Ich machte mir mit meiner riesigen Anspruchshaltung mir gegenüber das Leben unnötig schwer. Diese bescheuerte Denke, dass ich immer alles wuppen müsse, und das auch noch allein. Wozu sollte das überhaupt gut sein? Wem half das denn? Und was hatte ich am Ende überhaupt davon? Anerkennung? Bewunderung? Ist es denn nicht viel klüger und verantwortungsbewusster, seine eigenen Fähigkeiten und Grenzen einschätzen zu können und sich, wenn nötig, rechtzeitig Hilfe zu suchen? Wenn ich mir das Bein gebrochen habe, humpele ich ja auch nicht noch zwei Wochen lang damit durch die Gegend in der Hoffnung, dass mein Körper sich selbst heilt. Ich gehe sofort zum Arzt, weil ich weiß, dass er in der Lage ist, mich rasch und kompetent zu behandeln und ich viel schneller wieder fit und somit nicht mehr auf Hilfe anderer angewiesen bin.

Fazit:

Selbstständigkeit bedeutet nicht, immer alles allein meistern zu müssen. Ganz im Gegenteil: Es ist absolut okay und sogar schlau auf die Hilfe anderer zurückzugreifen. Um Deine Grenzen zu wahren, musst Du natürlich zunächst einmal wissen, wo sie überhaupt liegen. Um die ersten Anzeichen der ­Überlastung richtig zu deuten, musst Du Dich selbst aber schon ganz gut kennen.

Anzeichen von Überbelastung:

Hellhörig werden solltest Du, wenn Du zum Beispiel:

• oft gereizt bist.

• Dich permanent erschöpft fühlst.

• ständig unter Strom stehst und das Gefühl hast, gar nicht mehr zur Ruhe zu kommen.

• Schlafschwierigkeiten hast.

• Du überhaupt keine Zeit mehr für Dich, Deinen Partner, Deine Familie, Deine Freunde hast.

• Du körperliche Symptome wie anhaltende Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen wahrnimmst.

Was mir hilft, wenn ich das Gefühle habe, mal wieder an meine Grenzen zu stoßen:

• Mit einer guten Freundin darüber zu sprechen.

• Mir ein kleines Wellnessprogramm zu gönnen und zum Beispiel zur Massage, in die Sauna und zur Kosmetikerin zu gehen.

• Mir eine bewusste Auszeit von allem zu nehmen. Das heißt Handy aus, Laptop aus und ein ­ganzes Wochenende mit einem guten Buch auf der Couch zu verbringen.

• Gegenpole zu schaffen und Dinge zu unternehmen, die mir Spaß machen.

• Regelmäßig Sport zu treiben. Das macht den Kopf frei.

• Viel Zeit in der Natur zu verbringen.

Kluge Frauen scheitern anders

Подняться наверх