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Kapitel 1

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Mein Name hallte durch das Treppenhaus. »Aufstehen!» hörte ich meine Mutter rufen, als sie die Treppe hinaufkam. Einen Augenblick hielt ich inne, erinnerte mich an das morgendliche Aufstehen für die Abiturprüfungen, die erst wenige Wochen zurücklagen. »Gott sei Dank«, dachte ich. Diese Zeit liegt hinter mir, heute musste ich keine Klausur mehr schreiben. Meine Mutter betrat das Zimmer, zog mit lautem Rattern die Rollläden vor den beiden Zimmerfenstern nach oben und warf mir einen Brief auf das Bett mit dem Hinweis:

»Post für dich!«

Sofort war ich hellwach, mehrere Wochen hatte ich auf diesen Brief gewartet. Heute würde ich endlich erfahren, wo ich die nächsten Monate verbringen würde. Rasch öffnete ich den Umschlag. Der Brief war mein „Job Placement“ für einen mehrmonatigen Aufenthalt in Nordamerika, wo ich zunächst drei Monate als „Camp Counselor“ – also als Betreuer – in einem Sommercamp mit Kindern arbeiten und anschließend noch weitere drei Monate durch Nordamerika reisen wollte. „Camp Osprey Valley“ in Hoxley, Michigan stand in dem Brief in fettgedruckten Lettern. Ich sprang aus dem Bett und griff nach meinem Schulatlas. »Hm, Michigan, Michigan…«, ich vermutete es im Norden der USA, irgendwo nahe der kanadischen Grenze. Dann hatte ich ihn auf der Landkarte der Vereinigten Statten gefunden, den Staat im Nordosten der USA, unmittelbar an den Lake Michigan und an Kanada grenzend. Das war zwar ziemlich weit weg von meinem ursprünglichen Traumziel - ich hatte auf Kalifornien gehofft - aber die Abenteuerlust packte mich und die Nähe zu Kanada reizte mich. Am zehnten Juni würde ich von London aus mit dem Flugzeug nach New York aufbrechen, am folgenden Tag dann weiter nach Detroit. Wunderbar! Ein Gefühl der Freiheit erfasste mich, die ganze Welt schien mir nun offen zu stehen, mir zu Füßen zu liegen. Nicht mehr länger war ich eingezwängt in ein Korsett aus schulischen Verpflichtungen, fest strukturiertem Tagesablauf und immer denselben Orten. Was brauchte ich nun noch für die Reise? Einen Schlafsack, eine neue Badeshorts, einen Geldgürtel, auch diverse Impfungen musste ich mir noch verabreichen lassen... und auch Dollar sollten noch getauscht und Travelers Cheques organisiert werden. Schließlich stand noch ein letzter Routinebesuch beim Zahnarzt an, um größere Beschwerden in den nächsten Monaten möglichst auszuschließen… Ich spürte die fürsorgliche Unruhe meiner Mutter. Sicherlich war es nicht einfach, den Sohn nun „loszulassen“, ihn in die weite – vielleicht nicht ungefährliche – Welt ziehen zu lassen. Die notwendigen Besorgungen waren in wenigen Tagen erledigt. Am zehnten Juni brachten mich meine Eltern morgens zum Flughafen nach Maastricht in den Niederlanden, von wo ich mit dem Flugzeug nach London Stanstead, einem kleinen Flughafen im Norden Londons aufbrach. Im Reisebüro hatte ich recherchiert, dass ich von dort aus mit dem Bus in circa zwei Stunden zum Flughafen Gatwick im Süden Londons fahren konnte. Wenn alles glatt lief, würde ich das Flugzeug nach New York am späten Nachmittag ohne Probleme erreichen. Bei der Verabschiedung von den Eltern erfasste mich ein mulmiges Gefühl, fast sechs Monate würde ich sie nun nicht mehr sehen. Solange war ich noch nie von zuhause weg gewesen. In den Jahren zuvor war ich zwar in den Sommerferien mit Freunden jeweils vier Wochen durch Frankreich, Spanien, Portugal und im Jahr darauf durch Dänemark, Schweden und Norwegen gereist, aber das waren im Vergleich zum jetzt anstehenden Auslandsaufenthalt doch eher überschaubare Zeiträume und Distanzen. Sanft küsste ich meine Mutter und meinen Vater auf die Wangen, umarmte sie, und verabschiedete mich von ihnen. Hektisch gab mir meine Mutter noch einige kurze Ratschläge, die ich kaum wahrnahm, zu sehr war ich in Gedanken und Vorfreude über die bevorstehende Reise…

»Pass gut auf dich auf!«, riefen mir die Eltern noch im Gleichklang nach… »und nutz die Kreditkarte, die wir dir für Notfälle mitgegeben haben, wenn es Probleme geben sollte«, hörte ich meinen Vater noch sagen, »…und melde dich – zumindest kurz -, wenn du angekommen bist, wir machen uns sonst Unruhe!«, rief meine Mutter mir noch hinterher. Dann betrat ich den Boarding-Bereich, winkte meinen Eltern noch ein letztes Mal durch die Glasscheibe kurz zu, bevor ich die Sicherheitskontrollen am Flughafen passierte und in das Flugzeug nach London Stanstead stieg. Während des Fluges dachte ich an die letzten Wochen: die Abiturprüfungen, an Anna, mit der ich erst kurz zuvor angebandelt hatte, was meine Pläne vielleicht noch einmal ins Wanken hätte bringen können. Sie war wunderbar, immer mit einem Lächeln auf den Lippen, ein engelhaftes, sanftes Gesicht, schulterlange, blonde Haare und eine sehr angenehme, ruhige Stimme – eine Traumfrau! Das alles schien nun auf einmal so weit weg - wie aus einem anderen Leben… In Stanstead angekommen, verließ ich das Ankunftsterminal, schnell hatte ich die Bushaltestelle gefunden, von wo der Bus zum Flughafen Gatwick abfuhr. Nach gut zwei Stunden kam der Bus dort an. Die Fahrt übers Land und durch London genoss ich. Ich erinnerte mich an mehrere Aufenthalte in England vier, fünf Jahre zuvor, als ich an Schüleraustauschprogrammen meiner ehemaligen Schule und meines Leichtathletikvereins teilgenommen hatte, die mich in eine kleine Partnerstadt südlich von London – gar nicht weit weg von Gatwick – sowie nach London und Brighton geführt hatten. Ich war damals begeistert vom Eintauchen in eine andere Welt. Es waren sehr wertvolle Aufenthalte, denn sie hatten – ebenso wie einige Aufenthalte in Frankreich - mein Interesse für andere Länder und Sprachen geweckt. Plötzlich war Englisch nicht mehr ein langweiliges, mühsames Lernfach wie Mathematik oder Biologie, sondern etwas Lebendiges, der Schlüssel zu Menschen, zu anderen Kulturen und Mentalitäten... Von da an machte es mir Spaß, Sprachen zu lernen. Bei jedem Treffen mit den neu gewonnenen Freunden aus England und Frankreich konnte ich mich besser verständigen, Gefühle und Gedanken zum Ausdruck bringen und bei den Engländerinnen und Französinnen „landen“… Ich hatte es genossen, durch meine guten Sprachkenntnisse, schnell „Hahn im Korb“ zu sein… Die „Engländerin“, mit der ich damals anbandelte, war dann zwar eine Niederländerin, die mit Mutter und Schwester nach England zum neuen Partner der Mutter gezogen war, aber das machte die kleine Teenager-Liaison nicht weniger romantisch und erinnerungswürdig...

Am Flughafen Gatwick angekommen, suchte ich nach dem richtigen Terminal und dem Check-in für den Flug nach New York. Nach einigem Suchen hatte ich den richtigen Schalter gefunden. Für die „Camp Counselor“ aus Europa war eigens ein Jumbo-Jet gechartert worden, der alle von London aus nach New York bringen sollte. In der Schlange am Check-in-Schalter stand ein junger Mann vor mir, der einen sympathischen Eindruck machte. Schnell kamen wir ins Gespräch. John, so hieß er, war Engländer aus der Nähe von London. Seine Reise begann also erst in London.

»Mein Bruder ist vor einigen Jahren in die USA ausgewandert. Er lebt nun in Chicago und hat dort inzwischen ein eigenes Maler-Business!«, berichtete John. »Europäer sind in den USA in handwerklichen Berufen aufgrund ihrer meist guten europäischen Ausbildung sehr gefragt«, meinte er. »Das Geschäft meines Bruders dort läuft jedenfalls sehr gut. Er hat den Wechsel in die Staaten nicht bereut und ist dort inzwischen mit einer Schauspielerin glücklich verheiratet. Vielleicht werde ich also bald schon Onkel«, schmunzelte er. Schnell schlossen John und ich Freundschaft und es war ein gutes Gefühl, die weite Reise nicht alleine fortsetzen zu müssen. Er hatte ein „Job Placement“ für ein Camp in Wisconsin, einem Nachbarstaat von Michigan, erhalten. Wir verstanden uns auf Anhieb bestens, lachten und scherzten miteinander und unterhielten uns über „Gott und die Welt“. Ich war sehr froh darüber, weil es angenehm war, die Zeit des Wartens mit einer guten Unterhaltung zu verkürzen. Die für uns beide neue und ähnliche Situation, die Ungewissheit, was die nächsten Wochen auf uns zukommen würde, schaffte von Beginn an eine gewisse Vertrautheit zwischen uns. Nach dem Check-in und längerem Warten im Abflugbereich konnten wir endlich „boarden“. Die Größe des Jumbos war sehr beeindruckend und staunend sah ich mich um. Ich war noch nie zuvor in einem solch großen Flugzeug geflogen. Es war voll besetzt mit jungen Leuten, die alle einen Sommer als „Camp Counselor“ in den USA verbringen würden. Die Stimmung war entsprechend gut, es herrschte eine Art „Welteroberungsstimmung“, alle waren gut gelaunt und fröhlich und malten sich aus, wie es wohl sein würde, in einem „Summer Camp“ in den USA zu leben und zu arbeiten. Schon bald kursierten kleine Zettel durch die Sitzreihen. „Wer fährt ins Camp Mansfield in Ohio?“ oder ähnliche Fragen standen darauf. Nach einiger Zeit kam tatsächlich auch bei mir ein Zettel an, auf dem stand, „Hi, ich bin Chris, ich fahre zum Camp Osprey Valley in Hoxley, Michigan. Fährt noch jemand dorthin? Ich sitze in Reihe 6, Sitz C“. Ich hielt Ausschau nach Chris und rief: »Hey, wer fährt ins Camp Osprey Valley?«

Ein stämmiger, lustig aussehender junger Mann mit blonden Haaren, die einen leicht rötlichen Schimmer hatten, und mit blasser, typisch englischer Hautfarbe mit „Fraggles“ (Sommersprossen) um die Nase herum drehte sich um und strahlte mich an. Wir riefen uns einige Sätze zu und vereinbarten dann, uns später auf eine Unterhaltung zu treffen, da wir zu weit auseinander saßen. John saß im Flugzeug neben mir und wir unterhielten uns längere Zeit. Irgendwann wurde ich müde und nach und nach gingen mehr und mehr Platzlichter aus. Schließlich wurde das Licht zwei Reihen vor mir gelöscht mit dem Kommentar »Good night Jim-Bob, good night Mary-Ann«, dem „Gute Nacht-Spruch“, mit dem jede Folge der Fernsehserie „Die Waltons“ endete. Ich musste lachen. Meine Gedanken kreisten um Anna. »Wie hätte sich unsere Beziehung wohl entwickelt, wenn ich nicht für längere Zeit ins Ausland aufgebrochen wäre?«, fragte ich mich. Ihr sanftes, engelhaftes Gesicht vor Augen schlief ich ein.

Die Nacht war unruhig, mehrfach versuchte ich, durch Änderung der halb liegenden Sitzposition eine bessere Stellung zum Schlafen zu finden. Aber die Enge der Sitzreihen erlaubte nur kurze Schlafintervalle. Außerdem spürte ich durch die klimatisierte Raumluft schnell eine unangenehme Trockenheit in Mund und Rachen und hielt mit einem Auge fortwährend Ausschau nach der Stewardess, die mit gefüllten Wasserbechern durch die Reihen schritt, um sie den Passagieren anzubieten. Irgendwann, als ich die Augen öffnete und versuchte, der meinen Körper allmählich erfassenden Steifheit durch Recken und Strecken entgegenzuwirken, sah ich die Sonne am Horizont aufgehen. Zunächst war sie nur als schmaler heller Streifen sichtbar, bevor sich allmählich der runde, erst rötlich schimmernde, dann in kräftigem hellem Gelb erstrahlende Sonnenkörper am Horizont erhob - ein angenehmer Blick bei wolkenlosem Himmel am frühen Morgen, ein perfekter Start in „day one in America“.

Was alles würde man in den nächsten Wochen und Monaten erleben? Nach und nach erwachten die jungen Leute, vertrieben sich die Zeit mit Filme gucken und warteten auf das Frühstück. Ich traf mich mit Chris auf dem Gang und wir sprachen über unsere Erwartungen an den Camp-Aufenthalt. Wir hatten noch einen weiteren jungen Mann im Flugzeug ausfindig gemacht, der ebenfalls ein „Job Placement“ für das Camp „Osprey Valley“ erhalten hatte. Nolan aus Greenwich, England. Er wirkte eher verschlossen und unsicher und sprach sehr wenig.

»Ich war bereits letztes Jahr in einem Camp in den USA - damals allerdings im Staate New York«, erzählte Chris.

»Und, wie war es?« fragte ich ihn.

»Nun ja, die Arbeit mit Kindern ist nicht immer einfach, aber „sehr erfüllend“«, sagte Chris mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen. Als ich ihn irritiert anschaute, meinte er:

»Nein, ganz ehrlich, natürlich ist die Arbeit mit Kindern nicht immer leicht, aber insgesamt hat mir die Arbeit gefallen und ich habe den Aufenthalt sehr genossen, deshalb war es für mich auch keine Frage, dass ich in diesem Jahr wieder an dem Counselor-Programm teilnehmen würde.«

Chris war ein sehr aufgeweckter, lustiger Typ, er sprach mit einem leichten Londoner „Cockney-Akzent“ und hatte immer einen witzigen oder ironischen Spruch parat. In seinen abgewetzten blauen Jeans, seinem rot-blau gestreiften, ausgeblichenen, weiten Sweatshirt und seinen ausgelatschten weißen Turnschuhen mit schwarzen Streifen wirkte er lässig und entspannt. Wir mochten uns vom ersten Augenblick an, obwohl es zunächst so schien, als hätten wir nur wenig Gemeinsamkeiten. Chris wirkte auf mich zuerst eher oberflächlich und „einfach gestrickt“, was sich aber noch als völlig falscher erster Eindruck herausstellen sollte. Später erfuhr ich, dass eine Rechtschreibschwäche ihm die Chance genommen hatte, in den Genuss einer fundierten höheren schulischen Ausbildung zu kommen. Trotzdem war er sehr vielseitig interessiert, erstaunlich gebildet, klar und treffend in seinen Analysen und recht redegewandt. Die „Chemie“ zwischen uns stimmte und jede gemeinsame Unterhaltung war von angenehmer Leichtigkeit und stets mit einer guten Prise Humor gewürzt.

Summer Camp Amerika

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