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Kansas, Juli 1868

Zwei Wochen vergingen, in denen Sadie ihre Strafarbeiten ohne zu murren verrichtete.

Sie hatte Rachel seit dem Treffen in Mary-Janes Café nicht wiedergesehen.

Caroline wuselte im Haus herum, verteilte Aufgaben und wartete auf ihren Mann.

Jason O’ Connor sollte für ein paar Tage nach Hause kommen, da musste das Haus sauber, die Tiere versorgt und der Hof gefegt sein.

Verstohlen warf sie sehnsüchtige Blicke aus dem Küchenfenster, ging im Flur auf und ab und lief endlich aus dem Haus, als sie Silver, ein Rappe mit eleganter Mähne, wiehernd auf den Hof kommen hörte.

»Jason, du bist endlich da.« Jason stieg ab und nahm seine Frau in die Arme. Wie oft die beiden auch getrennt waren, sie liebten sich unabdingbar.

Sadie folgte ihrer Mutter, umarmte ihren Vater, der sie liebevoll aufs Haar küsste.

»Mein Kind, warst du auch gehorsam?« Er legte einen Finger unter Sadies Kinn und drückte ihren Kopf leicht nach oben, so dass er ihr in die Augen sehen konnte.

»Aber natürlich«, log sie. Dabei hatte sie ein ganz komisches Gefühl im Magen. Heute war der letzte Tag, an dem sie ihre Strafe abarbeiten musste.

»Und wie ist es dir ergangen?« Er nahm seine Frau erneut in den Arm und ging mit ihr zum Haus.

»Ich habe mich gut geschlagen, aber du fehlst mir immer so sehr.«

Sadie blieb zurück. Sie nahm die Zügel und führte Silver in den Paddock. Erst dort sattelte und trenste sie ihn ab und füllte frisches Wasser in einen Krug. Danach klopfte sie ihm auf den Hals. Beauty war auf der Wiese. Er blickte gerade in Sadies Richtung und wieherte. Sadie lächelte.

»Ich vermisse dich auch«, flüsterte sie. Silver neben ihr schnaufte.

Sadie verließ den Paddock und blieb ihm Flur stehen. Sie lauschte, wie ihre Eltern in der Küche saßen und redeten. Aber es ging um belanglose Dinge, deshalb trat sie zu ihnen und setzte sich neben ihren Vater. »Wie geht es Rachel?«

»Die ist krank. Wir haben sie schon eine Weile nicht mehr gesehen«, sagte Caroline schnell und nahm den pfeifenden Kessel vom Herd.

»Oh, und das in den Ferien. Die arme, wenn du sie besuchst, grüße sie ganz lieb von mir.«

»Sie hat eine ansteckende Krankheit. Dr. Andrews weiß auch nichts Genaues.«

»Nicht, dass wir noch eine Cholera - Epidemie bekommen«, brummte Jason.

»Hoffentlich nicht. Sadie, bitte sei so lieb und decke den Tisch. Mary-Jane hat mir heute Morgen einen Apfelkuchen mitgegeben.«

»Das klingt gut.« Er lächelte.

Von der Seite beobachtete Sadie ihren Vater. Sein Backenbart war fülliger geworden, doch sein Körper wirkte schlanker. Sadie hasste seine blaue Jacke mit den goldenen Knöpfen und das hellrote Halstuch. Diese Uniform bedeutete, dass ihr Vater wieder zurück zur Kavallerie musste. Meistens hatte er nur zwei bis drei Tage, die er mit seiner Familie verbringen konnte. Die Siedler freuten sich, wenn ein Offizier nach Hause kam. Sie waren so euphorisch, dass Mary-Jane ein Festmahl kochte, der Reverend Edwards Jason O’ Connor in seiner Predig bedachte und sogar Mr. Greene lächelte.

Der Apfelkuchen war heute besonders gut. Sadie nippte an ihrem Tee. Caroline streichelte ihrem Mann über die Hand, bevor sie sich ihm gegenüber setzte. Seit Caroline mit Sadie zusammen nach Kansas gezogen war, kam Jason des Öfteren nach Hause, jedoch nicht oft genug. Die Arbeit in der Armee zwang ihn von einem Fort ins nächste zu reiten. Jason versuchte so wenig wie möglich von der Arbeit zu erzählen, doch heute war er sehr redselig.

»Wie ist es euch in meiner Abwesenheit ergangen?«

»Ganz gut. Vor den Ferien sprachen wir in der Schule über die Berufswahl.«

»Und was möchtest du nach der Schule machen?« Jason nahm ein weiteres Stück Kuchen und teilte es auf dem Teller.

»Ich weiß nicht.« Sadie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht sollte ich eine Kinderfrau werden oder aber ich werde Lehrerin.«

»Denkst du, du schaffst das?«, fragte Caroline.

»Warum nicht? Sie ist klug und gescheit, außerdem lieben die Kinder unsere Tochter«, verteidigte Jason sie und strich ihr über den Kopf. Sadie lächelte.

»Und wie war es bei dir? Müssen wir uns Sorgen machen?« Caroline blickte ihren Mann ernst an.

Jason schielte zu Sadie, bevor er sich nach vorne beugte, die Unterarme auf den Tisch verschränkte und schluckte. »Die Verhandlungen mit den Indianern laufen nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Sie überfallen Häuser und töten Menschen. Unser Major verhandelt gerade um die Wiedereinsetzung von General Custer.«

»Ist das denn möglich?« Caroline war entsetzt.

»Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur, dass wir ihn brauchen. Seine Erfahrung als Gruppenführer wird die Indianer ein für allemal vernichten.« Jason schlug unbeabsichtigt laut mit der Faust auf den Tisch, so dass der Tee überschwappte. Sadie, die während des Gesprächs starr auf ihren Teller geblickt hatte, zuckte zusammen. Sie mochte nicht, wenn ihr Vater so über andere Menschen sprach. Sie wollte nicht, dass er irgendjemanden tötete.

»Warum müsst ihr das machen? Könnt ihr nicht Frieden schließen?«

»Sadie, mein Kind. Es wird erst wieder Friede sein, wenn alle Indianer fort sind. Hast du denn nicht zugehört? Sie töten Menschen und brennen Höfe nieder. So etwas dürfen wir auf keinen Fall durchgehen lassen.«

»Könnt ihr denn nicht mit ihnen sprechen?«

»Nein, das sind Wilde. Mit denen kann man nicht sprechen.« Damit stand Jason auf, stellte seinen Teller auf die Anrichte neben der Spülschale und ging hinüber in den Wohnbereich.

»Lass deinen Vater mal zur Ruhe kommen! Er ist sicher müde. Sonst frage ihn, ob er ein Bad nehmen möchte, und lass ihm Wasser ein.« Caroline deckte den Rest ab und spülte das schmutzige Geschirr.

»Möchtest du ein Bad nehmen, Vater?« Sadie blieb, mit verschränkten Armen hinter dem Rücken, am Torbogen zum Wohnbereich stehen.

»Sehr gerne.« Er zog sich seine Jacke aus und reichte sie Sadie. Darunter trug er ein beiges Hemd. »Hier, nimm das mal ab und hänge es an die Garderobe.«

Sadie tat wie ihr geheißen und hängte die Jacke auf. Danach ging sie zum Brunnen, um mehrere Eimer Wasser für das Bad zu holen. Als sie den letzten Eimer mit heißem Wasser in den Zuber hineingetan hatte, rief sie ihren Vater.

Am darauffolgenden Tag stand Sadie schon früh auf. Heute war der erste Tag, an dem sie wieder ausreiten durfte. Sie schlich sich nach unten und suchte im Wohnbereich nach einem Blatt Papier. Sie wollte ihren Eltern eine Notiz hinterlassen, damit sie sich keine Sorgen machen müssten. Der morgendliche Ausritt war zwar ein Ritual in den Ferien, doch wollte sie heute etwas weiter hinaus reiten.

Beauty reckte den Kopf, als Sadie das Gatter öffnete, und wieherte ihr zu. Beim Aufsatteln und Aufsteigen tänzelte er und Sadie hatte Mühe, ihn zu halten. Am liebsten wäre sie wieder abgestiegen, so ganz traute sie dem Ganzen noch nicht. Vielleicht sollte ich zu Rachel reiten und sie bitten mich zu begleiten?, dachte sie.

Mit Vorsicht und angezogenen Zügeln ritt Sadie vom Hof und lenkte Beauty zu Rachels Haus. Diese Farm war kleiner, viel kleiner als ihre. Rachels Mutter hatte Beete mit verschiedenem Gemüse und zwei Obstbäume, die in Abständen ums Haus herum standen. Einer war kleiner als der andere, denn so alt waren die Bäume noch nicht. Die Äpfel konnten Mr. Greene noch nicht zum Verkauf angeboten werden, deshalb verkaufte Mrs. Douglas das Obst an Mary-Jane, die Äpfel und Kirschen in ihren Kuchen verarbeitete.

Familie Douglas bewohnte ein Grassodenhaus. Ein anderes Haus war bei der geringen Ernte und den zwei Kindern, die immerzu Hunger hatten, nicht möglich. Es war einfach zu teuer, auch wenn Mr. Douglas keine Angestellten hatte, war das Geld noch zu knapp.

Die Fensterläden waren noch geschlossen, was Sadie vermuten ließ, dass die Familie noch schlief.

Gerade als sie mit Beauty vom Hof reiten wollte, wurden die Fensterläden aufgeklappt und Mr. Douglas lächelte in den Tag.

»Oh, guten Morgen.«

Sadie drehte sich um. »Guten Morgen, Mr. Douglas.«

»Rachel ist noch nicht auf, falls du sie besuchen möchtest.«

»Ja, hab ich mir schon gedacht.«

»Sie wird die nächste Zeit auch keine Zeit für dich haben. Wir brauchen Hilfe auf der Farm. Seit Kurzem halten wir Schweine und Hühner. Wir verkaufen Eier und die Schweine wollen wir züchten«, berichtete er.

»Oh, schade.« Enttäuschung machte sich in Sadie breit. Mr. Douglas’ kleiner Schnurrbart wackelte bei jedem Wort. Seine Ohren waren groß, doch wurden sie von dem buschigen Kotletten gut versteckt.

»Kannst du Rachel ausrichten, dass ich hier war?«

»Das mache ich, auf Wiedersehen.« Dann verschwand er vom Fenster und Sadie entfernte sich wieder von der Farm.

Beauty fiel in einen leichten Trab und glitt in einen mittleren Galopp. Dabei schloss Sadie für eine kurze Zeit die Augen und genoss die Wärme der aufgehenden Sonne auf ihren Lidern.

Es hatte seit Wochen nicht geregnet, der Boden war besonders hart und die Pflanzen lechzten nach Wasser. Sadie hörte einen durstigen Bären auf der Suche nach einer Wasserstelle und sah einen Adler auf der Jagd nach seiner Beute.

Doch plötzlich übernahm Beauty die Kontrolle. Er wurde schneller und jeder Hufschlag donnerte auf dem harten Boden. Äste von verlorenen, verwaisten Bäumen in der Prärie peitschten Sadie ins Gesicht. Panisch klammerte sie sich an seine Mähne fest. Bloß nicht herunterfallen, bloß nicht herunterfallen, betete sie.

Doch Sadie fiel und blieb mit dem Fuß im Steigbügel hängen.

Bevor er sich beruhigte, schleifte er Sadie eine viertel Meile hinter sich her.

Hinter einer großen Biegung blieb Beauty stehen. Sadie traten Tränen in die Augen. Als sie versuchte, sich aufzurichten, übermannte sie ein Schmerz, so heftig wie ein Messerstich. Ihre Augenlider fühlten sich schwer wie Blei an und trieben sie in die Bewusstlosigkeit.

»Wo bin ich?«, murmelte Sadie, als sie aufwachte. Sie blinzelte ein paar Mal, bevor sie ahnte, wo sie sich befand. Sie lag in einem kegelförmigen Zelt und neben ihr loderte ein Feuer in einem Steinkreis. Als sie sich aufrappelte, spürte sie die weichen Büffelfelle, auf denen sie lag. Sadies Kopf schmerzte, als würde ihr jemand von innen einen Stein gegen die Stirn werfen. So legte sie sich schnell wieder hin und erkundete im Liegen das Zelt. Einige Feldtaschen standen herum. Ein Köcher mit Pfeilen stand neben dem Ausgang auf der anderen Seite.

Sadie hörte Stimmen vorm Zelt, die sich in einer unbekannten Sprache unterhielten. Ihr Körper spannte sich an, das Herz klopfte wie wild in ihrer Brust, als das Büffelleder aufgeschlagen wurde und jemand ins Zelt trat.

Was mache ich denn jetzt?. Panisch dachte sie nach.

Mit geschlossenen Augen blieb sie ruhig liegen. Eine Hand legte sich auf ihre Stirn und Sadie lief vor Kälte ein Schauer den Rücken hinab. Wieder redete jemand in der fremden Sprache und Sadie konnte nur ahnen, von wem sie gefangen genommen wurde. Als ihr die Augenlider einzeln hochgezogen wurden, öffnete sie ihre Augen und blickte in das Gesicht eines Indianers.

Er hatte schwarze Haare, in dem sich graue Strähnen verloren hatten.

»Hallo«, murmelte Sadie, zitternd vor Angst. Der Indianer nahm ihre Hand und drückte sie ganz fest, während er etwas gebrochenes Englisch sprach. »Du wach. Wie gehen dir?«

Sadie runzelte die Stirn. »Entschuldige, ich weiß nicht.«

Der Indianer stand auf und verließ das Zelt.

Zum Glück hat er mich nicht getötet. Sadies Anspannung verpuffte. Ein Mörder würde sein Opfer doch nicht so liebevoll behandeln.

Sadie tastete ihre Stirn, als der Mann mit einem jüngeren Indianer zurückkam. Er zog Sadies volle Aufmerksamkeit auf sich. Seine perlweißen Zähne und die muskulösen Oberarme machten ihn sehr attraktiv, doch an den Indianer vom Fluss kam er nicht heran. Sein Gesicht hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Sie könnte ihn unter Hunderten von Indianern wiedererkennen.

»Guten Tag. Ich bin Black Horse und das ist mein Vater Big Crow. Mein Vater ist der Medizinmann in unserem Dorf. Er fragte, wie es dir geht?«

»Du sprichst meine Sprache?«

»Ja.« Black Horse übersetzte seinem Vater. »Mein Vater versucht die Sprache noch zu lernen. Bitte verzeih ihm!«

»Das ist nicht schlimm.« Sadie setzte sich auf. »Ich habe Kopfschmerzen.« Erneut betastete sie ihre Stirn.

»Wir haben hier etwas Suppe für dich.« Black Horse nahm eine Schüssel von seinem Vater und reichte sie weiter an Sadie. »Du musst wieder zu Kräften kommen.«

»Wieso bin ich hier? Habt ihr mich gefangen genommen und warum habe ich überhaupt dieses Kopfweh?« Sadie pustete in ihre Suppe.

Black Horse übersetzte. Sein Vater lächelte und wies Sadie an, die Suppe zu essen.

»Wir haben dich in der Prärie hinter einer Wegbiegung bewusstlos gefunden. Du bist vom Pferd gestürzt. Du bist unsere Patientin, nicht unsere Gefangene.« Er schmunzelte.

»Nein, wirklich?«

»Ja, zum Glück haben wir dich gefunden. Mein Vater hat dein Bein versorgt.« Er deutete auf Sadies Bein, welches mit Stöcken fixiert war. Als sie das Bein versuchte zu bewegen, zogen sich Schmerzen wie ein Blitz durch ihren Körper. »Aua.«

»Ja, das braucht noch Zeit, um wieder zu verheilen.«

»Wie lange denn? Ich muss gleich nach Hause. Meine Eltern suchen mich sicher schon.«

»Das ist schlecht. Du kannst jetzt nicht von hier weg. Du bist gestürzt. Wir haben schon drei Monde gewartet, bis du aufgewacht bist«, erklärte Black Horse. Big Crow nicke dabei.

»Das verstehe ich nicht. Was bedeutet drei Monde?« Sadie rappelte sich auf. Ihr Kopf tat zwar höllisch weh, doch musste sie den beiden Männern in die Augen sehen, falls sich ihre Ahnung bestätigte. Lieber Gott im Himmel, geheiligt werde dein Name.

»Vor drei Tagen.«

Alles Beten war verloren. Sadie, die Schüssel auf dem Schoß, vergrub das Gesicht in den Händen. »Oh, nein. Bitte nicht«, murmelte sie.

Black Horse berührte sie vorsichtig an der Schulter. »Tut mir leid, wenn du Ärger bekommst.«

»Ärger, mein Vater wird mich hängen.« Sadie liefen die ersten Tränen die Wangen hinab. Big Crow tippte seinen Sohn auf die Schulter. Er wollte Antworten.

»Mein Vater möchte wissen, warum du so in Sorge bist?«

»Weil mein Vater die Siedlung in einen Ausnahmezustand versetzt, wenn ich verschwunden bin. Er ist gerade auf Heimaturlaub.«

»Heimaturlaub, ist er ein Soldat?«

»Ja«, seufzte ich und blickte die beiden Retter an.

Daraufhin beobachtete Sadie, wie Vater und Sohn sich in aller Ruhe unterhielten.

Vielleicht beratschlagten sie, was sie mit mir machen sollten. Vielleicht doch töten und essen oder freilassen? Sadie war sich nicht sicher, hoffte aber auf Letzteres.

»Mein Vater und ich sind uns einig«, sagte Black Horse. Big Crow nickte, als verstünde er doch jedes Wort. Sadie wartete erwartungsvoll.

»Wir werden dich in die Nähe einer Wohnsiedlung bringen. Wir wollen keinen Ärger mit den Weißen bekommen.«

»Gut, wann brechen wir auf?« Sadie lächelte.

»Vater meint, wir sollten bis morgen warten. Du warst drei Monde nicht bei Bewusstsein. Das ist zu gefährlich.«

»Wir können aber nicht warten. Mein Vater hat großen Einfluss, wenn er mich hier findet, wird er euch angreifen und euer Dorf zerstören.«

Daraufhin redete Black Horse wieder mit seinem Vater.

»Gut, iss deine Suppe auf! Mein Vater wird dir eine neue Schiene anlegen, während ich die Pferde fertigmache.«

Erst jetzt fiel mir Beauty wieder ein. »Was ist mit meinem Pferd?«

»Dein Pferd stand einige Schritte entfernt und graste.« Black Horse ging hinaus.

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Beauty war nichts geschehen, dafür hatte ich aber umso stärkere Schmerzen. Big Crow arbeitete mit seinen geschickten Händen, berührte das Bein, strich leicht darüber und murmelte etwas Unverständliches. Danach fixierte er es wieder und stand auf.

Black Horse kam zurück und half Sadie auf.

»Star Dancer gibt dir ein Kleid, damit du deinen Rock nicht anziehen musst. Er wurde durch den Sturz zerstört.«

»Zerstört?« Ich runzelte die Stirn.

»Ja, einige Löcher sind dort drinnen.« Black Horse ging auf die andere Seite des Tipis, wie die Indianer ihre Zelte nannten, und nahm etwas aus einer der Feldtaschen. »Hier, wir mussten den Rock zerstören, damit wir dein Bein heilen konnten.« Er reichte mir die Kleidung.

O je, sie haben das eine Bein meiner Knickerbocker vom Bündchen an der Naht aufgeschlitzt. »Das ist lieb, doch muss ich meinen Rock tragen.« Sadie vermied zu erklären, dass es sich nicht um einen Rock handelte. Die Indianer würden nur Fragen stellen, die sie ja doch nicht beantworten konnte. Sogar in der Siedlung wurde sie mit eigenartigen Blicken bedacht, wenn eine Frau eine Hose oder eine Hose mit weiten Beinen trug. Es war für viele unvorstellbar, jedoch für Sadie angenehm. »Wenn ich eure Kleidung trage, weiß mein Vater sofort Bescheid.«

»Es ist unhöflich, etwas abzulehnen.« Black Horse übersetzte seinem Vater die Unterhaltung.

»Ja, ich weiß.« Sadie senkte den Kopf. »Doch ist das alles nur zu eurem Besten. Ich möchte nicht, dass euch etwas geschieht.« Deshalb schlüpfte sie mit dem einen Bein in die Hose und geriet ins Straucheln. Black Horse half ihr und setzte sie wieder zu Boden. Danach nahm er das andere Hosenbein und half ihr hinein. Es war luftig, als Black Horse Sadie erneut aufhalf. Zum Glück trug sie eine längere Bluse, die ihr bis über den Po ging.

Als sie gemeinsam aus dem Tipi kamen, wurde Sadie von allen Seiten beäugt.

Ein neues Gesicht in einer fremden Kultur!

Sadie wurde schwindelig und sie taumelte leicht zur Seite. Black Horse fing sie auf und setzte sie auf einen umgekippten Baumstamm neben das Tipi. Ein junges Mädchen, nicht viel älter als sie, reichte ihr einen Schöpflöffel mit frischem Wasser. »Das ist Star Dancer«, erklärte Black Horse und sagte etwas zu ihr. Sadie nippte an dem Löffel und dankte der Indianerin mit einem Nicken.

Danach kam ein weiterer Indianer mit großen Zähnen und Armreifen an den Oberarmen. In der Hand hielt er zwei zusammengebundene Seile, die als Zügel dienten. Sie endeten an einer selbstgebauten Trense. »Komm, ich helfe dir.« Black Horse griff Sadie unter die Arme und half ihr zusammen mit dem fremden Indianer aufs Pony hoch. Danach schwang er sich selbst auf das Pferd. Sadie blickte sich um und sah Beauty, der neben dem Schimmel stand. Big Crow kam zum Abschied und reichte Sadie murmelnd die Hände.

»Danke für alles«, sagte sie, obwohl sie wusste, dass er nichts verstand.

Der fremde Indianer reichte Black Horse die Zügel, die er noch zusätzlich in der Hand behielt, und trieb sein Pferd aus dem Dorf.

Sadie griff in die Mähne und versuchte gegen das Schwindelgefühl anzukämpfen. »Lehn dich an meine Brust, wenn du nicht mehr kannst«, sagte Black Horse ruhig. Sadie war es unangenehm, doch wurden ihre Augen irgendwann zu schwer und sie schloss sie für einige Zeit. Black Horse ritt weiter, ab und zu rüttelte er sie wach, um zu fragen, wo sich das Haus befände, was Sadie mit einem Achselzucken erwiderte. Sie wusste nicht mehr, wo sie war oder wo die Indianer sie gefunden hatten. »Irgendwo in der Nähe des Arkansas River«, sagte sie und so blieb Black Horse nichts anderes übrig, als sie dort abzulegen.

»Sadieeee, Sadieeee«, riefen mehrere Stimmen nacheinander.

Sadie rieb sich die Stirn. Ihre Augen flatterten wie die Flügel eines jungen Vogels bei seiner ersten Flugstunde. Vorhin lag sie in den Armen eines Indianers und jetzt am Ufer des Arkansas River.

Es war windstill, so dass das Wasser besonders ruhig war. Sie hörte einen Frosch quaken oder war das nur eine Einbildung? Sadie wusste es nicht, war nur dankbar für die medizinische Behandlung der Indianer. Nur wusste sie nicht mal, zu welchem Volk Black Horse gehörte.

Ein Schnauben von Beauty verriet ihr, dass sie nicht alleine war.

Die Stimmen wurden kräftiger und ihr Name hallte lauter in ihren Ohren. »Hier, bin ich«, flüsterte sie und stolperte über ihre eigenen Worte.

»Seht her, da vorne ist Beauty«, rief jemand von der anderen Seite des Flusses. Sadie drehte den Kopf und sah Adam, der auf seinem Pferd durch den Fluss ritt, dicht gefolgt von Jason. Kurz bevor sie das andere Ufer erreichten, sprangen sie von ihren Pferden und eilten zu Sadie, die versuchte sich auf die Ellbogen zu stützen.

»Mensch, Sadie. Wir haben dich überall gesucht. Wo hast du bloß gesteckt?« Adam strich Sadie über die Wange. »Was ist passiert?«

»Ich bin gestürzt.«

»Schnell, Robert.« Dr. Andrews watete mit seiner Tasche durch das Flussbett. Er war kein guter Reiter und hatte die Wassertiefe falsch eingeschätzt, so dass er zu früh vom Pferd abgestiegen war.

Er untersuchte sie wie Big Crow, orderte Wasser und entfernte die Kompressen. Sofort wurden ihm mehrere Feldflaschen gereicht.

»Du hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung und das Bein ist gebrochen. Aber das wurde schon ganz gut fixiert«, stellte er mit einem kurzen Blick fest. »Hast du das selbst gemacht?« Dr. Andrews schaute sie durch seine dicken Brillengläser an.

Sadie nickte.

»Sehr gut.«

»Komm, ich helfe dir hoch und dann bringen wir dich nach Hause.« Jason half Sadie auf und setzte sie auf Beauty, der gerade am Ufer stand und trank. »Ich werde die Zügel nehmen, halte du dich gut fest. Wo ist denn dein Sattel?« Jason zog die Stirn in Falten.

»Der ist mir beim Sturz heruntergefallen. Ich habe ihn irgendwo liegen gelassen. Ich hatte mich verirrt und war froh, als ich das Ufer erreicht hatte.«

»Das war auch richtig so.« Jason setzte sich wieder auf sein Pferd.

Adam stieg ebenfalls auf sein Pferd Caesar. Er wich Sadie nicht von der Seite, was manchmal anstrengend war, denn man könnte denken, dass die beiden sich gerne mögen. Sadie hatte Adam gerne, keine Frage, doch nicht so, wie er es sich wünschte. Adam war ein guter Freund, mehr nicht.

»Wie war es in Washington?«, fragte Sadie, um der Stille zu entfliehen. Adam interessierte sich für Politik. Er hatte jeden Artikel, jedes Buch in den Händen, verfolgte das Leben des Abraham Lincoln und trauerte nach seinem Tod um ihn. Er hatte die Fahrt nach Washington von seinem Vater zum Geburtstag bekommen. Dort hatte er in einem schönen Hotel residiert und traf Andrew Johnson, der seit April 1865 das Amt des Präsidenten übernommen hatte. Adam hatte ihn bestimmt erschlagen mit seinen ganzen Fragen, die er über die Jahre gesammelt hatte. Bei diesem Gedanken schmunzelte Sadie.

Adam griff nach der Hand seiner Freundin.

»Nicht, bitte.« Sadie senkte den Kopf, während sie Adam lauschte.

»In Washington war es sehr gut. Präsident Johnson war sehr nett. Ich erzählte ihm von den Problemen im Westen, den Indianern, die uns immerzu hindern, unser Leben hier aufzubauen. Er hörte mir geduldig zu und beantwortete meine Fragen.

»Aber die Indianer waren doch als Erste hier im Land«, murmelte Sadie.

»Mag sein, doch sie hindern uns am Fortschritt und das muss aufhören. Immer mehr Siedler folgen den Trails und werden sich hier niederlassen. Irgendwann wird aus unserer kleinen Siedlung eine richtige Stadt, du wirst schon sehen.« Adams Augen glänzten.

Sadies Kopf fing wieder an zu schmerzen und sie hielt ihn sich kurz. Das holprige Reiten auf Beauty machte ihr zu schaffen. Diesmal konnte sie sich nicht mit geschlossenen Augen anlehnen, musste selbst das Gleichgewicht halten, was ihr schwerfiel. Jason führte die Gruppe an. Er war der beste Reiter, den sie kannte. Fast jeder Mann aus der Siedlung hatte sich Jason angeschlossen, um seine Tochter zu suchen.

»Was ist mit dir, Sadie?« Adam ritt dichter zu Sadie und griff nach ihrer Hand.

»Mein Kopf schmerzt so sehr.«

»Du musst nur noch ein wenig durchhalten. Wir sind bald zuhause.«

Caroline wartete mit Händen in den Hüften auf der Veranda. Als sie die Gruppe erkannte, kam sie auf sie zu und half zusammen mit Adam und Jason Sadie vom Pferd herunter. »Mein Mädchen, was ist bloß mit dir geschehen?«, fragte sie vorwurfsvoll.

»Alles in Ordnung. Mir ist nichts passiert. Ich bin nur zu weit geritten, habe dabei die Orientierung verloren und bin vom Pferd gestürzt.«

»Du weißt doch, dass du nicht so weit reiten darfst.« Caroline setzte ein besorgtes Gesicht auf.

»Caroline, müssen wir das jetzt besprechen? Ich denke, dass Sadie ins Bett muss.« Jason hob seine Tochter hoch, denn der Weg zum Haus war für sie beschwerlich. Sadie dankte ihm dafür.

»In Ordnung. Ich werde veranlassen, dass die Pferde in die Stallungen kommen.«

Jason brachte Sadie ins Bett. Er schlug das Kissen auf und öffnete das Fenster.

Die Luft im Raum war stickig, aber das Wetter herrlich.

Caroline kam mit Dr. Andrews ins Zimmer. Sie trug ein Tablett mit einem Glas Wasser und einer Hühnersuppe, die Mary-Jane extra für Sadie gekocht hatte.

»Hier, für dich.« Sie stellte das Tablett auf den Nachttisch.

»Das ist lieb, aber ich habe gar keinen Hunger.« Sadie rieb sich die Stirn. Sie spürte eine leichte Übelkeit, was wahrscheinlich eines der Symptome der Gehirnerschütterung war. Sie wusste es, weil letztes Jahr Reverend Edwards von der Postkutsche erfasst und mit den Kopf gegen einen Zaunpfahl gefallen war. Danach klagte er über Kopfschmerzen und Übelkeit. Auch an jenem Tag hatte Dr. Andrews eine Gehirnerschütterung diagnostiziert.

Dr. Andrews nahm sein Stethoskop vom Hals und hörte Sadies Lungen ab.

»Ist alles in Ordnung mit ihr, Robert?«, fragte Caroline. Sie faltete die Hände zu einem Gebet zusammen.

»Wie ich vorhin schon deinem Mann gesagt habe, hat Sadie ein gebrochenes Bein, eine leichte Gehirnerschütterung und einige Schürfwunden. Ich verordne ihr ein paar Tage Bettruhe. Morgen werde ich nochmal vorbeikommen und ihr einen Gipsverband anlegen, außerdem bekommt sie für die Zeit eine Gehhilfe.«

»In Ordnung, danke.« Caroline tauschte einen Blick mit ihrem Ehemann, der am Fußende stand und die Untersuchung still verfolgte.

»Gerne. Ich gehe dann mal zurück in meine Praxis.« Dr. Andrews packte sein Stethoskop wieder ein und wurde von Jason hinausbegleitet. »Du musst was essen, Sadie. Mary-Jane hat die Suppe extra für dich gemacht.« Caroline nahm das Tablett und stellte es aufs Bett. Sadie setzte sich auf und tauchte den Löffel in die Suppe. Großen Hunger verspürte sie nicht, doch aß sie etwas, um kein Aufsehen zu erregen. »Lecker.«

»Weißt du, Rachel hat nach dir gefragt.«

»Wirklich?«

»Ja, sie war gestern kurz hier, weil sie von dem Suchtrupp gehört hatte, und hat sich nach dir erkundigt.«

»Das ist nett.« Also liegt ihr doch noch was an mir, kam Sadie der Gedanke und sie schmunzelte.

Ein Klopfen unterbrach das Gespräch.

»Ja, bitte.« Sadie löffelte.

»Hallo, Sadie.« Adam trat hinein und ging aufs Bett zu. Er stellte sich neben Caroline, die sich auf die Bettkante gesetzt hatte.

»Wie geht es dir?«

»Es geht so. Ich habe Kopfschmerzen.« Sadie fasste sich an die Stirn.

»Ich wollte dir noch nachträglich zum Geburtstag gratulieren.«

»Welchen Tag haben wir denn heute?«

»Heute ist der 5. Juli.«

»Oh, dann habe ich meinen Geburtstag in der Prärie verbracht«, murmelte Sadie und ihr wurde bewusst, dass sie ihren Geburtstagskuchen versäumt hatte.

»Ob Mary-Jane mir trotzdem einen Geburtstagskuchen backt?«

»Ich weiß nicht, frag sie doch einfach.« Caroline legte sich ihr Haar über die Schulter.

»Vielleicht mache ich das.« Sadie löffelte zum letzten Mal und reichte das Tablett ihrer Mutter, die einen sorgenvollen Blick in die Schüssel warf. »Ich bin müde und möchte etwas schlafen.«

»In Ordnung, mein Schatz.« Caroline küsste Sadie auf die Stirn. »Komm, Adam! Sadie braucht jetzt Ruhe.«

Adam verabschiedete sich mit dem Versprechen, morgen nach ihr zu sehen.

Erschöpft ließ sich Sadie ins Kissen sinken und schloss die Augen.

Sie ließ die letzten Tage noch einmal Revue passieren, versuchte sich an irgendetwas zu erinnern, an die Menschen im Dorf. Black Horse, Big Crow und Star Dancer. Und dann blitzte eine kleine Erinnerung auf. An einem der Tipis hing eine amerikanische Flagge. Sadie hatte die nur ganz kurz gesehen, als Black Horse ihr aus dem Tipi geholfen hatte.

Am darauffolgenden Tag wurde Sadie von ihren singenden Eltern in ihrem Zimmer geweckt.

»Happy Birthday to you, happy Birthday to you, happy Birthday, happy Birthday, happy Birthday to you«, sangen sie fröhlich. Caroline trug ein Tablett mit einem leckeren Frühstück, Jason ein in Geschenkpapier eingepacktes Päckchen. »Guten Morgen, Liebes, alles Liebe und Gute nachträglich.« Caroline stellte das Tablett auf den Nachttisch und küsste Sadie auf die Stirn.

»Dankeschön«, murmelte sie eingewickelt in ihre Bettdecke.

»Ja, herzlichen Glückwunsch. Nur das Beste für dich.« Jason legte das Geschenk auf die Bettdecke. »Ein Kleinigkeit für dich.« Damit trat er zwei Schritte zurück und vergrub die Hände in den Taschen. Auch wenn er sich oftmals sehr ruhig verhielt, bedeutete es nicht, dass er abwesend war. Er bekam alles mit. Das macht wohl der Beruf aus. Sadie war froh, ein Mädchen geworden zu sein, denn sonst hätte man sie vielleicht darauf gedrillt, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Und so ist sie damit beschäftigt, die Schule zu beenden und bald mit Hilfe ihrer Mutter einen heiratsfähigen Mann zu finden. Was ihr natürlich auch nicht wirklich gefiel, aber immer noch besser, als in den Krieg ziehen zu müssen.

Vorsichtig öffnete Sadie das Paket. »Ein paar neue Stiefel, danke.«

»Das Tragen der Schuhe dauert leider ja noch ein paar Wochen, aber das wird schon.« Caroline nahm die Stiefel und stellte sie neben die Kommode in die Ecke.

»Die sind wunderschön. So habe ich ein Ziel, schneller gesund zu werden.« Sadies Blick fiel auf ihre Hose, die Black Horse zerschneiden musste, damit Big Crow ihr Bein heilen konnte.

»Deine Hose lasse ich von Josephine nähen. Sie hat Talent und könnte sich hier eine kleine Schneiderei aufbauen. Vielleicht helfe ich ihr bei den Vorbereitungen.«

Josephine kam vor einigen Wochen in die Siedlung und übernachtete bei Mrs. McKenzy. Sie wollte mit ihrem Mann in den Westen kommen, um neu anzufangen, aber er starb bei einem Überfall der Indianer. Josephine konnte sich noch in die Siedlung retten. Mrs. McKenzy war so gütig, sie für ein paar Tage aufzunehmen, aus denen Wochen wurden. Mrs. McKenzy meinte, dass die Trauer sie gefangen hält.

»Warum nicht?«, sagte Sadie und trank ihre warme Milch.

»Robert wird jeden Moment hier sein und dir den Gips anlegen, also bitte iss dein Frühstück auf! Wir sind unten und erwarten ihn.« Damit verließen die beiden das Zimmer und Sadie blieb allein zurück.

Der Tag zog sich hin und Dr. Andrews erreichte die Farm, als die Sonne am höchsten stand.

»Es tut mir leid, dass ich jetzt erst komme, doch heute waren so viele Notfälle bei mir, dass ich kaum Luft holen konnte.« Er stellte seine Arzttasche ans Fußende und schlug die Bettdecke weg. Das Bein tat mehr weh als gestern und als er es bewegte, stöhnte Sadie kurz auf.

»Tut das sehr weh?«

»Mm.« Sadie biss die Zähne zusammen und nickte.

Caroline kam ins Zimmer und legte eine Decke unter das Bein. »Hier, damit ihr das Bettlaken nicht schmutzig macht.« Sie strich es glatt und stellte sich, mit den Händen hinterm Rücken, an die Tür.

Dr. Andrews fing an den Gips mit Hilfe von Baumwolle herzustellen. »Er trocknet schnell. Weißt du, wer den Gipsverband erfunden hat?«, fragte er, während er das Bein bearbeitete.

»Nein.« Weiterhin biss Sadie die Zähne zusammen.

»Ein Niederländer. Die Niederlande sind in Europa.«

»Aha, gut.« Und was hilft mir das? Sadie schüttelte den Kopf.

»Ja, das ist ganz interessant«, sagte er und war ganz in seine Arbeit vertieft. »Warst du schon einmal in Europa? Auf meiner Reise in den Westen habe ich viele Europäer getroffen. Sie alle waren furchtbar nett. Na ja, wie Fremde eben so sind.« Er ging zwei Schritte zurück. »Jetzt muss es nur noch trocknen und dann ist es fertig. Ich hoffe, du gewöhnst dich daran. Im Moment ist dies die einzige Möglichkeit, dich alleine fortzubewegen. Wie geht es deinem Kopf?« Dr. Andrews kam wieder näher heran und blickte Sadie in die Augen.

»Mir geht es hervorragend«, log Sadie. In Wirklichkeit fühlte es sich an, als würde eine Staatskapelle in ihrem Kopf ein Musikstück spielen. Dr. Andrews überspielte seine Nervosität, indem er ein Gespräch am Laufen hielt, welches nur er führte. Allein mit Caroline und Sadie zu sein machte ihn wohl nervös.

Caroline spürte das Unbehagen im Raum. »Robert, möchtest du nicht gleich einen Tee mit uns trinken? Jason ist sicher gleich fertig mit den Stallungen.« Sie öffnete die Tür und komplimentierte den Arzt hinaus. Dankend nickte Sadie.

»In Ordnung. Schlaf du ruhig noch etwas. Nachher sehe ich nochmal nach dir.« Vorsichtig legte er seine Hand auf den Gips. »Sieht schon ganz gut aus.«

»Mutter, kannst du mich bitte zudecken.« Sadie hatte Mühe, die Decke, ohne an den Gips zu kommen, auszubreiten.

»Aber natürlich.« Caroline ging zum Bett hinüber und legte die Decke so über Sadie, dass nur ihr Kopf und das gebrochene Bein hinausguckten. »Schlaf noch ein bisschen, mein Kind.« Vorsichtig küsste sie Sadies Stirn und verließ mit Dr. Andrews das Zimmer.

Die Seelen der Indianer

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