Читать книгу Die Götter mit den blauen Haaren - Önne Hedlund - Страница 5

In göttlichen Händen
Der Fremde

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Und Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, um ihn %u bebauen und %u bewahren. Und Gott, der Herr, gebot dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens sollst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, wirst du des Todes sterben!

(Erstes Buch Mose, Genesis 2/15)

„Ehre und Dank sei den Göttern, die gnädig und helfend über uns wachen! Wir haben uns zu diesem Gottesdienst versammelt, um uns in Demut bei den Göttern zu bedanken. Sie geben uns Kleidung und manche Nahrung. Sie wachen über unser Wohl und Schicksal. Sie lassen uns in unserem einzigen Dorf wohnen. Sie bewachen und schützen uns vor den Gefahren des verbotenen Gebietes und betten uns ein in ihre göttliche Ordnung. Diese Ordnung ist ein heiliger Schatz, wer sich dagegen versündigt, wird die Strafen dafür, früher oder später, erfahren. Denkt immer daran, die Götter sind allmächtig und sie haben allzeit Recht, mag es uns noch so falsch erscheinen. Wir schulden den Göttern ewig Dank, Respekt und absoluten Gehorsam. Amen!“

Nach diesen Worten entlässt Varus, der Priester des Dorfes, die Zuhörer des Gottesdienstes. Sein Gotteshaus war wie immer voll besetzt, dennoch hat er genau darauf geachtet, wer nicht erschienen ist; renitenten Schwänzern wird er den Besuch seiner Kirche befehlen, bis jetzt hat es noch niemand gewagt sich einer derartigen Einladung zu, widersetzen. Der Priester spricht hier, stellvertretend für die Allmächtigen, nicht nur Gebete, sondern auch beliebige Strafen aus, die nur die Götter selbst, zurücknehmen können.

Iogi, ein für sein Alter groß gewachsener und weit entwickelter Knabe an der Schwelle zum Mann, verlässt mit seinem Freund Swen die Kirche. Er kennt die meisten Predigten seines Großvaters auswendig, so oft hat er sie bereits gehört. Morgen jedoch darf er an einer praktischen Anwendung teilnehmen. Eine Kuh ist entlaufen und wurde an der Grenze ihres Territoriums gesehen. Zwei erfahrene Männer werden sie suchen, der Priester wird mitkommen, um sicherzustellen, dass niemand das verbotene Gebiet betritt und Iogi darf seinen Großvater begleiten.

„Stopp, wir dürfen nicht mehr weiter!“ Die energische Stimme des Priesters ertönte hinter der Gruppe. Iogi setzte sich erschöpft nieder, die beiden Männer blickten sich erstaunt um. „Warum, die Spur ist, ganz frisch, die Kuh kann nicht mehr weit vor uns sein.“„Hier ist die Grenze unserer gottgegebenen Welt, kein Dörfler darf sie übertreten.“

Wenige Baumlängen voraus schiebt sich das gesuchte Vieh durch das Unterholz, Iogi sieht es zuerst. „Da ist sie“ flüstert er und zeigt sie aufgeregt den Männern. „Ich hole sie“ sagt Albert und setzt sich in Bewegung. „Du gehst keinen Schritt weiter“ schreit Varus und packt Albert am Arm. „Die Götter werden dich und uns alle strafen, wenn du Ihre Gebote missachtest.“ „Wegen der paar Schritte werden die Götter bestimmt kein Aufsehen machen“ wirft Eras ein. „Schließlich wollen sie Milch von uns und die Milch dieser Kuh wird uns fehlen.“ Blitzschnell und ohne Vorwarnung stößt der Priester zu, die im Feuer gehärtete Holzspitze seines Stabes stoppt nur einen Finger breit vor Erass Brust. „Spinnst du“, schreit Eras und springt zurück. „Es ist nichts passiert“ entgegnet Varus ruhig und stützt sich wieder auf seinen Stab. „Aber eine Hand breit weiter und du wärst tot — du siehst, was eine Grenze bedeutet.“

Varus kann sich solche und noch drastischere Belehrungen leisten. Der Priester ist viel größer als der, knapp eins siebzig messende Eras und uralt. Alle Dörfler, auch die alten wie Erass Eltern, kennen ihn nur als Erwachsenen.

Sein Haar ist ergraut und teilweise verschwunden und beim Gehen stützt er sich immer häufiger auf seinen Stab, aber niemand würde es wagen, sich gegen ihn zu stellen. Varus steht mit den Göttern in Verbindung, er erbittet ihre Gaben, wie Kleidung, Werkzeuge und vieles andere, für die Dörfler. Aber er wacht auch mit sehr harter Hand über die Einhaltung der göttlichen Gebote und verhängt bei Missachtung schwerste Strafen. „Was sollen wir also tun?“ Wirft Albert missmutig in die Diskussion ein. „Wir können nur warten und hoffen, dass die Kuh in unser Gebiet zurückkehrt — und wenn nicht, ab nachhause“ antwortet Varus enttäuscht aber bestimmt. Die Kuh ist inzwischen aus der Sichtweite getrottet. „Idiotisch“ nörgelt Eras „zwei Tagesmärsche hin zur Grenze, die Kuh gesehen und ohne Kuh zwei Tagesmärsche zurück, das darf doch nicht wahr sein.“ „Reg dich ab“ unterbricht ihn Albert, der nun die Führung wieder übernimmt. Albert ist einer der stärksten Männer des Dorfes, mit 23 Jahren geringfügig älter und gut drei fingerbreit größer als Eras ist er bei allen Unternehmungen draußen, als Anführer gern gesehen. Sein wirres, schwarzes Haar und sein Vollbart geben ihm ein verwegenes Aussehen und eine natürliche Autorität. „Wir warten hier einen Tag, und wenn die Kuh dann nicht zurückgekommen ist, gehen wir heim. Und zur Abwechslung, Eras — auf geht’s Hütte bauen.“

„Ich besorge Zweige für Dach und Wände“ ruft Iogi und springt auf, auch Varus macht sich unaufgefordert an die Arbeit.

Zu Beginn der Dämmerung ist das Werk vollbracht. Die dreieckförmige Hütte kauerte sich unter einer mächtigen Fichte, deren Stamm ist als Stütze Bestandteil eines Giebels. Die tieferen Äste bildeten ein Überdach, und so werden die Vier die Nacht geschützt verbringen können. Nach einem Abendessen aus ihrem Reiseproviant legten sich alle auf einer dicken Streu aus frisch gefallenem Herbstlaub zur Ruhe.

Sie schlafen zum Schutz vor der Kälte in ihrer Kleidung eng zusammen unter zwei Decken die ihr Dorf, wie so vieles andere, von den Göttern erhalten hatte. Eine Wache ist unnötig, da es durch die Obhut der Götter keine feindlichen Wesen gibt.

Iogi wusste nicht, was ihn weckte, die Kälte, leises Fluchen oder die Bewegungen der Männer, jedenfalls war es extrem kalt und recht hell. „Ob uns die Götter für den Versuch unser Gebiet zu verlassen strafen“ fragte Eras den Priester. „Wir haben uns an die Gebote gehalten, ich glaube nicht, dass die Götter diesen frühen Wintereinbruch wegen uns geschickt haben.“ Erwidert Varus. Albert hängt die Zweige vom Hütteneingang ab und tritt hinaus, der Schnee reicht ihm fast bis zu den Knien, die anderen folgen ihm. „Da seht“ ruft Eras und beschreibt mit der ausgestreckten rechten Hand einen horizontalen Bogen.

„Das war unsere Kuh“ jubelt Iogi und wühlt sich durch den tiefen Schnee nach vorne. „Wir müssen uns beeilen sonst wird die Spur noch ganz zugeweht“ bemerkt Albert und greift zu seinem Stab und Bündel.

Die Euphorie darüber, dass die verblassende Spur in ihr Gebiet zurückführt, reißt alle mit, doch der hohe Schnee fordert bald seinen Tribut: Die beiden jungen Männer schreiten kräftig voran, der vierzehnjährige Iogi und der alte Priester können nicht folgen. „Wartet wir können nicht so schnell“ ruft Varus. Albert dreht sich um und ist erstaunt über seinen Vorsprung. Mürrisch stiefelt er zurück. „Die Spur wird verweht, wenn wir so schleichen! Geht ihr zur Hütte und wartet dort auf uns, wir kommen später mit der Kuh dorthin zurück.“ „Keiner weiß, wann ihr die Kuh erwischt, wir warten bis morgen Früh auf euch und schlagen uns dann alleine durch, bei dem Schnee brauchen wir sicherlich drei Tage bis zum Dorf“ keucht Varus. „Gut, wir geben euch unseren Proviant — wir kommen auch ein paar Tage ohne Essen aus — und wenn absehbar ist, dass wir es bis morgen Früh nicht zur Hütte schaffen, gehen wir mit der Kuh direkt zum Dorf.“ Erwidert Albert und übergibt, wie auch Eras, seinen Proviantbeutel.

„Viel Glück — aber bleibt immer auf unserem Gebiet sonst erzürnt ihr die Götter“ predigt der Priester, dessen Atem sich inzwischen beruhigt hat. „Woher sollen wir die Grenze kennen, wir haben dich ja deswegen mitgeschleppt, damit du uns das Ende unseres Gebietes zeigst.“ grollt Eras. „Ihr kennt die Grenze so ungefähr, und wenn ihr sie in diesem Notfall, ohne Priester, unwissentlich ein bisschen überschreitet, drücken die Götter sicherlich ein Auge zu. Lasst euch von eurem Gewissen leiten. Ihr dürft aber nicht übertreiben.“ Mahnt Varus. Danach trennen sich die Gruppen. Außer Hörweite wundert sich Eras „Der Alte wird allmählich sonderbar, gestern sticht er mich, wegen ein paar Schritten fast ab und heute können wir uns von unserem Gewissen leiten lassen.“ Albert bleibt eine Antwort schuldig, schreitet aber schneller aus, sodass Eras die Lust an einer Unterhaltung vergeht.

Bei der Hütte angekommen suchen sich Iogi und sein Großvater eine schneefreie Sitzgelegenheit, um zu frühstücken. Sie essen still, jeder ein bisschen enttäuscht, dass er noch nicht oder nicht mehr mit den jungen Männern mithalten konnte. Iogi bricht das Schweigen. „Was machen wir jetzt? Mir ist langweilig.“ Der Priester lächelt müde. „Warten — ich werde in der Hütte etwas stille Zwiesprache mit den Göttern halten, das könnte dir auch nicht schaden.“ Das ist keine verlockende Aussicht für einen Vierzehnjährigen, er greift nach seinem Stab, hängt sich seinen Vorratsbeutel um und entgegnet: „Ich schaue mich hier lieber etwas um — ich möchte dich bei deinen Gebeten nicht stören.“ „Na gut“ erwidert Varus „aber halte dich nur in diese Richtung, damit du in unserem Gebiet bleibst — verstanden!“

Iogi nickt und stapft in die angegebene Marschrichtung davon.

Er ist der Lieblingsenkel von Varus, schlank, einssiebenundsechzig groß, muskulös und vor allem, für sein Alter, sehr überlegt in seinem Verhalten. Dies ist sicherlich der Grund, warum sich die Beiden so schätzen und er den Priester oft begleiten darf.

Der Schnee beginnt in der Vormittagssonne bereits zu tauen, in dieser breiig werdenden Masse wird das Vorwärtskommen immer mühsamer. Iogi wendet sich nach rechts, in der Hoffnung die Spur der beiden „Kuhjäger“ und sie selbst zu finden. Nach einiger Zeit findet er sie tatsächlich, die Fußabdrücke der beiden Männer sind noch deutlich genug um ihre Richtung zu bestimmen, und folgt der Fährte auf müden Beinen. Etwas später verliert der Junge jedoch die Lust an der Verfolgung und schlurft, nach einer kurzen Essenspause, auf der Spur durch den Matsch zurück in Richtung Hütte.

Es kommt ein warmer Wind auf und manchmal hört man den fernen Donner eines aufziehenden Gewitters. Iogi erreicht die Stelle der Fährte, an der sich heute Morgen die beiden Männer von ihnen getrennt hatten. Er möchte seinen Opa überraschen und hält sich nun in einem dicht bewachsenen Waldstück parallel zur Spur. Bald kommt die Hütte in Sicht. Kurz danach sieht er auch seinen Opa, der mit dem Rücken zu ihm steht und wild mit den Armen durch die Luft wedelt, als ob er eine Kuh aus dem Garten scheuchen will.

Merkwürdigerweise ist kein zugehöriger Ruf zu hören. Iogi schleicht sich langsam, immer gut in Deckung, näher. Da sieht er es - beziehungsweise ihn, ein sehr großer, massiger Mann hält auf seinen Großvater zu und lässt sich von dessen wilden Gesten nicht aufhalten. Iogi ist versucht seinem Opa zu Hilfe zu eilen und fasst seinen Speer fester, doch ihm ist klar, dass sie, ein alter Mann und ein Knabe, gegen diesen heranschreitenden Hünen keine Chance haben. Warum ist Großvater nicht geflüchtet, als es noch möglich war; stattdessen wedelt er nur weiter schweigend mit den Armen.

Das Gewitter ist näher gekommen. Einzelne Windböen wechseln sich mit nahezu windstillen Phasen ab. Der Fremde bleibt einige Schritte vor Großvater stehen und der Wind weht einzelne Wortfetzen an Iogis Ohren. „Hallo - zu spät - Mühe“ Großvater lässt die Arme sinken und entspannt sich etwas, auch seine Worte sind nur teilweise verständlich. „Selbstmö.. .schnell um, vielleicht ... Götter ... wissen ... einsichtig, dass ich dich nicht ... bald ... zwei Männer ... töten.“ Die ersten Tropfen, mehr Regen als Schnee werden heran geweht, der Fremde zeigt zur Hütte und die beiden Männer kommen näher. Mit Schrecken und Erstaunen erkennt Iogi, dass der fremde Hüne, wie auch Varus, den dicken, goldenen Halsring als Zeichen der Priesterwürde trägt. Großvater lässt dem Unbekannten den Vortritt und schlüpft nach ihm gebückt in die Hütte. Iogi nutzt die Gelegenheit und kriecht näher heran, obwohl er auf dem kalten, nassen Boden im Regen liegt, ist ihm vor Neugier ganz heiß, er versucht erneut der, jetzt besser verständlichen, Unterhaltung zu folgen. ... „Wir haben das Jahr neununddreißig nach der Errettung durch die Götter, du warst also bei ihrer Ankunft schon erwachsen.“ — „ Du brauchst nicht weiter zu fragen, wie jeder und als Priester ganz besonders, weißt du, dass Nachforschungen vor das Jahr null verboten sind und von den Göttern mit dem Tod bestraft werden. Ich lebe nur weil ich meinen Schwur, darüber zu schweigen und jeden Frager den Göttern zu melden, halte.“ Nach diesen Worten wird Iogi plötzlich die Kälte bewusst und auch, dass er selbst seinen Großvater nie in dieser Richtung befragen darf. Der Fremde hat nicht so viel Skrupel und lacht. „Du kannst mich ruhig anzeigen, das ist nur eine Lappalie, was glaubst du, warum ich mein Dorf verlassen habe und hier, in für mich verbotenem Gebiet, bin? — Ich habe zwei von diesen allmächtigen Göttern getötet!“ Iogi kann seinen Aufschrei gerade noch unterdrücken und er spürt auch das Entsetzen, das seinen Großvater befällt. Nach einer Pause geht das Gespräch weiter. „Wie konntest du das tun!“ „Sie haben meine Theresa vergewaltigt.“ Es herrscht wieder Stille, danach spricht Varus salbungsvoll wie bei seinen Predigten in der Kirche. „Es ist eine Gnade, wenn sich ein Gott einem Dörfler zuwendet und eine Ehre für all seine Verwandten und Freunde. Du müsstest dankbar sein, dass die Götter deine Frau erwählt haben.“ „Ist mir bekannt, ich bin Priester wie du und habe diese scheinheiligen Phrasen selbst viel zu oft gepredigt. Aber Theresa hat diese göttliche Zuwendung nicht überlebt und sie war nicht meine Frau, sie war meine Tochter — und sie war vier!“

Das lähmende Entsetzen das diese Worte auslösen ist noch schlimmer als das nach dem Gottesmordgeständnis. Nach einer langen Pause hört Iogi, wie im Traum, Varuss Stimme, sie klingt freundlich und zugleich sachlich distanziert. „Es tut mir leid, dennoch muss jeder Dörfler dich, nach dem Gebot der Götter, töten oder dich den Göttern ausliefern. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit um deinen inneren Frieden zu finden, denn die Götter oder die Dörfler werden dich bald zur Strecke bringen. Wenn meine beiden jungen Männer zurück sind, muss ich sie auf dich hetzen.“ „Ha-ha, jung und dumm, glaubst du, dass sie wirklich dumm genug sind, um sich mit mir anzulegen?

In meinem Dorf haben es einmal fünf Männer versucht, drei von ihnen können heute, nach eineinhalb Jahren, noch nicht richtig arbeiten. Und die zwei allmächtigen Götter, sie hielten sich für unbesiegbar — ich habe einem das Genick gebrochen und den anderen mit meinem Speer an den Boden genagelt. Ich fürchte weder Menschen und erst recht keine Götter, denn bei dem Wetter werden die hohen Herren nicht im Wald herum suchen und das Risiko eingehen von mir getötet zu werden.“ „All dein Selbstbewusstsein und deine Stärke wird dir nichts nützen, die Götter die dich jagen haben Waffen jenseits deiner Vorstellungskraft, sie werden dich vernichten und ihr Risiko ist kleiner, als das Risiko eine Fliege zu erschlagen.“ „Diesen Schwachsinn habe ich auch gepredigt, weil auch ich die Predigten gehalten habe, die die Götter mir vorgegeben haben aber ich habe nie daran geglaubt. Du bist ein altersschwacher Feigling und fürchtest dich vor den leeren Worten der Blauhaarigen.“ Aus der Ferne hört man das Muhen einer Kuh, Albert und Eras werden bald zurück sein. Weil der gescholtene Varus beschämt schweigt, fährt der fremde Priester fort. „Ich gehe jetzt, sonst muss ich deinen Männern womöglich wehtun. Und grüße die Götter von mir — aber demütig, wie es sich für einen Speichellecker gehört.“ Varus sagt kein Wort, als der Fremde die Behausung verlässt und Iogi robbt tiefer in den Wald zurück, steht dann auf und rennt von der Hütte fort.

Er wartet die Ankunft der Kuhjäger samt Kuh ab und geht nach einer weiteren Pause zu den Männern, die damit beschäftigt sind, die Kuh für die Nacht sicher anzubinden. „Iogi wo bist du denn gewesen“ begrüßt ihn Eras spöttisch. Iogi möchte nicht ernsthaft befragt werden und gibt den Männern die Antwort, die ihm zwar Schande aber auch Ruhe einbringt. „Ich weiß es nicht so genau, ich habe mich wohl verlaufen und euch erst jetzt gefunden.“ „Kleine Kinder darf man halt nicht alleine in den Wald lassen“ grunzt Eras, aber somit ist die Sache für Iogi schnell erledigt. Beim Abendessen hört er kaum zu, wie die beiden Männer über ihre erfolgreiche Kuhjagd erzählen. Seine Gedanken sind bei dem starken Fremden und dem eher feigen Verhalten seines, von ihm geachtet und geliebten, Großvaters. Diese völlig neuen Eindrücke nimmt er mit in den Schlaf.

Auch auf dem Rückmarsch am nächsten Tag ist Iogi schweigsam und in Gedanken versunken dabei bemerkt er, dass es Varus nicht anders geht, obwohl dieser es sich weniger anmerken lässt. Im Gegensatz dazu sind Albert und Eras fröhlich und ausgelassen. Die nächste Nacht verbringen alle, dicht zusammengekuschelt unter den tief hängenden Ästen einer mächtigen Fichte und trotzen so dem leise einsetzenden Schneefall. Nach dem Frühstück beginnt der letzte Teil des Heimweges.

Grübelnd setzt Iogi einen Fuß vor den anderen, er versucht zum wiederholten Mal Ordnung in seine Gedanken zu bringen: „Es gibt nur unser Dorf und das es umgebende, verbotene Gebiet — aber der Fremde sprach von seinem Dorf und dass er bei uns auf für ihn verbotenem Gebiet ist.

— Merkwürdig.

Es gibt nur einen Priester, den Großvater, - der Fremde ist auch ein Priester.

— Unmöglich.

Die Götter sind allmächtig, - der Fremde hat zwei von ihnen getötet.

— Das kann nicht sein.

Und, Varus hat all diese Behauptungen des Fremden verschüchtert, ohne Widerrede, hingenommen, obwohl Großvater sich sonst immer in jeder Diskussion durchgesetzt hat. Hat der Fremde möglicherweise Recht?“

Iogi weiß nicht ein und aus, er kann weder seinen Großvater noch jemand anders fragen, denn wenn doch alles stimmt, was Varus gepredigt hat, wird eine solche Frage schwer bestraft. Aber wenn der Fremde Recht hat, ist sein großes Vorbild, sein Großvater ein Feigling und Lügner. Diese Vorstellung nagt immer mehr an Iogis Herz und verstärkt sich mit jedem Schritt.

„Hinter dem Hügel müssen Götter auf Motorrädern unterwegs sein!“ Dieser Ausruf von Albert reißt Iogi aus seinen Gedanken. Seine jugendlichen, scharfen Ohren haben das Geräusch schon lange gehört, aber erst jetzt nimmt er es bewusst war, das hochtourige Brummen von Motorrädern. Auch die Landschaft, in der sich die Dörfler befinden, ist ihm bekannt: Die Eschenbrunn Alm, circa drei Stunden vom Dorf entfernt.

Die Alm bildet ein sanftes Tal von etwa sechshundert Schritten Breite und zweitausend Schritten Länge, an drei Seiten von bewaldeten Hügeln begrenzt. Auf Grund ihrer Nähe zum Dorf wurde hier noch vor kurzem Heu gemäht, sodass das Gras recht kurz ist. Iogi und die Seinen bewegen sich parallel zum Waldrand hoch über der Niederung. Da tritt auf der anderen Seite der Alm ein großer Mann zwischen den Bäumen hervor und trabt in ihre Richtung. Kurz, nachdem er den Talgrund erreicht hat, brechen drei Motorradfahrer aus dem Wald. Ihre Motorräder sind anders als die bunten Maschinen, mit denen farbenfroh gekleidete Götter bei schönem Wetter manchmal ihr Dorf besuchten. Sie sind grünbraun und, wie auch die Kleidung der Fahrer, schwer von der Umgebung zu unterscheiden. Die Götter verharren kurz am Waldrand, dann preschen sie auf ihren Maschinen den Hang herunter. Hinter ihnen spritzt eine Fontaine von Dreck fast bis zu den Baum-wipfeln.

Der gejagte Mann, Iogi erkennt in ihm den fremden Priester, läuft gleichmäßig, kraftvoll weiter. Als er etwa hundert Schritte von den Dörflern entfernt ist, bückt er sich geschmeidig während des Laufens, hebt einen faustgroßen Stein auf und wirft ihn mit Wucht in Richtung der Götter. Er verfehlt den mittleren Fahrer nur knapp. Daraufhin reißen die Verfolger ihre Motorräder herum und bringen sie in einer Wolke von spritzendem Schlamm zum Stehen. Der Hüne stößt ein Lachen aus, wendet sich ab und läuft weiter den leicht verschneiten Hang hinauf. Einer der Motorradfahrer hat auf einmal einen seltsamen “Stock“ in der Hand, er streicht mit der Rechten daran entlang und zeigt dann mit diesem auf den fremden Priester, der noch sechzig Schritte von den Dörflern entfernt ist. „Hinlegen — auf den Bauch!“ schreit Varus und wirft sich in den Schmutz. Albert, Eras und Iogi sind von den Ereignissen zu sehr gefesselt, um zu reagieren. Vor dem Fremden spritzen kleine Fontänen auf. Ein heißer Luftzug pfeift an Iogis linkem Ohr vorbei, hinter sich hört er Holz spreißeln. In einem Stakkato von ineinander übergehenden Peitschenknallen brüllt Albert erschrocken auf. Schulter, Brust, Bauch und Oberschenkel des Fremden platzen plötzlich grellrot auf, er schreit, spuckt Blut, überschlägt sich nach vorne und bleibt 20 Schritte vor dem entsetzten Iogi regungslos liegen. Der Schnee um den Fremden ist rot gesprenkelt und es herrscht Stille.

Der Gott verstaut den “Stock“ in einer Halterung an seinem Motorrad, dann werfen die Götter ihre Maschinen an und rollen langsam auf die Dörfler zu. „Auf die Knie mit euch, zur Begrüßung der Götter“ ruft Varus den Gefährten, die noch immer erstarrt dastehen, zu und wischt sich den Dreck aus der Kleidung.

„Lasst mich reden, ihr antwortet nur, wenn ihr direkt gefragt werdet und dann kurz und demütig.“ Die Götter haben die Dörfler erreicht, sie stoppen ihre Maschinen und nehmen die Helme ab. Ihr göttliches, blaues Haar wird sichtbar. Varus tritt mit erhobenen Händen vor, verneigt sich tief, kniet nieder und spricht. „Wir danken euch für die Ehre eures Besuches, dürfen wir irgendetwas für euch tun?“

„Erhebt euch, der kalte Boden tut euren Knien nicht gut.“ Lacht einer der Götter rau. „Ihr seid hier Zeugen einer göttlichen Bestrafung geworden. Dieser Mann wurde bei uns zum Priester ausgebildet aber er hat gegen unsere Gebote verstoßen. Ihr habt ihn sicherlich noch nie gesehen?“ „Ich kenne diesen Mann nicht, woher auch?“ lügt Varus demütig. „Was ist mit dem Mann“ ruft ein anderer Gott und deutet auf Albert. Varus erkennt, dass dieser zwar blutüberströmt aber wohlauf ist und antwortet: „Ein kleiner Teil der göttlichen Strafe muss ihn erwischt haben. Wo tut es denn weh — Albert.“ „Mein Ohrläppchen ist verletzt aber es blutet schon nicht mehr.“ „Das ist sicher die Strafe für eine ungebeichtete Sünde, sei also in Zukunft nicht so nachlässig.“ erwidert der Wortführer der Götter und wendet sich an Varus. „Komm mit zu dem Toten.“ Die Beiden reden außer Hörweite miteinander. Der Gott gibt Varus irgendetwas, dann bückt sich der Großvater zu dem Toten und hat, als er sich wieder aufrichtet, den goldenen Halsring des fremden Priesters in der Hand. Er säubert ihn an seiner Kleidung und reicht ihn dem Gott. Gemeinsam gehen sie zu den Wartenden zurück. Inzwischen hat einer der Götter ein großes Bündel, das er auf seinem Motorrad mitführte, entfaltet. Einen langen Sack aus recht stabil aussehendem Material mit einer langen Öffnung an der Längsseite. „Albert, Eras, zieht dem Toten die Kleidung aus, packt sie unten in den Sack und legt dann die Leiche darüber!“ Befiehlt der Priester den Männern. Nachdem diese grauenvolle Arbeit getan ist, schließt ein Gott den Sack und befestigt ihn mit einem Seil an seinem Motorrad. Er hebt einen Arm und spricht: „Wir müssen jetzt weiter, ihr habt unseren Segen.“

Danach werfen die Götter ihre Maschinen an und brausen, Schlamm spritzend, quer über die Alm davon, einer schleift den Sack hinter sich her. Iogi blickt ihnen nach, schaut sich dann um und bestaunt den großen, halb aus dem Baumstamm hinter ihm herausgerissenen, Holzsplitter. Er hat Glück gehabt ebenso wie Albert mit seinem Kratzer am Ohr, Großvater hatte sie gewarnt und sich selbst hingelegt. „Woher wusste er ...?"

„Auf! Weiter! Bald sind wir zuhause.“ Ruft Varus erleichtert. Alle setzen sich in Bewegung und erreichen noch vor der Abenddämmerung ihr Dorf.

Die Götter mit den blauen Haaren

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