Читать книгу Die Götter mit den blauen Haaren - Önne Hedlund - Страница 6

Auf der Jagd

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Nach diesem Abenteuer herrscht wieder Dorfalltag: Schweine und Kühe versorgen, melken, Milch liefern und Melkgeschirr säubern. Zur Dorfgemeinschaft von über zwölfhundert Seelen gehören über tausend Kühe und rund fünfhundert Schweine. Die notwendige Arbeit ist nur mithilfe einiger göttlichen Maschinen und Einrichtungen möglich, allen voran der Melkstall, für zwölf Kühe gleichzeitig, und dem Generator, der dafür und anderes, morgens und abends den Strom liefert. Genaueres weiß Iogi auch nicht, er verrichtet nur hie und da kleinere Arbeiten, ein Zustand, der sich nach seinem fünfzehnten Geburtstag ändern wird. Momentan darf er noch seine Jugend genießen. Bei seinen Eltern hat er natürlich Aufgaben in Haus und Garten, die er sich jedoch mit seinem Bruder Karl und seinen Schwestern Rita und Iris teilt. Eine weitere Freizeitbegrenzung ist der Gottesdienst, den alle Kinder von sechs bis vierzehn Jahren wöchentlich besuchen müssen, doch es bleibt Zeit genug für Spiel und Dummheiten, manchmal ist ihm sogar langweilig.

Heute steht für ihn eine interessante Aufgabe an, dafür ist er selbst vom Gottesdienst befreit.

Die Dorfgemeinschaft hält nur maximal neunzig Schweine auf einer umzäunten Koppel, die restlichen werden von den jungen Männern im Wald gehütet. Das heißt, die Hirten versuchen irgendwie zu wissen, wo sich die halbwilden Rotten aufhalten, füttern sie hin und wieder an und sorgen vor allem dafür, dass sie von den Mieten für die Wintervorräte fernbleiben. Die Schweinehirten sind immer für mehrere Tage draußen und werden meist täglich mit Proviant versorgt. Einer solchen Versorgungsmannschaft darf sich Iogi heute anschließen. Unter der Führung von Klaus schultern Eras, Miro, Swen und Iogi ihre Rucksäcke und machen sich auf den Weg. Da die Hirten eher den Schweinen folgen als umgekehrt, ist es für die Versorger immer spannend ob, wann und wo sie die Hüter finden, für Iogi, Swen und mit Abstrichen auch für Miro, ist das Verstecken spielen im Großen. Klaus ist aber sehr erfahren, er steuert, in der von ihm vermuteten Richtung, einen, ihm bekannten, Aussichtspunkt an und schickt Miro dort auf eine gut besteigbare Fichte. „Rauch voraus beim kleinen See“ ruft der hinab. „Also noch eine Stunde“ stellt Klaus fest und geht zügig voran. Am See werden sie von zwei Hirten am Feuer freudig begrüßt. Die Neuankömmlinge stillen zunächst ihren Durst mit Wasser aus dem See, suchen sich geeignete Sitzunterlagen und nehmen am wärmenden Feuer Platz. Die Großen, bei denen Miro auf Grund seiner Körpergröße und seines Auftretens voll akzeptiert ist, sind bald in eine Unterhaltung vertieft, die Swen und Iogi nicht interessiert. Und so verabschieden sie sich zur anderen Seite des Wassers um dort, wo der See von einem Bach gespeist wird, zu fischen. Nach der fünften Forelle erreicht sie ein Ruf vom gegenüber liegenden Ufer. Miro winkt ihnen zu, zurückzukommen. Sie erreichen ihn nach einer viertel Stunde, er ist allein. „Die Schweine sind Richtung Sumpfwald ausgebrochen.“ Erklärt er. „Die anderen verfolgen sie und wir sollen nachkommen.“ Iogi und Swen nehmen ihre Rucksäcke mit dem Proviant auf und folgen dem voranschreitenden Miro.

Tja Miro, obwohl er sein Cousin ist, ist Iogi selten mit ihm zusammen. Dies liegt nicht nur am Altersunterschied, sondern daran, dass der siebzehnjährige Miro bereits größer als mancher Erwachsene ist. Auch sein Verhalten ist schon sehr männlich, er kann glaubhaft über das Thema Nr. 1 mitreden, denn er ist der Schwarm vieler Mädchen, die gerne die Gesellschaft dieses schlaksigen, und rundherum netten, Jungen suchen. Da ist für den kleinen Cousin natürlich nur wenig Platz. Iogi weiß das, fühlt sich aber dennoch von Miro angezogen.

Nach einiger Zeit erreichen sie den Anfang des Sumpfwaldes. Der Boden ist morastig und über dem Untergrund breitet sich ein Gewirr von, zum Teil freiliegenden, Baumwurzeln aus, zwischen denen die Schweine gerne herumwühlen. Miro führt die Jungs durch einen abfallenden Hohlweg als sie plötzlich einem der mächtigen, halb verwilderten, Keiler gegenüberstehen, die sich gerne hier herumtreiben. Das Schwein, das zwar daran gewöhnt ist, hin und wieder von Männern getrieben zu werden, spürt die Angst der Halbwüchsigen und trabt trotzig auf sie zu. „Zurück!“ schreit Miro und wendet sich zur Flucht. Auch Swen und Iogi geben Fersengeld. „Ah — mein Fuß“ kreischt Miro. Iogi dreht sich um und sieht den Cousin am Boden liegen, sein Fuß hängt verdreht unter einer Wurzel, der Keiler ist nur zehn Schritte entfernt.

Laut schreiend schleudert Iogi seinen Speer über Miro hinweg und trifft tatsächlich das Schwein mitten auf der Stirn. Der Speer, ein jugendgerechter Haselnussstecken, tropft vom Kopf des Keilers ab ohne Schaden anzurichten und doch, das Schwein bleibt verwundert stehen, grunzt, dreht sich um und trottet davon. Miro kann sein Glück kaum fassen. „Gut gemacht Iogi, ich bin dir jetzt etwas schuldig.“ „Es ist gut dich zum Freund zu haben“ erwidert Iogi.

Miro hat gerade seinen Fuß von der Wurzel gelöst, da taucht, durch die Schreie alarmiert, Klaus auf. Während er sich Iogis Heldentat anhört, untersucht er Miros Fuß, schmiert etwas kalten Morast darauf und feixt: „Vorsichtig laufen und arbeiten ist mit dem Fuß möglich, nur vor den Mädchen kannst du jetzt nicht mehr so schnell davonlaufen.“ Miro grinst nur schmerzverzerrt und verlegen zurück, hinkt aber ohne Hilfe bis zu Lagerplatz.

Einige Tage später: Iogi hat das perfekte Versteck entdeckt. Hier finden die anderen Kinder ihn nie, auch wenn nach und nach alle nach ihm suchen werden, der Sieg im Versteckspiel ist ihm sicher. Er liegt im Hohlraum der Kirchendecke und blickt durch ein Astloch genau auf den Altar. Wenn die anderen Kinder sich überhaupt in die Kirche herein trauen und unter ihm suchen, darf er nur nicht lachen. Tatsächlich öffnet sich bald darauf die

Kirchentür, Großvater tritt ein — begleitet von einem Gott. Nun aber mucksmäuschenstill und keine Bewegung sonst gibt es Riesenärger denkt sich Iogi. Er hat diesen Gott bereits öfter beim Großvater gesehen. „Magst du ein Bier, Albano?“ fragt Varus weder salbungsvoll noch demütig.

„Gerne Brink“ antwortet der Gott. Iogi hat dies schon einmal gehört, wenn die Beiden sich allein fühlen, nennt Uhrgroßvater diesen Gott „Albano“ und der sagt „Brink“ zu ihm. „Setz dich an den Altar, hier ist das Bier, was führt dich zu mir?“ redet Varus weiter. „Die Stadtverwaltung möchte Hasen jagen.“ „Braucht ihr dazu meinen Segen?“

„Der Spruch ist wirklich gut, Brink.“ Lacht der Gott und entfaltet ein großes, buntes Papier auf dem Altar. Es zeigt, aus Iogis Sicht, merkwürdige Muster: Ganz grob erinnert es an ein Rad; die Nabe in der Mitte, die Speichen und der äußere Bereich, sind schwach Rosa, die dazwischen, eingeschlossenen Bereiche entweder weiß oder blass gelb. Die Speichen sind auch nicht gerade oder gleichmäßig dick, sodass man das Ganze auch als eine, in etwa, kreisförmige Ansammlung von verschiedenen Flecken auf rosa Grund, ansehen kann. Über diesem Grundmuster liegt noch ein Wirrwarr aus Linien, Punkten und Zeichen.

„Das Komitee hat beschlossen, hier zu jagen.“ Fährt der Gott fort und bewegt seinen Finger kreisförmig über zwei weißen Flecken und dem rosa Grund dazwischen. „Bei euch und auf MD4. Und ihr müsst fünfzehn Treiber stellen, denn ihr habt schon Erfahrung mit Gewehren.“

Varus betrachtet die Stelle des Papiers auf die der Gott gezeigt hat und lächelt. „Das verstößt gegen eure eigenen Gebote.“ Albano zuckt mit den Schultern. „Das habe ich auch gesagt, aber ich wurde überstimmt. Es soll dort sehr viele Hasen geben.“ „Das mit den Hasen ist richtig aber unsere Erfahrung mit Gewehren ist nicht sehr bedeutend.“ Entgegnet Varus. „Besser wenig als gar keine Ahnung. Du sollst die drei Männer, die bei der Schießerei dabei waren und zwölf weitere auf ihre Aufgaben und

Verhaltensweisen bei der Treibjagd vorbereiten. Wir holen euch übermorgen hier vor der Kirche um sechs Uhr ab. Seid pünktlich!“ Antwortet Albano und nimmt einen tiefen Schluck Bier. „Und wie wird verhindert, dass wir auf Leute aus MD4 treffen und was sollen wir tun, wenn es trotzt, allem passiert?“ Fragt Varus belustigt. Albano wirkt ein wenig verärgert. „Übermorgen dürfen die MD4ler ihr Dorf nur nach Westen verlassen, drei Mann von uns werden es sogar bewachen. Eine Begegnung ist ausgeschlossen, wenn du dafür sorgst, dass keiner von euch diese Straße überquert.“

Iogi ist erschüttert, dieser Gott redet mit seinem Opa ganz selbstverständlich über ein fremdes Dorf, obwohl doch unser Dorf, laut vielen Predigten von Opa und nach dem Gebot der Götter, das einzige ist. Eine Melodie erklingt, der Gott zieht ein kleines Kästchen aus seiner Jackentasche, hält es an seine Backe und poltert kurz darauf los. „Schöner Mist, warum konntest du es nicht verhindern ... O.K, versuch etwas Zeit zu gewinnen, ich bin in einer guten Stunde da.“ Und zu Varus. „Ich muss sofort zurück, eine Dringlichkeitssitzung im Rat der Hundert, wir sehen uns übermorgen.“ „Ich bringe dich zum Auto.“ Antwortet Großvater und eilt mit Albano aus der Kirche. Endlich darf sich Iogi rühren. Er klettert aus seinem Versteck, streckt die steif gewordenen Glieder, schleicht zur Kirchentür, öffnet diese einen Spalt und lugt nach draußen. Albanos Auto fährt gerade mit durchdrehenden Reifen davon und Großvater ist, auf dem Rückweg zur Kirche, nur noch zwanzig Schritte entfernt. Iogi überlegt fieberhaft wo er sich verstecken soll da kommt ihm das Glück in Form des Dorfvorstehers zu Hilfe. „Hallo! Varus, die Dorfverwaltung braucht deinen Rat, wir sitzen alle beim Bier im Rathaus.“ Großvater verschwindet mit dem Bürgermeister hinter dem nächsten Haus, die Luft ist rein.

Iogi hat die Kirchentür schon geöffnet, da fällt ihm ein, dass das Papier noch vergessen auf dem Altar liegt. Ihm ist mittlerweile klar geworden, dass dies ein Plan der weiteren Umgebung ihres Dorfes ist. Den will er sich genauer betrachten. Als er davor steht, ist er von den vielen Details verwirrt. Iogi hat bis jetzt nur mit einem Stock auf den Boden gezeichnete Pläne gesehen und dazu gleich eine Erklärung in der Form: „Wir sind hier, dann gehen wir nach Süden bis zu dieser Wiese, dort links an dem Berg vorbei nach ... usw.“ gehört. Doch er hat einen Anhaltspunkt, hier hin hat der Gott gezeigt erinnert sich Iogi und sein Finger kreist über dem gleichen Bereich wie noch vor Kurzen der Finger des Gottes. Zwei weiße Bereiche, getrennt und umgeben von Rosa; etwa in der Mitte jedes weißen Gebietes ein kleiner schwarzer Fleck. Daneben merkwürdige Zeichen und — dahinter eine „5“. Iogis Augen gleiten linksherum und finden „4“ — „3“ — „2“ — „1“ jeweils am Ende der Zeichen bei den schwarzen Flecken im weißen Gebiet. Was hat Albano vorhin gesagt? Das müsste dann das fremde MD4 sein und Iogis Finger liegt auf der „4“, er wandert nach rechts — und das sind wir! Allmählich lichtet sich der Wirrwarr des Planes und gibt Informationen frei. Dieser rote Strich ist die Hauptstraße, zu der wir immer die Milch bringen, diese blaue Linie der Eschenbach, dieser Bereich mit den vielen kleinen, kurzen Strichen die Eschenbrunnalm, umschlossen von Bereichen mit vielen kleinen Spitzen — die bedeuten sicher Wald. Iogi beginnt sein neues Wissen anzuwenden, sein Finger rutscht nach links Richtung MD4 zum übermorgigen Jagdrevier. Kleine, kurze Striche — die große Sommerweide, ja hier gibt es viele Hasen. Die blaue Linie die Weiß und Rosa trennt — der Grenzbach, der den Anfang des verbotenen Gebietes anzeigt. Iogi “betritt“ das verbotene Gebiet. Ein schmaler Waldstreifen entlang des Baches, dass Wald hinter dem Bach steht, war Iogi bekannt, nur dass er so schmal ist, nicht. Dann wieder Wiese, ein weiterer Bach parallel zum Grenzbach - Wald, etwas breiter, an seinem Ende endet auch Rosa, verbotenes Gebiet — nochmal Wiese, durch die sich ein roter Strich zieht. Die Straße, die wir übermorgen nicht überschreiten dürfen und dann ... Iogi kann nichts mehr richtig erkennen, die aufkommende Dunkelheit des Nachmittagsendes im Spätherbst verhindert weitere Erkenntnisse, so verlässt er ungesehen die Kirche und geht nachhause. Bald darauf liegt er im Bett und träumt davon das ominöse MD4 zu besuchen.

Die Familie frühstückt gerade als, nach dem Klopfen an der Tür, Miro, von Iris, dem Nesthäkchen, hereingelassen, die Küche betritt. „Guten Morgen“ „Hallo Miro, setz dich, magst du eine Tasse Tee? Himm- und Brombeerblätter fermentiert.“ Antwortet Rita. Sie ist Iogis große Schwester, etwas kleiner als er, ebenfalls blond, schlank, und wie Iogi meint, ganz gut gebaut. Wie alle Mädchen ihres Alters hat auch sie ein Auge auf Miro geworfen. Der setzt sich und blinzelt Rita zu. „Sehr gern hast du die Blätter gesammelt?“ „Ja und auch selbst fermentiert.“ „Mmm, er schmeckt ausgezeichnet.“ „Mmm, er schmeckt auch nicht anders als jeder andere Himm- und Brombeerblätter Tee“ neckt Karl, Iogis kleiner Bruder, die beiden Turteltauben.

Daraufhin verkündet Miro, etwas wichtigtuerisch, seine Botschaft: „Der Priester bittet euch, Herr Birke und dich Iogi, gleich nach dem Frühstück in die Kirche, es wird bis Mittag dauern und ist sehr wichtig. Es kommen noch weitere Männer.“ Bei dem Wort “Männer“ blickt er Karl verächtlich an. Dieser hat verstanden und mault. „Wo ist denn Iogi ein Mann?“ Die „Männer“ strafen ihn durch Ignorieren und brechen auf. Johann Birke, Iogis Vater, bleibt sitzen. „Ich komme nach, wenn ich fertig bin, es wird schon nicht so dringend sein.“ Auf dem Weg zur Kirche äußert sich Miro geheimnisvoll. „Das wird sicher eine große Sache, wenn Klaus und Albert mit von der Partie sind; ich konnte Großvater überreden, dich mitzunehmen.“

Durch diese Angeberei lässt Iogi sich hinreißen und erwidert lässig. „Es geht darum den Göttern bei der Jagd zu helfen, an der großen Sommerweide und Albert, Eras und ich sind dazu auf ausdrücklichen Wunsch der Götter dabei.“ Kaum sind die Worte heraus bedauert Iogi zu tiefst, mit seinem Geheimnis, so geprahlt zu haben. Miro mustert ihn staunend und stellt die befürchtete Frage. „Woher willst du das denn wissen?“ Iogi zermartert sich den Kopf nach einer zufrieden stellenden Erklärung und antwortet nach einer Pause lächelnd: „Er ist auch mein Großvater.“ Nach und nach treffen die eingeladenen Männer in der Kirche ein, Iogis Vater, unter Varus strengen Augen, als Letzter. Der Priester steigt die Stufe zum Altar empor und beginnt. „Ich freue mich, dass wir nun“ - mit Blick auf Johann „endlich — vollzählig sind.“ Er hebt die Arme zum Gebet. „Ehre und Dank sei den Göttern die gnädig und helfend über uns wachen .“ „. Amen.“

Nach dieser langen Andacht kommt er zur Sache. „Die Götter beglücken uns mit ihrem Vertrauen und schenken uns die Ehre ihnen morgen bei der Hasenjagd behilflich zu sein. Dabei werden wir auf ihren Wunsch auch den Grenzbach bei der großen Sommerweide überschreiten und soweit nach Westen in das verbotene Gebiet gehen, wie ich es euch im Namen der Götter erlaube. Aber keinen Schritt weiter, niemand von euch darf sich westlich von mir aufhalten.“ Aufgeregtes Gemurmel erfüllt die Kirche. „Ruhe! Die Götter werden bei der Jagd so genannte Gewehre verwenden“ ruft Varus und hält ein geschnitztes Brett in die Höhe; Iogi erkennt die große Ähnlichkeit mit dem Stock, den die Götter zur Tötung des Fremden auf der Eschenbrunnalm benutzt hatten. „Wer hat so was Ähnliches schon mal gesehen?“ Albert, Eras und Iogi melden sich. „Nun Albert, du warst am meisten betroffen — erzähl mal!“ Fordert ihn Varus auf. „So ein Gewehr bringt Schmerz und Tod aus großer Entfernung. Eras und ich haben euch ja vor Wochen erzählt, wie die Götter diesen ungehorsamen Priester getötet haben und mein Ohr verletzt wurde. Diese Götter hatten so ein Gewehr.“ Die Männer in der Kirche flüstern erregt miteinander. „Was hat der Gott damit gemacht?“ Fragt der Priester, und das Gemurmel verebbt. „Er hat mit dem Gewehr in die Richtung von uns und dem Fremden gezeigt.“ Ruft Iogi. „Sehr gut beobachtet“ lobt der Großvater stolz und fährt fort. „Deshalb ist es ganz wichtig, dass man niemals da steht, wohin ein Gewehr zeigt.“ Varus belehrt anschließend die Männer den ganzen Vormittag lang über das Verhalten bei der morgigen Treibjagd.

Bereits um fünf Uhr haben die Kirchenglocken das gesamte Dorf aus dem Schlaf gerissen, obwohl ihr Weckruf nur den auserwählten Treibern galt. Seit kurz nach halb sechs stehen sie vor der Kirche, im drei Finger hohen Neuschnee der Nacht, in kleinen Grüppchen zusammen und unterhalten sich über die bevorstehende Jagd. Endlich ist das Geräusch von Fahrzeugen zu hören, die sich zum Dorf bewegen. „Da kommen sie!“ Ruft Klaus und in der Ferne, Richtung Milchverladeplatz, flackert, immer wieder durch Bäume verdeckt, fahles Scheinwerferlicht in der Finsternis. „Männer!“ Ruft der Priester. „Bei aller Aufregung vergesst nicht, dass es die Götter sind, die da kommen. Wir müssen sie gebührend empfangen.“ Drei Scheinwerferpaare fressen dich durch die Dunkelheit des Dezembermorgens und kriechen zum Dorf. Geführt von einem schwarzen Geländewagen fahren zwei dreiachsige, dunkelgrüne Lastwagen vor der Kirche auf. Aus jedem Fahrzeug steigt ein Gott aus und stapft auf die Männer zu, diese knien sich in den Schnee und beten. „Ehre und Dank sei den Göttern, die gnädig und helfend über uns wachen .“ Einer der Götter, Iogi erkennt Albano, hebt die Hand, worauf das Gebet unregelmäßig verstummt. „Danke und guten Morgen, erhebt euch, wir sind spät dran. Priester, du fährst mit mir, ihr anderen verteilt euch auf den Ladeflächen der Transporter und dann Abflug!“

Iogi klammert sich, wie alle seine Mitfahrer, krampfhaft an die Sitzbank auf der Ladefläche des LKWs. Seit sie die Straße verlassen haben und über offenes Gelände fahren, ist die Schaukelei unerträglich. Bei einer besonders gemeinen Bodenwelle hat die Bank sogar zwei Männer abgeworfen, die dann fluchend auf der Ladefläche herum kugelten, bis sie sich endlich wieder auf ihren Sitz zurückkämpften. „Wie lang soll das noch so gehen?“ Jammert eine Stimme aus der Dunkelheit. „Halt dich fest und sei froh, dass du eine Plane über dem Kopf hast und nicht laufen musst.“ Kommt eine Antwort zurück.

Kurze Zeit später stoppt der LKW und die Treiber dürfen aussteigen. Auf einem unbekannten Platz parken fünf große Transporter und drei Geländewagen. Sie stehen in einem Dreiviertelkreis, die Scheinwerfer nach innen gerichtet und beleuchten so ein geschäftiges Treiben von gut zehn Göttern. Diese weisen den Neuankömmlingen schnell Arbeit zu. „Alles von diesem LKW abladen und dort neben der Werkzeugkiste stapeln.“ Werden Iogi, Eras und zwei weitere Dörfler angewiesen. Sie fangen an. Iogi muss den Stapel Bierbänke, die er mit Eras schleppt, absetzen, er ist für ihn zu schwer. Einer der Götter schimpft los. „He, niemand hat etwas von Pause gesagt.“ Und als er erkennt, dass es sich um einen Jungen handelt, „wir brauchen hier Männer die anpacken können und keine Babys. Welcher Idiot hat den da hergeschickt?“ „Ich wollte ihn auch nicht dabeihaben, aber der Mayer Joe hat darauf bestanden.“ Mischt sich Albano ein, der gerade vorbeigeht. „Der Mayer Joe, na ja, der Junge hat wirklich einen hübschen Knackarsch.“ „Das will ich überhört haben. Ich nehme ihn mit zum Verpflegungsteam, die sollen Ihnen dafür einen Mann schicken. O.K?“ „Sie sind der Boss Herr Berat.“

Nach einiger Zeit ist das Lager, bestehend aus einem offenen Zelt, Tischen, Bänken, Kochstelle, Bierkisten usw. in groben Zügen zur Zufriedenheit der Götter errichtet. Um die Dörfler zu beschäftigen, lassen die Götter noch ein paar zum Teil nicht sinnvoll erscheinende, Feinarbeiten ausführen.

Ein schriller Pfiff ertönt, einer der Götter steigt auf eine Bank und verkündet von oben den Jagdbeginn. Die Treiber stellen sich, mit jeweils zwanzig Schritten Abstand zueinander, in einer langen Reihe auf. Hinter dieser Linie platzieren sich Albano, ein weiterer Gott und Varus; der gibt das Kommando. „Männer! Haltet die

Linie und eure Abstände ein und jetzt nur in diese Richtung bewegen. Abmarsch!“ Die Treiberkette rückt nach Osten auf den, circa tausend Schritte entfernten Wald vor, der an die Lagerwiese angrenzt. Jeder Treiber schlägt immer wieder seine beiden Speere zusammen und stößt ab und zu einen Schrei aus. „Außen weiter vorrücken, weitersagen!“ Schreit Varus und wie am Vortag gelernt, verändert sich die Linie zu einem Kreisbogen um zu verhindern, dass allzu viele Hasen seitlich ausbrechen. Iogi, dessen Platz halb rechts, mehr in der Mitte der Kette ist, sieht die ersten Tiere in Richtung Wald flüchten.

Die Dörfler an den Flanken sind gerade im Wald verschwunden als Schüsse fallen. „Die äußeren Treiber höchstens 100 Schritt weit in die große Sommerweide hineinlaufen, die inneren Treiber nicht weiter als zum Bach! Denkt daran in Deckung zu bleiben! Weitersagen!“ Brüllt Varus aus dem Hintergrund. Iogi kennt sich jetzt aus, das ist der schmale Wald auf dem Plan der, von der anderen Seite betrachtet, nach dem Grenzbach im verbotenen Gebiet liegt. Das Gewehrfeuer hinter dem Wald wird immer stärker, lässt dann nach und ist, als Iogi sich am Bachrand, hinter einer dicken Erle, in Deckung legt, schon verstummt. Weit oben, auf der sanft zum Grenzbach abfallenden Sommerweide ist, etwa tausendfünfhundert Schritte entfernt, eine Reihe von Geländewagen abgestellt. Alle Götter stehen viel näher zum Bach in einer bogenförmigen Kette, ähnlich der der Treiber und blicken über das Schlachtfeld. Die dünn beschneite Wiese ist mit vielen roten Flecken sowie toten Hasen übersät, einige Hunde laufen auf ihr herum. Ein Gott bläst auf seinem Horn zum Jagdende. Kaum ist der Ton verklungen, ertönt Varuss Stimme von hinter. „Treiber! Helft beim Einsammeln der Hasen und bringt sie zu den Autos! Weitersagen!“

Nachdem das Wildbret auf zwei Fahrzeugen mit offenen Ladeflächen verstaut ist, steigen die Götter ein und fahren zum Lager. Auch die Dörfler sammeln sich zum Rückmarsch. Sie kommen noch vor den Göttern an, da diese einen größeren

Umweg machen mussten. Varus teilt nun die Leute in eine Gruppe für Küchendienst und eine andere zur Bedienung ein. Die Arbeit beginnt. Iogi ist bei den Kellnern, er bringt den Göttern die gefüllten Bierkrüge hinein. Das Zelt wird durch zwei Feuerstellen beheizt, sodass es die, dicht an dicht sitzenden, Götter etwas angenehmer haben. Dennoch müssen etliche Runden Schnaps serviert werden, um sie auch von innen zu wärmen.

Als die Bedienung später das dampfende Jagdessen auftischt, sind die Götter bereits in sehr guter Stimmung. „He, Junge noch ein Bier“ ruft ein Gott. Iogi öffnet die Flasche und will dem Gott einschenken. Dieser zieht seinen Krug aber langsam zurück, sodass Iogi sich weiter vorbeugen muss, um den Krug zu erreichen. Plötzlich spürt er einen derben Griff an seinem Po, weicht erschrocken aus und rempelt den Gott daneben an. Er will gerade zu einer Entschuldigung ansetzen da zischt der Gerempelte den Grapscher an. „Reiß dich zusammen, Joe, selbst dir kann so was in der Öffentlichkeit schaden.“ Ein muffiges „O.K. O.K.“ Ist die Antwort. Und zu Iogi: „Hau ab.“ Bald danach ist das Essen beendet und alle brechen zur Nachmittagjagd auf, die Götter in ihren Geländewagen, die Dörfler wieder auf den Sitzbänken der Transporter. Das Lager soll erst später abgebrochen werden. Nach erneut endlos scheinendem Geschaukel ist das Ziel erreicht. Iogi versucht die Gegend, mit seiner Vorstellung des Planes zu vergleichen. Er steht auf einer Wiese und blickt nach Westen, wo er das fremde Dorf MD4 vermutet. Dort ist, wie rundherum, nur endloser Wald. Solche Stellen gab es viele auf dem Plan; so kann man sich nicht orientieren.

Aus Westen fährt ein Auto auf sie zu, lässt Albano aussteigen und verschwindet, wie es gekommen ist. Dies bestärkt Iogi in der Vermutung, dass sie nach dorthin treiben werden, so haben die Götter die Abendsonne im Rücken und stehen zwischen uns und MD4. Varus zeigt eher nach Südwesten. „Wir marschieren in diese Richtung. Bildet eine durchhängende Kette und treibt von hier durch den Wald. Auf der anderen Seite am Waldrand in Deckung bleiben, bis die Jagd vorbei ist. Alles, wie heute Vormittag, nur führt diesmal Albert, von seinem Platz in der Kettenmitte aus. Ich gehe ganz an die rechte Flanke und niemand darf sich rechts von mir aufhalten. Auf geht’s Albert übernimm!“ Während dieser die Reihe ordnet, gibt Varus Iogi einen Wink ihm zu folgen und die Beiden eilen zu der Seite, an der Albano auf sie wartet. Zu dritt gehen sie nun gemütlich weiter. Iogi erzählt seinem Opa verstört sein Erlebnis beim Bedienen. Der Priester predigt darauf pathetisch: „Du darfst nicht erschrecken, wenn ein Gott dir die Gnade seiner Berührung erteilt. Dein Benehmen war respektlos. Zu deinen Gunsten spricht nur, dass du dich entschuldigen wolltest und den weiteren Weisungen der Götter, zu verschwinden, sofort gehorcht hast. Ich glaube zehn Gebete sind angemessen.“

„Ja, ich werde beten“ ist alles, was Iogi erwidert, als er den festen Griff von Albano auf seiner Schulter spürt. „Geht ihr beide langsam vor, ich muss mal in die Büsche.“ Bemerkt Albano und hält Iogi fest. Varus blickt sich kurz um und geht weiter. Als er gut zwanzig Schritte voraus ist, folgt ihm Albano, er lässt Iogi los und spricht leise zu ihm. „Dein Großvater ist außer Hörweite, was ich dir jetzt sage darfst du ihm niemals erzählen und auch keinem anderen mitteilen, dass ich es dir gesagt habe. Hüte dich vor Joe! Wenn er in dein Dorf kommt, lauf fort, versteck dich und zeig dich erst wieder, wenn er verschwunden ist. Geh nie zuerst zum Bürgermeister, zu deinen Eltern oder gar zu deinem Großvater, es kann nämlich möglich sein, dass er denen befohlen hat dich festzuhalten, bis er wiederkommt. Und wie gesagt, absolutes Schweigen über unser Gespräch und keine Fragen.“

Albano geht nun voran und hat Varus schnell eingeholt. Iogi trottet verblüfft hinterher. Bald haben die Drei den Wald durchschritten und wieder eine Wiese erreicht. In über zweitausend Schritten Entfernung, sind die Geländefahrzeuge zu sehen, die Sicht auf die Jäger wird durch einen Waldvorsprung verdeckt. „Du kannst dort bei der großen Buche Posten beziehen.“ Befiehlt Albano Iogi und deutet auf den markanten Baum in etwa dreihundert Schritten Entfernung. Iogi merkt, dass die Beiden ihn loswerden wollen, und läuft ohne Widerrede zu dem Baum. Dort sucht er sich einen passablen Sitzplatz und versucht seine Gedanken zu ordnen. Die Jagd hat begonnen. Leise schallen das Schlagen der Speere und das Rufen der Treiber in der Ferne. Iogi hört näherkommende Schritte, er geht ihnen entgegen, um die Leute darauf hinzuweisen, dass sie in diese Richtung nicht weiter gehen dürfen, und steht plötzlich zwei Göttern gegenüber. „Weißt du, wo der Priester steckt?“ „Dort mein Gott.“ Antwortet Iogi und deutet in die Richtung. „Lauf voran und sag dem Priester er soll sofort zum Jagdleiter kommen, so schnell wie möglich, jede Minute zählt!“ Iogi rennt los. Die Jagd ist in ihrer heißen Phase, man hört die ersten Schüsse. Ganz außer Atem stützt er sich auf seinen Speer und überbringt die Nachricht. Varus springt auf und läuft Richtung Jagd, er hat noch keine zehn Schritte geschafft als, Albano schreit. „Halt, bleib hier, da stimmt was nicht!“ Varus bleibt stehen und wendet sich den Beiden zu. Iogi hört es hinter sich rascheln und dreht sich um, Albano, der neben ihm steht, tut es ihm nach.

Aus dem Gebüsch brechen zwei Männer hervor, ihre Stöcke zum Schlag erhoben. Iogi stellt sich instinktiv einem in den Weg, um Albano zu schützen. Der eine Mann muss also zuerst den Jungen beseitigen, er schlägt von oben Richtung Kopf. Nun macht sich das viele Stocktraining für Iogi bezahlt. Er reißt seinen Speer zur Deckung nach oben, die rechte Hand greift ihn fest und ist höher als die linke, die nur offen führt. Der Schlag des Erwachsenen lässt Iogis Arme erzittern, doch er rutscht an dem schräg stehenden Stab ab. Albano hat keinen Speer, er hat auch nicht die Reaktion eines Jugendlichen, er hebt den linken Arm zu Schutz und wird da von dem zweiten Mann getroffen. Sein Schmerzensschrei übertönt das Geräusch brechender Knochen. Auch Iogi ist kein Hindernis mehr, nach der ersten Abwehr kann er seinen Speer nicht mehr halten. Die beiden Männer — Götter — wenden sich dem hilflosen Albano zu und holen zum zweiten Mal aus.

Zwei Schüsse krachen. Bei einem Gott spritzt Blut aus dem Kopf, bei dem anderen färbt sich die Brust rot, als sie zusammenbrechen. Varus steht schon bei Albano, drückt ihm etwas in die Hand und gibt ihm hektisch Zeichen. Ein weiterer Schuss fällt und Varus schreit Albano an: „Oh mein Gott, welch ein Glück, dass ihr noch schießen konntet. Sie hätten euch sonst erschlagen! Seid ihr schwer verletzt?“ „Der Arm ist gebrochen und es tut höllisch weh. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch so gut schießen kann. Halte mal den Revolver und dann mein Handy, damit ich wählen kann. Ich rufe den Jagdleiter an, der Polizeichef ist bei der Jagd dabei.“ Während Albano mit dem Leiter spricht, reibt Varus seine rechte Hand und den Revolver immer wieder mit Sand und Schlamm ein und ruft dann: „Verzeihung mein Gott, mir ist die Waffe in den Schmutz gefallen.“ „Putz ihn und gib ihn her.“ Erwidert Albano ungehalten. „Was ist mit dir?“ Kümmert sich Varus nun um Iogi. „Ich bin in Ordnung, nur meine Daumen und Handgelenke tun etwas weh.“ Varus sieht sie sich an, tastet sie ab und wendet sich erleichtert wieder Albano zu. „Mein Gott, warum habt ihr eigentlich danach noch in den Boden geschossen, aus Schmerz, Wut oder Erleichterung?“ Der Gott schaut ihn erstaunt an, dann antwortet er jammervoll. „Aus Erleichterung, ich musste mich abreagieren, ich hätte tot sein können! Ich halte es nicht mehr aus, wo bleiben bloß die anderen? “„Ihr solltet ein wenig umhergehen, mein Gott, das lenkt von den Schmerzen ab. Ich helfe euch.“ Und so führt Varus Albano auf und ab.

Eine Melodie erklingt aus dessen Mantel. Großvater greift hinein und reicht dem Gott das Handy. „Berat! Wo bleibst du denn. Ich bin am Waldrand, nordwestlich von euch, halte die Verbindung, wenn wir dich hören oder sehen, kann ich dich dirigieren. “Kurze Zeit und wenige Worte später steht ein verschmutzter, ehemals weißer, Geländewagen vor Ort. Ein großer, untersetzter Gott in Jagdbekleidung springt heraus und rennt zu Albano. „Papa, was machst du für Sachen! Lass erst den Arm sehen. Hmm, gebrochen, das sieht man sogar durch die Kleidung. Kannst du den Arm frei machen? Warte ich helfe dir.“ Und zu Varus. „Priester! Fass mal mit an.“ Nun ist das ganze Ausmaß der Verletzung sichtbar, der dick geschwollene Unterarm ist zwischen Handgelenk und Ellbogen direkt abgeknickt. Albano jammert leise. „Marco gib mir was gegen die Schmerzen.“ Während der Sohn den Vater verarztet, treffen weitere Geländewagen ein. Vier Götter steigen aus. „Hallo Herr Berat, schlimme Sache, falls du sie nicht kennst das sind Sergio, Hermann und Pedro. Sie werden mich unterstützen. Kannst du schon aussagen oder brauchst du noch ärztliche Hilfe?“ Begrüßt der Chef von ihnen den Verletzten und weist anschließend seine Leute an.

„Sichert das, was vom Tatort noch übrig ist, macht ein paar Fotos, schaut euch die Leichen an und befragt die Dörfler!“ Ein dicker Gott, fast so groß wie Varus walzt auf diesen und Iogi zu und hält Varus sein Handy vor den Mund. „Du bist der Priester, erzähl mal, was hier passiert ist!“ Großvater berichtet. „... Dann zog dieser Gott in höchster Not seinen Revolver und schoss auf die Angreifer, die fielen sofort um .“ Nachdem Großvater geendet hat, wendet sich der Gott zu Iogi. „War es so?“ „Ja, mein Gott.“ Der Dicke steckt sein Handy ein, murmelt ein O.K. und will gerade gehen als ihn Großvater aufhält. „Erhabener Gott darf ich noch etwas anmerken?“ „Sprich!“ „Der Junge hat die beiden Toten zuvor bei der großen Buche getroffen. Von dort könnte man vielleicht ihre Spuren bis zu ihrem Fahrzeug zurückverfolgen.“ „Hmm, schon möglich“ grunzt der Gott und verschwindet Richtung Tatort.

Auch die beiden Dörfler gesellen sich zu der Gruppe von Göttern, die jetzt um Albano herumsteht, allerdings halten sie respektvoll Abstand. Albanos Arm ist verbunden und an seinem Körper fixiert, es scheint ihm besser zu gehen. „Schau mal nach dem Jungen, Marco.“ Bittet er seinen Sohn. Dieser betastet Iogis Hände, fragt ob es da oder bei dieser Bewegung schmerzt und ruft seinem Vater zu. „Nur leicht geprellt, das ist bald vergessen! Aber wir sollten schleunigst ins Krankenhaus, ich muss deinen Arm operieren!“ Und zum Chef der Polizisten: „Heinz, brauchst du Vater noch?“ „Ihr könnt fahren aber ruft mich morgen mal an, bis dahin habe ich sicher noch ein paar Fragen.“ Antwortet der Angesprochene und berät sich gleich mit seinen Leuten. Iogi steht nahe genug um, das Gespräch der Götter zu verfolgen. „Also was haben wir, Hermann?“ „Die Aussagen der Dörfler passen ins Bild, ich werde sie natürlich noch mit den VR-Aufzeichnungen vergleichen, morgen haben Sie meinen Bericht.“ „Schmauch- spuren?“ „Bei denen! Herr Berat hat doch geschossen.“ „Oh Mann! Der Fall mag noch so klar sein, wir müssen in alle Richtungen ermitteln.“ Der Chef dreht sich den Dörflern zu. „Kommt mal her und zeigt mir eure Hände!“ Varus und Iogi gehorchen. Der Gott betrachtet ihre Hände, führt sie zur Nase, und spricht in sein Handy. „Nach vorläufiger Betrachtung sind keine Schmauchspuren an den Händen der Dörfler zu finden.“ Er macht eine auffordernde Kopfbewegung zu seinen Leuten und der Nächste berichtet. „Der Tatort ist völlig zertrampelt, keine verwertbaren Spuren, ich habe ihn dennoch von allen Seiten fotografiert. Der Revolver als eine mutmaßliche Tatwaffe ist sichergestellt. Ich habe auch den Stock, mit dem der mutmaßliche Mordversuch an Herrn Berat begangen wurde, an ihm haften Fasern, die denen des Mantels von Herrn Berat ähneln. Hier müssen wir die Laboruntersuchungen abwarten.“ „Wir haben zwei unbekannte männliche Leichen. Todesursache sind offensichtlich die Schüsse, die den einen knapp unter dem rechten Auge und den anderen etwas oberhalb des Herzens getroffen haben.

Die Projektile stecken noch im Körper, ich weiß nicht ob wir da eine Obduktion oder die Ballistik brauchen. Die Toten haben keine Papiere, kein Handy, ihre Taschen sind vollkommen leer. Vermutlich gedungene Mörder.“ Da meldet sich der, vorher gescholtene, Dicke zu Wort. „Der Junge hat die Beiden doch vor der Tat irgendwo da hinten getroffen, vielleicht kann man ihre Spuren von dort zu Ihrem Auto verfolgen und Hinweise auf ihre Identität finden.“ „Gute Idee, Hermann! Schnapp dir den Jungen und mach das. Pedro! Geh mit!“ Iogi führt die Götter zu der großen Buche, und von dort heften sich alle drei an die, im Schnee, recht deutliche Spur.

Es wird jetzt rasch dunkel, aber die Götter haben starke Handlampen, die den Weg erhellen. Nach ungefähr zehn Minuten verlässt die Spur den Wald und führt über eine Wiese auf ein kleines Wäldchen zu. Nach kurzem Fußmarsch sehen sie dort, schon von Weiten, einen dunkelgrünen Geländewagen. Sofort gehen die Götter zehn Schritte nach rechts und links auseinander. Pedro, der zierliche Gott nimmt sein kurzes Gewehr vom Rücken und streicht mit der rechten Hand an ihm entlang, ein metallisches Klicken ertönt. Der Dicke zieht etwas Revolverähnliches und verursacht dann ebenfalls dieses metallische Klicken. Vorsichtig nähern sie sich dem Fahrzeug, es ist verlassen. Pedro spricht in sein Handy. „Hier Pedro, wir haben das Auto gefunden, es ist niemand zu sehen. O.K machen wir.“ Die Götter ziehen sich weiße Handschuhe an und suchen in dem Auto herum. Erneut spricht Pedro in sein Handy. „Wir haben ihre Papiere, Handys, ein Jagd- und ein Sturmgewehr. Gut wir kommen.“ Und dann zu Iogi. „Steig hinten ein aber lass deine Finger von den Gewehren.“ Iogi tut wie geheißen und eine Nachtfahrt über Stock und Stein beginnt. Im Geländeauto ist die Fahrt im Vergleich zum Lastwagen direkt angenehm.

Am Ziel angekommen geht es sofort weiter, Iogi steigt zu Varus in einen anderen Geländewagen, der sie dann zum Lager bringt. Hier ist das Meiste schon abgebaut. Nur noch drei LKW und ein Auto stehen dort. Nach kurzer Zeit ist das Lager vollständig geräumt und die Dörfler steigen zur Heimfahrt in die beiden Transporter, die sie auch hergebracht hatten. Die Rückfahrt beginnt mit dem bekannten Geschaukele das erst erträglich wird, als sie die Straße erreichen.

„He, Bub! Mittagsschlaf ist vorbei!“ Iogi muss sich erst einmal zurechtfinden, er ist doch tatsächlich in den letzten paar Minuten Straßenfahrt eingeschlafen und wird dafür von den Männern verspottet. Als er noch ganz steif und verschlafen vom Transporter springt, ist stockfinstere Nacht, die nur durch die Scheinwerfer der LKWs und einigen trüben Laternen erhellt wird. Komischerweise ist trotz der vorgerückten Stunde fast das ganze Dorf auf den Beinen. Wollen die Dörfler die Rückkehrer begrüßen? Iogis Müdigkeit ist blitzschnell verflogen, als er die entsetzte Stimmung der Leute wahrnimmt. Ein Gott, der den Transporter gefahren hat, ist ausgestiegen, vor ihm kniet eine Frau im Schnee.

„Bitte gütiger Gott! Gebt mir meinen Sohn zurück!“ Kreischt sie. Dem Gott ist die Situation lästig. „Ich hab damit nichts zu tun, das geht mich nichts an. Priester! Schaff mir das Weib und die Leute vom Hals!“ Varus geht dazwischen. „Zurück! Dies ist keine Art einen Gott zu bitten. Wenn ihr ein Anliegen an die Götter habt, werden wir es demütig in der Kirche vorbringen, wie es sich gehört.“ Während der Priester die Frau und die Menge etwas beruhigt und abdrängt, verschwinden die Götter mit den LKWs. „Was ist eigentlich los.“ Fragt Großvater die Dörfler und so erfahren er und die anderen Neuankömmlinge das Geschehene: Kurz vor Mittag erschienen vier Götter mit zwei Autos im Dorf. Sie gingen zum Bürgermeister und der befahl darauf, in ihrem Namen, dass sich die Familien aller Teilnehmer der Treibjagd vor der Kirche versammeln sollten. Nachdem das geschehen war, wählten die Götter jeweils einen Sohn von vier verschiedenen Familien aus, fragten die Mütter nach ihrem Familiennamen und nahmen die Kinder mit.

Die betroffenen Väter stehen erschüttert bei ihren klagenden Frauen, selbst weinend oder den Tränen nahe, als der Priester donnernd das Wort ergreift. „Oh, ihr Undankbaren, ihr wagt es euch über das Verhalten der Götter zu beklagen, statt euch darüber zu freuen, dass eure Söhne erwählt wurden, ihnen nah zu sein. Ihr solltet das Fest der Auserwählung feiern, wie wir es alle paar Jahre machen, um die Aufnahme der glücklichen Kinder von uns zu bejubeln, die zu den Göttern berufen werden.“ „Die Kinder, für die wir die Auserwählung feiern sind, mindestens zwölf und nicht so klein wie unser Hansi, er ist erst sieben und andere sind noch jünger!“ Heult eine der betroffenen Frauen. „Die Götter werden euch und uns alle strafen, wenn ihr weiterhin ihre Entscheidungen infrage stellt. Geht in eure Häuser und schlaft den Rest der Nacht darüber. Morgen halten wir gleich nach Mittag einen Dank- und Bittgottesdienst ab, um die Götter zu besänftigen. Geht jetzt, wir sind alle müde und ich möchte nicht, dass möglicherweise noch Worte fallen, die ich bestrafen muss.“ Droht der Priester. Dies zeigt Wirkung, Freunde und Nachbarn reden beruhigend auf die Betroffenen ein und drängen sie zu ihren Häusern. Die Menge zerstreut sich und auch der müde Iogi freut sich auf sein Bett und schleicht nachhause.

Als er erwacht ist es kurz vor Mittag und er ist dankbar dafür, dass ihn niemand geweckt hat. Heute ist ein trüber Tag, es schneit. Nach dem Essen geht Iogi wie alle Dörfler zur Kirche, sie ist schon überfüllt doch es gelingt ihm, sich irgendwie hinein zu drängeln. Viele schaffen das nicht und versammeln sich vor der Tür und den Fenstern, um noch etwas mitzubekommen. Die Dörfler wirken immer noch entsetzt aber auch, nach der Strafandrohung des Priesters, verängstigt. Es dauert noch eine ganze Weile bis Varus, in seiner kostbarsten Kleidung, erscheint. Er hebt die Arme und beginnt zu beten, die Menge fällt ein. „Ehre und Dank sei den Göttern, die gnädig und helfend über uns wachen.“ Das Gebet wird mehrmals wiederholt, es folgen noch einige endlose Lieder, nochmal das Gebet und endlich begibt sich der Priester hinter sein Pult, um zu predigen. Es herrscht eine ungewöhnliche Stille in der Kirche als Varus beginnt.

„Scham und Schande über euch, die ihr an den Werken der Götter zweifelt. Statt euch über das Glück eurer Kinder zu freuen, die von den Göttern erwählt wurden, trauert ihr um sie. Scham und Schande auch über mich euren Priester, der es nicht geschafft hat euch Gottvertrauen beizubringen; aber während ihr mit den Göttern hadertet habe ich die ganze Nacht um Vergebung für uns gebetet. Ich habe auch, demutsvoll wie es sich gehört, um die Rückkehr der Kleinen gefleht, denn ihr habt euch die Ehre noch nicht verdient, dass eure Kinder länger bei den Göttern wohnen. Ich glaube fest daran, dass meine Gebete erhört wurden.“ Danach betet die Menge zum Abschluss. „Ehre und Dank sei den Göttern, die gnädig und helfend über uns wachen. Amen“

Nach dem Gottesdienst geht Iogi sofort zum Haus der Melkers und kann so Swen unterwegs abfangen. „Hallo Iogi, willst du zu mir?“ Begrüßt ihn der Freund. Und auf dessen Nicken. „Komm mit rein, hier draußen ist es ungemütlich.“ Kurz darauf sitzen die beiden in Swens Zimmer und unterhalten sich über die verschwundenen Kinder, die Predigt, die Stimmung im Dorf usw. Nach diesem Vorgeplänkel kommt Iogi zu dem Anliegen, das ihn eigentlich hergeführt hat. „Swen ich brauche deine Hilfe, du darfst mit niemandem darüber reden, es kann gefährlich für dich und deine Familie werden und ich kann dir das Ganze nicht einmal richtig erklären.“ „Das hört sich ja geheimnisvoll an, ich bin ganz Ohr.“ „Es könnte sein.“ Beginnt Iogi zögerlich und fährt dann fort: „Dass mich ein Gott zu sich holen will. Ich fürchte mich vor ihm denn ich glaube er hat nichts Guten mit mir vor. Wenn er hier auftaucht, werde ich flüchten und mich verstecken, bis er wieder verschwunden ist.“ „Du weißt es ist eine schwere Sünde gegen den Wunsch eines Gottes zu handeln, weiß dein Großvater davon?“ Erwidert Swen. „Er darf es nicht erfahren aber ich nehme lieber eine schlimme Sünde auf mich, als zu diesem Gott ins Auto zu steigen.“ „Na gut und was habe ich damit zu tun?“ Fragt Swen. „Ich muss wissen, wann ich gefahrlos zurückkommen kann. Es ist möglich, dass der Gott den Befehl gibt, mich bis zu seiner Rückkehr einzusperren; dann darf ich mich auch nicht zeigen, wenn er weg ist. Du sollst mir ein Zeichen geben, wenn die Luft rein ist.“ „Das wird ja richtig spannend und wie hast du dir das vorgestellt?“ „Wenn alles in Ordnung ist, stellst du zwei Lichter eine Elle weit auseinander in dieses Fenster, das ja zum alten Lagerhaus zeigt; dann weiß ich Bescheid.“ „Wenn es nicht mehr ist, kein Problem, wird gemacht.“ Antwortet der Freund und Iogi ist erleichtert.

„Die Götter kommen, zwei LKW und ein Auto!“ Dieser Ruf wandert vom nördlichen Dorfrand durch alle Straßen. Iogi schnappt sich seine wärmste Jacke, steckt etwas Essbares hinein und läuft wie viele andere zum Marktplatz vor der Kirche. Er achtet streng darauf, dass er immer einige Dörfler als Deckung vor sich hat. Als er vor dem Gotteshaus ankommt, erspäht er fünf Götter vor abgestellten Fahrzeugen. Einer von ihnen ist Albano, der an seinem verbundenen Arm von weiten leicht zu erkennen ist. Iogi hat sich bereits durch die Dörfler nach vorne gedrängt, als ein sechster Gott aus dem Geländewagen aussteigt.

„Das hätte nicht passieren dürfen, wie konnte ich nur so voreilig sein!“ Schimpft Iogi sich selbst, der vor der dichten Menge wie auf dem Präsentierteller dasteht.

Die Zeit scheint stillzustehen. Varus eilt aus der Kirche, um die Götter zu begrüßen. Er kniet nieder und befiehlt mit einer Geste den Dörfler es ihm gleichzutun. Auf Knien, mit klopfendem Herzen, starrt Iogi zu dem sechsten Gott, der sich langsam umdreht. Iogi kennt ihn nicht.

Albano fordert den Priester und die Menge, nach einem Segenszeichen, auf, sich zu erheben. Dann spricht er leise zu Varus und der Priester verkündet. „Dank, Lob und Ehre sei den Göttern, die uns heute aufgesucht haben, um uns unsere Sünden zu vergeben. Sie haben meine Gebete erhört und bringen uns die Kinder derer, die sich eigentlich als unwürdig gezeigt haben, auch ihnen wird verziehen. Außerdem geben uns die gütigen Götter viele Geschenke, die wir dankbar empfangen dürfen. Ehre und Dank sei den Göttern.“ Die beschämten aber glücklichen Dörfler rücken näher an die Götter und ihren Priester heran, Iogi wird mit vorgeschoben und steht nahe genug bei Albano um dessen Worte zu verstehen. „Veranlasse, dass die LKWs entladen werden und dann solltest du allein im stillen Gebet den Göttern in der Kirche nochmals danken!“

Auch Iogi erkennt diesen Hinweis: Albano möchte Großvater ungestört etwas mitteilen. Iogi denkt an sein Versteck über dem Altar und strebt schon der Kirchentür zu, als ihn ein Ruf hinter ihm stoppt. „Wo willst du denn hin?“ Erschreckt dreht er sich zu seinem Opa um. „Nun, äh, ich wollte, na ja, ich wollte den Göttern im stillen Gebet danken.“ Stammelt Iogi, dem nichts Besseres einfällt, als die Aufforderung Albanos zu wiederholen. Diese Ausrede muss Großvater sicherlich durchschauen, fürchtet er sich aber der Priester erwidert freundlich. „Brav, mein Junge, knie doch im stillen Gebet vor dem Altar, ich werde dich bald ablösen.“ Die Chance ein Geheimnis zu erfahren ist vertan und so kniet Iogi betend, wie befohlen, doch seine Gedanken schweifen ab. Warum haben die Götter die Kinder zurück und auch noch Geschenke gebracht? Und Großvater, er hat gestern verkündet, dass seine Gebete erhört werden, welches Wissen und welche Macht hat er über die Götter? Die schmerzenden Knie schneiden in seine Gedanken und er hofft auf die Ankunft des Priesters. Der erscheint auch nach weiteren qualvollen Minuten und schickt Iogi nach draußen. Kurz danach verschwindet Albano in der Kirche und verlässt sie nach einer halben Stunde. Bald tritt auch Varus heraus und leitet dann die Verabschiedung der Götter, die in ihren Autos davonfahren. Er kündigt noch einen Dankgottesdienst an. Anschließend löst sich die Menge auf.

Diesmal steht Iogi draußen vor der völlig überfüllten Kirche, er kam zu spät, um innen einen Platz zu bekommen. Doch das Fenster, seitlich neben dem Altar, ist geöffnet und so kann er die Predigt gut verstehen. „... Diesen Kindern wurde die Ehre zuteil die Nähe der Götter zu erleben. Auch wir Erwachsenen sind so klein im Geiste, dass wir vielfach das Wirken der Götter nicht begreifen können, wie sollen es dann diese kleinen Kinder können? Lasst euch also nicht von ihren Erzählungen verwirren! Haltet fest an unserem Glauben und seht in den Geschichten, die diese unwissenden Kinder erzählen das, was sie sind, Phantasien über etwas Unbegreiflichem. Wir wollen nun beten .“

„... Und dann ...“ Hansi genießt es, im Mittelpunkt zu stehen. Die Großen, das heißt, die Acht- bis Vierzehnjährigen, lauschen seinen Worten. Die Kinder haben sich tief in einen Heustadel zurückgezogen und sind hier ungestört. „Kamen wir auf eine ganz breite Straße, viel breiter als unser Marktplatz - und dann fuhren wir bis zu einem großen Haus neben der Straße — und dann hat das Auto gehalten und die Götter sind mit uns in das große Haus aufs Klo gegangen. Das war ein ganz großes Zimmer mit ganz vielen Klos — und dann sind wir wieder zu den Autos gegangen und da waren dann noch viele andere Götter, die haben uns so komische Mützen aufgesetzt, die gingen auch über das Gesicht und die Augen und ich habe nichts mehr gesehen.“ „Hast du da keine Angst gehabt?“ Fragt ein Achtjähriger furchtsam dazwischen. Man hört es an seiner Stimme, dass es so war, als Hansi weitererzählt. „Schon, und dann haben sie uns die Hände mit so Eisen hinter dem Rücken zusammengebunden da haben die Kleinen geweint aber ich nicht.“ Die Kinder blicken sich betroffen an, einigen läuft es kalt über den Rücken. „Erzähl weiter!“ Fordert Iogi ihn auf. „Und dann haben sie mich wieder ins Auto gesetzt und sind weiter gefahren. Das Auto hat immer mal wieder gehalten und ist dann weitergefahren, dann hat es wieder gehalten und ein Gott hat mich in ein Haus getragen, viele Treppen hoch. Und dann hat er mich gefüttert, das hat supergut geschmeckt — und dann hat er mir die Hosen ausgezogen und mir gezeigt, wo das Klo ist und wo ich schlafen soll.“ „Wie konnte das denn gehen, mit verbundenen Augen und gefesselten Händen?“ Wirft einer der Großen ein. „Kein Problem, ich hab schnell rausgekriegt, dass ich in einem Badezimmer war, das war fast wie bei uns zuhause, Waschbecken, Dusche, Klo und Badewanne und neben der Badewanne war die Matratze, auf der ich schlafen sollte.“ „Hast du dort tatsächlich geschlafen?“ fragt ein anderer Junge erstaunt.

„Zuerst habe ich schon geweint, ich war ja ganz allein, aber dann bin ich eingeschlafen. Und dann hat es gekracht, die Götter haben getrampelt und geschrien — und dann hat mich ein Gott in eine Decke gewickelt, die Treppen runtergetragen, in ein Auto gesetzt und woanders hin gebracht. Dort kam ich wieder in ein Zimmer mit Klo aber auch einem Tisch und Stühlen, einem richtigen Bett und noch drei Matratzen am Boden. “„Wie kannst du das denn wissen, mit verbundenen Augen?“ Unterbricht Swen scharfsinnig. „Das hab ich erst später gesehen, denn dann haben mir die Götter diese Mütze abgenommen und mich auch losgemacht und die anderen Kinder waren auch da und wir durften unsere Hosen wieder anziehen. Wir haben noch was zum Essen und Trinken bekommen, haben noch eine Nacht da geschlafen und dann haben uns die Götter wieder nachhause gebracht.“ Antwortet Hansi erleichtert.

Später, auf dem Nachhauseweg, fragt Swen. „Kannst du das glauben?“ „Ich weiß nicht, die Geschichte ist schon merkwürdig aber vielleicht hat mein Opa Recht und wir können das Handeln der Götter wirklich nicht begreifen.“

Es bleibt ein flaues Gefühl im Bauch der Freunde zurück.

Es ist tiefster Winter, die letzten Wochen hat es oft geschneit, und mittlerweile liegt der Schnee mehr als kniehoch. Die Tage waren sonnig, die Nächte eiskalt, der Schnee ist ausgefroren, sodass kleine Kinder, wie Iris, auf der Schneeoberfläche laufen können, ohne einzubrechen. Es ist nichts los im Dorf.

Das Einzige, was die übliche Routine durchbricht, ist die Abfahrt und Ankunft der Holzfäller. Die Götter holen jeden Morgen zwanzig Männer ab, fahren sie zur Holzarbeit irgendwo nach Südosten, weit in das verbotene Gebiet und bringen sie abends wieder nachhause. Die Rückkehr der Männer ist derzeit ein Ereignis, das sich die Kinder im Dorf nicht entgehen lassen. Denn die Männer erzählen dann manchmal von ihrer Arbeit mit den Göttern, wie beispielsweise von einem riesigen Fahrzeug, das große Bäume wie Blumen pflückt, entastet und die Stämme auf gleiche Länge zersägt.

Heute lockt der Ruf „Die Götter kommen zurück“ die Kinder schon mitten am Nachmittag an die Abholstelle am Kirchplatz. Auch Iogi lässt sich die Ankunft der Holzfäller nicht entgehen. Die Männer springen bereits von den Transportern, als er dahinter einen ihm irgendwie bekannten Geländewagen erblickt. Iogi verbirgt sich sofort hinter den anderen Kindern und späht gebannt auf die sich öffnende Fahrzeugtür. Ein untersetzter Gott wälzt sich heraus — Joe!

Ohne zu zögern, verschwindet Iogi langsam und unauffällig um das nächste Hauseck und hört dort den Gott rufen. „Ich suche den Jungen, der vor vier Wochen bei der Treibjagd dabei war!“ „Iogi? Mein Gott, der war gerade noch da. Iogi! Komm her, der ehrenwerte Gott möchte dich sprechen!“ Ruft jemand diensteifrig, aber Iogi, hetzt schon hinter den Häusern davon. Bald hat er den Dorfrand erreicht, von hier sind es noch gut vierhundert Schritte über offenes Gelände bis zum schützenden Wald. Nach kurzer Verschnaufpause rennt er los. In dem knietiefen, harschen Schnee geht es nur mühsam und langsam vorwärts aber endlich ist er, völlig außer Atem, am Waldrand und lässt sich dort hinter einen Baum fallen. Geschafft — sicher werden die Dörfler sich bereits zur Jagd auf ihn formieren, überlegt Iogi und blickt suchend zum Dorfrand, wo sie bald auftauchen müssen und erschrickt.

Eine schwarze Rinne führt durch den Schnee vom letzten Haus direkt zu ihm — seine unübersehbare Spur! Er muss sofort weiter, denn wenn diese Spur gefunden wird, werden ihn so schnelle und starke Männer wie Klaus oder Albert gleich haben. Im Wald liegt der Schnee nicht so hoch, aber hoch genug um sein Vorwärtskommen zu behindern und eine gut sichtbare Spur zu hinterlassen. Er braucht einen schneefreien Bereich um seine Fährte zu verwischen und lenkt so seine Schritte zum Eschenbach.

Dort angekommen zieht er Schuhe und Socken aus, krempelt die Hosen hoch und watet im eiskalten Wasser bachaufwärts in Richtung Eschenbrunnalm.

Kein gutes Omen für eine erfolgreiche Flucht vor den Göttern, doch Iogi hofft dort einen Wildwechsel zu finden, in dem er spurlos den Bach verlassen kann. Er hat Glück, bevor seine Füße erfroren sind, trifft er auf eine Stelle, an der wohl hunderte von Schweinen öfter den Bach überquert haben. Nachdem er seine Schuhe wieder angezogen hat, betritt er vorsichtig das Gewirr von Schweinespuren. Tatsächlich, er hinterlässt auf diesem vereisten Durcheinander keine Fußabdrücke. Er folgt der „Saugasse“ in der Richtung, die ihn eher zum Dorf zurückführt und erreicht bald darauf den dorfnahen Futterplatz, an dem die halbwilden Schweine im Winter täglich ihr Futter erhalten. Mittlerweile ist es dunkel geworden, nur die Sterne und der Halbmond beleuchten den Schnee und ermöglichen eine ganz brauchbare Sicht. Iogi späht zum Dorf kann dort nichts Verdächtiges erkennen und schleicht so zum Haus der Melkers. Im Fenster des Freundes brennen zwei Lichter — Entwarnung!

Erst der zweite geworfene Schneeball trifft das Fenster, Swen öffnet es, erkennt Iogi und gibt ihm durch Zeichen zu verstehen, dass er leise zu ihm hinauf kommen soll.

Kurz darauf sitzt Iogi in Swens Zimmer auf dessen Schlafcouch und fragt unnötigerweise, ob alles in Ordnung ist. Swen lacht belustigt. „Du nimmst dich viel zu wichtig aber du hast einige unschöne Dinge versäumt, soll ich sie dir erzählen?“ „Natürlich!“ Und so erfuhr er, was geschah: Der Ruf „Iogi? Mein Gott, der war gerade noch da. Iogi! Komm her, der ehrenwerte Gott möchte dich sprechen!“ War frisch verhallt, als der Priester eilig aus seiner Kirche zu dem Gott rennt, er wirft sich vor ihm auf die Knie, gibt den Zuschauern ein Zeichen es ihm gleichzutun und begrüßt den Gott demütig. „Erhabener Gott, wir freuen uns über die Ehre eures Besuches, den wir gleich im gemeinsamen Gebet feiern werden. Ehre und Dank sei den Göttern .“ Der so gepriesene Gott gibt unwirsch allen ein Zeichen sich zu erheben und unterbricht die Lobeshymnen. „Danke, das genügt mir für heute.“ In diesem Moment biegt das Milchfuhrwerk auf den Kirchplatz ein. Fünf Männer, drunter Iogis Vater, bringen mit diesem Ochsenkarren die leeren Milchbehälter von der Übergabestation zurück. Sie steigen ab und bleiben unschlüssig neben dem Wagen stehen. Varus setzt gerade zu einer neuen Rede an doch der Gott bringt ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen, er zeigt auf die umher Stehenden und ruft. „He, du Junge, komm mal her!“ Der kleine Pauli tritt zögerlich vor den Gott. Dieser fasst ihn bei den Schultern und zieht ihn ganz nahe an sich. Seine Hände wandern über den Rücken abwärts und greifen prüfend in die Pobacken des Kindes. „Ich werde dich mitnehmen.“

Ein unterdrückter Schrei ist zu hören, in der Menge entsteht eine Rangelei, als sich Herr Glaser, Paulis Vater, nach vorne drängt. „Schafft die Glasers weg, bevor sie sich versündigen!“ Schreit der Priester und mehrere Männer packen Paulis Eltern und schleppen die sich heftig Wehrenden außer Sicht. Der kleine Junge reißt sich weinend los und will zu seinen Eltern flüchten, doch der Gott befiehlt den Zuschauern. „Fangt ihn ein und bringt ihn zu mir!“ Zwei Größere haben den zwölfjährigen Pauli schnell überwältigt. Sie drehen ihm die Arme auf den Rücken und schleppen ihn vor den Gott. „Euer Tun ist sehr gottesfürchtig.“ Lobt sie dieser. „Ganz im Gegensatz zu dir, mein Junge. Hat dir euer Priester nicht beigebracht, den Göttern zu gehorchen? Nun gut, ich werde das nachholen.“ Er öffnet die hintere Klapptür seines Geländewagens, holt ein dickes Seil heraus, wirft es den großen Jungen zu und befiehlt ihnen, den Kleinen an Händen und Füßen zu fesseln und ihn dann in den Kofferraum zu stecken. Als dies getan ist, hebt der Gott segnend die Hände, steigt ein und fährt davon. Die unterdrückten Rufe des Kindes verhallen in der Ferne und die Dörfler blicken dem verschwindenden Wagen betreten nach.

„Das hättest du nicht zulassen dürfen!“ Durchschneidet ein Schrei die Stille.

Iogis Vater baut sich anklagend vor Varus, seinem Vater, auf. „Schweig! Im Namen der Götter, nimm nicht noch größere Sünden auf dich. Es steht niemandem, auch dir nicht, zu, die Taten der Götter oder ihrer Priester infrage zu stellen. Zur Strafe knie vor der Kirche nieder und bete laut zehnmal: Ehre und Dank sei den Göttern.“ „Ich denke nicht daran!“ Faucht Johann zurück. Der Priester erwidert mit gefährlich, leiser Stimme. „Dann eben zwanzigmal. Auch du mein Sohn musst den Göttern und ihrem Priester gehorchen, verweigerst du den Gehorsam lasse ich dich im Block erst peitschen und dann beten. Erspare mir, deiner Frau und deinen Kindern diesen Anblick.“

Und so warf Johann sich im Schnee nieder und begann zu beten. Die ersten Zuschauer verließen bereits beim dritten Gebet den Kirchplatz. „Ich bin beim Achten gegangen.“ Beendet Swen seinen Bericht. Iogi ist erschüttert. „Ich muss heim, es wird zwar dicke Luft herrschen, aber je später ich komme umso schlimmer wird es - und Swen, danke für alles.“

Als sich Iogi daheim in die Wohnküche schleicht, werden seine Befürchtungen noch übertroffen. Seine Geschwister hocken verängstigt mit Mutter auf der Eckbank, Vater stampft wütend vor dem Tisch hin und her. „Diese Schande! Er hat mich zum Gespött des ganzen Dorfes gemacht! Erst kriecht er vor diesem perversen Go ... “ „Versündige dich nicht!“ Schreit Mutter dazwischen, doch das bringt Johann erst recht in Fahrt. „Ha! Und dein Sohn hängt auch noch dauernd bei diesem Priester rum!“

Da erblickt er Iogi und schimpft los. „Ho! Der Herr Sohn kommt auch schon nachhause! Wo hast du dich rumgetrieben, warst du wieder bei deinem geliebten Großvater unserem erhabenen Priester? Hast du schon den Spott gehört, den die Dörfler, dank deines Opas, über mich ausgießen? Du wirst ihn nicht mehr sehen, ich verbiete dir den weiteren Umgang mit diesem Schwein! Antworte gefälligst, warum warst du nicht, wie immer, bei der Rückkehr der Holzfäller dabei? Du hast auch den Besuch eines erhabenen Gottes verpasst!“

Iogi steht vor dem Tisch, die darauf brennenden Lichter umhüllen seinen schlanken, aber noch kindlichen Körper, mit ihrem Schein, als er leise antwortet. „Ich hatte kein Bedürfnis auf die Gesellschaft dieses Gottes.“ Der Vater blickt seinen Sohn an und vor seinem geistigen Auge steht der kleine Pauli plötzlich daneben:

Der gleiche Körperbau, das gleiche Haar, die Ähnlichkeit ist unübersehbar.

Johanns Wut ist schlagartig verschwunden, er erbleicht und verlässt wortlos den Raum, damit niemand seine Tränen sehen kann.

Die Götter mit den blauen Haaren

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