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Kapitel 5

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Über das Unerträgliche des Geschriebenen

Zwei Tage später kam Arno in den Sinn, innerlich noch ganz aufgewühlt durch sein seltsames Verhalten dem Professor gegenüber und sogar etwas verunsichert dadurch, nun gut, er war ganz einfach besoffen gewesen, als sollte er selbst zu Papier und Bleistift greifen, um seiner Empörung darüber, was heutzutage geschrieben wurde und schon als Literatur galt, oder man auf der Bühne serviert bekam, Luft zu machen, gleichzeitig aber dieses Hirngespinst wieder zu verwerfen gedachte, sich dann aber trotzdem aus seinem roten Samtfauteuil erhob, um nachzusehen, ob der alte Laptop noch funktionstüchtig wäre, den Constance längst für sich durch einen moderneren ersetzt hatte. Und er sagte sich im Gehen, dass man es nur versuchen müsste, auch wenn es nicht gleich so gelänge, wie er es sich vorstellte, so hatte er immerhin eine Ahnung dessen, wie denn sein Aufsatz über das Ableben der Literatur zumindest enden sollte.

Immerhin etwas, überlegte er und stöberte solange in allen Laden und Kartons, ja er ruhte nicht eher, bis dass er tatsächlich fündig wurde und den alten Dell Latitude LM zwischen einem Stoß ausgedienter Tischtücher hervorgeholt hatte. Triumphierend, den heiß begehrten Rechner unter dem Arm, lenkte er seine Schritte in Richtung Arbeitszimmer, um dort den kleinen Schreibtisch von allem möglichen Gerümpel frei zu machen und seine elektronische Schreibmaschine, wie er sie von heute an zu nennen pflegte, abzustellen und anzuschließen. Und das Ding funktionierte einwandfrei, tatsächlich, immerhin, Windows 97, na bitte, elf Jahre altes Programm! Arno setzte sich und dachte nach. Er stellte die Randleisten ein, ebenso die automatische Paginierung und tippte vorsichtig den ersten Satz in die Tastatur.

Was Sache ist, lautete die Überschrift, danach folgte eine längere Pause. Arno vermisste den Bleistift, an dem er früher zu kauen pflegte, wenn er Schreibhemmungen hatte. Andere hatten vielleicht eine Pfeife im Mund, und etwas Tee daneben. Zunächst wollte er eine Liste der gängigen Themen zusammenstellen, worüber heute ebenso geschrieben wurde. Zum Beispiel über das Selbstbewusstsein der neuen Frau, üblicherweise von Großstädterinnen verfasst, die sich tussenhaft frech zu Wort gemeldet hatten, ohne es dabei geschafft zu haben, auch nur zwei Zentimeter über den eigenen Tellerrand hinaus zu sehen.

Jung sind sie halt, dachte Arno, aber das entschuldige nicht, dass ihnen leider nur das eigene Leben als Anschauungsobjekt genügte, und da musste er Professor Wasner wiederum in seiner Ansicht über die rein autobio- grafische Ohnmacht zeitgenössischen Literaturbewusstseins bestäti-gen, dass neben viel heißer Luft aus der tollpatschigen Feder chillender Jungzicken nicht mehr als eine Kollektion autistisch empirischer Selbstverherrlichung herauszuholen war, diese zwar nicht einer gewissen Ehrlichkeit entbehrte, im Grunde aber doch verschwiegen und noch dazu arrogant und abgehoben wirkte, den genervten Leser in einem hoffnungslosen Gefühl nie enden wollender Partygeilheit zurücklassend, mit der traurigen Message, wenn man nicht alles auf diversen Festen getroffen und mit diesem oder jenem die Nacht ganz einfach durchgemacht und abgetanzt hätte. Daran fügte sich das endlose Geschwafel über den permanenten Jobwechsel, hier konnte er möglicherweise auch mitreden, und wer mit wem wann wo und wie lange irgendetwas hatte und dass der Dings da ohnehin andauernd besoffen wäre.

Dass aber die Rolle der neuen Frau auch nur im Entferntesten mit ihrer ureigensten Funktion im Sinne des Mutterseins etwas zu tun haben könnte, blieb völlig ausgespart und es entstand, wie so oft schon, wieder einmal der Eindruck, es handle sich dabei ausschließlich um Menschen, die nicht nur auf dem Niveau infantiler postpubertärer Eingleisigkeiten hängen geblieben waren, sondern sich dummdreist und scheinbar unbekümmert auch noch zur Maxime gemacht haben, selber bloß nicht auch nur im Geringsten zu altern und noch dazu das Recht für sich in Anspruch genommen, ewige Jugend auf Dauer gepachtet zu haben. Arno lehnte sich zufrieden zurück und las, was er geschrieben hatte, mit Wohlgefallen durch. Aber es genügte ihm nicht. Es war ihm noch zu einseitig und er holte sich, nachdem er wahllos im Manuskriptstapel auf Constances Schreibtisch gewühlt hatte, einzelne Blätter zu sich herüber und begann darin zu lesen.

Nach einiger Zeit aufmerksamen Lesens kam Arno zu dem Schluss, dass heutige Helden irgendwie alle neurotisch wären, wie auch deren einziger Antrieb auf Schuldgefühle, traumatische Gewalterlebnisse oder kaputte Vaterbeziehungen zurückzuführen seien. Arno hielt inne und überlegte, wäre er eine Held, zu welcher Sorte eigentlich er gehörte, und kam zu dem Schluss, dass nichts davon auf ihn zuträfe, obwohl er sich auch nicht im Gegenteiligen aufgehoben zu fühlen glaubte, war er doch alles andere als der durch nichts erschütterbare Sunnyboy. Die Wirklichkeit und deren Umsetzung in einen Text, welcher er selbst nachzujagen gedachte, war für die meisten ohnehin nicht mehr skurril genug und verlangte ganz einfach nach mehr.

Das Theater wie auch der Film, meinte Arno, lebten schließlich davon, dass man sich lustvoll entsetzen oder auch empören konnte und stellte in weiterer Folge das Phänomen einer Art Gottgewolltseins in Zusammenhang mit dem eigenen, persönlichen Leid infrage, indem er heftig daran zu zweifeln begann, dass Weltgeschichte und Heilsgeschichte eins sein konnten, sodass er für sich festgestellt haben wollte, dass jeder allein seines eigenen Glückes Schmied sei.

Was verlangte jener Gott denn von einem, das man tun sollte oder seinetwegen nicht tun sollte?, fragte er sich grübelnd und was könnte die aktuelle Textkultur noch vorm drohenden Untergang durch Langeweile aufgrund ihrer dramatischen Bewusstlosigkeit, Darstellungen von Wahrnehmungen mit zusammenhanglosen Bildern und Gefühlsduseleien zuzuknallen noch retten, wenn sie, ähnlich wie in einem schlechten Vortrag eines Klavierstückes, ohnehin schon unklare Passagen mit dem Pedal zum Verschwimmen gebracht, dem Zuhörer fehlerlos perlenhaftes Ablaufen chromatischer oder diatonischer Skalen bloß vorgaukelt wurde?

Und Arno begann ein Weltschmerz zu erfassen, unter dessen bohrendem Wundbrand er sich zu fragen begann, wo denn die großen Geister dieses Jahrhunderts geblieben waren, solche zumindest, die imstande gewesen wären, Heerscharen von Interessenten anzulocken und sie gekonnt in unheilbare Lesenadel-Abhängigkeiten zu ihren Protagonisten zu ziehen, solche, die den Menschen in ihrer Dichtkunst neu erfinden konnten und die es geschafft hätten, sich über die ewig öden stationären und temporalen Gegebenheiten hinwegzusetzen und über ihre Zeit hinaus zu wachsen imstande gewesen wären, die dem Leser durch ihre schriftstellerische Virtuosität beweisen konnten, dass es doch noch einen Ausweg gäbe, aus dem selbst erbauten Gefängnis aus Ökonomismus und Populismus und autoerotischer, journalistischer, politischer und neoliberaler Infiltration, und doch irgendwann zu etwas Neuem gelangen würden! Aber – nichts, da war – nichts! Oder zumindest nicht viel.

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