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Frerk

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Ein Geräusch draußen am Haus ließ ihn hochschrecken. Einbrecher? Frerk lauschte in die Dunkelheit. Doch von unten hörte er jetzt nur das Brummen des Kühlschranks.

Langsam ließ er sich in die Kissen zurücksinken. Er machte sich zu viele Gedanken. Das war sein Problem. Insoweit gab er dem Hausarzt recht. Frerk hatte ihn gebeten, ihm etwas gegen die Erschöpfung und die dauernden Kopfschmerzen zu verschreiben.

Ein halber Mond schien durch die Dachluke und warf grafische Schatten vom Lamellenvorhang auf das breite Ehebett, dessen eine Hälfte leer blieb.

Mona hatte sie vor vier Monaten verlassen, ihn, den Jungen, Barbie. Dabei war Mona es gewesen, die den Mischling aus dem Tierheim in Berlin geholt hatte. Frerk hatte nicht verstanden, warum sie ausgerechnet einen Hund ausgesucht hatte, der nur ein Auge und dafür viele schlechte Zähne besaß. »Ich habe nicht den Hund ausgesucht, der Hund hat mich ausgesucht«, rief er sich Monas fröhliche Antwort ins Gedächtnis. Sie war stets lustig gewesen. Das Leben ficht sie nicht an, hatte er oft neidvoll gedacht. »Du hast dich bei Frauchen vertan. Du hättest dir jemand anders aussuchen sollen«, sagte Frerk bitter und zog sanft an Barbies Ohr. Der Hund öffnete sein Auge und schloss es gleich wieder.

Barbie schlief Nacht für Nacht auf seinen Beinen. Manchmal machte er sich vor, er könnte deshalb so schlecht schlafen, weil seine Beine unter ihrem Gewicht anfingen zu kribbeln. Selten schlief er vor drei oder vier Uhr in der Früh. Mechanisch strich er über Barbies hartes Fell. In Wahrheit hatte er ohne Mona oft das Gefühl, die Tage nicht mehr bewältigen zu können. Er wusste nicht, ob er ihre kleine Gemeinschaft zusammenhalten konnte. Er hatte Angst. Angst, wieder zu versagen und auch noch Nikita zu verlieren. Und mit Hunden kannte er sich auch nicht besonders gut aus.

Barbie gab einen kleinen Schnarcher von sich. Es half kranken Menschen angeblich, Tiere zu halten. Das hatte er aus einem Magazin, in dem eine portugiesische Studie zitiert wurde. Laut der Studie verbesserten sich die Werte depressiver Teilnehmer, wenn sie sich ein Haustier anschafften. In dem Heft stand auch, dass ein Burn-out in vielerlei Hinsicht einer Depression ähnelte.

Frerk wusste nicht, ob er wirklich unter einem Burn-out litt. Sein Hausarzt hatte etwas in dieser Richtung angedeutet. Soweit er sich erinnerte, hatte der Mediziner in dem Gespräch das Wort »Überlastungstendenzen« benutzt und eine Kurzzeittherapie empfohlen. Er fühlte sich innerlich getrieben und doch antriebslos, wollte sich aber keinesfalls einem dieser Psychoheinis ausliefern. Am Ende würde er das Sorgerecht für Nikita verlieren. Und das durfte nie passieren.

Er hegte ein Grundmisstrauen gegenüber Ärzten. Wie er sowieso allem und jedem misstraute. Das brachte sein Beruf als Journalist mit sich.

Als Journalist in der hektisch-nervösen Regierungsstadt standen die Chancen gut, krank zu werden. Er dachte an den ständigen Termin- und Abgabedruck. Er hatte sich in Berlin angewöhnt, hin und wieder einen Joint auf dem Balkon zu rauchen. Dann konnte er sich endlich mal entspannen. Und es half auch gegen die Kopfschmerzen.

Der Kühlschrank wechselte die Tonhöhe. Das tat er meistens gegen zwei Uhr. Er brummte nun eine Oktave tiefer. Frerk versuchte, die brennenden Lider geschlossen zu halten. Vielleicht sollte er sie mit Tesa zukleben.

Dass sein Vater so plötzlich nach der Trennung von Mona gestorben war, hatte auf traurige Weise für einen Neuanfang in Nikitas und seinem Leben gesorgt. Nach Hinnerks Herzanfall kündigte Frerk in der Redaktion. Das hieß, er sagte Tschüss, als er seine Notizen und ein paar private Utensilien vom Schreibtisch eingepackt hatte. Auf Kündigungsfristen musste er keine Rücksicht nehmen: Einen Festvertrag hatte er trotz all der Schinderei für das Blatt nie bekommen.

Nun verkaufte er am Strandweg Kissen mit Anker-Motiv und Lampen in Leuchtturm-Optik an Touristen.

Es konnte schlechtere Neuanfänge geben. Küste oder Großstadtmoloch? Er hatte nicht lange darüber nachdenken müssen. Und Nikita hatte sich wider Erwarten auch auf Hohwacht gefreut. Hier hatte der Junge die schönste Zeit seiner Kindheit verbracht.

Seine Blase drückte. Frerk schlug die Decke zurück und schwang die Beine über den Bettrand. Zur Sicherheit konnte er gleich nach dem Jungen sehen. Seit Nikitas Geburt schlich er sich nachts in dessen Kinderzimmer, um sich zu vergewissern, dass alles seine Ordnung hatte.

»Er schläft ganz tief.« Sätze wie dieser hatten ihn fester mit Mona verbunden, als ein Ehering dies je vermocht hätte. Bis Mona eines Tages abgehauen war, weil sie unbedingt den Mekong sehen musste. Und er sich angeblich nur mit sich selbst beschäftigte.

Die Klobrille fühlte sich eiskalt an. Er bekam Gänsehaut auf den Oberschenkeln. Müde betrachtete er seine Krampfadern. Dick und wulstig lagen sie unter der blassen, behaarten Haut. Endlich kam ein dünner Strahl. Während er sich erleichterte, starrte er die moosgrünen Wandfliesen an. Als er spülen wollte, erschrak er über die dunkle Gelbfärbung des Urins. Vielleicht hatte er eine schlimme Krankheit? Eventuell hatten die Kopfschmerzen einen ernsteren Hintergrund als ein Burn-out? Wer sollte sich um den Jungen kümmern, wenn er vorzeitig ins Gras biss?

Seine Handinnenflächen fühlten sich feucht an, obwohl er sie noch nicht unter den Wasserhahn gehalten hatte. Er fuhr sich durchs Haar und beschwor sich, sich zu beruhigen. Er musste dringend schlafen.

Während er über die Flickenteppiche durch den kalten Flur tappte und sich sein Schädel anfühlte, als ob er beim nächsten Schritt zersprang, überlegte er, ob sein Urin normal gerochen hatte? Wenn Urin komisch roch, konnte das ebenfalls auf Krankheiten hindeuten. Diabetes, ein Infekt – schlimmstenfalls gab es wirklich einen unentdeckten Tumor in seinem Kopf …

Vor Nikitas Tür blieb er stehen. Frerk mochte sie nun doch nicht öffnen. Erst gestern war er mit seinem Sohn in der Dunkelheit des Zimmers zusammengestoßen. »Warum kommst du dauernd in mein Zimmer geschlichen? Das ist so creepy!«, hatte Nikita erschrocken ausgerufen.

Eine Weile stand er unschlüssig vor der eierschalenfarbenen Tür mit dem alten Anti-AKW-Aufkleber. Er hatte ihn selbst auf die Tür geklebt, als dies noch sein Jugendzimmer gewesen war.

Barbies Hinterbeine zuckten im Traum und ihre Krallen kratzten über den Baumwollstoff, als er sich wieder hinlegte. Frerk kraulte sie noch eine Weile. Tief sog er ihren Geruch ein: eine Mischung aus drei Tage altem Gulasch und modriger Pfütze. Er mochte den Geruch. Er war wie das Kühlschrank-Brummen: vertraut.

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