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Katarina

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Katarina legte das Tagebuch aus der Hand und atmete tief durch. Ihre Kehle fühlte sich wund an. Sie griff nach einem Taschentuch und schnäuzte sich.

Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen.

Nicht auf Oliver.

Und schon gar nicht auf Florian.

Sie erhob sich und ging in Olivers Arbeitszimmer umher. Was sollte sie jetzt machen? Am liebsten hätte sie das Tagebuch gar nicht mehr aus der Hand gegeben. Aber konnte sie es einfach behalten?

Ihre Gedanken kreisten um Oliver. Was würde er sagen, wenn er wüsste, dass sie das Tagebuch gefunden hatte? Würde er ihr erlauben, es zu lesen?

Bevor ihre Gedanken weiter um das Tagebuch kreisen konnten, holte ihr Handy sie in die Wirklichkeit zurück. Auf dem Display erkannte Katarina, dass Mark der Anrufer war. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie den Anruf entgegen nahm.

„Hallo Schatz. In der Kanzlei sagte man mir, dass du bereits weg bist. Wo bist du?“

„Ich habe noch einen Termin mit einem Mandanten.“ Katarina hatte Mühe, ihre Stimme normal klingen zu lassen.

„Etwa ein Mann?“, frotzelte Mark. »Du weißt, dass ich es nicht gut finde, wenn du dich mit anderen Männern triffst.“

„Ich glaube nicht, dass Herbert Rehling dir Sorgen bereiten müsste.“

„Der Fleischereibesitzer?“

„Genau der.“

„Dann ist es ja gut. Wie lange brauchst du noch?“

„Das weiß ich nicht genau.“ Katarinas Stimme klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte Mark wissen.

„Alles bestens. Ich bin bloß etwas gestresst. Sowie ich hier fertig bin, mache ich mich auf den Weg.“

„Wunderbar. Ich koche uns was Leckeres. Bis gleich.“ Mark legte auf und Katarina starrte noch ein paar Sekunden auf das Display.

Sollte sie Mark von dem Tagebuch erzählen? Sie überlegte einen Moment, entschied sich aber dagegen. Mark von dem Tagebuch zu erzählen, hieße ihm sagen, dass sie in Olivers Wohnung gewesen war. Und auf eine erneute Diskussion zu diesem Thema konnte sie auf jeden Fall verzichten.

Katarina zögerte noch einen Augenblick. Dann ließ sie sich von ihren Gefühlen leiten und nahm das Tagebuch an sich.

Sie musste es einfach weiterlesen. Vielleicht fand sie dort endlich den Hinweis auf Oliver, nach dem sie schon so lange gesucht hatte.

Die Fahrt zu Marks Wohnung dauerte länger als gedacht. Der Berufsverkehr um diese Zeit war fürchterlich. Doch da sich Katarinas Gedanken um das Tagebuch drehten, nahm sie den Verkehr nur am Rande wahr. Sie legte sich bereits die passenden Worte zurecht, um den Abend nicht mit Mark verbringen zu müssen. Schon im nächsten Moment hasste sie sich dafür, denn das hatte Mark nicht verdient.

Katarina hatte ihn in ihrer Kanzlei kennen gelernt. Die sportliche Erscheinung des Architekten war ihr von Anfang an sympathisch gewesen. Sie redeten viel, auch Privates und das eine oder andere Mal vergaßen sie dabei völlig die Zeit. Zum Ärger der anderen Mandanten, die im Wartezimmer saßen.

Es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich von Mark zu einem Rendezvous überreden ließ. Mark war ein begeisterter Hobbykoch und zauberte ein phantastisches japanisches Menü. Seine Wohnung hatte er wie einen Tempel ausstaffiert und Katarina musste zugeben, dass sie sich endlich wieder geborgen gefühlt hatte. Trotzdem dauerte es noch einige Zeit, bis sie sich Mark anvertrauen konnte. Und in ihrem Innersten wusste sie auch, dass Mark der Richtige war. Wenn da nicht noch Oliver wäre.

Katarina parkte ihren Micra vor Marks Haustür, stieg aus dem Wagen und schloss die Tür auf. Ein verlockender Duft kam ihr entgegen und Katarina erkannte sofort, dass Mark wieder etwas Japanisches gekocht hatte.

„Da bist du ja endlich.“ Er trat näher, nahm Katarina in die Arme und gab ihr einen Kuss.

„Tut mir leid. Aber der Verkehr am Reichstag war mörderisch.“

„Wieso am Reichstag? Rehlings Fabrik liegt doch im Süden von Berlin.“

„Er hat mich gebeten, ihn zu einem Banktermin zu begleiten. Zufrieden?“ Sie griff nach Marks Hand und führte ihn ins Wohnzimmer. „Das riecht köstlich.“

Mark goss ihr ein Glas Sake ein und soweit sie erkennen konnte, gab es frittierte Garnelen, mit einer Sauce aus japanischem Reiswein, Sojasauce, Wasser und Salz, vermischt mit vier Algenblättern. Katarina entdeckte noch zwei andere Schälchen, in denen sich geriebener Rettich und Ingwerwurzeln befanden.

Wieder kam ihr das Tagebuch in den Sinn, aber sie versuchte, den Gedanken daran zurückzudrängen.

„Was gab es denn so Wichtiges, das Rehling dich bei seinem Termin dabei haben wollte?“

„Die Bank hat ihm einen neuen Kreditvertrag gegeben und er wollte, dass ich einen Blick darauf werfe.“ Es erstaunte Katarina, wie glatt ihr die Lüge über die Lippen kam. Im selben Augenblick meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Wieder überlegte sie, ob sie ihm nicht doch von dem Tagebuch erzählen sollte.

Mark erhob sich, um noch etwas Reiswein zu holen. Auf dem Rückweg griff er nach der Fernbedienung der Stereoanlage. Sekunden später erfüllte Toni Braxtons warme Stimme das Zimmer.

„Gibt es einen besonderen Grund, für dieses zauberhafte Dinner?“

„Ich wollte dir eine Freude machen. Ich kenn dich doch. Den ganzen Tag hast du Stress in der Kanzlei und isst kaum etwas.“

„Du bist ein Schatz.“ Sie aßen weiter und Katarina bemühte sich, nicht zu einsilbig auf Marks Fragen zu antworten. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder zu dem kleinen Büchlein ab, das sie in ihrer Tasche trug. Sie war erstaunt, dass sie es fertigbrachte, sich mit Mark zu unterhalten und dabei die ganze Zeit an Oliver und Florian zu denken. Als sie sich nach dem Essen erhob, spürte sie Marks vorwurfsvollen Blick.

„Du willst doch nicht schon gehen?“

„Ich habe morgen früh einen wichtigen Gerichtstermin und muss mich noch ein paar Akten studieren, die ich tagsüber nicht geschafft habe.“ Katarina beugte sich zu Mark hinüber und gab ihm einen Kuss. „Sei bitte nicht böse.“

„Ich bin dir nicht böse, Kati. Ich habe nur das Gefühl, das dich irgendetwas bedrückt. Hat es vielleicht mit Oliver zu tun?“

„Wie kommst du denn darauf?“ Sie ärgerte sich, dass ihre Stimme einen solch scharfen Tonfall bekommen hatte. So musste Mark natürlich denken, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

„Ich habe das Gefühl, das du mit den Gedanken nicht wirklich hier bist. Dein Blick geht immer wieder ins Leere. Möchtest du darüber reden?“

„Nein. Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur etwas Stress in der Kanzlei. Am Wochenende nehmen wir uns Zeit für uns, einverstanden? Oder hast du schon etwas vor?“

„Bisher nicht. Und selbst wenn, würde ich es absagen, um die Zeit mit dir zu verbringen.“ Mark begleitete Katarina zur Tür.

„Und ich kann dich wirklich nicht überzeugen, hier zu bleiben?“ Katarina nahm sein Parfum wahr. Elements von Boss. Sie liebte diesen Duft und hätte unter normalen Umständen der Versuchung nicht widerstehen können. Einen Moment war sie gewillt, ihm nachzugeben und Mark von ihrem Nachmittag zu erzählen. Aber sie wusste, wie seine Reaktion ausfallen würde.

„Nein, tut mir leid. Der Termin morgen ist sehr wichtig. Da muss ich topfit sein.“

„Na dann.“ Mark gab Katarina einen Kuss. Sie saß kaum im Auto, als sich ihr schlechtes Gewissen meldete. Aber die Neugier, das Tagebuch weiter zu lesen war einfach zu groß. Größer als die Gefühle, die sie augenblicklich für Mark empfand. Das Tagebuch hatte vieles verändert. Gestern war sie sich sicher gewesen, mit Mark in eine gemeinsame Zukunft zu gehen. Oliver existierte nur noch als Teil ihrer Erinnerung. Doch das Tagebuch hatte alles verändert.

Als Katarina ihre Wohnung betrat, wurde sie von Leopold freudig empfangen. Der Perserkater, der wie eine zerknüllte Wolldecke aussah, schnurrte um ihre Beine und war froh, sein Frauchen wiederzusehen. Aber auch er spürte, dass Katarina etwas beschäftigte. Sie beschloss, sich eine heiße Dusche zu gönnen, bevor sie im Tagebuch weiterlas. Vielleicht konnte sie so ihre Gedanken ordnen.

Als sie zwanzig Minuten später geduscht und in einen dicken Baumwollbademantel eingehüllt in der Küche stand, hatten sich ihre Gedanken nicht verändert.

Sie öffnete eine Flasche Merlot und begab sich ins Wohnzimmer. Im Vorbeigehen drückte sie die Playtaste ihres CD-Spielers.

„Sorry is all that you can say“, sang Tracy Chapman. Und Katarinas Gedanken rutschten in die Vergangenheit. Sie griff in ihre Tasche, die vor ihr auf dem Wohnzimmertisch lag, holte das Tagebuch hervor und trank einen weiteren Schluck, bevor sie weiterlas.

Ein Platz in meinem Herzen

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