Читать книгу Ein Platz in meinem Herzen - Patrick Osborn - Страница 7

Tagebuch

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Ich lade dich zu unserer Hochzeit ein! Du sollst wissen, wie es war, als deine Mutter und dein Vater sich das Ja-Wort gaben.

Für unsere Hochzeit hatten wir uns etwas Besonderes überlegt. Bei den Vorbereitungen zu meinem Roman `Die dunkle Seite des Herzens´, hatte ich das Hotel Lakeside in Strausberg vor den Toren Berlins entdeckt. Es ist umgeben von einem urwüchsigen Wald und liegt direkt am Straussee. Es ist ein historisches Hotel im englischen Landhausstil. Deine Mutter wird dir später unglaublich viele Fotos unserer Hochzeit zeigen.

Als wir im Sommer dort spazieren gegangen waren, schwärmte deine Mutter davon, wie märchenhaft eine Hochzeit im Winter hier wohl sein müsste. Diese Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf und so beschlossen wir, die Trauung und die Hochzeitsfeier dort stattfinden zu lassen.

Und Petrus muss es wirklich gut mit uns gemeint haben, denn pünktlich zu unserem Hochzeitstermin verwandelte der erste Schnee des Jahres die Umgebung des Hotels in ein Wintermärchen.

Um die Hochzeit zu beschreiben, fehlen mir die Worte. Deine Mutter und ich waren glücklich, wie noch nie zuvor in unserem Leben. Man kann sagen, wir waren geradezu berauscht. In ihrem weißen Kleid, das mit Hunderten Perlen versetzt war, glich deine Mutter einem Engel. Aber auch ich machte in meinem Smoking eine gute Figur.

Die Trauung fand in der Bibliothek des Hotels statt, die extra für dieses Ereignis hergerichtet wurde. Es hatte uns zwar einige Überredungskraft gekostet, aber schließlich erklärte sich der Pfarrer bereit, die Trauung dort vorzunehmen.

Wie du dir sicher vorstellen kannst, waren sehr viele Gäste da. Es müssen an die dreihundert gewesen sein: Freunde, Verwandte, mein gesamtes Verlagsteam sowie zahlreiche Studienfreunde deiner Mutter. Und die Presse nicht zu vergessen, die natürlich von diesem Ereignis berichten musste. Wir hatten zwar versucht, unsere Hochzeit geheim zu halten, doch angesichts der Verkaufszahlen meines neuen Buches, war dies ein schier unmögliches Unterfangen. So arrangierten wir uns mit der Presse und erlaubten einem Fototeam die Trauung zu begleiten.

Ich kann den Augenblick kaum in Worte fassen, als deine Mutter von ihrem Vater in den Hochzeitsraum geführt wurde. Am liebsten hätte ich in diesem Augenblick die Zeit angehalten.

Eine bisher nicht gekannte Hitze stieg in mir auf, als ich die Hand deiner Mutter ergriff und wir uns gemeinsam zum Pfarrer umdrehten.

„Bist du dir sicher?“, fragte ich sie mit zittriger Stimme. Erleichtert bemerkte ich, dass auch ihre Stimme brüchig war.

„Ich bin mir einer Sache noch nie so sicher gewesen.“

Wir gaben uns das Ja-Wort am 10. November, meinem Geburtstag. Ich hatte mir diesen Termin gewünscht, da ich mit unserer Hochzeit das Gefühl verband, nochmals geboren zu werden.

Kurz nach dem Eheversprechen, brandete Applaus auf und wir bekamen den Eindruck, inmitten einer tosenden Wolke zu stehen. Dutzende Gratulanten zogen an uns vorbei, wünschten uns Glück, umarmten uns und die meisten kämpften mit den Tränen.

Natürlich mussten wir den Tanz eröffnen. Als ich mit deiner Mutter durch den Saal schwebte, schien abermals die Zeit stehen zu bleiben.

„Und, wie fühlt es sich an, Frau Neuhaus genannt zu werden?“ Deine Mutter hatte sich trotz gegenteiliger Überlegungen entschlossen, meinen Namen anzunehmen, auch wenn sie dadurch viele Mandanten verunsichern würde.

„Ausgezeichnet“, antwortete sie. „Ich frage mich nur, warum du mich nicht schon früher geheiratet hast.“ Ich grinste. „Als armer, mittelloser Autor, der als Kellner jobbt? Du hättest mich doch überhaupt nicht beachtet, Frau Anwältin. Und was hätten deine Eltern gesagt? Ein erfolgloser Schriftsteller ist wohl kaum der Schwiegersohn, den man sich wünscht.“

Deine Mutter lachte und gab mir einen Kuss.

Die Feier ging bis in die frühen Morgenstunden. Wir zogen uns gegen zwei Uhr nachts in das Hochzeitsturmzimmer zurück. Ich bewaffnete mich mit einer Flasche Champagner, um mit deiner Mutter nochmals auf unsere gemeinsame Zukunft anzustoßen. Gekonnt öffnete ich die Flasche, reichte ihr ein Glas und wollte etwas sagen, als sie mir ihren linken Zeigefinger auf die Lippen legte.

„Sag nichts, Oliver. Ich muss dir etwas sagen.“ Ich spürte, wie mein Blutdruck anstieg. Sie wirkte auf einmal so ernst.

„Schatz, dir fehlt doch nichts, oder?“ Erst jetzt fiel mir auf, dass deine Mutter während der gesamten Feier keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte. Sie lächelte mich an und ich merkte, wie sich ein Teil meiner Verkrampfung löste.

„Nein. Im Gegenteil. Ich habe etwas. Dein Geburtstag ist zwar schon vorbei, aber ich habe noch ein Geschenk.“ Katarina reichte mir ein Kuvert, das mit kleinen Herzen verziert war.

Nervös öffnete ich das Kuvert und hielt ein Ultraschallfoto in den Händen.

„Du bist schwanger?“, fragte ich, obwohl dies offensichtlich war. Aber Männer brauchen oft etwas länger, um gewisse Dinge zu verstehen.

Ich konnte nichts sagen. Ich merkte, wie mein Körper zu zittern begann.

„Ich wollte es dir früher sagen, aber dieser Abend, schien mir der passende Rahmen zu sein. Wir werden bald eine richtige Familie sein, Oliver.“ Ich nahm deine Mutter in den Arm und blickte sie mit feuchten Augen an.

„Das ist das schönste Geschenk, das du mir machen konntest.“ Ich hob sie auf meinen Arm und trug sie zu unserem Bett. Und obwohl wir eine herrliche Dachterrasse und einen Whirlpool im Zimmer hatten, bekamen wir davon nichts mehr mit.

Durch mehrere Interviewtermine wurden wir gezwungen, unsere vierwöchige Hochzeitsreise in die Karibik zu verschieben. Erst zu Weihnachten konnten wir unsere Flitterwochen antreten. Die ersten beiden Wochen schipperten wir mit einem Kreuzfahrtschiff herum. Und verstanden bald, warum die Karibik einer der schönsten Flecken der Erde ist.

Ich nehme an, dass fast alle Flitterwochen glücklich verlaufen, aber mit der Nachricht, dass ich Vater wurde, hatte deine Mutter etwas Besonderes getan. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Deine Mutter wurde von Tag zu Tag schöner und ich muss gestehen, dass ich sie jeden Tag ein Stückchen mehr liebte.

Wir hatten Glück, dass die Gesichter erfolgreicher Autoren in Deutschland nicht bekannt sind, so dass wir unerkannt unsere Reise genießen konnten.

Unsere ersten Ziele waren Anguilla und Guadeloupe. Am Heiligen Abend erreichten wir Montserrat. Auf unserem Programm stand ein kurzer Ausflug auf die Vulkaninsel, bevor wir uns für ein phantastisches Weihnachtsessen fertigmachen mussten. Die Tage vergingen wie im Fluge. Auch die nächsten Ziele Tortola, Puerto Rico, Domenica und St. Lucia waren ein Traum. Besonders die Bucht von St. Lucia hatte es uns angetan. Wir träumten davon, wie es wäre, hier ein Häuschen zu besitzen.

Am Silvestermorgen legten wir in Barbados an. Ein Tag, der zu den schönsten in unserem Leben gehören sollte.

Deine Mutter schlief noch, als ich die Kabine verließ und mich mit anderen Passagieren auf dem Weg zu einem nahegelegenen Hubschrauberlandeplatz machte.

Der Helikopterrundflug über Barbados war absolut beeindruckend. Kristallblaues Wasser und das grüne Landesinnere bildeten einen Kontrast, wie ihn der talentierteste Maler nicht auf Leinwand bringen konnte.

Zum Frühstück war ich wieder zurück an Bord. Nach einem Stadtbummel, bei dem deine Mutter wieder jede Menge Schnickschnack gekauft hatte, beschlossen wir, das Jahr mit einem besonderen Ereignis ausklingen zu lassen.

Wir hatten uns einen Katamaran gemietet und genossen den herrlichen Sonnenuntergang von Barbados auf dem Wasser. Über das Bordrestaurant bekamen wir alles mit, was man zu einem romantischen Sonnenuntergang braucht: Ein Picknickkorb gefüllt mit feinsten Leckereien und eine gut gekühlte Flasche Champagner.

Unser Skipper steuerte die `Excellence´ gekonnt durch die Wogen des Meeres und suchte einen großartigen Platz zum Ankern aus.

Arm in Arm saßen wir an der Reling, ließen Füße und Seele baumeln und bewunderten das Naturschauspiel, das sich unseren Sinnen bot. Unser Blick glitt über die sanften Wellen, deren Farben sich allmählich dem phantastischen Gelb, Orange, Rot und Violett des Himmels anglichen.

Ich öffnete den Champagner, füllte mein Glas und goss deiner Mutter ein Glas Orangensaft ein. Anschließend setzte ich mich wieder zu ihr. Im Hintergrund hörte ich die Musik von UB 40. „Wise men say only fools rush in. But I can‘t help falling in love with you.“

Ich nahm deine Mutter in den Arm und gemeinsam schauten wir schweigend dem Sonnenuntergang zu.

Die letzten beiden Wochen unserer Hochzeitsreise verbrachten wir in einem Hotel in der Dominikanischen Republik.

Kurz vor Ende unseres Urlaubes entschlossen wir uns, einen Tagesausflug auf die Bahamas zu unternehmen. Dass uns dieser Ausflug noch einigen Ärger bereiten sollte, ahnten wir nicht.

Wir flogen nach Providenciales. Die Hauptstadt der südlichen Bahamas erwartete uns mit einem Traumwetter. Der wolkenlose Himmel ermöglichte uns einen herrlichen Blick auf das Karibische Meer. Nach einem guten Frühstück bestiegen wir unseren Katamaran. Die Unterwasserwelt der Turks und Caicos Inseln war atemberaubend. Der Tag verging wie im Fluge und natürlich kommt die Zeit des Abschieds viel zu schnell. Erschöpft von Seeluft und Hitze traten wir den Rückflug nach Punta Cana an.

Unsere Cesna landete pünktlich. Alle Passagiere freuten sich auf ihr Hotel und eine heiße Dusche. Die Sonne war bereits hinter den Wolken verschwunden, als wir die Abfertigungshalle betraten und eine Überraschung erlebten.

Kein Schalter war mehr besetzt!

Unsere Reiseleiterin Heidi war ebenso überrascht wie wir. Die Einzigen, die sich im Flughafengebäude aufhielten, waren ein Wachmann und zwei Putzfrauen, die sich angeregt unterhielten. Heidi ging zu ihnen und sprach mit dem Wachmann. Nach einigen Minuten kam sie kopfschüttelnd zurück.

„Man hat uns vergessen. Die letzte planmäßige Passagiermaschine ist vor zwei Stunden gelandet. Da man keine Maschine mehr erwartet hat, wurde Feierabend gemacht. Der Wachmann versucht jemanden zu finden, der uns noch abfertigen kann.“ Wir warteten eine Stunde. Endlich kam der Wachmann zurück, doch der Tonfall unserer Reiseleiterin ließ erahnen, dass das Ergebnis nicht in unserem Sinne war.

„Der Wachmann hat niemanden mehr erreichen können. Da der zuständige Beamte den Einreisestempel mitgenommen hat, kann er uns als Vertreter nicht abfertigen. Er möchte, dass wir unsere Reisepässe hier lassen, damit die Eintragung morgen nachgeholt werden kann. Wir können uns dann die Pässe hier wieder abholen.“ Nun wurde in unserer Gruppe hitzig darüber diskutiert. Doch alle waren schließlich der Ansicht, dass wir unsere Reisepässe nicht aus der Hand geben sollten. Unsere Hotels lagen gut eine Autostunde vom Flughafen entfernt. So einfach würden wir hier nicht mehr herkommen. Und wer wusste schon, wo dann noch unsere Pässe waren? Wir baten Heidi, eine andere Lösung zu finden. Also trottete sie wieder los, um mit dem Wachmann zu verhandeln. Es dauerte keine zehn Minuten, bis sie wieder kam.

„Er bleibt stur. Wir müssen unsere Pässe hier lassen, sonst lässt er uns nicht passieren. Es ist auch schon zu spät, um bei mir im Büro anzurufen. Ich sehe nur eine Möglichkeit, wenn wir hier nicht übernachten wollen.“ Wir waren auf einmal alle hellhörig. „Wir geben ihm ein paar Dollar, damit er uns durchlässt. Wir haben zwar keinen Einreisestempel, aber das werde ich morgen über unser Büro klären.“ Wir verhandelten darüber und nahmen Heidis Vorschlag an. Hundertzehn Dollar kamen zusammen. Nicht viel, aber wir hofften, dass es reichen würde. Unsere Reiseleiterin nahm das Geld und ging abermals zu dem Wachmann.

„Alles klar. Er hat sich darauf eingelassen. Ich werde mich morgen darum kümmern und die Sache klären.“ Uns fiel ein Stein vom Herzen. Jetzt kamen wir doch noch zu unserer Dusche.

Zwei Tage später sprachen wir mit unserem Hotelmanager über die Angelegenheit. Er versicherte uns, dass alles erledigt sei und die Flughafenbeamten Bescheid wüssten. Bei der Ausreise würde es keine Schwierigkeiten geben.

Eine Woche später war der Augenblick gekommen, sich von unserem Urlaubsdomizil zu verabschieden. Es war eine traumhafte Zeit, aber auch die nähere Zukunft versprach einiges. Immer wieder streichelte ich den Bauch deiner Mutter und sprach mit dir.

Wir erreichten den Flughafen und ich hoffte, dass es keine Komplikationen gab.

Als wir an der Reihe waren, gab deine Mutter dem Beamten unsere Pässe. Er begann darin zu blättern und schaute uns mürrisch an. Sein Blick ließ ahnen, dass er nichts von unserem Malheur wusste. Er fragte etwas auf Spanisch, was wir nicht beantworten konnten. Die Schlange hinter uns wurde länger, und die ersten Passagiere begannen, ungeduldig zu tuscheln. Der Beamte rief einen Kollegen hinzu, der ebenfalls in unsere Pässe schaute. Auch er fragte uns etwas. Ich zuckte mit den Schultern und versuchte ihm auf Englisch zu erklären, was vorgefallen war. Schließlich nahm der zweite Beamte unsere Pässe und deutete uns an, ihm zu folgen. Deine Mutter hielt vergebens Ausschau nach unserer Reiseleiterin.

„Hoffentlich kriegen wir jetzt keinen Ärger.“ Deine Mutter sprach aus, was ich dachte. Wir folgten dem Beamten in sein Büro. Es war klein und roch muffig. Ein Deckenventilator verteilte die schlechte Luft. Wir nahmen Platz, und er begann abermals, uns in Spanisch zu befragen. Mit Händen und Füßen versuchte deine Mutter, ihm die Sache zu erklären. Ich sah schon die Schlagzeile in Deutschland vor mir.

Bestsellerautor in der Karibik verhaftet!

Plötzlich sah ich Heidi in die Vorhalle kommen. Ich sprang auf und gab dem verdatterten Beamten nicht die Chance zu reagieren.

„Heidi! Sie sind unsere Rettung.“ Mit wenigen Worten erklärte ich ihr, in welcher Situation wir uns befanden. Heidi kam mit und erklärte dem Beamten, warum wir keinen Einreisetempel hatten. Nach einem kurzen Telefonat stempelte er schließlich unsere Pässe ab.

Als wir in letzter Minute die Maschine erreichten, trafen uns die bösen Blicke der Passagiere. Erleichtert ließen wir uns in die Sitze fallen und begannen, herzhaft zu lachen.

„Da hast du doch schon eine tolle Idee für einen neuen Roman“, scherzte deine Mutter.

„In einem Roman würden wir jetzt im Gefängnis sitzen oder auf der Flucht durch den dominikanischen Dschungel sein.“ Ich beugte mich zu ihr herüber. „Danke, für jeden Tag, den ich mit dir verbringen kann.“ Dann küsste ich deine Mutter. Es war das größte Glück auf Erden.

Ein Platz in meinem Herzen

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