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14. Der Mord an Grosser

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Nach ihrer gemeinsamen Medizinalassistentenzeit im Landkrankenhaus in der Oberpfalz gingen die Wege Grossers und K.s auseinander, bis sich ihre Wege wenige Jahre später zum zweiten Mal kreuzten und zwar am Institut von Professor Litwin.

Aus dieser Zeit kannte K. Grosser nur arbeitend. Dabei war sein Interesse an der Abfassung von Gutachten, welche Zusatzeinnahmen versprachen, nur gering. Ein starker innerer Antrieb befahl ihm, sich in seine wissenschaftlichen Arbeiten hinein zu stürzen. Er produzierte Veröffentlichungen am Fließband. In einem Abstand von nur einem knappen Jahr promovierte er in den Ingenieurwissenschaften und in der Humanmedizin. Auf den regelmäßig statt findenden Partys des Instituts wurde er nie gesehen.

Seine akademische Karriere war wie ein Kampf gegen einen imaginären Gegner und der hieß soziales Abseits. Über die Mittlere Reife, ein Fachhochschulstudium und schließlich ein Hochschulstudium erwarb er den Berufsabschluss als Diplomingenieur. In seiner Zeit als wissenschaftlicher Assistent an einem Institut für Verbrennungskraftmaschinen fing er parallel mit dem Medizinstudium an, welches er in Rekordzeit beendete. Der Arztberuf war bei ihm keine Neigungswahl, nein, dieser Beruf versprach ein höheres Sozialprestige als die Ingenieurtätigkeit. Sozialer Aufstieg, das war das alles dominierende Grundprogramm.

Grosser hatte K. erzählt, dass er sich überall, wo er beruflich tätig gewesen war, eine Immobilie gekauft hätte, so auch in der Oberpfalz das Holzhaus mit dazu gehörender Jagd. Diese Häuser und Wohnungen sanierte er dann eigenhändig und wurde nie fertig. Deswegen wohnte er immer auf kleinen oder größeren Baustellen im Provisorium. Faulenzerei und Entspannung gab es nicht.

In diesem permanent aufgeladenen Aktivitätsfeld wuchsen die beiden Söhne auf. Womöglich erwartete er von den Kindern dieselbe Leidenschaft in der Askese. Da machten die aber nicht mit, da konnte Grosser seine Pektoralismuskulatur noch so anspannen, er lief ins Leere. Pubertierende Lümmel können schon arg pelzig und patzig sein. Also waren diverse Sanktionen unausweichlich: Beschneiden von Müßiggang versprechenden Handlungsspielräumen, Kürzung des Taschengeldes, Zeit- und Anwesenheitskontrollen und alles das, was ein hilfloser Familiendespot so an Folterwerkzeugen zur Verfügung hat.

So ähnlich war es wahrscheinlich gelaufen, wenngleich da einige ungeklärte Punkte und Merkwürdigkeiten im Raum stehen geblieben waren. Der Sohn hatte die Pistole des Vaters verwendet, welche dieser sechshundert Kilometer entfernt in einem abgeschlossenen Waffenschrank in seiner Jagdhütte aufbewahrte.

Drei Monate vor dem Mord war der Sohn das letzte Mal in der Hütte gewesen. Man hatte dort seinen zwölften Geburtstag gefeiert. Dazu durfte er drei Freunde mitnehmen. Das Jagdrevier war wie ein großer Abenteuerspielplatz. Und dort gab es keine Computer oder Internetanbindungen, was ganz im Sinne des strengen Vaters war. Es war aber höchst unwahrscheinlich, dass der Sohn zu diesem Zeitpunkt die Waffe entwendet hatte. Denn der Vater ging regelmäßig alle vier Wochen in seinem Revier zur Jagd. Die Gefahr, dass ihm der Diebstahl auffallen würde, war daher groß.

Dass sich ein Zwölfjähriger von zu Hause heimlich wegstehlen kann, um die eine knappe Tagesreise entfernt deponierte Waffe zu entwenden, auch diese Möglichkeit schied weitgehend aus. Aber wie war er dann an die Pistole gekommen? Die Kriminalpolizei wusste keine andere Erklärung, als die, dass der Vater selber die Waffe von seinem letzten Jagdausflug mitgebracht haben musste. Hatte er sich bedroht gefühlt?

Der jüngere Sohn Patrick nahm sich jedenfalls die Pistole des Vaters. So stand es im Polizeibericht. Kurz vor dem gemeinsamen Abendessen, die Mutter hatte gerade den Tisch gedeckt und war auf dem Weg in die Küche. Da drückte er im Flur ab. Die Kugel traf seine Mutter direkt ins Herz. Sie sackte in sich zusammen. Ihr war nicht mehr zu helfen. Aber wieso erschoss er zuerst die Mutter, wo es doch um den Vater ging?

Dann schlich sich Patrick in das Arbeitszimmer seines Vaters. Der hatte sich, durch den Schuss aufgeschreckt vom Stuhl erhoben. Auch hier schoss der Sohn ohne Vorwarnung. Das Projektil grub sich in die Brust seines Vaters. Im Fallen schaute der ungläubig zu seinem Sohn hinauf. Bevor ein Aber… über seine Lippen kommen konnte, traf ihn die zweite Kugel in die rechte Schläfe. Er hatte den Söhnen das Schießen beigebracht und der kleinere von beiden hatte ihm nun gezeigt, was er gelernt hatte.

Der Sohn bewegte sich wie in Zeitlupe auf einen Stuhl zu und setzte sich hin. Dann hob er ganz langsam die Waffe, setzte die Mündung des Laufes gegen seine Schläfe und drückte ein viertes Mal ab. Mit weit aufgerissenen ungläubigen Augen kippte der Oberkörper seitlich auf die Tischplatte.

Ja, so musste es gewesen sein, so war der Ablauf offiziell beschrieben worden. So stand es auch in der Zeitung.

Der Bruder des Schützen hatte Glück im Unglück. Er hatte nach seinem Handballtraining die Straßenbahn verpasst und kam deshalb erst nach Hause, als die Polizei und mehrere Krankenwagen bereits eingetroffen waren.

Wie verzweifelt oder wütend muss ein Zwölfjähriger sein, der so etwas von langer Hand plant? Hier handelte es sich nicht um einen Affekt, das war ein heimtückisch geplanter Mord mit anschließender Selbsttötungsabsicht des Mörders. Und der war gerade mal elf Jahre alt. Die gerichtsmedizinische Untersuchung bestätigte die Ermittlungsergebnisse der Kriminalpolizei. Doch bei K. schlichen sich insgeheim Zweifel ein. So ein Tyrann war Grosser doch gar nicht gewesen, dass als einzige Möglichkeit, aus seiner Knechtschaft herauszukommen, die Tötung übrig blieb. Und wenn, dann rastet so ein Halbwüchsiger spontan aus und macht keinen langfristigen Exekutionsplan.

K. befand sich auf der richtigen Spur. Das Myzel hatte der Polizei ein Schnippchen geschlagen.

Das Myzel

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