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Erstbesteigung aus Verlegenheit

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Wir schreiben das Jahr 2005. Ein längerer Urlaub im umtriebigen Berufsleben stand an. Mit dem Gedanken, ob und welche Lektüre in mein Reisegepäck durfte, schlenderte ich durch den Buchladen. Da es fünf Wochen werden sollten, durfte das Buch ruhig füllig sein. So kam, was Sie ahnen. Es stand im Regal und fesselte meine Augen: Peter Sloterdijk „Im Weltinnenraum des Kapitals“.

Eigentlich hatte ich nach dem Studium die Nase voll von wirtschaftswissen-schaftlicher Literatur. Aber „Im Weltinnenraum...“ Das hörte sich nach „abwegigem“ Insiderwissen, gar reißerisch an. Dass es eine Welt gab, ok, für einen Wirtschaftswissenschaftler ja eher ein Weltmarkt. Aber das sie ein Innenraum sei, klang nach Höhlengeschichten. Das sich in diesem Titel das ganze Programm dieses Autors positioniert -auch dieser drei Bände- dazu später mehr.

Es folgten der Umschlagtext, die ersten und die letzten drei/vier Seiten, dann Gliederung und Literaturangaben. Was ich dort genau suche, weiß ich selber nicht unbedingt. Aber es ergibt sich „beim Lesen“: Es musste mir eine sprachlich, sachliche Sympathie entgegenkommen, gut lesbare Sätze die mich ansprechen.

Wenn sie sich schwerer geben, mussten sie Gipfelerlebnisse und tiefe Einsichten andeuten, aber ohne sie als Letzte und Unumstößliche anzubieten. Aufdringliche, werbe ähnliche Suggestionen mag ich nicht, weil sie mir „nicht aus und für das Leben“, wie Rezepte klingen, die für Kochbücher oder für Werbung reserviert bleiben sollten.

Beim „Weltinnenraum“ war ich schnell überzeugt. Es versprach weit auszuholen, provokantes, neues, besser noch unter einem anderen Blickwinkel zu erzählen. Ich lese systemische, psychologische, pädagogische Literatur und gerne über ZEN. Aber Philosophie? Lieber nicht. Ich mag es nicht, wenn die Flugzeuge im Bauch außerhalb der Stratosphäre fliegen.

Aber ein Philosoph -so dachte ich- der wirtschaftliche Zusammenhänge aus einer anderen Perspektive beschreibt und sich auch noch attraktiv-provozierend-unüblich ausdrückt, der darf mit in den Urlaub. Er versprach mir ungewöhnliche Treffen von R.M. Rilke mit Adam Smith, warb für große Erzählungen, wenn man einen kleinen Überblick erhalten wolle, über Corporate Identity auf hoher See, die Poetik des Schiffsraumes und Mutationen im Verwöhnraum. Kurz gesagt: Es klang nach Unglaublichem. Es wurde mehr. „Das Unwahrscheinlichste wird das Normale“.

Wie findet man ein passendes Buch? Findet es uns, wie es so häufig heißt?

Finden wir es? Auf welchem Sender, welchem Kompass? Wer oder was programiert mein GPS?

Später las ich bei ihm: „Für Milliarden Botschaften...bin ich ein Fels, doch gewisse Stimmen und Weisungen schließen dich auf, machen mich zittern.“

Und so wurde es spannend für mich, mit ihm der Frage nachzugehen: „was versetzt mich ohne Reserve in Resonanz als würden letzte und erste Erwartungen in ihr klingen“.

Offensichtlich passierte mir ähnliches in der Buchhandlung an jenem Tag.

In den fünf Wochen las ich ihn zweimal, assistiert von Markern und Bleistiften. Ein Schicksal, dem fast alle meine Bücher unterliegen. Wenn sie schon meine private „Sphäre“ bereichern, dann will ich sie prüfen, verstehen, nachvollziehen können.

Sich müssen den Platz im Regal „verdienen“.

Mittlerweile beanspruchen 37 seiner Bücher erste Plätze in meinem Regal. Dazu kommen ungezählte Aufsätze, Kommentare, Videovorträge, -interviews. Er ist ein Mensch, d.h. ein unruhiger, umtriebiger. Ein Denker mit Fragen an die „Alten Philosophen“, an sicher geglaubte „Phrasen“, findet immer wieder neue Antworten, ist der lebende Beweis für seine von Nietzsche übernommene, variantenreich aufgelegte Feststellung, dass „der Mensch das nicht festgestellte Tier“ sei.

Auch, wenn ich mich an seinen ausladenden Stil erst gewöhnen musste. Aber es lohnt sich, immer wieder mal bei „den Alten“ nachzulesen, sie neu, mit aber auch gegen sie zu denken.

Mit diesem Autor werden es Freiflüge über verblühte Weisheitsfelder, Fahrten zu bekannten Grabungsstätten, an denen er den routinierten Einsichten seines Faches neue, anders beleuchtete Wendungen ausgräbt. Immer wieder zieht es ihn ans Sterbebett der Philosophie (so in „Kritik der zynischen Vernunft“) um der knorrigen Gedankenverwaltung, dem Aufenthaltsort für Ausflüchte und halbe Wahrheiten großer Themen seine Anschrift und Ansprache zu hinterlassen.

Sloterdijk: Manchmal ist der größte Umweg der direkteste zum Ziel.

Dass er es mit den drei Bänden auf 2.500 Seiten bringt, ist sicher (k)ein Zufall.

So ergab sich die Neugier auf die Mammutaufgabe, Seiten Satz für Satz, Abschnitt für Abschnitt so zu lesen, bis Gemeintes verstehbar erschien. Wenn der Mensch eine attraktiv gelegte Spur wittert, wird er leicht ein williges Wesen seiner Erwartungen, seiner erhofften Offenbarung, seiner wissen-wollen-neugier.

Achtung! HerrFrau Geburtlicher - beim Um-, Abbiegen!

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