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(2) 10 Thesen zur Initiation von Jugendlichen

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Um die Bedeutung und die Tiefe dieser Fragen, von deren konstruktiver Beantwortung nicht mehr und nicht weniger als das Funktionieren einer humanen Gesellschaft abhängt, noch deutlicher herauszustellen und um ihnen das nötige Gewicht zu geben, möchte ich nun vor ihrer näheren Untersuchung und Bearbeitung zunächst 10 Thesen aufstellen, um einen Finger in die Wunde unserer Gesellschaft zu legen. Ich möchte also aufzeigen, wo es bei uns hakt und wo vielleicht Lösungen dafür zu finden sind. Dass die Thesen dabei eher überspitzt, plakativ und sicher z.T. etwas pauschal vorgebracht werden, ist mir dabei voll bewusst. Wenn sie jedoch zum Nachdenken oder zur Diskussion anregen, dann haben sie ihren Sinn erfüllt:

1.These

In unserer Gesellschaft werden die Begriffe „volljährig sein” und “erwachsen sein” permanent verwechselt oder sogar gleichgesetzt. Deswegen haben wir ein Heer von unerwachsenen und unreifen Volljährigen, die aber gesetzes-, leistungs- und geschäftsmäßig für erwachsen erklärt und wie Erwachsene behandelt werden, obwohl sie im Grunde ihres Seins eben noch nicht erwachsen sind (vgl. auch das Jugendstrafrecht über das 18. Lebensjahr hinaus). Darin sehe ich bereits eine Ursache für eine enorme Unausgeglichenheit und ein großes Spannungsfeld in unserer Gesellschaft und eine Quelle für eine Reihe von Fehlentwicklungen und Missverständnissen.

2.These

Jugendliche, die ihren 18. Geburtstag hinter sich haben, fühlen sich oft fälschlicherweise als “erwachsen”, ohne je eine wirkliche „Prüfung des Erwachsenseins” absolviert zu haben. Sie meinen, einfach deswegen schon erwachsen zu sein, nur weil sie ihren 18. Geburtstag gefeiert, einige Discos nach 24.00 Uhr ohne Begleitung besucht und eine Führerscheinprüfung bestanden haben. Für unsere Gesellschaft wird dieser Umstand spätestens dann sehr gefährlich, wenn solche noch unreifen und letztlich noch unerwachsenen Leute viel zu schnell an berufliche Positionen kommen, die ein hohes Maß an Verantwortung verlangen. So ist etwa die Finanzkrise im Jahre 2008 meiner Meinung nach auch deswegen verursacht worden, weil z. T. noch junge Manager und Entscheidungsträger im Wirtschafts- und Bankensektor nur nach kurzfristigen Gewinnen oder nach dem eigenen Vorteil aus waren. Ein solches Verhalten kann ganze Firmen zerstören und tausende von Arbeitsplätze vernichten und kann daher nur als unverantwortlich und unreif bezeichnet werden.

3.These

In unserer Gesellschaft gibt es kein oder nur ein sehr vages Bewusstsein darüber, was “Erwachsensein” eigentlich bedeutet. Und es besteht bisher fast überhaupt kein Einsehen in die Notwendigkeit einer echten Erwachsenenprüfung; d.h. von den in unserer Gesellschaft bereits Volljährigen oder schon wirklich Erwachsenen gibt es kein Verständnis dafür, dass es ganz spezieller Rituale bedarf, damit Jugendliche oder auch bereits Volljährige zu echten Erwachsenen reifen können. Darüber ist das Bewusstsein einfach verloren gegangen – mit fatalen und einschneidenden Konsequenzen. Finden aber keine bewussten Übergangsrituale statt, kann sich bei einem jungen Menschen der Prozess des Erwachsenwerdens oft zehn, zwanzig oder noch mehr Jahre und damit bis hinauf in die Lebensmitte hinziehen. Viele meist schon ältere Menschen sind zwar z.B. durch Schicksalsschläge, Unfälle, Krankheiten oder Zerbrechen von Beziehungen „durch das Leben selbst“ initiiert worden. Aber auch sie haben dennoch oft kein Bewusstsein davon, dass sie, wodurch sie und wann sie wirklich erwachsen geworden sind.

4.These

Besonders männliche Jugendliche haben ein tiefes natürliches und wesenhaftes Bedürfnis nach Initiation, d.h. sie möchten durch Prüfungen ihr Erwachsensein beweisen und danach in ihrer Würde, Kraft, Stärke usw. als junge Erwachsene anerkannt werden. Unsere Gesellschaft sieht aber diese Notwendigkeit bisher gar nicht. Es finden keine offiziellen Übergänge zum Erwachsensein statt.{10} Daher suchen sich viele Jugendliche selbst Ersatz-Rituale in der Hoffnung, damit Anerkennung bei den Mitgliedern der eigenen Peergroup oder gar bei bereits Erwachsenen zu bekommen. Gefährliche Mutproben, das berüchtigte “Koma-Saufen”, Drogen, Gewaltexzesse, Computersucht mit Gewaltspielen, übermäßiger Medienkonsum usw. sind dafür nur einige erschreckende Beispiele.

Da diese „Leistungen“ von den Erwachsenen meist nicht als Zeichen von Reife, Verantwortlichkeit und Erwachsensein anerkannt werden, versuchen die betroffenen Jugendlichen und bereits Volljährigen manchmal verzweifelt und jahrelang, diese irrtümlich als „Reifeprüfung“ angesehenen Ersatzhandlungen beständig zu wiederholen und sie in ihrer Wirkung womöglich sogar noch zu steigern, weil sie keinen anderen Weg zur Erfüllung ihres Initiationswunsches sehen. Wir Erwachsenen sind aber meist unfähig, diese elementare Sehnsucht unserer Jugendlichen nach wirklichem Erwachsenwerden und -sein und nach geeigneten und anerkannten Prüfungen dafür zu verstehen und ihnen solche Prüfungen dann auch anzubieten. Wir haben in unserer Gesellschaft im Grunde einfach keine Rituale dafür - das ist die schlichte und ungeschminkte Wahrheit mit all ihren fatalen Konsequenzen.

5.These

Erwachsensein wird in unserer westlichen Leistungsgesellschaft oft mit “Leistung”, “Leistungsfähigkeit” und “Produktivität” gleichgesetzt. Damit wird ein Aspekt des “Erwachsenseins” überbetont und eine gefährliche Einschränkung von “Erwachsensein” heraufbeschworen. Denn es braucht mehr als nur das Leistungsdenken, um als Mensch in unserer Gesellschaft verantwortungsvoll, ja vielleicht sogar glücklich und zufrieden leben und existieren zu können. Es ist mehr nötig als nur das vordergründige Streben nach Geld, Konsum und Karriere; denn unsere Gesellschaft kann gar nicht menschlich funktionieren, wenn z.B. moralische und soziale Werte fehlen. Und schließlich reicht ein nur leistungsorientiertes Denken langfristig auch nicht aus, um z.B. irgendwann eine eigene Familie gründen und seinen Kindern Vorbild sein zu können.

In mehreren Bundesländern der BRD wurde mittlerweile das achtjährige „Turbo-Gymnasium“ eingeführt, was für die Jugendlichen eine Erhöhung der wöchentlichen Stundenzahl in der Schule und damit in der Regel weniger Freizeit bedeutet. Als verantwortliche Erwachsene – als Eltern, Lehrer, Politiker usw. – müssen wir aber dann dafür Sorge tragen, dass unsere Jugendlichen adäquate Förderungen in der Schule selbst erhalten oder dass passende Rituale von Seiten der Schule organisiert werden, wodurch sich die Jugendlichen zu reifen, starken und eben erwachsenen Persönlichkeiten entwickeln können. Damit bin ich wieder bei Veranstaltungen wie z.B. dem eingangs beschriebenen WalkAway angelangt.

6.These

Für unsere Jugendlichen besteht heute eine große Orientierungslosigkeit hinsichtlich des Erwachsenwerdens. Sie sehen oft nur die Rechte, die sie ab 18 Jahren haben und bekommen von unserer Gesellschaft das vermittelt, was als das alleinige Ziel und als „das“ Symbol des Erwachsenwerdens gilt: der erfolgreiche Schulabschluss der Mittleren Reife und des Abiturs oder sogar eines Hochschulabschlusses. Viele Jugendliche empfinden diese Gleichsetzung von Schul- oder Uniabschluss mit “Erwachsensein” als übel und rebellieren immer wieder dagegen. Gibt es denn nichts anderes, um sein Erwachsensein zu erfahren und irgendwann bestätigt zu bekommen, als durch (gute) Schulnoten und Schulzeugnisse? Wie aber sonst sollen sie eine Anerkennung als Erwachsene kriegen?

Und was ist mit all den Schulabbrechern und den ca. 40% aller Studenten, die bis zum 7.Semester ihr Studium ganz hingeworfen oder gewechselt haben, weil sie erkennen mussten, dass es nicht der richtige Weg für sie war?{11} Dies ist volkswirtschaftlich teuer und belastend, es wird jedoch in unserer Gesellschaft eher nur hilflos und achselzuckend zur Kenntnis genommen. Dabei ist es aber gar nicht verwunderlich, dass so viele Schulabgänger nicht wirklich wissen, was sie wollen oder sollen. Sie haben in der Regel noch keine Initiation erfahren, in der sie mit sich selbst, mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Fähigkeiten und Grenzen und mit ihrer innersten Mitte und Tiefe konfrontiert worden und in Kontakt gekommen wären. Denn dann könnten sie ein Gefühl dafür kriegen, wer sie sind und was sie eigentlich wollen und was vielleicht ihre wirkliche Aufgabe und Berufung für diese unsere Gesellschaft sein könnte.

Aus dieser Sicht ist es gesellschaftlich unverständlich und im Grunde unverantwortlich, dass die Initiation unserer Jugendlichen bisher so sträflich vernachlässigt worden ist. Diese Aufgabe muss im Zentrum von Erziehung und Bildung stehen. Das eigentliche Problem liegt aber darin, dass manche Verantwortlichen unserer Gesellschaft zwar das Problem durchaus sehen, aber bisher noch keinen adäquaten Weg dafür gefunden haben, wie dies entscheidend geändert werden sollte. Wie aber können unsere Jugendlichen eine bessere Orientierung über ihren weiteren Berufs- und Lebensweg bekommen?

Meiner Meinung nach ist dies neben einer vielfältigen Berufsberatung nur dann möglich, wenn jeder einzelne Jugendliche bewusst und in einem klaren Ritual in den Lebensabschnitt des Erwachsenseins hinüber geführt wird. Solche Rituale aber fehlen bisher im Grunde fast völlig. Keine noch so gute Berufsberatung kann bei unseren Jugendlichen eine Selbsterfahrung, die wirklich zur eigenen Mitte und in die Tiefe führt, ersetzen. Es muss also das Richtige und Notwendige getan werden und dazu will dieses Buch einen vielleicht nicht unwichtigen Impuls geben (vgl. auch das Ritual der „Visionssuche“ in Band II (HR), Kapitel 7).

7.These

Viele Eltern sind mit der Pubertät ihrer Kinder überfordert. Sie haben selbst kein wirkliches Bewusstsein darüber, was eigentlich “Erwachsensein” bedeutet und haben oft keine wirkliche oder bewusste Vorstellung vom Erwachsensein und von Erwachsenenprüfungen; daher können sie dies ihren Kinder auch nicht klar genug vermitteln. Da manche Eltern vielleicht selbst auf einigen Ebenen noch Kinder oder Jugendliche geblieben sind, spüren die heranwachsenden Kinder nicht selten instinktiv diesen Mangel bei ihren Eltern und lehnen auch deshalb deren Autorität ab. Meiner Meinung nach liegen viele Erziehungsschwierigkeiten von Eltern (und Lehrern) darin, dass sie sich das Thema “Erwachsensein” und “Initiation” vielleicht selbst noch nie wirklich bewusst gemacht haben. Sie fühlen sich bisweilen einfach schon dadurch erwachsen, dass sie Kinder haben und sie kommen manchmal erst in und durch diesen Prozess ihrer Elternschaft selbst so richtig in ihr volles eigenes Erwachsensein hinein.

8.These

Die gesellschaftlichen Probleme mit Jugendlichen in Elternhaus, Schulen und Kommunen rühren z.T. daher, dass die offiziell Erwachsenen nicht wirklich erwachsen sind, sondern eher einem Ideal “ewiger Jugend” nachträumen. Die heranwachsenden Jugendlichen haben in Eltern und Lehrern als Vorbilder oft „unreife Volljährige“ oder „ewige Jugendliche“ vor sich. Das mag zwar auf den ersten Blick anziehend für junge Leute sein, im Grunde erzeugt es aber Orientierungslosigkeit und Wut in ihnen, weil etwas tief in ihnen spürt, dass sie so nicht weiterkommen können in ihrem Leben. Sie können sich an den Eltern und Älteren nicht wirklich orientieren. Sie können den Sinn des Erwachsenseins und den Lebensabschnitt des Erwachsenaltes oft gar nicht richtig erkennen, wenn sie z.B. in ihren Eltern keine wirklich Erwachsenen vor sich haben. Ein spezielles Thema ist die hohe Scheidungsrate in unserer Gesellschaft. Kinder von alleinerziehenden Eltern haben es oft besonders schwer, im Erwachsensein ein positives Ideal zu sehen oder den nötigen Schutzraum für ihren eigenen Prozess zum Erwachsenwerden zu bekommen.

9.These

In unserer Gesellschaft fehlen echte und für unsere Kultur passende Übergangsriten für Jugendliche. Daher haben Pseudo-Veranstaltungen wie “Deutschland sucht den Superstar”, die schon erwähnte Reihe “Germany's Next Topmodel” oder „Das Dschungel-Camp“ Hochkonjunktur. Ein Millionenpublikum aus Jugendlichen und Volljährigen sieht zu, wie einige findige Geschäftsleute in Privatfernsehsendern vor laufenden Kameras „Prüfungen“ anbieten, die die Teilnehmer zu Erwachsenen, zumindest aber dann zu Fernseh-Berühmtheiten initiieren sollen. In Wahrheit findet dabei eine Verdummung des Publikums statt.

Eine andere Reaktion auf das Fehlen herausfordernder, aber mit Verantwortung gestalteter Prüfungen zum Erwachsensein ist die Gewalt in Jugendgangs mit einem eigenen, oft rüden Verhaltenscodex für ihre Mitglieder. Diese Gewaltbereitschaft ist dann meist eine fehlgeleitete und gestaute Initiationskraft in den Jugendlichen, die von unserer Gesellschaft aber leider keine passenden Prüfungen zur rechten Zeit angeboten bekommen, um so ihre (vermeintliche) Stärke adäquat zum Ausdruck bringen zu können.

10.These

Jugendliche können ohne Erwachsene nicht wirklich erwachsen werden. Es braucht für diesen Übergang geeignete Initiations-Mentoren, die die jugendlichen Initianden zum Erwachsensein hinführen, sie auf ein geeignetes Ritual vorbereiten, sie dabei begleiten, wenn die Jugendlichen ihre Prüfung machen und sie dann als frisch initiierte Erwachsene begrüßen und anerkennen. Unsere Gesellschaft müsste einen Schwerpunkt auf die Ausbildung von solchen Mentoren legen und für diese so fundamental wichtige Aufgabe genügend Zeit, (finanzielle) Mittel und Aufmerksamkeit bereit stellen.

Wie sollen in unserer Gesellschaft die Jugendlichen von heute zu Verantwortlichen von morgen werden können, wenn sie nie wirklich erwachsen geworden sind? Wie sollen sie selbst glauben können, dass sie nun erwachsen sind, ohne je eine geeignete Prüfung zum Erwachsenwerden absolviert zu haben? Und wer soll solche Prüfungen bereitstellen und „abnehmen“, wenn nicht erwachsene, erfahrene und verantwortliche Mentoren, die sich eben dieser anspruchsvollen und zutiefst notwendigen Aufgabe in unserer Gesellschaft widmen? Wer aber könnten solche Mentoren sein und welche Ausbildung müssten sie haben, um dieser verantwortlichen Aufgabe auch gerecht werden zu können?

Die 10 Thesen in der Zusammenfassung:

1.

In unserer Gesellschaft wird „volljährig“ und „erwachsen“ verwechselt oder gleichgesetzt. Volljährige werden juristisch und geschäftsmäßig aber bereits als Erwachsene behandelt.

2.

Volljährige fühlen sich fälschlicherweise schon deshalb als Erwachsene, nur weil sie 18 Jahre alt geworden sind und weil sie eine Führerscheinprüfung abgelegt haben.

3.

In unserer Gesellschaft gibt es fast kein Bewusstsein dafür, was „Erwachsensein“ bedeutet. Folglich gibt es auch keinen Sinn für die Notwendigkeit von echten „Erwachsenenprüfungen“. Der Prozess des Erwachsenwerdens kann sich daher über Jahrzehnte lang hinziehen.

4.

Jugendliche, vor allem Jungen, haben ein tiefes Bedürfnis nach Initiation. Da ihnen von den Erwachsenen keine geeigneten Rituale angeboten werden, suchen sie sich selbst oft sehr gefährliche Ersatzrituale.

5.

„Erwachsensein“ wird in unserer Gesellschaft oft auf „Leistung“ und „Produktivität“ reduziert. Gerade bei Erhöhung der Wochenstundenzahl in der Schule (im G-8-Gymnasium) sollten daher mehr persönlichkeitsbildende Maßnahmen auch in der Schule selbst angeboten oder von ihr organisiert werden.

6.

Die Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher ist die Folge des Fehlens eines Bewusstseins in der Gesellschaft über das „Erwachsensein“ und von geeigneten „Erwachsenenprüfungen“.

7.

Die Autoritätsschwierigkeiten vieler Eltern gegenüber ihren heranwachsenden Kindern beruhen auch darauf, dass viele Eltern in mancher Hinsicht selbst noch nicht erwachsen geworden sind.

8.

In unserer Gesellschaft wird die „ewige Jugend“ verherrlicht. Dies macht es unseren Jugendlichen schwer zu erkennen, was „Erwachsensein“ bedeutet und worin der Sinn dafür bestehen soll.

9.

Da in unserer Gesellschaft echte Übergangsriten fehlen, haben Fernsehshows, v. a. bei Privat fernsehsendern, Hochkonjunktur, die dann mit seltsamen Pseudo-Ritualen dieses Vakuum füllen wollen.

10.

Jugendliche können ohne geeignete, erwachsene Initiations-Mentoren nicht wirklich erwachsen werden.

Fazit

Unsere Gesellschaft steht dem ganzen Komplex „Erwachsenwerden“ und „Initiation“ bisher eher hilflos gegenüber; daher beschränkt man sich häufig auf die Beschreibung, das Beklagen oder das Bejammern jugendlichen Verhaltens, wenn es zu Fehlentwicklungen oder gar zu Exzessen kommt und versucht nur - etwa durch flankierende gesetzliche Maßnahmen im Jugendschutzbereich -, besonders schlimme Auswirkungen wenigstens ein bisschen einzudämmen. Als positive Beispiele dafür können die Aufklärungskampagnen gegen das Rauchen oder die höhere Besteuerung von Alcopops-Getränken in den vergangenen Jahren gelten. Zum Kern des Problems ist man damit aber meiner Meinung nach nicht wirklich vorgedrungen, ja man kann dies damit allein auch gar nicht schaffen.

Im öffentlichen Bewusstsein unserer Gesellschaft ist nicht klar, wie das Erwachsenwerden geschehen soll. Es gibt kaum eine richtige Theorie dazu, die den Kern dieser Frage treffen würde und keine bekannten und allgemein anerkannten Rituale, wodurch Jugendliche zu Erwachsenen werden könnten. Ich finde es unverantwortlich, unseren Jugendlichen keine adäquaten Rituale oder geeignete Prüfungen dafür anzubieten. Die Jugendlichen werden mit dieser für ihre persönliche Entwicklung so wichtigen und für unsere Gesellschaft letztlich so bedeutsamen Fragestellung meist allein gelassen. Wieso leisten wir uns als Gesellschaft eigentlich diesen Luxus und erwarten, dass unsere Jugendlichen ihren Prozess des Erwachsenwerdens ganz von selbst organisieren sollen in der Hoffnung, dass sie dann einfach so irgendwie und irgendwann erwachsen geworden sind? Dies erscheint mir vollkommen unverständlich.

Es ist fast so, als ob in unserer Gesellschaft noch immer der (Aber)Glaube herrscht, dass sich das Erwachsenwerden unserer Jugendlichen ganz magisch und „gleichsam über Nacht“ von selbst einstellt, ohne dass dafür auch nur irgendein Aufwand betrieben werden müsste. Das tut es aber im Normalfall nicht. Ist uns denn das Erwachsenwerden unserer jungen Generation so wenig wert? Wir beklagen dann aber Exzesse oder Fehlentwicklungen (z.B. die „Landplage“ des „Koma-Saufens“), in denen deutlich wird, dass es sich bei den Betroffenen eben um „Noch-nicht-Erwachsene“ handelt, egal ob die Beteiligten tatsächlich noch Jugendliche oder schon längst Volljährige sind.

Fehlentwicklungen bei Jugendlichen werden bislang eher wie eine Krankheit betrachtet, die angeblich nicht zu behandeln ist, sondern die man als moderne Industrie- und Mediengesellschaft entweder ganz verdrängen oder als unvermeidliche Begleiterscheinung zwangsweise in Kauf nehmen muss. Man versucht zwar, Exzesse wie z.B. das „Koma-Saufen“ bei Jugendlichen etwas einzudämmen, letztlich steht man ihnen aber machtlos und hilflos gegenüber. Dies muss aber nicht so bleiben. Nähert man sich nämlich diesen negativen Jugend-Phänomenen einmal unter dem Blickwinkel von „Initiation“ und „Initiationsritualen“, kann man die Situation unserer Jugendlichen plötzlich um Vieles besser verstehen und endlich anfangen, gegenzusteuern und geeignete Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen.

Im Folgenden möchte ich mit einigen z.T. sehr persönlichen Beispielen die oben aufgestellten Thesen näher erläutern und die darin genannten Phänomene im Hinblick auf das fehlende Bewusstsein über die Notwendigkeit von Initiation in unserer Gesellschaft genauer beschreiben und deuten. Dies soll besonders an Hand einer Reihe von „missglückten Selbstversuchen der Initiation“ geschehen.

Initiation - Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft

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