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Tödliche Luft

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Der Rettungswagen mit dem Notarztteam raste durch die Straßen von Travemünde in Richtung Uni-Klinik Lübeck. Jasmin von Grütten saß neben der Trage bei ihrem Mann. Der Notarzt beobachtete sorgsam die Instrumente.

„Wird er es schaffen?“ Jasmin schaute den Mediziner an. Ihre Stimme klang sorgenvoll. Der hob die Schultern. „Ehrlich gesagt, ich weiß es noch nicht. Gerade hat ihn noch ein zweiter Infarkt erwischt.“ Der Notarzt ließ den Monitor nicht aus den Augen. Er sah deshalb nicht das leichte Lächeln, das um ihren Mund spielte.

Peter Körten schob Nachtwache auf der Intensivstation der Herzchirurgie. Es waren Semesterferien, und als Medizinstudent im achten Semester verdiente er sich etwas dazu. Ihm blieb gar keine andere Wahl, wollte er überleben. Neben ihm saß Timo von Reichenbach, ein Kommilitone und Freund.

„Du hast es gut, Timo, du brauchst keinen Finger zu rühren, dein alter Herr, ein Klinikchef“, frotzelte Peter und tupfte dem älteren Patienten in dem Einbettzimmer den Schweiß von der Stirn.

„Du weißt genau, was ich viel lieber machen möchte...“

„Ja, ja, malen, entwerfen, planen, einfach kreativ sein, aber trotzdem, ich versteh’ dich nicht, du hast doch alles...“

Es klopfte. Peter Körten ging zur Tür und öffnete.

„Ach, Frau von Grütten, kommen Sie nur. Ihrem Mann geht es schon viel besser, er...“

„...besser? Aber...aber gestern, da haben Sie doch noch gesagt, dass es nicht so gut aussieht“, unterbrach ihn die Schöne, und als Timo von Reichenbach sie erblickte, fing sein Herz an, wie wild zu pochen.

„Das klingt ja so, als seien Sie enttäuscht, meine Dame!?“

„Aber...aber nein, es ist nur so...“ Jasmin von Grütten stockte.

„In den letzten Tagen ging es mal rauf, mal runter, und außerdem, das ist alles so furchtbar. Der Arme, er, ein so begeisterter Elektroniker, und jetzt hängt so viel Elektronik an ihm“, murmelte sie tonlos und setzte sich.

Die drei unterhielten sich, und Timo merkte zwei Dinge: Noch nie in seinem Leben hatte eine Frau ihn so fasziniert wie diese. Zum anderen hatte er eine dumpfe Ahnung, dass sie froh gewesen wäre, ihren Mann nach der sehr schwierig verlaufenden Herzoperation zu verlieren. Es reizte ihn, hinter ihr Motiv zu kommen, und er brauchte nicht lange darauf zu warten.

„So, nun weißt du alles, Liebster.“

Timo lag neben Jasmin im Bett, und er glaubte zu träumen. Eine heiße Nacht lag hinter ihnen. Zwei Liebeshungrige waren auf einander getroffen. Und es gab noch etwas, was ihn jubeln ließ: Jasmin von Grütten unterhielt eine exklusive Werbefachschule – hier im Nobel-Badeort Travemünde. Das war schon immer sein Traum gewesen. Und nur sein Vater, seit Generationen Chefarzt einer bekannten Klinik, hat ihn gezwungen, Medizin zu studieren und mit Enterbung gedroht, falls er es nicht täte. Und damit hatte der Vater seinen empfindlichen Nerv getroffen.

„Und du meinst, ich kann bei dir alles das machen, wonach mir der Sinn steht?“ Timo drehte sich zu ihr um und war auch jetzt noch von ihrer Schönheit geblendet.

„Nicht nur das, mein Liebster, wer weiß, vielleicht gehört sie eines Tages sogar dir!“

Sie ließ sich zur Seite fallen, stöhnte und ließ so wie nebenbei fallen:

„Wir haben nur noch eine Hürde zu nehmen, und du kennst sie!“

„Kannst du dich auf den jungen Mann wirklich verlassen?“

Dr. Carsten Steinbrück schaute Jasmin an. In den Augen des Hausarztes stand Sorge.

„Du kennst mich doch, Liebling, ich mache keine halben Sachen. Dieser junge Mann ist heiß auf mich, aber was viel wichtiger ist, meine Schule, die hat ihn schier um seinen Verstand gebracht. Ich habe ihm gesagt, dass Georg mir die Schule nur geliehen hat, und wenn ich mich scheiden ließe, dann wäre ich sie los, und außerdem wollte Georg ohnehin das Testament zu Gunsten einer ‘sozialen Wohltat’ ändern. Das alles weiß er. Er wird das machen, was ich ihm sage, er frisst mir aus der Hand. Ach ja, und noch etwas, Darling. Der Notar wird auch anwesend sein, wenn ich dich rufe.“

„Der Anwalt, wieso, ich meine...“

„Liebling, ich möchte wirklich sicher gehen. Und dann ist der Weg frei für uns, endgültig!“

Es klingelte mehrfach. Die beiden schauten sich an.

„Das wird der Krankenwagen sein. Timo, Liebster, du weißt, was du zu tun hast?“

„Na klar, Liebste, ich bin die Vertretung von Dr. Steinbrück, der zu einem mehrtägigen Kongress gefahren ist. Keine Angst, nach acht Semestern Medizin...“

Es klingelt wieder, diesmal länger.

„Ich komm’ ja schon.“

Jasmin stand auf und ging zur Tür. Zwei Krankenwagenfahrer brachten ihren Mann - im Rollstuhl.

„Georg, Liebster, ich freue mich ja so, dass du wieder da bist. Glaub’ mir, es war so schrecklich...“

„Spar dir dein Gesülze. Ich glaube dir ohnehin kein Wort.“ Seine Augen funkelten böse. Er drehte sich zu den Krankenwagenfahrern um.

„Vielen Dank, meine Herren. Sie sind entlassen.“

Die Fahrer gingen grußlos. Offenbar waren sie froh, diesen Griesgram los zu sein.

„Ich werde fortan in der Bibliothek wohnen...und schlafen“, fügte er noch hinzu. Dabei würdigte er Jasmin keines Blickes. Er drehte an den beiden Rädern und fuhr auf die offen stehende Bibliothek zu. Dort erwartete den Heimkehrenden eine Überraschung.

„Was wollen Sie denn hier?“, fuhr er den am Schreibtisch sitzenden Timo von Reichenbach an.

„Ich bin von Reichenbach und vertrete meinen Kollegen, Dr. Steinbrück. Er...“

„Vertretung, das habe ich ja noch nie erlebt. Wo ist denn der Kerl?“, unterbrach Georg ihn ärgerlich.

„Ich wollte es gerade sagen. Er ist zu einen Ärztekongress, und er meinte...“

„Anstatt zu meinen, hätte er lieber hier sein sollen“, unterbrach d er Brummbär wieder. Er war zornig.

„Aber Darling, er hat doch für eine ausgezeichnete Vertretung...“

„Erstens, nenne mich nicht Darling, nie wieder, hörst du?! Und zweitens, der Grünschnabel ist doch kaum trocken hinter den Ohren! Wie kann der mir wohl helfen!? Was ich brauche, ist ein Herzspezialist und nichts anderes!“

Georg von Grütten war lautstark geworden. Jasmin erkannte ihre Chance.

„Du mit deinen Spezialisten, die haben dir auch nicht helfen können!“

„Hast du eine Ahnung, ich wäre sonst kaum hier, aber wahrscheinlich ist das für dich sowieso ein Drama, dass ich überlebt habe!“, wurde er immer lauter.

„Wenn ich mir erlauben darf...“

„Sie dürfen sich hier gar nichts erlauben, junger Mann!“, unterbrach der Alte Timo.

„Sie dürfen mein Haus verlassen, und das ein bisschen plötzlich.“

„Aber ihre Frau, sie möchte...“

„Sie verlassen jetzt mein Haus!“ Die Stimme des Alten überschlug sich, und sein Gesicht lief puterrot an. Plötzlich fasste Georg von Grütten an sein Herz und fing an zu japsen. Timo tauschte mit Jasmin einen Blick aus, und sie nickte ihm unmerklich zu.

„Tja, Frau von Grütten, es tut mir leid“, der Hausarzt Dr. Steinbrück bedeckte mit dem Laken das Gesicht des Toten, „es war wahrscheinlich zu viel für Ihren Gatten, die Aufregung, wieder zu Hause zu sein, Sie verstehen?“

Am Bett standen Jasmin und der Anwalt des Ehepaars, der gleichzeitig ein Freund des Hauses war. Sie presste ein paar Tränen aus ihren Augen.

„Aber...aber ich denke, er war wieder ganz in Ordnung, ich meine...“ sie stockte und ließ sich auf einen Ankleidestuhl fallen.

Der Hausarzt und der Anwalt trösteten die Witwe so gut sie konnten, und als der Anwalt das Haus verlassen hatte, fielen sich die beiden um den Hals.

„Nun müssen wir nur noch deinen Jungsiegfried loswerden“, küsste Carsten Steinbrück Jasmin.

„Das wird schon klappen, lass mich nur machen.“

„Na, wie hat er’s aufgenommen?“ Carsten Steinbrück nahm die Bettdecke hoch und Jasmin schlüpfte in das warme Nest.

„Er hat getobt wie ein Wahnsinniger, der angehende Doktor, aber schließlich hat er ja selbst Dreck am Stecken, und die Summe, die ich ihm geboten habe, die hat ihn getröstet“, meinte sie lachend und kuschelte sich an ihren Geliebten.

„Wie viel hast du ihm denn...“

Weiter kam er nicht, denn es klingelte unten in der Diele. Beide fuhren erschrocken zusammen und Jasmin schlich auf Zehenspitzen ans Fenster.

„Das ist der Wagen des Anwalts, komisch.“ Sie entschied sich zu öffnen.

„Guten Abend Jasmin, entschuldige bitte die späte Störung, aber es geht um Georg und ich habe Herrn Kommissar Strobel gleich mitgebracht.“

„Einen Kommissar, Ronald ich verstehe nicht, weißt du, wie spät...“

„Tut mir leid Frau von Grütten, aber es muss sein. Dürfen wir hereinkommen?“

Der Kommissar nahm das Heft in die Hand und kam auch gleich zur Sache.

„Ihr Anwalt hat in Ihrer Abwesenheit etwas gemacht, was er gar nicht durfte, er...“

„Jasmin, es tut mir leid, aber Georg hat mir immer gesagt, wenn ich einmal sterbe, dann schau unter meinem Bett nach, da wirst du vielleicht etwas finden, was für dich wichtig ist. Du weißt, er war ein ausgezeichneter Elektroniker und da habe ich...“

„Ronald, ich bitte dich, komm zur Sache, mich friert“, unterbrach Jasmin ihn mit zittriger Stimme. Sie ahnte bereits, was auf sie zukam.

„Das Schlafzimmer war mit Wanzen ausgestattet. Wussten Sie das nicht? Ihr Anwalt hat eine Aufzeichnung gefunden, einmal von Ihnen, Frau von Grütten mit Timo von Reichenbach, der die Spritze mit der Luft setzten sollte, und es war auch ein Gespräch mit Dr. Steinbrück zu hören, der...“

„Hören Sie auf! Es ist genug!“

Jasmins Stimme überschlug sich. Oben am Geländer stand der Hausarzt – kreidebleich im Gesicht.

„Ich hab’s gewusst, dass es schief geht, Jasmin“, kam es tonlos über seine Lippen.

Der Kommissar beendete das gespenstische Szenario mit den Worten:

„Der Gerichtsmediziner hat uns den letzten Beweis geliefert: Tod durch Luftembolie. Der angehende Mediziner sitzt bereits in U-Haft, und Sie beide nehme ich vorläufig wegen Verdachts des gemeinschaftlichen Mordes fest!“

Mord(s)-Geschichten zwischen Nord- und Ostsee

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