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Die Verschwörung

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I.

Sina freute sich schon seit dem frühen Morgen auf den Start zum neuen Projekt in der Waldsiedlung, für das man ihr die Federführung übertragen hatte.

Es war erst ihr zweiter größerer Auftrag, seit sie nach der Fachschule für Gestaltung auf eigenen Füßen stand und hier den Job als Einrichtungsberaterin übernommen hatte.

Bei diesem Projekt hatte sie sich vorgenommen, viele ihrer eigenen Ideen, auch gegen den Wunsch des Auftraggebers, durchzusetzen.

Sie stand vor der Wohnungstür, in der Hand den Grundriss der Vier-Zimmer-Wohnung, die es zu gestalten gab, sammelte ihre Kräfte und…

Die Tür öffnete sich in diesem Moment lautlos und von ganz allein. Ein junger Mann mit Bartstoppeln und zerzaustem Haar lächelte sie an.

„Nein“, sagte er, „die Tür ist nicht von innen durchsichtig und eine Beobachtungskamera gibt es auch nicht!“

„Solch ein Klugscheißer!“ dachte sie und konnte sich in ihrem spontanen Ärger nicht zurückhalten.

„Aber Sie können hellsehen, Gras wachsen hören und kennen alle Duftspuren, was?“

Mit einem Blick auf das Namensschild, das den Türöffner als ‚A. Eickenbusch’ auswies, fragte sie: „Herr Eickenbusch, nicht wahr?“

Zu ihrem Erstaunen tat er nicht beleidigt oder wies sie gar zurecht, was sie nach ihrem flegelhaften Ausbruch befürchtet hatte.

„Sind in Ihrer Firma alle so temperamentvoll oder nur Sie?“ war alles, was er beizusteuern hatte.

Beim Gang durch die fast noch leeren Räume speicherte sie in ihrem Kopf Idee auf Idee ab, die sie hier durchboxen wollte. Mit einem gelegentlichen Seitenblick taxierte sie ihn, ob er wohl ein starker und hartnäckiger Gegner wäre.

Aber ihr analytischer Blick versagte völlig, weil von ihm nur Wärme und Liebenswürdigkeit ausgingen.

„Was die Gestaltung der Räume insgesamt angeht“, sagte er beiläufig, „machen wir es ganz einfach. Richten Sie alles so ein, als wäre es ihre eigene Wohnung!“

Sina hatte das Gefühl, durch alle offenen Türen einer langen Zimmerflucht gejagt zu werden. Sie schwankte zwischen Energieaussetzern und elektrisierender Begeisterung, ehe sie wieder Boden unter den Füßen gewann.

„Auch das Schlafzimmer?“ war die einzige Frage, die ihr ansonsten gelähmtes Denken noch hergab.

„Ja! Warum fragen Sie?“

Er sah sie in diesem Moment mit einem anderen Augenausdruck an als zuvor, viel weicher und weniger bestimmt, da war sich Sina sicher.

„Weil ich wissen muss, ob ich es für eine oder zwei Personen einrichten soll!“

Sie wusste nicht genau, wie sie seine leichte Gefühlsschwankungen von eben deuten sollte.

„Wie ist es bei Ihnen?“ wälzte er die Frage geschickt auf sie ab, sodass ihre Verunsicherung wieder wuchs.

„Oh“, lenkte sie ab, „ich habe kein Schlafzimmer; ich lebe in einem Appartement.“

Er überlegte laut: „Ich weiß noch nicht, ob das Schlafzimmer für ein oder zwei Personen eingerichtet werden soll. Gehen Sie bei der Planung zunächst mal von einem sehr großen Bett aus.“

Jetzt wollte sie es genau wissen, obwohl dies sie ja wohl nicht im Geringsten anging.

„Wieso wissen Sie das noch nicht? Ihre Frau oder Freundin wird sich doch wohl schon mal Gedanken darüber gemacht haben, oder?“

Obwohl Sina damit erneut sehr heftig aus ihrer Rolle gefallen war, die Grenze der Indiskretion sehr grob überschritten hatte, blieb eine berechtigte Zurechtweisung erneut aus.

„Unter uns: sie weiß noch gar nichts davon, dass ich mit ihr hier leben möchte!“

„Was für ein herrlich verrückter Typ!“ dachte Sina und konnte sich immer weniger zurückhalten. Sie entlud ihre Vergnügtheit in einem hellen und ausgelassenen Gelächter, ohne auch nur eine Sekunde an ihren Job zu denken.

„Und da lassen Sie die Wohnung von einer anderen Frau nach deren Geschmack einrichten. Ich sag Ihnen, das lässt sich keine Frau gefallen. Mein Tipp: Sie wird es ablehnen, hier zu leben, auch wenn sie Sie noch so sehr mag.“

Auch diese niederschmetternde Voraussage zeigte bei ihm nicht die geringste Wirkung; eher schien sein Interesse an ihren vorlauten Kommentaren zu wachsen.

„Sie meinen also, an meiner Person kann es nicht liegen, wenn sie ablehnt?“

Sina zögerte. „Nein“, dachte sie, „den meisten Frauen gefällt er sicher sehr! Mir gefällt er ja auch!“ Aber natürlich würde sie ihm das nie sagen!

Erwartungsvoll hatte er sich ihr inzwischen genähert.

„Sie meinen also, dass es nicht an mir liegen kann?“

„Wahrscheinlich nicht!“ brachte sie eilig hervor und zog sich einen Schritt zurück. „Bestimmt nicht sogar, glaub ich!“

Täuschte sie sich oder sah er in diesem Moment sehr erleichtert, ja beinahe glücklich aus?

„Haben Sie sich als Frau schon ein Bild von mir gemacht?“ wollte er, für sie völlig unerwartet, wissen.

„Du wärst für mich schon ganz richtig!“ dachte sie.

Ihm gegenüber aber setzte sie ihr tadelndes Gesicht auf und entzog sich im letzten Moment dieser verführerischen Aufgabe.

„Ich bin hier, um Sie bei der Einrichtung Ihrer Wohnung zu beraten und nicht als Psychologin oder Beziehungscoach.“

„Wäre das nicht auch eine interessante Tätigkeit für Sie?“

Sie verbarg mit Mühe, wie aufregend sie es fand, dass er sie ganz offen umwarb.

„Merken Sie nicht, dass Sie mich von der Arbeit abhalten. So werden Sie noch lange brauchen, bis die Wohnung bezugsfertig ist.“

Er machte zögernd den Weg frei und deutete in Richtung der nach hinten gelegenen Räume.

„Beraten Sie mich doch zuerst mal beim Bad.“

“Na ja“, begann sie ihre Gedanken neu zu ordnen, „ein paar Einbauschränke hier an dieser Wand tun es da ja schon. Sonst ist ja alles da.“

„Eine Badewanne vermissen Sie also auch nicht?“

„Ach so“, fiel ihr ein, „dass sie fehlt, ist mir völlig entgangen, weil ich selbst eine begeisterte Duscherin bin und keine Wanne brauche; wie sieht Ihre Wunschpartnerin das?“

„Völlige Übereinstimmung, denke ich! Gemeinsames Duschen ist viel erotischer als gemeinsames Baden in der Wanne, meinen Sie nicht auch?“

Eine Sekunde lang erlaubte sie sich die Vision, mit ihm gemeinsam unter der Dusche zu stehen; ein kurzer Schauer der Erregung erfasste sie.

Sina rief sofort sich und dann auch ihn zur Ordnung:

„Ich übergebe an den Beziehungscoach.“

„Wie ist es“, wollte er jetzt wissen, „wenn Sie eine Wohnung nach dem eigenen Geschmack eingerichtet haben, möchten Sie da nicht selbst einziehen?“

Dies gab ihr die Möglichkeit, ihn befreit und frech auszulachen.

„Sie vergessen, dass ich mir das gar nicht leisten könnte!“

„Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen die Wohnung schenke?“

Sinas Lachen klang jetzt noch gelöster als zuvor.

„Sie haben manchmal sehr witzige Ideen. Wahrscheinlich wollen Sie sich mein Honorar sparen! Am besten machen Sie sich mal selbst an die Arbeit!“

„Ich habe da schon einen Hintergedanken“, bremste er Sina.

„Wenn Ihnen die Wohnung gehört, könnten Sie mich als Untermieter aufnehmen. Beim Duschbad sind wir ja schon einer Meinung. Vielleicht ist das ja erweiterungsfähig.“

II.

Drei Tage später fand Sina den großen Umschlag eines Notars in der Post.

Darin befand sich die Schenkungsurkunde über die Wohnung, für deren Gestaltung sie den Auftrag erhalten hatte.

Jetzt war Sina völlig verwirrt, und wie immer, wenn es nicht weiterging und um Klarheit zu bekommen, rief sie ihren Bruder Gernot an, der selbst Anwalt war.

Wenig später meldete er sich.

„Ich habe Kontakt zu dem Notar aufgenommen. Er schlägt für morgen Nachmittag ein Treffen vor.“

Es war für Sina allerdings nicht verständlich, wieso das Treffen in Gernots Wohnung stattfinden sollte. Man bedenke: ein Notar macht einen Privatbesuch, statt in seine Kanzlei einzuladen.

Dass ihr Wohltäter selbst nicht dabei war, fand sie feige. Allzu gerne hätte sie ihn wiedergesehen, um ihm bei seinen verrückten Ideen Kontra zu geben und sich erneut mit ihm die Worte um die Ohren zu hauen und zu streicheln. Bei dem Gedanken daran konnte sie ihm schon nicht mehr böse sein.

III.

Gernot und Sina hatten nur eine kurze Zeit gewartet, als die Türglocke ging.

„Gehe schon“, rief Sina, da ihr Bruder gerade im Bad war.

Statt des von ihr erwarteten Notars im dunklen Anzug stand vor der Tür ihr Wohltäter selbst, leger gekleidet und mit einer Rose in der Hand.

„Ach“, begrüßte sie ihn, „hat Ihr Notar Sie ermutigt, selbst zu kommen und Rede und Antwort zu stehen? An ihm sollten Sie sich ein Beispiel nehmen!“

Er lächelte, überreichte ihr die Rose und murmelte beim Hineingehen:

„Der Notar bin ich!“

Im Hinterherlaufen sah sie, wie ihr Bruder den Gast betont förmlich begrüßte. Dann stellte er ihn vor: „Das ist Herr Eickenbusch, der Notar… “

„ …und auch der edle Spender im Wolfspelz“, ergänzte Sina sehr schnell.

„ …und Achim“, kam es von Seiten des Gastes.

Sina schwirrte der Kopf. Achim, das war doch ein Name aus ihrer Jungmädchenzeit, als sie erst 15 oder 16 Jahre alt war. Ein Schulfreund? Ein Vereinskamerad?

Sie entdeckte eine Spur von Ausgelassenheit und Ungeduld in Gernots Gesicht und wusste sofort, dass ihr Bruder seine Finger in dieser Geschichte hatte.

„Doch nicht etwa Achim aus Giessen“, dachte sie, „Gernots bester Freund während ihres gemeinsamen Studiums, von dem er ihr so viel Tolles erzählt hatte, dass sie bald für ihn schwärmte, ohne ihm je begegnet zu sein.“

Sie sah hinüber zu dem Notar, dann auf sein Geschenk, die Rose, welche sie noch immer in der Hand hielt; sie spürte seinen offenen Blick auf sich ruhen, der ihr schon vor Kurzem sehr zugesetzt hatte.

Gernot brach die angespannte Stille im Raum.

„Achim war schon immer ein sehr zurückhaltender und zögerlicher Mann.

Damals, als du 16 warst, Sina, habe ich wohl mal im Scherz behauptet, ich wüsste schon, wer der Mann deines Lebens wäre, erinnerst du dich nicht?“

Statt in Rührung zu versinken, fühlte Sina heftige Empörung in sich aufsteigen.

Mit Zorn in den Augen blickte sie von einem zum anderen, warf ihnen die Rose vor die Füße und legte los.

„Ja, was glaubt ihr beiden eigentlich? Etwa, dass der orientalische Frauenmarkt bei uns eingeführt wird? Wird schon klappen, wenn man Agenten in der Familie hat und mit Wohnungen ködern kann.“

Sina liefen Tränen der Wut und der Enttäuschung die Wangen hinunter, sodass sie nicht bemerkte, dass Achim an sie herantrat.

Sie sah durch die Tränen hindurch, wie er die Rose vom Boden aufhob, konnte sich nicht wehren, als er sie in die Arme nahm.

„Ich bin nun mal kein verwegener Eroberer“, murmelte er.

„Seit dem Tag in der Wohnung, als ich dich so nahe bei mir hatte, bin ich aber zu allem entschlossen! Ich gebe nicht auf!“

Er tupfte mit einem Taschentuch ihre Tränen weg. Und als sie ihm bereitwillig dafür ihr Gesicht hinhielt, wurde er noch mutiger.

Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie auf den Mund.

IV.

Als drei Wochen später die kleine Feier zur Einweihung der neuen Wohnung vorbei war und die Gäste schon lange gegangen waren, konnte Sina ihre Neugier nicht bezähmen.

„Sag mal, Herr Notar, ist das alles eigentlich mit deiner beruflichen Würde vereinbar: lügen, täuschen, Verschwörungen bilden, bestechen?“

„Keine Sorge“, beruhigte Achim sie, „das bleibt ja alles in der Familie und in den eigenen vier Wänden. Allerdings… “

„Also doch“, hakte sie ein.

„Ja“, fuhr er fort, „wenn meine Klienten mich allerdings jetzt beobachten könnten, wäre mein seriöser Ruf endgültig hin.“

„Wie meinst du das?“

Sina fuhr fort, seinen Hals mit kleinen Küssen zu bedecken und schlang ihre Arme um seine Schultern, während er ihr das Problem in Erinnerung rief.

„Es ist doch so: der Herr Notar liegt rücklings im Bett unter seiner Raumausstatterin, wohlgemerkt ‚unter ihr’.“

Achim räusperte sich wichtigtuerisch.

„Zum Glück ist seine Männlichkeit bedeckt! Zwar vom Unterkörper seiner Raumausstatterin, aber sie kann einfach nicht stillhalten.“

Sina tat sogleich alles Erdenkliche, um seine Beschreibung zu veranschaulichen.

„Die Krönung aber ist“, fuhr Achim mühsam fort, „die Hände des Notars, die unter andächtiger Beobachtung seiner Klienten die wichtigsten Schriftstücke unterzeichnen, kneten den Po seiner Raumausstatterin.“

„Du hast recht“, flüsterte sie ihm zu, „das alles kann sich höchstens ein einfacher Rechtsanwalt erlauben, Achim.“

Sanft bis stürmisch

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