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Der Wundertee

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Lola rennt nicht, Lola surft. Sie ist eine stark übergewichtige Frau und leidet seit Jahren sehr unter ihrer Fülle. An ihrem zweiundvierzigsten Geburtstag, blättert sie in den Internetseiten und bleibt bei dem Stichwort: www.uebergewicht.de hängen. Was sie dort liest macht sie neugierig und erregt sie.

"Überzeugen Sie sich von der unglaublichen Wirkung seltener Teeblätter. Ihr Geheimnis hat man auf einer Andenexpedition entdeckt. Mit einmaliger Einnahme einer Tasse Tee verlieren sie schon nach drei Wochen 5 kg und nach einem halben Jahr werden Sie um 20 kg leichter sein. Sie werden ein Wunder erleben. Das ist ein Geschenk für Sie und kostet nur 30 Euro.

Achtung! Verwenden Sie nie kochendes Wasser! Schütten Sie das Pulver in einen Becher, gießen sie handwarmes Wasser dazu, dann warten Sie eine halbe Stunde und trinken den Aufguss ganz langsam aus."

Es folgen Firmenname, Bestellnummer und eine Bankverbindung. Lola hat schon viele Diäten mit hart gekochten Eiern, Krautsuppen, frischen Ananasstücken und Kuren mit den verschiedensten Körnern hinter sich gebracht, aber immer ohne den gewünschten Erfolg! Die Angebote in den Apothekenzeitungen mit Formoline L 112, Fastenwandern im Elsass und die vielen Fitness Studios in der Stadt erinnerten sie zu sehr an ihren aus den Fugen geratenen Körper. Sie hatte den Eindruck gewonnen, dass niemand ihr helfen kann, und dann dies. Etwas Neues. Sie träumt sich in die Anzeige hinein, 20 kg weniger, vielleicht auch mehr, dann könnte sie wieder Kleidergröße 44 oder gar 42 tragen. In einer Ecke ihres Kleiderschrankes hingen noch ihre Lieblingsklamotten, das Violette mit dem schwingenden Glockenrock, das teuerste beigefarbene Kostüm ihres Lebens und das kleine Schwarze mit dem Goldbolero, die könnte sie dann wieder anziehen, sich wohl fühlen, und mit Freude ihre übergroßen Klamotten entsorgen. Über ihren Bauch hinweg könnte sie wieder ihre Füße sehen, und ihre schweren Brüste wären wieder kleiner und fester auch der Po würde knackiger werden. Ob sie sich den Nabel piercen lassen sollte? Na ja, in ihrem Alter wäre ein Hirschgeweihtattoo sicher besser. Ob ihr das Coco Chanel-Kostüm dann auch wieder passen wird? Vor lauter Begeisterung zu Ehren ihres neuen Lebens, ihres schlank werdenden Körpers, wird sie ihn mit feiner Seidenwäsche verwöhnen, und sie wird sich nie mehr vor abschätzigen Männerblicken verstecken müssen. Per Mausklick ins Glück, Lola bestellt voller Vorfreude und überweist den geforderten Betrag. Einige Tage vergehen in freudiger Erwartung, dann kommt er endlich, der Brief, in ihm ein weißer Beutel mit der Gebrauchsanleitung. Vorsichtig erwärmt sie etwas Wasser, schüttet das Pulver in eine Tasse und wartet die angegebene halbe Stunde. Etwas angewidert aber voller Hoffnung trinkt sie die bräunliche Brühe.

Drei Wochen geschieht gar nichts. Gelegentlich wird ihr schlecht, sie muss erbrechen, dann aber vollzieht sich das Wunder. Sie nimmt ab, jede Woche ein Kilo und kann es kaum fassen, es funktioniert, wirklich, ein Wundertee. Sie hatte kurz befürchtet einem Betrüger aufgesessen zu sein. Immer wieder betrachtet und dreht sie sich wie ein Brummkreisel vor ihrem großen Spiegel.

Ihre ebenfalls pummelige Kollegin und Freundin Cora bemerkt Lolas körperliche Veränderung, freut sich mit ihr über die Gewichtsabnahme, und bestellt ebenfalls die Wunderteemischung. Beide Frauen treffen sich nun regelmäßig zum Kaffee und kontrollieren ihr Gewicht auf der Personenwaage. Auch bei Cora scheint der Tee anzuschlagen. Die Begeisterung wächst und Modekataloge werden zu ihrer Lieblingslektüre. Sie verlieren sich in deren bunten Seiten und beschließen sich von Kopf bis Fuß neu einzukleiden.

Gelegentlich bemerkt Lola weißliche Fetzen auf den Produkten ihres Stoffwechsels, doch das berührt sie nicht sonderlich. Sie nimmt weiter ab. Ihre dunkel umschatteten Augen geben dem inzwischen schmalen Gesicht ein ungesundes Aussehen. Am ganzen Körper hängt die Haut schlaff herunter. Nach Wochen ist sie doch sehr beunruhigt, nur ein paar Kilo wollte sie abnehmen und nicht mager werden. Sie beschließt sich untersuchen zu lassen. Ihr Hausarzt zeigt sich sehr besorgt. Das rasche abmagern bedeutet nichts Gutes. Er erinnert sich, eine Notiz in einer seiner Fachzeitschriften gelesen zu haben. Nach einer genauen Befragung beruhigt er Cora, bittet sie abzuwarten. Dann sucht er den Artikel, und schaltet die Polizei ein, denn er glaubt, dass ein Zusammenhang zwischen der Einnahme des Tees und der unerwarteten Gewichtsabnahme besteht. Seine Vermutungen teilt er der Polizei mit. Diese lässt über einen Mittelsmann eine "Inkawunderteetüte" bestellen, die eine Woche später eintrifft und sofort an das "Robert-Koch-Institut" weitergeleitet wird. Das Ergebnis kommt schnell und lautet: "Teepulver mit Bandwurmfinnen - Taenia saginata versetzt".

Sofort wird nach dem Vertreiber gefahndet, man stößt ins Leere. Die Webseite ist gekündigt, Name und Adresse der Firma sind falsch, das Konto abgeräumt. Die Polizei wartet. Monate später taucht eine ähnliche Anzeige auf. Der Adressat sitzt diesmal nicht in Berlin, sondern in München. Ein arbeitsloser Biologe hatte diese perfide kriminelle Idee mit der Teemischung. Es war nicht schwer den geständigen Mann zu überführen. Wegen schwerer Körperverletzung wurde er ohne Bewährung verurteilt.

Wieder sitzt Lola im Sprechzimmer ihres Hausarztes, der ganz behutsam auf sie einredet. "Liebe Frau Polster, das ist ja wirklich eine dunkle Geschichte. Ich verschreibe Ihnen ein Medikament. Bitte nehmen Sie es über die Dauer von drei Wochen ein, täglich zwei Tabletten. Bald werden sie einen vermehrten Abgang von weißen Fetzen beobachten. Bleiben diese ganz aus, haben sie Glück gehabt und der Kopf ihres gefräßigen Untermieters ist abgegangen. Doch das ist höchst unwahrscheinlich. Erfahrungsgemäß müssen sie die Kur wiederholen, um den lästigen Wurm los zu werden. Aber es wird Ihnen bald besser gehen. Um wieder zuzunehmen müssen sie sich richtig ernähren und viel, viel trinken."

Er unterdrückt ein Lachen.

"Es muss ja kein Tee sein! Und essen sie viel, vielleicht nehmen sie dazu die in den Apotheken angebotene NASA-Kost zu Hilfe. Mit einer kleinen Mastkur erreichen sie dann vielleicht ihr Idealgewicht."


Pech

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