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Elli und Eberhard - Eine Ehegeschichte

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Seit Eberhard in der Zeitung gelesen hatte, dass mehr als ein Drittel aller Morde unentdeckt bleiben, Fachleute vermuteten sogar weit mehr, grübelte er über eine unverdächtige Todesart für seine Frau nach. In seinen Träumen brachte er Elli um, mal stürzte er sie aus dem Fenster, ein anderes Mal erwürgte er sie oder tröpfelte Gift in ihren heiß geliebten Rotwein. Er sah sie sterben, fühlte sich frei und trauerte dennoch an ihrem Grab tränenreich. All dies geschah immer nur in seinen Träumen, aber die konnten, wenn er es wollte, Wirklichkeit werden.

Wenn er nach einem arbeitsreichen Tag aus dem Büro nach Hause kam, zu einer Frau, die er nicht mehr liebte, in ein Haus in dem er nicht mehr zu Hause war, fühlte er sich deprimiert und begann dieses Dasein zu hassen. Seine schwangere Freundin Elli heiratete er vor fast dreißig Jahren. Die Familie und alle Freunde erwarteten das, und in der Vorfreude auf das Kind hielt er sich fast für einen glücklichen Menschen.

Doch dann kam alles ganz anders, denn gleich nach der Hochzeit hatte Elli eine Fehlgeburt mit schweren Folgeschäden. In den nachfolgenden Jahren hatte sie alles verloren, was ihn einst zu ihr hingezogen hatte. Eine Schönheit war sie zwar nie, doch Elli war jung, hatte feste, üppige Formen und war voller Kraft und Lebenslust, eine echte Blondine mit einem aufreizend, gelangweilten Lächeln, das viel versprach und nichts hielt. Ihre Neugier auf das Leben war groß, und sie war stolz auf seine Stellung als Architekt, seine Beziehungen und seine Freunde.

Heute zeichnete sich Ellis Körper durch schlaffe Formen aus, ihre glanzlosen, jetzt aschgrauen Haare, waren meist ungekämmt und hingen in Strähnen in die Stirn. Ihre Haut war trocken, leicht schuppig und hatte sich unter den Augen zu schweren Tränensäcken gefaltet. Elli war immun gegen ihren eigenen Verfall geworden.

Sie las nie mehr ein Buch, denn ihre Träume hatten sich in den bunten Blättern der Illustrierten verloren. Körper und Geist waren träge geworden, geistvolle Kraftanstrengungen wollte und konnte sie nicht mehr vollziehen. Der Freundeskreis, einst groß, unter ihnen viele seiner Kollegen, hatte sich langsam und still zurückgezogen.

Eberhard dachte oft, ich habe alles, nur nicht die richtige Frau, aber auch Elli dachte oft, ich habe alles, nur nicht den richtigen Mann. Aber dennoch fühlten sie sich beide verantwortlich für ihr gemeinsames Leben.

Elli war auf den Hinterhöfen der Stadt groß geworden. Alle Konflikte wurden hier mit den Fäusten ausgetragen. Mit Eberhard wollte sie eine Familie gründen, viele Kinder bekommen, sie gewaltfrei und mit viel Liebe großziehen. Schon als junges Mädchen fühlte sie sich zur Kunst hingezogen, konnte aber bei sich keine speziellen Begabungen oder Talente entdecken. So beschloss sie die Nähe von künstlerisch, tätigen Menschen zu suchen und wollte die Muse eines kreativen Geistes werden. Auf dieser Suche war sie Eberhard, dem Studenten der Architektur, begegnet. In seiner verträumten, sanften Art verstand er Elli zu begeistern, wenn er ihr die Welt im Einzelnen und die Bedeutung der Kunst im Besonderen wortreich erklärte. Eberhard war von ihrer Hingabe berührt und fühlte sich geschmeichelt, er verliebte sich in das junge Mädchen.

Viel zu spät hatte Elli feststellen müssen, dass Eberhard kein Künstler, kein hochfliegender, schöpferischer Geist, sondern ein ganz normaler Mensch war. Spät, zu spät hatte sie begonnen sich um ihr eigenes Leben zu kümmern, um nicht im Meer der Langeweile an der Seite ihres Mannes zu ertrinken. Mit großem Enthusiasmus begann sie mehrere Ausbildungen, doch ihre gesundheitliche Kraft und ihr labiler, geistiger Zustand reichten nicht aus, sie zu beenden.

Elli hatte keinen Beruf und von einer Frau, die nichts gelernt hatte, kein eigenes Einkommen hatte, wollte und konnte Eberhard sich nicht scheiden lassen. Sie war hilflos und auf ihn angewiesen.

Jetzt verbrachte Elli ihre Tage nur noch mit unnützen Dingen. Stunde um Stunde zappte sie sich durch die Fernsehprogramme, sah die albernsten Talkrunden, in denen Menschen aus Problemfamilien rund um die Uhr über Liebe, Ehe, Scheidung oder andere Nichtigkeiten wollüstig plapperten. Trank dazu, über den Tag verteilt, ein, oder auch mal zwei Flaschen Rotwein. Der Alkohol wurde ein angenehmer Begleiter ihrer einsamen Tage. Am Abend schluckte sie kleine, weiße Pillen, die der Nacht den Schrecken nahmen.

Manchmal fragte sich Eberhard, warum er vor vielen Jahren nicht einer Adoption zustimmte, ein Kind hätte ihnen Beiden bestimmt eine hoffnungsvollere Zukunft beschert. So war das Eheleben ohne Höhen und Tiefen, ohne Horizont.

Ihre Beziehung war in die Jahre gekommen. Das erotische Feuer war unter der Alltagslangeweile erstickt. Diese Veränderungen hatten sich Schritt für Schritt in ihr Leben geschlichen.

Eberhard saß nach seinem Dienst immer öfter einsam in billig, verrauchten Kneipen langweilte sich auch hier und fühlte sich alt.

Doch eines Tages änderte sich Einiges. Lisa, eine junge Kollegin, kam direkt von der Universität in das Architektenbüro und damit auch in sein Leben. Sie glich so gar nicht den weiblichen Wesen, die er bisher kannte, den launenhaften lauten und zänkischen Frauen, einschließlich seiner eigenen. So hatte er sich eine Frau immer vorgestellt. Schön, sanft und leise. Lisa trug auffallend, elegante Kleider, hatte eine Haut so weiß und kühl wie Marmor, und ihre Haare, haselnussbraun, fielen in weichen Locken auf ihre Schultern. Ihr Lächeln war voller Wärme, wie ein Frühlingswind. Seit er Lisa kannte, veränderte sich sein Leben. Plötzlich fühlte er sich wieder jung, träumte von zärtlichen Umarmungen und wilden Liebespielen. Es wurde für ihn eine Tortur, wenn Elli sich neben ihm niederließ, sich an ihn schmiegte, ihn mit ihren fleischigen Armen berührte. Eine Art Lähmung ergriff ihn dann, sein Körper wurde taub und gefühllos. Elli schlief so inbrünstig wie sie aß und trank, und die dabei entstehenden Geräusche riefen einen immer mehr wachsenden Ekel in ihm hervor. Er fürchtete sich auch vor ihrer albernen Fürsorge um sein altes Herz, seine schlechte Verdauung und um die zu hohen Cholesterinwerte, die sie mit verschiedenen Diätwurstsorten streng bekämpfte. Soviel Aufmerksamkeit von ihr erstickte ihn.

Er lag oft lange wach in dem übergroßen Ehebett und dachte an die junge Kollegin. Ein letztes Mal wollte er alle seine Säfte aktivieren, ehe seine Hormone in den ewigen Schlaf fielen.

Seine Sehnsucht nach Liebe würde Lisa erfüllen, aber wenn er am Einschlafen war, erschien wieder Elli, der Mensch, den er tagsüber ignorierte, und der dann doch auch noch seine nächtliche Welt beherrschte.

Eberhart versuchte sich zu entziehen, wollte frei sein, arbeitete immer etwas länger, kam spät nach Hause, und hoffte seine Ehefrau schon schlafend vorzufinden.

Elli ertrug das nur schwer. Sie tobte, schrie, und aß heulend einsam das Abendessen für zwei Personen. Ihre Trägheit wechselte in Hysterie und ein täglicher Kleinkrieg brach aus.

Ihre schrille Stimme ratterte los, wenn er nur das Haus betrat. Vor diesen wilden Wortausbrüchen und der Art wie sie ihn ansah, wie ihre Blicke ihn zerlegten, fürchtete er sich, wurde verstockt und wortkarg. Er wollte nur seine Ruhe, keine sinnlosen Auseinandersetzungen.

Trotz ständiger Verletzungen sorgte sich Elli weiter um ihn. Sie versorgte, meist etwas angetrunken, den Haushalt, entstaubte die kleine Bibliothek von Fachliteratur ihres Mannes, goss seine fleischigen Zimmerpflanzen, kochte lieblos viel und schlecht, und hielt seine Garderobe penibel in Ordnung. Sie wusch seine Hemden hingebungsvoll mit der Hand, bügelte und bürstete seine pflegeintensiven Leinenanzüge mit Inbrunst und entdeckte dabei eines Tages mehrere Zettelchen, Briefentwürfe, die sie neugierig glättete und las.

„Liebe Lisa, ich würde so gerne mit dir reden. Es wäre schön wenn du mir hilfst mein Leben neu zu sortieren.“

„Liebe kleine Lisa, uns beiden kann die Zukunft gehören, doch noch muss ich vernünftig sein, Hab Vertrauen...“

Diese Worte trafen Elli wie ein Blitz, der ihr Dasein zerstörte, sie geriet in Panik. Aufgestaute Ängste krochen aus ihr hervor. Wenn sie schon nicht Eberhards Treue erhalten konnte, so sollte ihn auch keine andere Frau bekommen. Nie mehr würde er sie berühren und sie würde nie mehr seinen großen warmen Körper spüren. Er würde sie verlassen, einfach gehen, mit dieser Lisa vielleicht ein Kind zeugen und sie einsam mit allen traurigen Erinnerungen zurücklassen.

Ein kleiner kalter Mond schickte sein Licht in das Schlafzimmer. Eberhard lag schon im Bett und schlief. Elli stieg das Blut ins Gesicht und ihr aufgedunsener Körper verkrampfte sich. Schweißgeruch und Weinausdünstungen mischten sich mit der kühlen Nachtluft und den Schnarchgeräuschen ihres Mannes. Sie kniff den Mund zusammen, ihre Lippen liefen vor Zorn bläulich an.

Plötzlich hatte sie Angst vor seiner neuen Stärke und ihrer Schwäche. Sie legte sich neben ihn, fror und bebte vor Zorn und Eifersucht. Rote Punkte tanzten vor ihren Augen, ihr Mund war trocken, ihre Kinnlade zitterte. In ihren Ohren dröhnte es laut, als schlüge eine Kirchturmuhr.

Eberhard sah eigentlich schon tot aus, er war blass, sein Mund stand leicht offen. Langsam erhob sie sich, ging zielsicher in die Küche, entnahm dem Spind ein Küchenmesser mit einer langen, scharfen Klinge, kehrte zu ihrem Mann zurück und stach ihm mehrere Male kräftig in die linke Brust. Sein pulsierendes Blut spritzte ihr ins Gesicht, sie musste blinzeln und sah auf Eberhard herab wie durch einen roten Schleier.

Seine Augen und sein Mund öffneten sich in einem geradezu entsetzten Erstaunen.

Langsam, ganz langsam begriff er seine aussichtslose Lage und seine Gesichtszüge verzogen sich vor Schmerz und Furcht zu einer Grimasse.

„Elli, warum, warum?“, röchelte er.

„Ich hatte doch immer nur Träume, nur Träume, immer nur Träum…, Träu…, Tr...“

Sein Körper erschlaffte, und der Blutstrom wurde zu einem Rinnsal, das nur noch die Laken rötete.


Pech

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