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Eins

Auf seine Frage „Kann man davon leben?“ hatte der Maler und Bildhauer Wolfgang Schäfer geantwortet: „Ja, wenn du eine renommierte Galerie gefunden hast, in Frankfurt/Main, München, Köln oder Berlin, die deine Exponate ausstellt, mag das gehen.“

Genauso verhält es sich mit der Schreiberei, hatte Alexander Fabuschewski gesagt. Er selbst hat Glück gehabt, hatte bei einem Romanwettbewerb den ersten Preis erhalten. Inzwischen stand sein zweiter Roman vor der Veröffentlichung. Wie gesagt, ein renommierter Verlag. Eigentlich, so dachte er, könnte er sich in diesem Jahr einen längeren Urlaub leisten. Er würde mit Simone darüber reden, nahm er sich vor.

Seit Jahresbeginn wohnten sie zusammen in der Wohnung in der Weißadlergasse, in der sein Vater, Peter Fabuschewski, vorher gelebt hatte. Der war nach Braunfels umgezogen, zu Marina Nowak, deren Vater im Jahr zuvor gestorben war. Heiraten, so hatten sie beide sich übereinstimmend geäußert, wollten sie nicht mehr.

Simone Müller und er, Alexander Fabuschewski, hatten Ähnliches vereinbart. Zusammenleben ja, heiraten nein. Als sie beide darüber gesprochen hatten, amüsierten sie sich über die Wortwahl „vereinbart“.

Simone hatte er bei seinen Recherchen zu dem Roman „Morina“ kennengelernt. Die war damals Schülerin an der Realschule Am Stoppelberg in Wetzlar gewesen. Seit dem Abschluss dort besuchte sie das Hessenkolleg, wollte im Sommer das Abitur machen. Jetzt war sie zweiundzwanzig Jahre alt, fünfundzwanzig Jahre jünger als er. Was ihr Zusammenleben betraf, hatte Alexander Fabuschewski keine Illusionen. Zusammen alt würden sie wohl nicht werden. Er machte sich über ihre Beziehung Gedanken, hatte auch Zeit dazu. Das Café Lebenshilfe war zu seinem Schreibcafé geworden. Das Bistro Am Dom hatte den Besitzer gewechselt und damit auch sein Ambiente verändert.

Den größten Teil seines ersten Romans hatte er dort geschrieben, dazu oft an einem Platz gesessen, von dem aus er sowohl in die Schwarzadlergasse als auch auf den Domplatz blicken konnte. Diese Aussicht, die Einrichtung des Lokals und dessen Gäste hatten ihn beim Schreiben inspiriert. Jetzt fehlten ihm dort alle drei Bedingungen, und so war er an den Eisenmarkt umgezogen. Hier saß er heute in einer Art Erker, hatte den Eisenmarkt und einen Teil der Krämerstraße im Blickfeld.

Wetzlarer Stadtführer behaupten, dass, säße man zehn Stunden am Eisenmarkt, man alle Einwohner Wetzlars getroffen hätte. Schräg gegenüber des Cafés befand sich die Neue Bücherstube. Dort war sein erster Roman kurz nach dessen Erscheinen ausgestellt worden. Nichts ahnend war Alexander eines Vormittags dort vorbeigelaufen. Da sah er sein Buch. Ein ganzer Stapel lag dort auf einem Tischchen. Darüber hatte der Eigentümer des Buchladens eine Vergrößerung der Titelseite angebracht. Alexander war stehen geblieben, genoss das Gefühl, „mein erstes Werk im Buchhandel“. Er war hineingegangen, hatte sich vorgestellt und mit dem Besitzer vereinbart, dass der den Verkauf seines Romans anlässlich der ersten Lesung übernehmen würde. Die fand dann auch drei Wochen später im Café Vinyl, das sich in der Nähe des Schillerplatzes befindet, mit mäßigem Erfolg statt. Etwa fünfzehn Leute waren der Einladung gefolgt.

Heute war einer dieser grauen Februartage, nasskalt wie im November, aber im Unterschied zum Herbst mit positiver Aussicht auf den Frühling.

Zweimal im Jahr litt Alexander unter einer Erkältung, Schnupfen, Husten, Halsschmerzen, und wie viele Männer in dieser Situation war er dann leidend. Dann wurde ihm auch der Altersunterschied zu Simone bewusst. Eine Frau in seinem Alter, so stellte er sich das vor, würde ihn in diesem Zustand bemuttern. Nicht so Simone, die wollte unterhalten, mochte abends unter Menschen sein.

Aber, so tröstete sich Alexander, was waren schon drei Wochen Leiden im Jahr gegen fünfzig andere. Und doch, das glaubte er zu wissen, eines Tages würde sie gehen. Nur gut, dachte er, dass man nicht weiß, wann „eines Tages“ sein wird. Alexander Fabuschewski war Optimist, bildete er sich ein. Echte Depressionen waren ihm fremd. Deshalb dachte er nun nach vorn, an den Sommer und einen längeren Urlaub.

Simone würde ab dem 9. Juli Ferien haben, so oder so.

Gerade wollte er den Kaffee bezahlen, als er auf dem Eisenmarkt, von der Krämerstraße her kommend, Volker Grün entdeckte, der nun wie unschlüssig stehen geblieben war. Alexander wartete einen Augenblick, bis er glaubte, dass Volker in seine Richtung schaute. Da hob er die Hand und machte ihn durch sein Winken auf sich aufmerksam. Als hätte der darauf gewartet, winkte er zurück und steuerte auf das Café zu.

Volker Grün war ihm ein Freund geworden, seit sie sich im Zusammenhang mit Alexanders Recherchen zu „Michelle“ kennengelernt hatten. Bei Volker hatte er eines Abends Simone wiedergetroffen. Seitdem waren sie zusammen, er und Simone. Die dramatischen Ereignisse im Zusammenhang mit der Festnahme von Klaus Wagner hatte aus der Bekanntschaft eine Freundschaft werden lassen. In den letzten Wochen hatten sie sich ein wenig aus den Augen verloren. Mehrmals hatte Alexander versucht, Volker telefonisch zu erreichen, aber immer ohne Erfolg. Sogleich sollte er den Grund für Volkers Abwesenheit erfahren.

„Hallo Alexander“, rief Volker, als er das Café betreten hatte. Alexander war aufgestanden, um seinen Freund begrüßen zu können. Er spürte die Erwiderung, freute sich aufrichtig über das Wiedersehen. Das sagte er Volker auch, sobald sie sich gesetzt hatten.

„Schön, dich zu sehen Volker, ein paar Mal habe ich schon versucht, dich anzurufen.“

„Kann ich mir denken, Alexander, ich war in der letzten Zeit oft unterwegs.“

Volker machte einen recht aufgekratzten Eindruck. Irgendetwas musste sich ereignet haben, vermutete Alexander, wollte aber nicht so direkt nach den Ursachen dafür nachfragen. Brauchte er auch nicht. „Du erinnerst dich an Charlene Reimann?“

„Na klar, Volker, die Frau mit den schönen Augen.“

„Ja, ja, ich weiß, das habe ich damals so gesagt.“

Charlene Reimann hatte Alexander seinerzeit wichtige Informationen über eine Wetzlarer Burschenschaft beschafft. Sie hatte nicht nur schöne Augen, erinnerte sich Alexander, sie war attraktiv und ihm damals sehr sympathisch gewesen. Auch er hätte sie gerne näher kennengelernt, hätte sie gerne für das Titelbild seines Romans fotografiert. Charlene aber hatte seine Bitte abgelehnt, wegen ihres damaligen Freundes, wie sie sagte.

Einmal war er zusammen mit Volker im Gaudi gewesen, wo Charlene arbeitete, um sich ihr Studium finanzieren zu können. Schon da hatte er bemerkt, dass sich Charlene stets an Volker gewandt hatte, wenn sie beiden etwas erklärte, nachdem Alexander gesagt hatte, dass Volker ein Freund und über den Stand seiner Recherche informiert sei. „Und nun hast du sie näher kennengelernt?“

„Ja, wir waren, wie gesagt, viel zusammen in der letzten Zeit. Demnächst wird sie zu mir ziehen, denn meine Wohnung ist größer als die ihre.“

„Da freue ich mich für dich.“

„Nun aber zu dir, Alexander, wie geht es dir, und was macht Simone?“

Alexander erzählte, und bald hatten sie die zweite Tasse Kaffee getrunken. Zum Schluss verabredeten sie sich zu einem gemeinsamen Abendessen, zu Hause bei Simone und Alexander. „Ich werde kochen“, sagte Alexander, bevor sie sich verabschiedeten.

Marijana

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