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Fünf

Nun waren die technischen Voraussetzungen zu klären. Auch diese Aufgabe hatte Alexander übernommen. So verschob er am nächsten Morgen seinen schon zur Tradition gewordenen Spaziergang durch die Colchesteranlage. Oft war es dabei nicht bei einem gemütlichen Gang geblieben. Er hatte sich einen Laufrhythmus angewöhnt, einhundert Schritte laufen, einhundert Schritte gehen. Von Mal zu Mal hatte er dabei das Tempo erhöht.

Aber wie gedacht, wollte er heute nach Löhnberg fahren. Vor einiger Zeit schon hatte er von einem Bekannten, einem Bildhauer, erfahren, dass es dort einen, wie der sich ausdrückte, gut sortierten Schrottplatz gäbe. Schon einmal war er dort gewesen und konnte sich von der Richtigkeit der Aussage überzeugen. Und wieder, wie am Vortag in der Bachweide, hatte er Glück. Kurz hinter dem Eingang des Schrottplatzes, neben einer Fahrzeugwaage, stand ein Mann, den Alexander Fabuschewski auf gut Glück hin ansprach.

Der Mann, Herr Osfath, wie der sich ihm später vorstellte, war der Besitzer der Anlage. Ein freundlicher Mensch, zu dem Alexander sofort Vertrauen schöpfte. Deshalb berichtete er sofort von ihrem Vorhaben, mit einem Floß von Wetzlar aus lahnabwärts bis zur Mündung des Flusses in den Rhein fahren zu wollen.

„Ich vermute“, sagte Osfath, als Alexander geendet hatte, „Sie wären nicht hier, wollten Sie ein Floß aus Holzbalken bauen?“

„Richtig, wir dachten an eine Art Katamaran, bestehend aus leeren Ölfässern, Profilblechen und Holzplanken.“

„Das habe ich auch gleich vermutet, als Sie begannen, davon zu berichten. Wie viele solcher Fässer werden Sie benötigen?“

Alexander gefiel Osfaths Art, ohne viel drum herum zu reden, zur Sache zu kommen. „Ich denke, das hängt auch von der Größe der Fässer ab, vielleicht sechs, drei für jede Seite.“

„Da wollen wir mal sehen“, sagte Osfath und ging voraus. Alexander folgte ihm zum hinteren Teil des Platzes. Schon von Weitem sah er sie stehen. Doch leider, als sie näher herankamen, zählte er nur vier Stück, jede etwa einen Meter hoch. Als hätte Osfath seine Enttäuschung bemerkt, erklärte der, dass ihm diese Art Fässer ständig angeboten würden. Er schlug Alexander vor, dass dieser eine Materialliste erstellen solle. Dann könne er entsprechende Teile beiseitelegen lassen, sobald sie einträfen. Die vier Fässer seien schon mal gebongt.

Nun hatte Alexander zweimal hintereinander Erfolg gehabt. Er hatte einen Platz an der Lahn gefunden, wo sie das Floß bauen und zu Wasser lassen konnten und einen ihnen wohlgesonnenen Schrotthändler, der ihnen bei der Materialbeschaffung behilflich sein wollte. Er freute sich schon auf den Abend, auf das Treffen mit Charlene und Volker. Fast schon vergessen waren die Ereignisse um den Leichenfund an der Lahn.

Eine Woche später erhielten sie Nachricht von Osfath. Sechs Ölfässer hätte er nun da und alle in derselben Größe. Inzwischen war auch vom Ruderklub eine positive Nachricht eingegangen. Mühlberg übermittelte das Einverständnis des Rudervereinsvorstandes, der ihnen erlaubte, auf dem mit Mühlberg vereinbarten Platz das Floß zu bauen. Zugleich wurde ihnen genehmigt, dort zu zelten, sollten sie mehrere Tage hintereinander arbeiten wollen. Keine Rede von Gebühren.

Volker Grün besaß einen Pkw mit Anhängerkupplung und hatte jemanden ausfindig gemacht, der ihnen zu Transportzwecken seinen Anhänger überlassen wollte. Am Freitagnachmittag machten sich Volker und Alexander auf den Weg, um erstmals Material von Löhnberg in die Bachweide zu transportieren. Volker hatte sich darüber informiert, wie die Ölfässer und die Plattform miteinander zu verbinden seien. In einem Betonwerk in der Nähe von Ehringshausen hatte er sich einweisen lassen. Man verwendet dort ein Hochleistungs-Stahlumreifungsbänder-System, um Betonelemente auf Paletten transportfähig zu machen. Die Stahlbänder hatte er dort gekauft, das Spann- und Verschlusswerkzeug hatte man ihm gegen eine Gebühr geliehen. Sie hatten vor, zunächst die Ölfässer mit Profilblechträgern zu verbinden, jeweils drei Fässer auf eine Länge von sechs Metern auf jeder Seite. Dazu mussten die Profilblechträger auf die Gesamtlänge zusammengeschraubt werden. Das Material hatten sie im Anhänger verstaut, die Zeltausrüstung im Kofferraum.

Von Samstag auf Sonntag wollten sie eine gemeinsame Probenacht an der Lahn verbringen. Man hatte ihnen erlaubt, einen von außen erreichbaren Dusch- und Toilettenraum im Klubgebäude zu benutzen. Der Schlüssel dazu befände sich unter der Fußmatte vor dem Eingang, hatte Mühlberg gesagt.

Am Samstagmorgen, nachdem sie alle zusammen bei Simone und Alexander gefrühstückt hatten, fuhren sie los. Simone hatte das Zelt besorgt. Gemeinsam hatten sie hin und her überlegt, welche Zeltform für die geplante Plattform am besten geeignet wäre. Dann hatten sie sich für ein Tunnelzelt entschieden, in dem sich die beiden Schlafkabinen nebeneinander und längs des Tunnels befanden. An die Schlafräume schloss sich ein Aufenthaltsraum an, der groß genug war und an Regentagen als Koch- und Speiseraum genutzt werden konnte. Da sie alle vier kaum Campingerfahrungen hatten, hatte Simone auch die Schlafsäcke und die sich selbst aufblasenden Luftmatratzen besorgt.

Charlene hatte sich nach anfänglichem Protest gegen die, wie sie meinte, typische Rollenverteilung hinsichtlich der Aufgabenverteilung, bereit erklärt, für das gesamte Küchengerät zu sorgen. Auf dem Höhepunkt des Streits hatte Alexander angeboten, ihr die Materialbeschaffung beim Schrotthändler zu überlassen. Das sei wieder einmal typisch, hatte sie darauf Alexander angegiftet. Er wisse doch genau, dass sie von diesen Dingen nichts verstünde. Damit sei das ja wohl geklärt, hatte Alexander entgegnet. Woraufhin Charlene den Verdacht geäußert hatte, dass sie Simone und ihr auf keinen Fall würden zumuten können, während der gesamten Reise für die Verpflegungszubereitung zuständig zu sein. Alexander und Volker hatten diesen Verdacht entschieden zurückgewiesen, ließen dabei allerdings eine gewisse Ironie im Ausdruck durchklingen. Das hatte bei Charlene einen Gesichtsausdruck bewirkt, wie ihn die Schauspielerin zeigt, die in der Werbung für einen Pkw die Aussage ihres Mannes in Zweifel zieht, der seinem Kumpel, dem Mann der anderen Frau, über eine auf die Innenfläche der Hand gemalte PS-Zahl das für ihn Wesentliche des Autos aufzeigt. Um dem von Charlene geäußerten Verdacht die Spitze zu nehmen, hatte Alexander, während sie zum Ruderklubgelände fuhren, erklärt, dass er nach der Ankunft und dem Ausladen des Gerätes für den Verpflegungseinkauf sorgen wolle.

Als er dann etwa zwei Stunden später zum Bootsgelände zurückkehrte, war das Zelt bereits aufgebaut, das Gepäck eingeräumt, und vor dem Zelt waren Tisch und Stühle aufgestellt worden. Im Vorzelt stand der Gaskocher auf einem Gestell.

Gespannt beobachteten alle Alexander, als er die Lebensmittel in das Regal unter dem Kocher einräumte. Dabei beließ er es nicht, sondern stellte auch gleich den großen Kochtopf auf den Gasherd. Dann nahm er die erste der Büchsen, öffnete sie und schüttete ihren Inhalt in den Topf. „Das ist doch nicht dein Ernst, Alexander“, protestierte Simone, nachdem sie die leere Dose in die Hand genommen und die Aufschrift gelesen hatte, „willst du uns tatsächlich heute, an diesem schönen Sonnentag, Erbsensuppe anbieten?“

„Warum nicht“, sagte Alexander und schüttete bereits den Inhalt der zweiten Büchse in den Topf.

„Er will uns beweisen, Simone, dass er von der Sache keine Ahnung hat, in der Hoffnung, dass wir ihm diese Aufgabe in Zukunft nicht mehr übertragen würden.“

Als dann aber die Suppe, die Alexander mit verschiedenen Gewürzen geschmacklich verfeinert hatte, wie er sich ausdrückte, in den Tellern dampfte, und alle die ersten Löffel voll davon probiert hatten, waren sie sich darin einig, dass ihm da etwas Gutes gelungen sei.

„Wir ernennen dich hiermit zum Chefkoch“, erklärte Charlene nun ihrerseits, nicht ohne eine Portion Ironie. Da war die Stimmung gerettet, und Alexander schlug einen gemeinsamen Erkundungsgang über die Anlage vor.

Beim Bootshaus angelangt, wollte Alexander den anderen den Toilettenraum zeigen, hob den Türvorleger hoch, doch kein Schlüssel fand sich darunter, und die Tür war verschlossen.

„Und ich muss mal“, sagte Simone.

„Seltsam“, sagte Alexander, „heute scheint außer uns niemand hier zu sein.“

„Hey, Alexander, ich muss mal“, wiederholte Simone.

„Da gibt es jetzt zwei Möglichkeiten, entweder ich breche die Tür hier auf oder du pinkelst einfach irgendwo hin.“

Scheinbar ohne zu überlegen, zog sich Simone ihre Jeans über die Knie und hatte bereits ihre Hände am Bund des Slips, da schaute sie in die erstaunten Gesichter der anderen, lachte und sagte: „Besser wohl nicht.“

„Schade“, sagte Volker und wurde umgehend von Charlene in die Seite geboxt.

„Sie hatten gerade das Vergnügen, eine von Simones Showeinlagen zu erleben.“

„Und was machen wir jetzt?“

„Du meinst wo, nicht wahr?“

„Wieso? Ach so. Ja, natürlich.“

„Ich werde Mühlberg anrufen, und bis wir einen Schlüssel haben, müssen wir uns tatsächlich einen geeigneten Platz hier im Gelände suchen.“

„Das kann ich nicht. Klein geht ja noch, aber groß, niemals.“

„Na ja, wir werden sehen, aber mir fällt da auf, dass wir uns über diese Frage hinsichtlich unseres Aufenthalts auf dem Floß noch keine Gedanken gemacht haben.“

„Das sollten wir aber dann auch bald tun.“

Sie waren beim Zelt angekommen, setzten sich um den Tisch herum und Alexander versuchte sogleich, Mühlberg zu erreichen. Zweimal ließ er es durchklingeln, dann gab er auf.

„Okay“, sagte Simone, stand auf und entfernte sich in den vorderen Teil der Anlage. Dort trat sie hinter einen Baum. Demonstrativ blickten alle hinunter zur Lahn.

„Also“, begann Charlene, als Simone zurückgekommen war, „wie machen wir das nun auf dem Floß?“

Schon wollte Alexander nachfragen, dass sie doch sicher wisse, wie man das macht, als Charlene ihm zuvorkam. „Schon gut, Alexander, spar dir die Nachfrage, du alter Oberlehrer.“ Nun war es Simone, die so schaute wie die Frau in der Autowerbung. Alexanders Versuche, Mühlberg zu erreichen, blieben an diesem Tage erfolglos.

Es war einer dieser Abende, wie sie für diesen Frühling typisch waren und wie man sie sich sonst für den Sommer wünscht, warm, dass man draußen sitzen konnte. Sie redeten, planten die Arbeit für den nächsten Tag, bis schließlich feuchter Nebel von der Lahn her aufstieg. Kein Regen war vorauszusehen, und so ließen sie Tisch und Stühle vor dem Zelt stehen.

„Schlaft gut“, sagte Alexander, als sie sich in die Schlafkabinen zurückzogen. Noch nie hatten sie sich voreinander ausgezogen, und so taten sie es in den Schlafräumen, die hoch genug waren, dass man darin stehen konnte. Der Doppelschlafsack bot ihnen wider Erwarten ausreichend Platz. Simone hatte sich auf die Seite gelegt. Seltsam, dachte Alexander, zuvor hatten sie noch miteinander gesprochen und jetzt herrschte im Zelt Totenstille. „Meinst du, wir könnten“, flüsterte er.

„Versuch es.“

Alexander schmiegte sich an ihren Rücken, besser gesagt an ihren Hintern, spürte dessen leichte Bewegungen. Der Reiz des scheinbar Verbotenen steigerte ihre Erregung, die sie für sich behielten.

Am Morgen weckte sie Mühlberg. „Ich kam erst in der Nacht nach Hause. Als ich Ihre Nachricht abhörte, wurde mir meine Vergesslichkeit bewusst. Entschuldigen Sie bitte, hier ist der Schlüssel.“

„Nicht schlimm“, log Alexander und bat Mühlberg, Platz zu nehmen. „Einen Kaffee kann ich Ihnen leider noch nicht anbieten.“

„Das macht nichts, der wartet zu Hause auf mich.“ Offensichtlich interessierte sich Mühlberg für ihre Arbeitsergebnisse. „Mit etwas Fantasie kann man schon erkennen, was daraus werden soll. Da will ich nicht weiter stören“, erhob er sich und wandte sich in die Richtung zum Bootshaus. „Wenn Sie etwas brauchen sollten, den Nachmittag über bin ich hier.“

Alexander bedankte sich, ging ins Zelt und kroch noch einmal in den Schlafsack, genoss Simones Wärme. Die war inzwischen wach geworden.

„Der Schlüssel liegt draußen auf dem Tisch.“

„Das ist gut, denn ich muss schon wieder ganz dringend.“ Um sie zu ärgern, drückte er auf die entsprechende Stelle ihres Bauches. „Hör auf“, rief Simone und wand sich aus dem Schlafsack.

„Womit soll er aufhören“, fragte Charlene von nebenan.

„Erzähl ich dir später, jetzt gehe ich erst einmal ins Bad.“

„Lass die Tür offen, ich komme auch gleich.“

„Okay, Charlene.“

Nach dem Frühstück machten sie sich sofort wieder an die Arbeit, und als sie am Sonntagnachmittag, nachdem sie ihr persönliches Gepäck im Auto verladen, das Zelt verschlossen und den Badschlüssel bei Mühlberg abgegeben hatten, zurückblickten, waren sie zufrieden mit dem Fortgang ihrer Arbeit.

„Ich denke, das wird“, sagte Charlene.

„Stimmt“, antworteten die drei anderen wie aus einem Mund.

„Ich glaube, Volker, wir brauchen bald neue Stahlbänder“, sagte Alexander, als sie nach Hause fuhren.

Marijana

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