Читать книгу Hölle vs Himmel - reiner nawrot - Страница 9

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Fromm Binnich hatte mit viel Mühe versucht, den tristen Gemeinschaftsraum etwas feierlich herzurichten, was ihm beinahe auch gelungen wäre. Nun begrüßte er die ersten Trauergäste, die mit verhuschten Blicken betreten an den Tischen Platz nahmen. An ihren Gesichtern war abzulesen, dass sie sich mit ihren schmuddeligen Arbeitssachen zwar etwas deplaziert vorkamen, trotzdem entschlossen waren, ihrem Bohrleiter hier noch einmal zur Seite zu stehen. Denn wenn es darum ging, jemandem die letzte Ehre zu erweisen, so war die einhellige Meinung, müsste eben Sauberkeit und Ordnung mal hinten anstehen. Außerdem, so meinte einer von ihnen, könnte Billbo ja auch gar nichts mehr davon sehen. Zu Beginn hatten einige die provisorische Trage mit dem verunglückten Billbo hereingebracht und ihn vorn abgestellt. Mit wenigen verblassten Plastikblumen, die Fromm Binnich immer für alle Fälle in seinem Notfall-Seelsorger-Koffer aufbewahrte, hatte er die Bahre geschmückt. Wer unverhofft in den Raum gekommen wäre, hätte glauben können, es handelte sich um das Ende der Verkaufsveranstaltung einer Kaffeefahrt. Die Gesichter der Männer sahen so aus als wären sie von der Länge der Veranstaltung genervt und ermüdet, und vorn war der Verkaufsleiter wegen des geringen Umsatzes in Ohnmacht gefallen. Leider war der Anlass natürlich trauriger. Als die Mannschaft vollzählig versammelt war, startete Fromm Binnich seinen Ghetto-Blaster mit Trauermusik. Da die Kassette schon viel herumgekommen war und sehr viel erlebt hatte, versuchten die Spulen immer öfter ein Eigenleben, drehten sich nicht mehr gleichmäßig und lieferten einen schaurig schrägen Leier-Sound, der die unheimliche Stimmung zusätzlich verstärkte. Erst als es gar zu grausig klang stellte Fromm Binnich das Gerät aus. Er hatte das wenige was er über Billbo wusste auf die Schnelle zusammengefasst und begann nun mit dem Versuch, das Leben des Dahingeschiedenen noch einmal aufzurollen.

„Billbo Heinze …ein treuer Freund und guter Mensch …der vielen ein Freund war … ein guter Freund …der auch in schwierigen Situationen immer Mensch blieb …ein guter Mensch, und dadurch vielen zum guten Freund wurde. Als Mensch stand für ihn aber nicht nur das freundliche im Vordergrund …nein auch die Menschlichkeit war ihm neben aller Lebensfreude wichtig. Und so begann er denn gleich nach seiner Geburt mit dem Leben …das sich bis heute hinzog. Nun ist er tot …“

„Schade …“, kam es etwas zu laut aus der Trauergemeinde und erstes unterdrücktes Gekicher krabbelte schon wieder zwischen den Trauernden herum.

Fromm Binnich guckte strafend in die Runde, konnte den Übeltäter aber nicht ausfindig machen. Ein ehemaliger Lehrer hatte ihm schon während seiner Schulzeit prophezeit, dass es bei ihm zum Entertainer nie reichen würde, weil ihm irgendwie das gewisse Etwas fehlen würde. Und genau dieses fehlende Etwas veranlasste anscheinend nun die Arbeiter sich schon wieder zu langweilen und Schabernack zu treiben. Der strafende Blick Fromm Binnichs ließ noch einmal Ruhe einkehren und er versuchte die Trauerrede fortzusetzen.

„Ein schrecklicher Unfall beendete heute sein Leben …das noch lange hätte gehen können …wenn er nicht gestorben wäre. So stehen wir nun vor unserem Freund …dem Menschen Billbo Heinze …und verneigen uns vor ihm.“

Während die mitfühlenden Worte noch minutenlang in dieser Weise über die Trauernden tröpfelten, zog Sell Berdohf wohl das deprimierendste Gesicht aller Anwesenden. Die ganze Zeit überlegte er schon, was denn nun mit dem Toten passieren sollte. Alle zehn Tage kam der Hubschrauber um die Mannschaft auszutauschen. Allerdings war der erst vorgestern hier. Wenn er ihn jetzt anforderte, würde das wieder zusätzliche Kosten verursachen. Oder sollte man Billbo erst mal in der Kühlkammer der Küche neben Tiefkühlkost und Mettwürsten zwischenlagern. Ganz kurz fasste er auch den Gedanken, ihn auszustopfen, verwarf das aber gleich wieder. Nein, das ging auf gar keinen Fall. Zwei Männer der Mannschaft hatten zwar Erfahrung als Vogelpräparator, allerdings fielen den Tieren meistens schon nach einer Woche die Glasaugen wieder heraus. Außerdem würde das hier ja eine viel größere Sauerei geben.

Natürlich hatte er auch schon an die drei Ägypter im Team gedacht. Allerdings waren die wohl einige hundert Jahre zu spät geboren und genügend Binden waren sowieso nicht vorhanden. Einen ganz verwegenen Gedanken dachte er noch zum Schluss, aber nur ganz leise und verwarf ihn auch gleich wieder verschämt. Es wäre ja nicht auszuschließen, dass bei einem veranstalteten Trauermarsch, ganz hart außen am Decksrand, einer der Träger stolpern würde.

Immerhin würden andere viel Geld für eine Seebestattung zahlen. Nachdem er mehrere Varianten genauer durchdacht hatte, erschien ihm die mit dem Hubschrauber doch als die logischste. Es war zwar die unattraktivste und wohl auch teuerste aber wohl doch sauberste Lösung. Nur kurz rangelten daraufhin noch einige seiner Hirnregionen miteinander, dann fiel zähneknirschend aber endgültig die Entscheidung für den Hubschrauber.

Als er wieder in die Realität zurückkehrte und sich in der Trauerrunde neugierig umsah um zu sehen wie weit die Zeremonie gediehen war, stand gerade einer der Arbeiter auf und wollte ein Trauer-Gedicht vortragen. Ob er dazu aufgefordert wurde oder sich freiwillig gemeldet hatte, war nicht zu erkennen. Etwas unglücklich sah er aber schon aus als er seinen Vortrag ankündigte. Umständlich räusperte er sich noch einmal und begann dann, etwas übermotiviert und mit einem Kloß im Hals, seinen Vers.

„Es saß ein lieblich Vögelein …im Baum und zwitschert munter …da brach der Ast, man glaubt es kaum …da fiel der Vogel runter.“

Der Pastor verdrehte nur die Augen und winkte ab. Man merkte ihm die Verärgerung förmlich an, als er das Wort ergriff um das aufkommende Klatschen zu unterbinden.

„Etwas Passenderes hätte es ja schon sein können …immerhin geht es hier um einen echten Trauerfall.“

Der Vortragende hob entschuldigend die Schultern.

„Vielleicht ist der Sturz ja auch böse ausgegangen …wer weiß das schon.“

Fromm Binnich konnte nur mit Not die Fassung wahren.

„Papperlapapp …Unsinn.“

Während sich der Vortragende enttäuscht wieder setzte, versuchte sein Nebenmann ihm noch halblaut beizustehen.

„Gereimt hat es sich jedenfalls ziemlich schön …“

Kopfschüttelnd drehte Fromm Binnich daraufhin die Kassette um. Aber auch die getragene Musik auf der Rückseite schleppte sich jetzt ähnlich elend dahin wie davor schon die Trauermusik der ersten Seite. Um wenigstens ein bisschen angemessene Atmosphäre zu haben, reduzierte er die Lautstärke auf die Hälfte und kündigte an, dass man nun nach guter Tradition auf das Gedenken des Verschiedenen anstoßen wollte. Bei den Arbeitern kam das sehr gut an und löste Beifall aus.

Fromm Binnich verließ die Runde und stapfte zur anliegenden kleinen Vorratskammer. Dort lagerten etliche Vorräte, wie etwa Servietten, Gläser, Geschirr, Spirituosen und ähnliches. Beim eintreten stockte er. Hatte sich da nicht gerade etwas bewegt. Ihm war, als hätte er zwei kleine helle Wesen zwischen den Regalen herumhuschen sehen, die hastig verschwanden als sie ihn bemerkten. Fromm Binnich schloss für einen kurzen Moment die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Hatte der Herr ihm womöglich ein Zeichen gesandt?

Die beiden Wesen hatten zwar nicht unbedingt wie die Jungfrau Maria ausgesehen, Engel hätten es aber vielleicht doch sein können. Im Kopf überschlug er kurz die Möglichkeiten, befand dann aber, dass die Kirchenleitung die Vorratskammer einer Bohrinsel wohl kaum als Wallfahrtsort anerkennen würde. Zum anderen hatte die flüchtige Erscheinung auch nicht zu ihm gesprochen und sich damit selber der Chance beraubt in der Kirchengeschichte groß herauszukommen.

Trotz alledem suchte er die Kammer noch weiter mit Argusaugen ab, konnte jedoch nichts ungewöhnliches mehr entdecken. Deshalb griff er sich drei Flaschen Obstler aus dem Regal, wobei er aber nicht nachließ, seinem Hirn interessiert beim anhaltenden Streit mit den Augen zu lauschen.

„Was ist jetzt …haben wir nun was gesehen oder nicht?“, drängelte das Hirn.

Die Augen waren aber auch weiterhin unentschlossen.

„Na ja …es sah schon so aus …obwohl …so richtig?“

Fromm Binnich verharrte noch einen Augenblick auf der Stelle, verließ dann aber enttäuscht über die fruchtlose Streiterei die Vorratskammer. Nachdenklich ging er zu den Arbeitern zurück die ihn schon freudig erwarteten und mit Beifall empfingen. Sein Erlebnis behielt er aber erst mal für sich. Während die Gläser gefüllt wurden, wandelte sich die Stimmung im Raum von betroffener Trauer zu verhaltener Unterhaltung. Alle Gespräche drehten sich jetzt um Billbo und immer wieder wurde sich gefragt, wie es denn nur zu solch einem Unglück hatte kommen können. Einige erzählten mit seligem Blick von ihrem letzten Erlebnis mit dem Verstorbenen, andere beteuerten pauschal, was der doch für ein toller Kerl gewesen sei. Nur Sell Berdohf lugte öfter mal verschämt auf seine Uhr und überschlug im Kopf, was dieser Tag insgesamt an Verlusten gebracht hatte und noch immer brachte, denn der Bohrer blieb ja nach wie vor verschwunden und machte eine weitere Arbeit unmöglich. Innerlich nickte er jedenfalls zufrieden über die von ihm getroffene Entscheidung den Hubschrauber anzufordern um endlich einen neuen Bohrer zu bekommen. Dem Piloten müsste er dann nur noch für den Rückflug irgendwie den nicht mehr zu gebrauchenden Billbo andrehen. Gut verschnürt würde der ja wohl als Frachtgut durchgehen. Sollten doch andere zusehen was damit zu machen sei. Ein Lastenhubschrauber wäre zumindest billiger als einer zur Personenbeförderung.

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Hölle vs Himmel

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