Читать книгу Aber der Himmel war höher - Rita Kuczynski - Страница 12

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Ich hatte die Wohnungstür kaum hinter mir geschlossen, da klingelte das Telefon. Es war Emmi. Begeistert erzählte sie, dass sie ganzen Tag am Kopierer des Museums gestanden habe, um die unermessliche Zahl von Krügen samt Abbildungen zu kopieren. Nur mittags sei sie mit einem Sandwich auf die Mall gegangen, habe sich auf den Rasen gelegt und eine halbe Stunde die Sonne genossen. Washington im Frühling sei wirklich nur von Berlin zu überbieten. Aber der Himmel über Washington ist doch blauer. Sie werde nachher noch einen Spaziergang an der Mall machen, nicht mal das habe sie bisher geschafft. Danach gehe sie zu Max. Denn noch wisse sie überhaupt nicht, wie sie die vielen Kopien auf ihren Laptop bringen soll. Aber Max habe versprochen, ihr einen Scanner aus der Redaktion zu besorgen.

Nun müsse sie aber Schluss machen, ihre Telefonkarte gehe gleich zu Ende. Sie melde sich wieder. Bestimmt. Einen Festnetzanschluss habe sie in dem neuen Zimmer leider nicht. Aber …

Das Gespräch brach ab. Da war auf einmal eine große Stille in der Wohnung. Ich öffnete die Fenster und sah in den Park, der auf der anderen Seite der Straße begann. Ein paar Jogger drehten noch ihre Runden. Rechts vom Park an der großen Kreuzung regelten Ampeln den Verkehr, der hier nur zwischen drei und vier Uhr morgens abbricht. Ich schaltete den Fernseher ein und hörte CNN-Nachrichten. Ich weiß nicht, wie oft ich die immergleichen Nachrichten hörte. Auf jeden Fall war es irgendwann halb drei morgens, als ich endlich beschloss, ins Bett zu gehen.

Als ich aufwachte, war es kurz nach acht. Ich stand auf und zog die Vorhänge auf. Blau stürzte vom Himmel. Maiblau. Man konnte weit über den ganzen Park sehen. Um ehrlich zu sein: Vor allem wegen des Blicks aus dem fünften Stock auf den Trümmerberg wollte ich die viel zu große Wohnung noch immer nicht aufgeben.

Der Blick über den Park erinnerte mich an Manhattan, das ich so liebte. Auch wenn ich dort stets sehr kleine Wohnungen hatte, so lagen sie doch immer direkt am Central Park.

Das letzte Zimmer dort war das kleinste, das ich überhaupt je hatte. Es war nur für ein paar Tage. Drinnen war nur Platz für ein Bett, einen Schrank, einen Stuhl und für meinen Koffer. Aber der Blick über den Park ließ mich die Enge des Zimmers schnell vergessen. Da es September war, konnte man die Fenster schon wieder öffnen und die Klimaanlage abschalten. Ich hatte Max gerade verlassen. Oder er mich? Das wird nicht mehr aufzuklären sein. Auf jeden Fall zog ich aus. Ich wollte die letzten Tage vor meiner Rückkehr nach Deutschland allein in New York verbringen. Mein Stipendium lief aus.

Und ich hatte die Ahnung, dass ich hierher so bald nicht zurückkehren würde. Jedenfalls nicht so unbeschwert, wie ich bisher gekommen war. Daher wollte ich mich von diesem New York, das ich so liebte, verabschieden. Wollte seine Bilder und Silhouetten aufnehmen in mich, sein Licht, das im August ein anderes ist als im September. Wollte die Bilder genau abspeichern, um sie nicht zu vergessen. Also lief ich tagelang durch die New Yorker Straßen. Irgendwann hatte das endlose Laufen alle Straßen gleich gemacht. Ich nahm nur noch die Straßenführungen wahr. Ihre Geometrie hatte sich mir so eingeprägt, dass ich mit geschlossenen Augen hätte gehen können. Ich kannte inzwischen den Rhythmus, in dem die New Yorker durch die Straßen laufen. Er ist auf dem Broadway in Manhattan ein anderer als in Chelsea oder gar in Brooklyn.

Mein Fixpunkt blieb der Central Park, an den ich nachts wieder zurückkehrte. Er wurde gewissermaßen mein Zuhause und gab mir die Gewissheit, dass ich tatsächlich noch in New York war. Denn die Stadt, so schien mir, hatte mich zeitweilig schon ausgeschlossen. Oder ich sie? Ein heilsames Alleinsein, das mich zu mir selbst zurückführte mitten unter den immer eilenden Menschen hier. Nicht Leere war es, sondern Alleinsein und mein Einverständnis mit ihm. Ein Alleinsein, das ich in solch einer Abgeschiedenheit nur in New York kennen gelernt habe.

Ich hatte immer Nüsse bei mir in diesen Tagen. Mit ihnen fütterte ich die Squirrels, wenn sie in der Dämmerung zu den Papierkörben kamen und nach Essbaren suchten. Mitunter teilte ich die Nüsse mit ihnen. Dann ging ich hoch in mein Zimmer, sah stundenlang über den Park.

Irgendwann hatte ich das Gefühl, ich hätte genügend Abstand und sei stark genug, um nach Washington D.C. zu fahren. Ich musste noch einiges mit den Behörden klären. Da zu befürchten war, dass ich das Amtsenglisch nicht wirklich verstand, bot mir Max an mitzukommen. Das war mir ganz recht, da ich auch mein Bankkonto ändern musste und offiziell noch immer bei Max wohnte. Wir hatten uns ja nicht verkracht. Wir hatten uns getrennt, weil es so, wie es war mit uns, nicht mehr weiter ging. Jedenfalls nicht für mich. Und natürlich musste ich gehen, schließlich konnte Max nicht aus seinem Haus ausziehen.

Max holte mich an der Union Station von der Bahn ab. Im ersten Augenblick freuten wir uns beide, uns wieder zu sehen. Eine alte Vertrautheit ließ uns unsere Trennung vergessen. Auf dem Weg nach Georgetown hielten wir am Duponte Circle, um bei unserem Chinesen zu essen. Max bestellte wie immer das Tagesmenü, das wir auch Überraschungsmenü nannten. Irgendwann realisierten wir, dass es das »Wir« und »unseren« Chinesen ja gar nicht mehr gab. Das Gespräch stockte. Wir tranken jeder für sich den Jasmintee. Die kleine Kellnerin namens Min Ya hatte ihn unaufgefordert gebracht. Ein bisschen Melancholie kam auf. Bevor sie sich ausbreiten konnte, unterbrach Max unsere Wortlosigkeit durch einen seiner Witze. Max wusste, dass ich ihn zum besten Witzeerzähler aller Zeiten gekürt hatte.

»Sagt der Masochist zum Sadisten, schlag’ mich. Sagt der Sadist, ich denk’ ja nicht dran.«

Er lachte, dann er grinste er mich freundlich an.

»Komm, lass uns gehen.«

Danach spielten wir die Vernünftigen. Ich schlief im Gästezimmer, obwohl Max protestierte. Aber ich wusste, hätte ich mich nicht auf diese demonstrative Weise separiert, wir hätten wieder miteinander geschlafen. Und das hätte die Trennung nur noch schwerer gemacht.

Aber der Himmel war höher

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