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Liebe Ska

Die Sonne scheint Per direkt auf das Ohr. Der Himmel hinter der Sonne ist blau wie der Lack seines Rollers. Weit oben treiben ein paar kleine weiße Wolken vorbei. Und weil die Glasscheibe keine Luft herauslässt und keine Luft hinein, ist es im Klassenraum sehr heiß. Per ist in der zweiten Klasse. Im ersten Schuljahr haben sie alle Buchstaben gelernt. Jetzt sollen sie einen Aufsatz schreiben. Einen Aufsatz hat Per noch nie geschrieben. So genau weiß er gar nicht, was ein Aufsatz ist. Und die Klassenlehrerin, Frau Bauer, ist dabei auch keine große Hilfe. Erst tut sie so, als ob ein Aufsatz etwas ganz Tolles sei und man erst richtig in die Schule gehe, wenn man Aufsätze schreiben dürfe. Und dann erklärt sie nicht, wie das eigentlich geht, Aufsätze zu schreiben.

„Schreibt einfach, was euch einfällt, das, was ihr gerade denkt. Es ist auch gar nicht wichtig, dass ihr alles richtig schreibt. Wichtig ist, dass ihr schreibt!“, hat sie eben nur gesagt.

Per denkt an sich, dass er in der Klasse sitzt mit der Sonne auf dem Ohr, der heißen Luft, fast wie in Afrika. Und plötzlich, wie ein Blitz, weiß Per, was er schreiben wird. Denn er muss an Ska und an die Briefe aus Afrika denken.

„Liebe Ska“, schreibt Per. „In Deutschland ist es fast so heiß wie in Afrika. Heute Morgen im Radio haben sie gesagt, dass es dieses Jahr vielleicht wieder eine Dürre gibt, so wie letzten Sommer schon.“ Per weiß nicht genau, wie man die Wörter alle schreibt, aber Frau Bauer hat ja gesagt, dass es egal ist, wie man schreibt, Hauptsache, man schreibt.


„Gestern bin ich mit dem Roller zu meiner Uroma gefahren. Die hat mir Deinen Brief vorgelesen. Komischer Name: Ska. Ist der afrikanisch? Ich heiße Per. Der Name hat auch nur drei Buchstaben. Aber er ist skan… di… navisch.“

Per weiß auch nicht, wie man skandinavisch schreibt. Seine Mutter sagt das Wort immer. Es meint die Länder Dänemark, Norwegen, Island, Finnland und Schweden. Pers Vater hieß Peter. Das ist zwar auch nicht besonders lang, aber immer noch die Langform von Per.

„Mein Vater hieß Peter“, schreibt Per weiter. „Aber den habe ich nie richtig kennengelernt. Es gibt aber Videoaufnahmen von ihm. Die schaue ich mir an. Weißt Du, hier sind weiße Wolken vor dem Fenster. Die sind vielleicht aus Afrika zu uns gekommen. In Afrika waren sie vielleicht noch groß und schwarz. Jetzt sind sie weiß – aber es ist immer noch das Wasser drin, das sie in Afrika aufgesammelt haben. Vielleicht hast Du die Wolken ja auch schon gesehen – ach nein, dann müssten sie ja viele, viele Jahre lang hierhergezogen sein.“

Es klingelt. Per schaut auf. So schnell ist eine Deutschstunde noch nie vorbeigegangen! Hastig kritzelt er seinen Namen unter den Brief. Den kann Per echt gut schreiben. Er hat einen ganzen Nachmittag lang geübt, eine Erwachsenenunterschrift hinzubekommen. Jetzt sieht sie fast so aus wie die Schrift der afrikanischen Briefe, sodass man eigentlich nicht mehr erkennen kann, wie er heißt.

Per steckt das Heft in seinen Schulranzen. Frau Bauer lächelt ihn an: „Na, du hast ja gar nicht mehr aufgehört zu schreiben. Worum ging es denn?“, fragt sie.

„Weiß ich eigentlich auch nicht so genau“, antwortet Per unbestimmt und schließt seinen Schulranzen.

Nach der Schule geht Per einen Umweg am Kanal entlang. Die Luft draußen ist so warm wie die Luft, die er ausatmet. Der Schulranzen klebt auf seinem Rücken. Der Kanal riecht ein bisschen. Er riecht, wie Per sich vorstellt, dass die Flüsse in Afrika riechen.

Unten an der Haustür angekommen, klingelt er am Türschild seiner Urgroßmutter. Der Türsummer ertönt. Per stürmt die Treppe hoch. Das Treppenhaus seiner Oma ist echt alt. Im Treppenaufgang zu Hause sind die Stufen aus Beton, hier sind sie aus Holz und in der Mitte abgetreten und durchgebogen. Viele Menschen müssen hier schon hochgelaufen sein. Menschen, die Kinder waren, als sie hier hochhüpften, mit langen blonden Haaren und dünnen Beinen. Jetzt sind ihre Haare grau, oder sie haben eine Glatze und sehen eben so aus, wie alte Erwachsene aussehen. Oder sie sind vielleicht schon tot.


Auf den letzten Stufen sieht er die Beine seiner Urgroßmutter in der Tür. Sie trägt braune Strümpfe und schwarze Schuhe. Per fällt auf, dass er sie noch nie mit Schuhen gesehen hat, die eine andere Farbe haben, oder ohne Strümpfe.

So wenig, wie seine Urgroßmutter sich an die Computer und all die Handys gewöhnen kann, so wenig kann sie sich wohl an eine andere Mode gewöhnen. Per zwingt sich, langsam zu gehen.

Seine Urgroßmutter mag es gar nicht, wenn man immer rennt.

„Per?“, fragt sie, als sie seinen Kopf über den Treppenstufen auftauchen sieht. Per hört, dass sie überrascht ist.

„Ja“, sagt er. Und irgendwie ist auch er überrascht, dass er jetzt bei ihr ist. Er streckt die Hand aus und schaut ihr fest in die Augen, als sie seine Hand drückt.

„Was verschafft mir die Ehre?“, fragt seine Urgroßmutter.

Das sind so Fragen, die Per nicht versteht. Ist es denn eine Ehre, wenn er seine Uroma besucht? Noch vor zwei Tagen hat ihm das richtig Angst gemacht, dass seine Urgroßmutter immer so spricht, dass man sie nicht versteht. Aber jetzt hört er in dem Satz mit der Ehre die afrikanischen Briefe.

„Ich wollte fragen“, sagt Per, so höflich er kann, „ob du mir noch einen Brief vorlesen kannst. Einen von den Briefen aus Afrika.“

Seine Uroma lächelt und sagt: „Komm erst einmal herein. Möchtest du etwas trinken?“

„Ja, bitte“, sagt Per und findet, dass er schon selbst klingt wie ein Kind aus Afrika. Er zieht die Turnschuhe aus und stellt sie ordentlich neben die Tür. Das macht er zu Hause nie. Da tritt er sich immer in die Hacke und schmeißt die Schuhe in das große Gewühl neben der Tür.

Er hört, wie seine Uroma im Wohnzimmer telefoniert und seiner Mutter Bescheid sagt, dass Per heute etwas später nach Hause kommt.

„Möchtest du eine Orangeade?“, fragt seine Uroma, als sie in die Küche kommt.

„Gerne!“, sagt Per, obwohl er keine Ahnung hat, was eine Orangeade ist.

Die Balkontür steht offen. Er tritt auf den Balkon und setzt sich an einen altmodischen Holztisch. Unter ihm hört er Autos vorbeifahren. Kinder, die um Eis betteln, das Rauschen der Duschen in den Nachbarwohnungen, wenn Leute sich abkühlen, Fahrradklingeln von Menschen, die noch schnell ins Freibad wollen. Seine Uroma stellt ein Tablett mit zwei Gläsern vor ihn und eine Limonadenflasche. Dann setzt auch sie sich und ergreift einen der alten Briefe, die Per auf den Tisch gelegt hat. Gleich wird er mehr hören. Aus Afrika.

Kleine Helden, große Abenteuer

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