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Bis bald

Normalerweise freut Per sich, wenn die Schule vorbei ist und der Nachmittag sich vor ihm ausstreckt wie eine weite Savanne. Man sieht den Horizont, das Abendessen mit seiner Mutter, das Reden, das Zubettgehen – aber wie man dahin kommt, das ist nirgends festgelegt. Zwischen Hausaufgaben, Fußballspielen, Freunde besuchen oder einen Film gucken gibt es keine Wege und keine Pfade. Aber heute ist Per geradezu traurig. Denn gestern hat seine Uroma ihm alle Briefe aus Afrika vorgelesen. Eigentlich hatte Per nur gewollt, dass sie einen oder vielleicht zwei vorliest, doch dann sind es alle geworden, und für heute ist keiner mehr übrig.


Er läuft durch die Wohnung und weiß nicht, ob er ins Freibad gehen soll, einen Freund anrufen oder Hausaufgaben machen. Lust hat er zu keinem davon. Er will am liebsten zu seiner Uroma. Durch die Sache mit den Briefen hat sie sich verändert. Oder hat er sich verändert? Er versteht sie nun ein bisschen besser. Sie ist ja mindestens so alt wie die Briefe selbst. Und wenn sie die Briefe vorliest, dann klingt sie wieder ganz jung. Vielleicht ist sie gar nicht so alt, sondern die Zeit ist so jung. Vielleicht ist ihr die Zeit davongelaufen wie eine Antilope einem Löwen. Und seine Oma schaut der Antilope nach und weiß, dass sie heute Nacht hungrig einschlafen wird.

Das Telefon klingelt. Per geht dran und meldet sich.

„Guten Tag, Per. Ich bin es“, kommt es von der anderen Seite.

„Uroma?“, fragt Per.

„Ja.“ Ihre Stimme klingt merkwürdig. Aufgeregt fast.

„Was ist denn?“, fragt Per.

„Etwas ist passiert. Etwas Verrücktes“, sagt sie.

„Etwas Verrücktes?“, wiederholt Per. So redet seine Uroma eigentlich nicht.

„Kannst du kommen?“, fragt sie.

„Klar. Aber was ist denn los?“, fragt er zurück.

„Ska hat geschrieben. Es gibt noch einen Brief.“

„Was? Ich komme!“, ruft Per ins Telefon. Hastig erklärt er seiner Mutter, was er vorhat. Dann wühlt er seine Sandalen aus dem Stapel von Schuhen neben der Tür und rennt das Treppenhaus hinunter.

Skas Briefe sind Vergangenheit. Sie kann keine Briefe mehr schreiben. Und er hat den Karton, in dem die anderen Briefe liegen, mehrfach durchgeschaut. Es sind keine mehr darin.

Vielleicht macht Uroma sich einen Spaß?!, denkt er, während er am Kanal entlangrennt. Aber das sieht ihr nicht ähnlich. Seine Uroma scherzt nicht. Sie ist eine ernste Frau. Vielleicht will sie ihn hereinlegen und hat jemanden gebeten, noch mehr Briefe zu schreiben? Aber warum sollte sie das tun? Wahrscheinlich hat ihr das Limonadetrinken gestern nur halb so viel Freude gemacht wie Per. Es ist ja ihre Limonade gewesen. Und es war auch ihre Stimme, die Per so sehr verzaubert hat. Sie kann Limonade trinken und sich selbst etwas vorlesen, sooft sie will.

Per biegt in die Straße, in der seine Uroma wohnt. Da fällt ihm ein, wie er herausfinden kann, ob der neue Brief echt ist. Die Handschrift! Diese altertümliche Handschrift, die wird ihm verraten, ob es ein echter Brief von Ska ist. Er klingelt unten an der Haustür, hört den Summer und rennt die Treppe hinauf. Seine Uroma wartet oben am Absatz.

Per winkt wild. Er vergisst ganz das Grüßen und das Händegeben, wie es seiner Uroma sonst so wichtig ist. Aber merkwürdigerweise stoppt sie ihn heute dafür nicht und weist ihn nicht zurecht.

„Per!“, ruft sie und drückt ihn nur kurz an sich.

„Wo ist der Brief?“, fragt er.

Und während er weiterläuft, fällt ihm auf, dass seine Uroma ihn so noch nie gedrückt hat. Der Stoff ihres Kleides ist glatter als alle Stoffe seiner Mutter, und sie riecht anders als seine Mutter. Sie riecht wie Seife, findet er.

„In der Küche“, ruft ihm seine Uroma nach und kommt hinterher. Und da liegt der Brief auf dem Küchentisch. Er ist gefaltet und steckt in einem Umschlag, aber er trägt keine Briefmarke. Auf dem Umschlag stehen zwei Worte. Per kann diese alte Schrift nicht lesen, aber als er die Worte sieht, ahnt er, was sie heißen. Er kann es nicht fassen.

„Was steht da?“, fragt er ungläubig.

„Für Per!“, sagt seine Uroma.

„Da steht Für Per? Wo kommt der Brief denn her?“, fragt er.

„Er steckte heute Mittag im Briefkasten“, gibt seine Uroma zurück.

Per zieht den Brief heraus. Er ist in der alten Handschrift geschrieben. Er ist in Skas Schrift geschrieben. Unfassbar!

„Lies vor!“, ruft Per. Er vergisst Bitte und Danke und sogar, sich hinzusetzen. Das macht dafür seine Uroma. Sie setzt sich und fragt: „Möchtest du etwas trinken?“


„Später. Bitte erst lesen!“, sagt Per.

Die Uroma faltet den Brief auseinander. Und Per kann nicht glauben, was er hört. Da schreibt ihm die kleine Ska, als wäre sie ein Mädchen aus seiner Klasse. Nein, nicht aus seiner Klasse. Denn von seiner Welt scheint sie keine Ahnung zu haben.

„Lieber Per“, beginnt seine Uroma mit Skas Stimme vorzulesen.

„Hab Dank für Deinen Brief …“

„Was?“, ruft Per dazwischen. Er hat seinen Brief an Ska als Aufsatz in sein Schulheft geschrieben, aber nie abgeschickt. Er hätte auch gar nicht gewusst, wohin er ihn schicken sollte. Und gezeigt hat er ihn auch niemandem. Wie kann sie von ihm wissen?

„Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass mir jemand geschrieben hat. Ich weiß gar nicht, wie lange es her ist. Und was Du schreibst, das verstehe ich nicht. Was ist denn ein Roller, mit dem Du herumfährst? So was wie ein Auto für Kinder? Und was sind Videoaufnahmen? Aufnahmen kenne ich. Das sind Photographien. Wir haben welche von unserer Farm machen lassen, und sie hängen in goldenen Rahmen neben der Tür. Aber Video? Es hat doch nichts mit Rodeo zu tun, oder doch? Sind es Aufnahmen von einem Stierkampf oder einem Pferdeturnier? Wie werden sie dann gemacht? Wir mussten ganz still stehen, als die Photographie gemacht wurde. Aber ein Bulle oder ein Pferd werden das ja nicht können. Kannst Du mir das erklären? Schreibst Du mir wieder?

Viele Grüße, auf bald, Deine Ska.“

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