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BEGEGNUNG MIT WOODY

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Eines Sonntags, wahrscheinlich Anfang Februar 1961, stand Bob endlich Woody Guthrie gegenüber, der längst von der Huntington-Chorea gezeichnet war. In Born To Win hatte Woody beredt über die Weise geschrieben, in der die Krankheit seine Mutter befallen hatte. Im November 1954 schrieb Guthrie aus dem Brooklyn State Hospital über sein eigenes Leiden:

Huntington-Chorea

Bedeutet, es gibt keine bekannte Hilfe

In der medizinischen Wissenschaft

Für mich

Und all euch andere Choreakranke

Denn all meine guten Krankenschwestern

Und all meine guten Medizinmänner

Und all meine guten Pfleger

Alle schaut ihr mich an und sagt

Mit euren Worten oder euren Blicken

Oder vielleicht mit eurem Flüstern

Es gibt einfach keine Hoffnung

Und kein bekanntes Heilmittel

Um mich von meiner Schwindel erregenden [unleserlich]

Namens Chorea zu heilen

Vielleicht kann sich Jesus irgendein Mittel ausdenken.[99]

Im Mai 1956 war Guthrie zur besseren Behandlung ins New Jersey State Hospital im Greystone Park verlegt worden. Sein Zustand verschlechterte sich, aber noch waren Ausflüge ins Village möglich. Am Sonntag, dem 26. Juli 1959, sammelten Folkmusiker, angeführt von Ralph Rinzler, John Cohen und Lionel Kilberg, an die zwei Dutzend Freunde und Fans, um Woody im Washington Square Park zu begrüßen. Umgeben von jungen Sängern lag Woody ausgestreckt auf einem Rasenstück und bat um einige seiner eigenen Songs und andere, die er mochte. Die Musiker brachten »Reuben James« und »John Hardy« und »Pastures Of Plenty«. Woody gab zu verstehen, wie sehr es ihm Freude machte, seine eigene Musik von jungen Musikern zu hören. Er war längst jenseits aller Hoffnung.

Im Sommer 1960 veranstalteten die Folksinger Logan English, The Clancy Brothers and Tommy Makem, Molly Scott und Martin Lorin einen denkwürdigen Tag für Woody in One Sheridan Square. Am 23. Oktober 1960, als sein Sohn Arlo Davy seinen 13. Geburtstag feierte, wurde Woody in ein Tanzstudio auf der 2nd Avenue gebracht. Ich wollte mit Woody reden, konnte aber nicht zu ihm durchkommen. Bei jedem »Ausflug« sahen wir Woody schwächer werden. Bald konnte er nicht mehr nach Manhattan kommen. Robert und Sidsel Gleason, die sich für die traditionelle Folkmusik begeistern konnten und in East Orange wohnten, nicht weit vom Greystone Park, begannen mit Sonntagstreffen für Woody. Bei einem dieser Treffen begegnete Bob, der oft bei den Gleasons war, endlich seinem ersten und letzten Idol.

Er fand den Poeten, der gesagt hatte, er sei »zum Gewinnen geboren«, nun als leidende Hülle vor. Guthries Hände zitterten, seine Schultern zuckten unkontrollierbar, und er sprach nur in kaum vernehmbaren Krächzlauten. Im Raum war noch ein Todgeweihter: Cisco Houston, lange Zeit Woodys Partner, stattete ihm seinen letzten Besuch ab. Seit fast zwei Jahren litt Cisco an unheilbarem Krebs, und Anfang 1961 musste er mit der Arbeit aufhören. Cisco beendete seine letzten Aufnahmen für Vanguard und sprach seine Tramp-Autobiographie auf Band. Etwa einen Monat nach dem Lebewohl in East Orange, nachdem er eben das Album I Ain't Got No Home aufgenommen hatte, reiste Houston ins Heim seiner Schwester in Kalifornien, wo er am 28. April mit 42 Jahren starb.

Woody saß mit stützenden Kissen im Rücken auf dem Sofa, während Cisco ihm zu sagen versuchte, dass sie beide am Ende ihrer Reise angekommen waren. Jack Elliott gab sein Bestes, damit nicht alle von Trauer überwältigt wurden. Dylan hielt sich zurück, der Spion, der jene beobachtete, die »busy dying«, und jene, die »busy being born« waren. Elliott erzählte mir später:

»Sooft ich in diesen Tagen mit Woody zusammen war, war Bob dabei. Seltsam … Bobby hing irgendwie in seinem Schatten rum, hat alles nur beobachtet, nur zugehört. Bob war damals schüchtern, weißt du. Das ist er noch immer. Aber von Anfang an konnte ich sehen, dass Bob von allem, was mit Woody zusammenhing, sehr stark beeinflusst war. Bob war vermutlich der Meinung, er könnte besser zu ihm durchkommen als ich, aber ich kannte Woody so gut, dass wir miteinander ohne Worte reden konnten. Bei Bob war es aber genauso. Er hat mir erzählt, er hätte das ›Feeling‹, mit Woody zu reden, das über Worte hinausging. Ich wusste sofort, was er meinte. Das war in den Tagen, als Bob zwischen East Orange und diversen Sofas in New York pendelte.« Jack spielte und sang für Woody, und Bob spielte ein oder zwei Songs. Unmittelbar nach diesem ersten Sonntagsbesuch schrieb er den »Song To Woody«.

Dylan behauptete, er habe Woody lange vor dem Tag in East Orange getroffen. »Ich habe Woody besucht«, sagte Dylan am 23. Oktober 1961, den Aufzeichnungen von Izzy Young zufolge, »sooft ich genug Geld hatte. Einmal habe ich ihn Kalifornien getroffen, bevor ich richtig angefangen hatte zu spielen. Ich glaube, Jack Elliott war bei ihm (Elliott, der die Zeit von 1955 bis 1959 in Europa verbrachte, reiste mit Guthrie herum, als Dylan 13 Jahre alt war). Ich war in Carmel und habe da nichts Besonderes gemacht. Als ich im Februar den ›Song To Woody‹ geschrieben habe, habe ich Woody das Papier gegeben, auf dem ich den Song geschrieben hatte. Woody mochte das Lied.« Am 1 … Februar 1962 lieferte Dylan eine neue Version für Izzys Chronik: »Ich habe Woody jetzt seit einem Jahr regelmäßig gesehen. Das erste Mal habe ich ihn getroffen, als ich 13 war.«

Elliott mochte Bobs Songs ebenfalls. Jack war immer ein wenig unsicher, leicht zu verletzen hinter seinem coolen Marlboro-Countrystil; aus diesem Grund studierte er alle Meister, junge wie alte. Elliott verbrachte in seiner Jugend so viel Zeit damit, Woody nachzuahmen, dass er erst in seinen Dreißigern er selbst wurde. Wie der Anthropologe John Greenway auf dem Umschlag des Prestigealbums Ramblin' Jack Elliott schrieb: »Ein bedauerliches Charakteristikum der in jüngster Zeit erfolgreichen Folksinger ist es, sich zu sehr auf die beschränkten Möglichkeiten des Originellseins zu verlassen … Jack dagegen hat so viel ›geborgt‹, dass er selbst zum repräsentativen Querschnitt des amerikanischen Folksongs geworden ist.«

Das Zitat passt ebenso gut auf die Phase von Dylan, in der er sich am meisten beeinflussen ließ. Van Ronk half Bob, Bücher und Großstadtstraßen zu erforschen, während Elliott Bob half, sich das Hinterland zu erschließen. Elliott roch nach Pferden, Leder und saddle soap. Er war ferner ein Bindeglied zwischen den Hobos der Dreißiger und den Beatniks der Fünfziger. Jack konnte die Tradition der Cowboys und Hobos für das städtische Publikum übersetzen, weil er selbst ein Junge aus der City war.

Ramblin' Jack Elliott wurde als Sohn eines jüdischen Arztes in Brooklyn als Elliott Charles Adnopoz geboren, zehn Jahre früher als Dylan; er beschrieb seine Geburtsstätte als »eine Ranch mit 15.000 acres Land mitten in Fiatbush, Brooklyn.« Mit neun Jahren verfiel er dem Westen, durch die Singing-Cowboy-Filme. Irgendwo zwischen dem Pferch von Flatbush und dem Westen beschloss er, ein singender Cowboy aus Brooklyn brauche einen amerikanischen Namen. Zunächst nannte er sich Buck Elliott, dann schließlich Jack Elliott. Um 1947 traf er einen Cowboy von einer Touristenfarm, Todd Fletcher, der ihm ein bisschen Gitarrespielen beibrachte. Als er 18 war, traf Jack Woody in Coney Island, und die nächsten fünf Jahre war er Woodys Schatten.

Acht Jahre bevor ich Dylan begegnete, lernte ich Elliott kennen, als er an der Adelphi-Universität zu studieren versuchte. Im Hörsaal wirkte er wie ein Heimatvertriebener. Zusätzlich zu seinem Pferdetick war Elliott verrückt nach Autos und Trucks. Typisch für ihn war ein Eingangsmonolog, wie etwa dieser: »Tut mir leid, dass ich zu spät dran bin, Jungs, aber mein oller Mack Truck hat den Geist aufgegeben, ungefähr zwei Meilen von hier. Ich hab alles versucht, um ihn wieder in Gang zu kriegen, aber die Kerzen bringen's nicht mehr und die Batterie ist schwach auf der Brust, und außerdem hab ich mir gedacht, der Spaziergang tut mir bestimmt gut …« Als Seemannsgarnspinner war Jack genauso gut wie als Sänger. Sein Tempo, die Abschweifungen und die hausgemachten Kadenzen à la Will Rogers ließen fast alles komisch wirken.

Nachdem er die Zeit von 1955 bis 1959 damit verbracht hatte, die Stimme des amerikanischen Folksongs in England zu werden, beschloss Jack heimzukehren. Izzy Young steckte ihn in ein Konzert in der Carnegie Chapter Hall am 18. Februar 1961 … Elliott war unzuverlässig und oft ohne Disziplin, aber sein Gesang war entschlossen, klagend und geschmeidig. Songs von Guthrie blieben sein Grundstock. Er konnte »The Ballad Of Tom Joad« mit einer Direktheit singen, die im Kaffeehaus Staub aufwirbelte. Er konnte Woodys witziges Kinderlied »Car Car« mit endlosen Abwandlungen vortragen. Manchmal mümmelte er Sätze, als ob er Tabak kaute. »Das ist ein Song, den ich in jeder Bar entlang von Route Forty gesungen habe«, sagte Elliott, und dann kam die Nationalhymne der Hobos: Woodys »Hard Travelin'«.

Nach einem Jahrzehnt als Woodys Jünger befasste Jack sich auch mit Blues und den Liedern von Hank Williams und ließ sich sehr beeinflussen von Jesse Fullers Harmonikastil, der auch Dylan erregt hatte. Jack machte Fullers »San Francisco Bay Blues« praktisch zu seiner Kennmelodie. Wie Dylan spielte Jack den Vagabunden, bis das keine Pose mehr war: Er hatte ein so gutes Ohr für Sprechweise, Lieder und Witz der amerikanischen Ebenen, dass er schließlich kein Citybilly mehr war. Ende der Sechziger blickte Elliott zurück:

»Ich bin zwar angeblich ein enger Freund von Bob, aber ich habe nie das Gefühl gehabt, ihm wirklich sehr nahe zu sein. Er hatte immer irgendwas anderes im Kopf, sogar als wir ziemlich viel Zeit zusammen verbracht haben. Ich bin da sehr romantisch veranlagt, deshalb rede ich mir gern ein, dass ich ein enger Freund von ihm bin. Wenn ich ihn treffe, bin ich ganz begeistert darüber, dass ich einfach so mit ihm reden kann - als ob ich einer von seinen Fans wäre und ihn vorher nie gesehen hätte.

Bob war äußerst sensibel, trotz der Mauer, die er um sich aufgebaut hatte. Ich weiß noch, wie ich ihn getroffen habe, nachdem seine erste LP rausgekommen war, sich aber nicht verkaufte. Er hatte seine ausgebeulten Levis an und sah ziemlich down aus. ›Ich muss weg von diesen Folksongs, lieber malen.‹« Elliott imitierte Dylan. »Bei Dylan sehe ich immer dieselbe Botschaft. Irgendwie sagt er immer: ›Lasst uns einfach alle die Welt als Künstler lieben … Lasst uns die Welt nicht in Pfunden oder Unzen oder Geld messen. Lasst uns einfach Künstler sein - hurra!‹«

Ob Jack Bob seinen Erfolg übel nahm? Elliott brütete einige Zeit darüber. »Er hatte einen wahnsinnig energischen Drive hin zum Erfolg, den ich nie hatte. Wenn er überhaupt jemand auf die Zehen getreten hat, um an sein Ziel zu kommen, dann hätte er mir drauftreten können; hat er aber nicht. Ich glaube, ich hätte es auch schaffen können«, sagte Jack. »Das macht mich nicht neidisch, das bringt mich bloß dazu, mich selbst zu hassen. Komisch, weißt du, aber eine ganze Weile ist Dylan manchmal ›der Sohn von Jack Elliott‹ genannt worden. Hin und wieder, wenn ich ›Don't Think Twice‹ oder sonst ein Lied von ihm gesungen habe, hab ich es so angekündigt: Jetzt ein Song von meinem Sohn, Bob Dylan.‹ Ich glaube, ich hab Bobby auch ein paar von meinen Songs beigebracht. Diese alten VD-Songs[100] von Woody, die man die jungen Kids nicht hören lassen wollte, die hat er von mir aufgeschnappt. Ich kann mich aber auch noch daran erinnern, wie Bob ein paar von den besten Hobo-Songs im Stil von Jimmy Rodgers sang, so was wie ›The Baggage Coach Ahead‹. Ein bisschen von dieser Traurigkeit war auch in Bobs Lied über Hibbing, weißt du, ›North Country Blues‹. Mir hat er das einmal in einem Taxi vorgesungen. Ich hab bloß gemeint, das wäre über irgendeine verlassene Grubenstadt; mir ist erst viel später klar geworden, dass es um Hibbing geht.«

Jack kippte einen Bourbon und versuchte, sich auf die Vergangenheit zu konzentrieren. In seiner Erinnerung herrschte großes Durcheinander, denn für ihn war »das Heute wie Gestern und Morgen in einem«. Als er das erste Mal nach Woodstock kam, um Bob zu sehen, »war es zwei Uhr morgens und ich war gerade zufällig in der Gegend. Sara, Sally (Grossman) und Bobby nahmen mich sehr warm auf. Er umarmte mich herzlich. Bobby ist schon sehr speziell. Er liebt es, Leute zu veräppeln. Man muss immer aufpassen, wie man ihm entgegentritt, denn ruck, zuck zieht er sich wieder in seine Schale zurück.«

Elliott tröstete sich damit, dass er er selbst bleiben durfte. »Bob war noch mehr verschlossen, wenn Albert (Grossman) dabei war. Bob ist allem und jedem gegenüber auf der Hut. Das war von Anfang an so. Alles, was Bob sagt, scheint er vorher probegelesen zu haben.«

Jack war noch immer stolz darauf, dass Bob bei Elliotts ersten Aufnahmen für Vanguard Harmonika gespielt hatte, zum alten Gospel »Will The Circle Be Unbroken?« Bob benutzte eines seiner Pseudonyme, Tedham Porterhouser. Und wie die Ironie des Schicksals es in ihrer Beziehung wollte: Bob wusste zunächst nicht, dass Jack ein Citybilly war. Wahrscheinlich im März 1961 traf Dylan mit dem Musiker und Verleger Barry Kornfeld und Van Ronk zusammen. Als sie darauf anspielten, dass Elliott ein jüdischer Cowboy aus Brooklyn sei - so berichtete es Van Ronk -, »ist Bobby vor Lachen fast vom Stuhl gefallen. Ihm schien das viel komischer vorzukommen als uns. Da wusste ich dann, zwei Jahre ehe Newsweek Bobs Hintergrund enthüllte, dass auch Bobby ein Schauspieler war. Er hat aber nichts dazu gesagt. Er hat nur gelacht, bis ich dachte, er würde gleich platzen.«

Jack stand Bob auch Modell als loser Herumtreiber, als »Easygoing Drifter«. Zwar wusste Dylan, dass zu viel Gammeln nur Zeitverschwendung war, aber er wusste auch, dass ein Eindruck von ziellosem Herumhängen die Leute kommunikativ machte und entspannte. So lernte Bob, seine Absichten zu verbergen.

Seit Jahren sehnte sich Jack danach, in einem Film die Rolle von Woody zu spielen. Wie er Newsweek erzählte: »Das kann außer mir wirklich keiner. Ich muss es wissen - schließlich spiele ich die Rolle jetzt seit zehn Jahren.« Der Part, den Elliott so meisterlich beherrschte, wurde Dylan im Januar 1968 und erneut Anfang 1975 angeboten. Dylan lehnte ab, und die Rolle ging an David Carradine.

Bob Dylan - No Direction Home

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