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A 'FOLK A 'CITY

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Auf der West 4th Street Nr. 11, eine Meile östlich der MacDougal, zwischen der alten Boheme des West Village und dem East Village der Hippies, stand ein schäbiges sechsstöckiges Sandsteingebäude von 1889, früher eine Spritzpistolenfabrik. Im Erdgeschoss befand sich ein Nachbarschafts-Saloon, in dem Einheimische und Umherirrende am Lower Broadway ihrer Einsamkeit mit einem Bier und einem Sinatra-Song aus der Jukebox entfliehen konnten. Das Lokal nannte sich Gerde's, nach seinem wohlhabenden Besitzer im 19. Jahrhundert. Seit 1958 wurde der Saloon von Mike Porco geleitet, einem sanftmütigen Kalabreser mit dünnem Schnauzbart, starken Brillengläsern und noch stärkerem Akzent. Der Saloon-Inhaber und sein Bruder John waren 1933 aus dem verarmten Zeh des italienischen Stiefels ausgewandert. Mike war 1952 im Village gelandet und konnte von Gerde's recht und schlecht leben. Ein paar Mal hatte er mit Bongospielern und dem Avantgarde-Jazzer Cecil Taylor experimentiert.

Ende 1959 kamen zwei Männer mit einem Vorschlag zu Porco, durch den der schläfrige Saloon für vier Jahre zu einem blühenden Club wurde. Tom Prendergast, ein Geschäftsmann aus New England, und Israel G. Young, Eigentümer des Folklore Center - Musikgeschäft, Treffpunkt und Gerüchteküche in der MacDougal Street 11o - hatten sich nach einer Möglichkeit umgesehen, Folkmusik auf die Bühne zu bringen. Sie waren bereit, für einen Anteil an den Eintrittsgeldern die Show im Gerde's zu organisieren. Tom und Izzy beschlossen, den Club The Fifth Peg zu nennen, nach dem Bordunwirbel des fünfsaitigen Banjos. Im Januar 1960 eröffneten sie den Club als »New Yorks Zentrum der Folkmusik«. Mehrere Monate lang, nach dem Eröffnungsprogramm mit Ed McCurdy und Molly Scott, drängten sich Balladensänger und Instrumentalisten auf der engen Bühne. Musiker und Fans sammelten sich, aber Izzy Young, ein astigmatischer Visionär, schien nicht imstande, irgendetwas mit Profit zu verkaufen. Er führte Tagebücher mit allen möglichen Details aus der Folkszene und liebte seine Rolle im Village als Mentor für junge Folkenthusiasten. Ihre Unerfahrenheit als Produzenten zwang Izzy und Prendergast, den Fifth Peg nach drei Monaten aufzugeben. Sie hatten erstklassige Leute geholt, wie etwa The Clancys, The Tarriers, Brownie McGee und Sonny Terry, aber Young und Prendergast verloren Geld, während Mike Porco, der eine Ballade kaum von einer Bologneser Wurst unterscheiden konnte, mit den Getränken Gewinne scheffelte.

Im Februar 1960 führte Mike im Fifth Peg etwas ein, was er »Amateurabend« nannte. Jeden Montag traten eifrige junge Musiker gratis vor vollem Haus auf. Ich legte Mike nahe, diesen Abend »Hootenanny« zu nennen. Als Prendergast und Young ausstiegen, übernahm Porco das Management und benannte den Club neu: Gerde's Folk City. Als seinen »Talent-Koordinator« heuerte er Charlie Rothschild an, einen jungen Manager, der später mit Grossman zusammenarbeitete. Nach dem bemerkenswerten Beginn mit Cisco Houston und Reverend Gary Davis, einem berühmten, blinden »Holy Blues«-Sänger, blieb Gerde's dabei, nur seriöse Folktalente zu engagieren.

Izzy Young erholte sich nie von seiner Niederlage mit dem Fifth Peg. Eines Tages tauchte Charlie Rothschild zu einem Schwatz im Folklore Center auf. Ohne Vorwarnung boxte Izzy ihm ins Gesicht. Trotz Zänkereien und Bitterkeit blühte Folk City auf. Obwohl Musiker nur nach Gewerkschaftstarifen bezahlt wurden, rissen sie sich darum, dort aufzutreten. Rothschild ging nach einem Krach mit Porco, und bald engagierte Mike selbst die Talente, wobei er seine Kunden nach ihren Vorlieben befragte.

Mike nutzte seine »Hoots« als öffentliche Proben; dabei hörte er oft nicht auf die Musik, sondern nur auf den Applaus. Eine Folksängerin trat auf, während Mike in der Küche Sandwiches machte. »Sie haben mich ja überhaupt nicht gehört«, beklagte sich die Frau. »Ich habe das Klatschen gehört«, sagte Mike. »Sie können hier ein paar Wochen auftreten.« Ein nicht geringer Teil von Porcos Charme verdankte sich der Tatsache, dass er nie richtig Englisch lernte. Er nannte seinen neuen Club »A'Folk A'City«, und einmal gab er telefonisch eine Annonce in The Village Voice auf, die zwei Wochen lang lief und Anita Sheer als »Flamingo Singer« statt als »Flamenco Singer« ankündigte. Ein anderer Musiker, der in mehreren Sprachen sang, war der Werbung zufolge »A Linguistical Folk Singer«.

Wenn Mike auch sein Englisch immer, seinen Whisky gelegentlich und seine Musikergagen oft verwässerte, war er doch gewöhnlich empfänglich für neue Talente. »Gib ihnen eine Chance« war sein Arbeitsmotto, und »je neuer, desto billiger« seine Finanzpolitik. Als im März 1961 einer seiner Stammgäste, Mel Bailey, Mike bedrängte, Bobby Dylan eine Chance zu geben, zeigte Mike Interesse. Er mochte Bobby, fürchtete jedoch, er sei zu jung. Ein Dylan-»Konzert« am 5. April in einem Universitäts-Folkclub sorgte für überzeugenden »Ruf«. Mel und seine Frau Lillian, eine Modedesignerin, führten ihre Kampagne fort, unterstützt von den MacKenzies. Eve MacKenzie versprach, wenn Mike Bobby engagierte, würde sie all ihre Bekannten anrufen und zusammentrommeln. Schließlich gab Mike Bob einen zweiwöchigen Auftritt, beginnend am 11. April, zusammen mit John Lee Hooker, einem Mississippi-Bluesman, der jahrelang in Detroit gearbeitet hatte. Es war Dylans erster richtiger Job in New York, es war die reinste Ekstase für ihn.

»Als Bobby zu seinem ersten Job herkam«, erzählte mir Mike Jahre später, »wusste ich nicht, ob er genug zum Anziehen hatte. Ich habe ein paar alte Kleider von meinen Kindern genommen und sie dieser Frau, Camilla Adams, gegeben, weil ich wusste, dass sie Bobby sehr gern hatte, wie eine Mutter. Ich glaube, er wollte damals dieses Arbeiterhosenimage, aber meine Kinder hatten keine, deshalb glaube ich, Camilla hat Bobby diese Arbeiterhose gegeben. Dann habe ich ihn mitgenommen zur Gewerkschaft, der American Federation of Musicians, Local 802, weil er da eintreten musste, um spielen zu können. Der Gewerkschaftssekretär, Max Aarons, hat Bobby ein Formular gegeben, und ich habe das Geld für die Aufnahme hingelegt. Max hat zu Bobby gesagt: ›Mike erzählt mir so viele Dinge über Sie. Er will, dass Sie der Gewerkschaft beitreten, und er meint, dass Sie ein Star werden. Was meinen Sie denn?‹ Darauf sagte dann Bob: ›Also, ich will mein Bestes tun.‹ Max hat dazu gelächelt: ›Wenn ich Sie in die Gewerkschaft aufnehme und Sie ein Star werden, was werden Sie dann für mich tun?‹ Bobs Antwort war: ›Also, wenn ich das je schaffe, werde ich alles tun, was ich nur tun kann.‹ Jetzt ist Max Vorsitzender der Gewerkschaft«, sagte Mike, als ob Dylan tatsächlich dabei geholfen hätte.

Mike fuhr fort. »Die haben ihn auch gefragt, wie alt er ist, und damals war er erst 19, glaube ich. Der Gewerkschaftsmann sagt, wenn du keine 21 bist, musst du deinen Vater mitbringen, um die Papiere zu unterschreiben. Bob sagt, sein Vater und seine Mutter seien nicht da. Also sieht der Gewerkschaftsmann mich an und fragt: ›Na, was sollen wir denn jetzt tun?‹ Ich wusste, dass seine Eltern in einem anderen Staat lebten; außerdem hatte ich das Gefühl, dass er ausgerissen war. Deshalb habe ich die Papiere als Bobs Vormund unterschrieben; das war sein erster Vertrag. Bobby hat sich an dieses Buch mit der Mitgliedschaft geklammert, als ob es die Bibel sei. Im Rausgehen sagte ich zu ihm: ›Bobby, jetzt müssen wir uns um die Clubzulassung kümmern.‹ Er musste ein paar Bilder machen lassen. Wir sind zu einem dieser U-Bahn-Fotoautomaten an der 6th Avenue gegangen. Sein Haar war ziemlich wüst, deshalb habe ich ihn gefragt, ob er es sich kämmen will. Bob sagte: ›Ich kämme mich nie.‹ Da habe ich ihm meinen Kamm gegeben, aber er hat in den Spiegel gesehen und gezögert. Er hat gemeint, mit wüsterem Haar sähe er besser aus.«

Dylan hatte damals eine Theorie: »Je mehr Haar du außen am Kopf hast, umso weniger Haare verstopfen dir das Innere des Schädels. Auch Bürstenschnitte sind schlecht; all das Haar, was dann um dein Gehirn rumklebt. Ich lass mir das Haar lang wachsen, dann wird der Kopf frei zum Denken, und ich werde weise.« Mike erzählte weiter: »Ich glaube, dass er sogar damals an sein Image gedacht hat. Jedenfalls hat er sich dann doch etwas gekämmt, für das Bild, und ich habe ihm zwei Dollar gegeben, für die Zulassung. Er ist wiedergekommen und war so glücklich, als ob er den Jackpot gewonnen hätte. ›Mike‹, sagt er, ›ich hab die Zulassung!‹ War der glücklich! Er war ein ganz lieber Kerl. Bei mir haben viele angefangen. Peter Yarrow hat mir mal gesagt: ›Mike, dein Laden ist ein Volltreffer.‹ Die Leute, die in meinem Laden begonnen haben, haben alle ein Vermögen gemacht - Bobby, Peter, Paul and Mary, Jose Feliciano, Simon & Garfunkel. Ich wollte, ich könnte ein Zehntel von dem machen, was die machen.«

Mike sagte, er habe Bobby ein bisschen mehr als den gewerkschaftlichen Tarif von 90 Dollar die Woche gezahlt. Dazu die alten Klamotten, Sandwiches und Getränke. Bob dachte nur noch daran, dass sein Name in New York nun auf einem Veranstaltungszettel mit dem von John Lee Hooker stand, einem der großen Bluessänger. Seine Hochstimmung verflüchtigte sich bald, als er für teilnahmslose oder lärmende Betrunkene sang und die bissigen Bemerkungen neidischer Musiker hörte. Aber seine Clique von Freunden und Fans wuchs ständig.

Bob begriff, wie viel er noch über Auftritte zu lernen hatte, wie viel gründlicher er seine Songs würde erarbeiten müssen. Kein einziger Vertreter einer Plattenfirma tauchte auf. Es wurmte ihn, dass ich, damals Konzertkritiker der New York Times, eher damit beschäftigt gewesen war, Hooker zu lauschen und ihn zu interviewen, anstatt mir seine eigenen Nummern anzuhören.

Am Ende des Auftritts im Gerde's suchte Bob eine Möglichkeit, seine Sachen aufzunehmen. »Ich bin zu Folkways gegangen«, berichtete Dylan später. »Ich sagte: ›Hallo. Ich hab ein paar Songs geschriebene Die wollten sie nicht mal anschauen. Ich hatte immer gehört, Folkways wäre 'ne gute Adresse. Irwin Silber hat aber nicht mal mit mir geredet, und Moe Asch hab ich nie zu Gesicht bekommen. Die haben bloß gesagt ›Hau ab‹. Und ich glaubte, Sing Out! wäre hilfreich und freundlich, weitherzig und wohltätig. Ich dachte, da wär ich richtig. Ich muss aber im falschen Laden gewesen sein, obwohl Sing Out! auf der Tür stand.«

Dylan konnte das nicht verstehen; sollte nur eine Handvoll Leute an ihm Interesse haben? Nach einem weiteren Besuch bei Guthrie und einem Trip zu einem Folkfestival in Branford, Connecticut, im Mai, reiste er nach Minnesota. Vor seiner Abreise vertiefte ein weiterer Job in New York seine zeitweilige Verzweiflung. Ein junger Promoter, der Bob in Chicago kennengelernt hatte, besorgte ihm einen seltsamen Job in einem Hotel auf der unteren 5th Avenue, wo er für einen Kiwanis-Club[98] spielte. Wie Dylan es später beschrieb, war es Desolation Row Take 115: »An dem Abend gab's jede Menge verschiedene Auftritte, wenn aber jemand sang, traten gleichzeitig Clowns auf. Die Clowns wurden bezahlt, die Musiker nicht. Ich konnte mich nicht mal selbst hören. Ein Clown ging auf mich los und kniff mir in die Wange. Ich hab ihm in die Eier getreten, und niemand hat's gesehen - die anderen Clowns haben mich dann in Ruhe gelassen.«

Die Reise nach Westen nach Dinkytown und Madison, Wisconsin, war für Bob entscheidend. Dennoch wurde ihm klar, dass immer noch New York die Hürde war, die er überspringen musste. Bei seiner Rückkehr im Juni begann er sechs Monate intensivster Arbeit. Gleichzeitig versuchte er, zielstrebig Kontakte zu knüpfen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1961 wurde aus dem provinziellen Folknik ein professioneller Musiker.

Bob Dylan - No Direction Home

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