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»Wie fühlt sich das an / Ganz auf sich gestellt zu sein / In keiner Himmelsrichtung ein Zuhause / Wie einer, den niemand kennt / Wie ein rollender Stein?«

Dylan, 1965[72]

Kurz nach seiner ergebnislosen Begegnung mit der Bobby-Vee-Band in Fargo im Sommer 1959 landete Dylan in einer rekonstruierten Goldboom-Stadt des 19. Jahrhunderts hoch in den Rockies, wo er in einem schäbigen Striplokal sang. Bob und seine Familie erzählten mir, er sei nach Denver und Central City gegangen, ehe er sich in Minnesota immatrikulierte.

Beim ersten Mal legte er die 25 Meilen von Denver nach Central City per Bus und Anhalter zurück. Für ihn war es die Wiedergeburt des Wilden Westens - Goldminen, Sheriffs, Gebäude wie aus einer Filmkulisse. Jahre später fuhr er mit mir voll sentimentaler Erinnerungen den kurvenreichen Highway 8 ab. Die früher lebenswichtige Verbindung nach Denver - von dort kamen Lebensmittel herauf, nach dort flossen goldene Nuggets ab -, führte durch verkümmerte, erodierte Hügel, war nur noch eine Touristenstraße.

Bob saß neben mir auf dem Beifahrersitz; er schonte sich für das Konzert in Denver. Er sah aus wie auf dem Cover von Blonde On Blonde; er stilisierte sich mit einem magischen Nimbus, den Hendrix und andere bald nachahmten. Dabei half ihm sein hageres, von Erschöpfung gezeichnetes Gesicht. Ich erwähnte ein paar alte gemeinsame Bekannte, die sich gerade hatten scheiden lassen. »Sind sie denn jetzt glücklicher?«, fragte er, die Augen immer noch auf die Straße gerichtet.

Nach ein paar weiteren Kurven waren wir im Jahr 1859: verwitterte Steingebäude, Knusperhäuschen aus Holz an Berghängen. Dylan sagte: »Als ich das erste Mal hier raufgekommen bin, schien Central City so weit von allem entfernt zu sein, was ich je gesehen oder gemacht hatte, dass es für mich eine Art Zauber war.« Im Mai 1859 fanden hier neun Schürfer aus Georgia unter der Führung eines gewissen John Gregory Gold. Gregory's Diggings, wie der Platz genannt wurde, wimmelte innerhalb von drei Monaten von 20.000 Leuten. Bergleute aus Cornwall brachten ihre Liebe zur Musik mit. Der erste lokale Hit war »Paddy Casey's Night Hands« über einen legendären irischen Bergmann. Ein Opernhaus wurde 1878 gebaut. Am örtlichen Aufschwung Interessierte nannten die Stadt »das amerikanische Salzburg«. Als Dylan zum ersten Mal hinkam, gab es große jährliche Musikfestivals.

Wir parkten nahe dem alten Gerichtsgebäude, wanderten die Eureka Street hinunter zur Main Street. »Hier hat sich nichts verändert. Es ist fast genauso wie damals«, sagte Bob. Wir kamen an der Oper vorbei, wie eine Filmcrew, die den Drehort abschätzt. Ein paar Touristen glotzten Dylan an. Ein Teenager kreischte: »Was macht der denn hier?« An der Main Street fand sich eine kleine, dunkle Bar. Sie hatte große runde Vorderfenster, die einem Goldfischbecken glichen. Dylan spähte durchs Glas und sagte: »Hier war es. Ich war immer nur Minuten mit meinen folky Songs auf der Bühne. Als die Nacht älter wurde, wurde die Luft dicker, das Publikum wurde betrunkener und mieser, mir wurde immer schlechter, und schließlich wurde ich gefeuert.«

Langsam verließen wir den Saloon. »Ach, das hat bloß ein paar Wochen gedauert«, sagte Dylan, »aber ich glaube, ich werde es nie vergessen. Die haben mir sehr wenig gezahlt, aber die haben Sandwiches und Getränke draufgelegt. Dann gab es all die Stripperinnen zu sehen, und die grölenden Besoffenen gab's gratis.« Als wir nach Denver zurückfuhren, grübelte er. »Die Zeit ist so schnell vergangen. Kommt mir fast so vor, als ob das jemand anderem passiert wär.«

1959 hörte Bob von Monte Edwardson, einem Mitglied der Golden Chords, um Denver herum gebe es eine lebendige Folkmusikszene in den örtlichen Kaffeehäusern. Er beschloss, dort sein Glück zu versuchen. Die Exodus Gallery Bar, Lincoln Street Nr. 1999, war der Treffpunkt der örtlichen Beatniks, Künstler und Dichter, zu denen sich auch ein paar geschniegelte Collegestudenten gesellten. Die Avantgardisten von Denver kamen ins Exodus zu Kunstausstellungen, Lyriklesungen und Folksessions. Dylan schlich ein paar Wochen herum. Gab es etwas Großartiges zu entdecken? Da war ein Ableger des Kingston Trios, das Harlin Trio - drei Studenten mit Bürstenschnitt -, zuverlässig öde und unoriginell. Zu den weiteren lokalen Talenten gehörte George Downing, ein Mathematiklehrer, der einschläfernde Cowboylieder sang. Dave Wood, geboren in Schottland und aufgewachsen auf Hawaii, war ein graduierter Student; er imitierte mexikanische Gesänge und Rezitationen. Ein Sänger aus dem Exodus bot Bob an, ein paar Wochen mit ihm seine Bude zu teilen. Walt Conley, ein großer freundlicher Schwarzer aus Nebraska, hatte in den späten Vierzigern Folksongs von Pete Seeger und dem Komponisten Earl Robinson gelernt. Von Walt übernahm Bob angeblich einen Anti-Ku-Klux-Klan-Song mit dem Titel »The Klan«. Dylan und Walt zerstritten sich wegen eines Mädchens, hinter dem sie beide her waren. Und dann auch, weil plötzlich ein Stapel von Walts Lieblingsplatten verschwunden war. »Ich bin aus Denver rausgeschmissen worden«, erzählte mir Dylan ohne Reue. »Ja, ich bin aus Denver rausgeschmissen worden, weil ich jemandem die Bude ausgeräumt haben soll.«

Zwei Musiker aus Denver beeinflussten Dylan. Der Liebling des Exodus war die 19-jährige Judy Collins. Mit ihrem warmen, strahlenden Alt begann die klassisch ausgebildete Sängerin Ende 1959 eine lange Karriere. Zwei Songs, die Judy damals sang, erschienen auf Dylans erster LP: »House Of The Rising Sun« und »Maid Of Constant Sorrow«.

Judy wurde eine der ersten und besten Interpretinnen von Dylan-Songs. Bob traf außerdem einen temperamentvollen, alten Musiker, den inzwischen verstorbenen Jesse Fuller, der oft im Exodus spielte. Fuller, geboren 1896 in Jonesboro, Georgia, vermischte traditionelle Songs und Blues mit seinen eigenen Kompositionen, mit ländlichem Ragtime und einfacher »Stimmungs«-Musik. Er war eine Einmannkapelle, spielte eine zwölfsaitige Gitarre, Becken, Harmonika und seine eigene kuriose Erfindung, die »Footdella«, eine mit dem Fuß betriebene Perkussionsmaschine, die gleichzeitig eine Trommel schlug und einen improvisierten Bass zupfte. »The Lone Cat«, wie er sich nannte, sprudelte vor Vitalität und Witz. Dylan schaute genau hin, wie Fuller Harmonika und Kazoo in einem um den Nacken geführten Metallhalter vor dem Mund anbrachte, so dass er schnell zwischen Gesang und Riffs auf der Mundharmonika wechseln konnte. Dylan fragte Fuller aus und lernte dann, Harmonika in diesem eigenartigen Halter zu spielen.

Bob räumte ein, dass seine wenigen Auftritte im Exodus und anderen Clubs in Colorado nichts Bedeutsames waren. Immerhin verschaffte er sich so einige Erfahrungen und ein wenig Ansehen, wenn auch kaum Geld. Colorado gab ihm die notwendige Anonymität und damit eine Chance, seinen Hintergrund zu romantisieren. Seiner Familie erzählte er, in Denver habe man ihn geschätzt und akzeptiert. Als seine Eltern ihn nach Minneapolis schickten, glaubten sie immer noch, das College würde ihn von seinem Musikzwang heilen.

Bob Dylan - No Direction Home

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