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Dylan und Mary Travers beim Newport Folk Festival 1963. © Jim Marshall Photography LLC

COWBOY IN KAFFEEHÄUSERN

So sah Dylan sich zwei Jahre nach diesen Anfangsmonaten des Jahres 1961. 1966 bat er mich jedoch, die Story zu korrigieren. Damals versuchte er, sich als Stadtcowboy zu porträtieren, der um den Times Square herumhing und riskante Jobs übernahm. »Ich hab alle verarscht, als ich nach New York kam«, sagte Dylan. »Ich hab den lieben Jungen gespielt. Am Anfang bin ich nicht ins Village gegangen. Ich hab einen Freund …, der ist jetzt Junkie. Wir sind zusammen nach New York gekommen. Er hat Stücke geschrieben. Wir haben an der 43. Straße zwei Monate rumgehangen und schnelles Geld gemacht und dafür alles getan.[94] Ich bin im Dezember 1960 per Anhalter hergekommen. Ins Village bin ich im Februar gegangen. Aber ich war hier, in New York, seit Dezember. Leute angemacht hab ich mit diesem Typ. Ich hab keine Angst vor Leuten, klar? Manchmal haben wir zwischen vier Uhr nachmittags und drei oder vier Uhr morgens 'nen Hunderter zusammengekriegt. Zusammen haben wir es manchmal nachts auf 150 oder 250 gebracht und in Bars rumgehangen. Typen haben uns aufgelesen, und die Miezen haben uns aufgelesen. Und wir haben alles gemacht, was verlangt wurde, solange nur was dabei rauskam. Es war ziemlich mörderisch. Aber man muss 'ne ganze Menge springen lassen, bloß um irgendwo rumhängen zu können, deshalb ist letzten Endes eigentlich nicht viel dabei rausgekommen. Am Ende sind wir ins Village gegangen. Und ich hatte die Gitarre. Eine Bleibe hatte ich nicht, aber das war kein Problem. Die Leute haben mich aufgenommen.«

Ob es ein gefährliches Leben gewesen sei, da am Times Square? »Da bin ich beinahe umgebracht worden«, erwiderte Dylan, »bevor ich ins Village gegangen bin. Ich hatte nicht vor, in New York zu bleiben. Ich bin ja auch im Frühjahr weggegangen und wollte nicht zurückkommen. Ich bin dann zurückgekommen, weil ich New York vermisst habe. Es gab eigentlich keinen anderen Ort, wo ich wirklich hin konnte. Die ersten Lokale, in denen ich gespielt habe, waren auf der 44. und 43. Straße, zwischen Broadway und 8th Avenue. Keiner im Village wusste, dass ich im Zentrum diese Aufreißerei durchgezogen hatte.«

Was auch immer in diesen zwei Monaten nahe dem Times Square geschehen ist, Dylan kam Anfang Februar im Village aus der U-Bahn, ehrgeizig und wild entschlossen. Sein Aussehen hatte sich seit der Zeit in Minneapolis kaum verändert - immer noch schmächtig und hager, in Jeans, Lammfell und Wildleder. Die Leute im Village adoptierten ihn buchstäblich. Dem äußeren Anschein nach brauchte er so viel Liebe und Fürsorge, dass er in vielen, denen er begegnete, geschwisterliche oder mütterliche Gefühle weckte. Dylan steckte bereits bis über beide Ohren in der Folkmusik, und seine Stiefel versanken bald tief in der Beatlyrik. Hugh Romney, der Komiker, Poet und Phantast, war damals eine Größe auf der MacDougal Street. Dylan kam mit einem sehr geringen Beatvokabular an. Sechs Monate später redete, spöttelte und »dig«-te er wie Romney. »Dig yuhself«, möge dich selbst, wurde Dylans Kennwort, wie es Romneys gewesen war. Die Beatdichter arbeiteten Seite an Seite mit den Folkgitarristen. Wo der Romantizismus von Whitman, Sandburg, Guthrie, Kerouac und Ginsberg endete, begann der neue der städtischen Folksingers.

Mitte der Fünfziger hatte die Ehe zwischen moderner Lyrik und Jazz schon kurze Flitterwochen in San Francisco erlebt. Die Vereinigung von Lyrik und Folkmusik in Greenwich Village, zwischen 1961 und 1963, hielt länger an, was zum größten Teil Dylan zu verdanken war. Als er seine »11 Outlined Epitaphs« für sein zweites Album (Februar 1963) schrieb, hatte er bereits Folk-und Beatlyrik miteinander verschmolzen. Im Epitaph über Guthrie werden Dylans frühe Tage in New York mit Woodys Ankunft aus dem Westen verknüpft. Im Gedicht finden sich Anklänge an François Villon - »ah where are those forces of yesteryear?«[95] - und von Pete Seegers »The Bell Of Rhymney« - »the underground's gone deeper / says the old chimney sweeper«[96]. Am Ende des Textes hat Dylan sich weit von Widerhallen entfernt und führt seine eigene Parade an:

an so I stepp back t' the street

an' then turn further down the road

poundin' on doors …

without ghosts by my side

t' betray my childishness

t' leadeth me down false trails

an' maketh me drink from muddy waters

yet it is I

who is poundin' at your door

if it is you inside[97]

(und deshalb geh ich zurück auf die Straße / und dann weiter die Straße runter / und hämmer an Türen … / ohne Geister neben mir / meine Kindlichkeit zu verraten / zu führen mich falsche Fährten entlang / und mich trinken zu machen aus trüben Wassern / trotzdem bin ich es / der an deine Tür hämmert / wenn das da drin du bist)

Dylan klopfte auf seinem Weg an zahllose Türen an der MacDougal Street. Das Commons, das Gaslight, das Cafe Wha? und das Folklore Center hatten sämtlich Türen, die auf die MacDougal Street gingen, eine dunkle, hektische neue Hauptstraße, die ganz Dinkytown provinziell wirken ließ. MacDougal Street roch nach Romanze, Kunst, Unabhängigkeit, Cappuccino und Bratwurst. Dylan war der Typ des hungrigen Einwanderers, der in einen Sandwichladen an der MacDougal gehen und ein Sandwich für den Antihelden verlangen mochte. Zu den Leuten bekam er sofort Kontakt. Keiner schien seine Reisegeschichten anzuzweifeln oder seine Freundschaften mit obskuren schwarzen Sängern wie Big Joe Williams oder Mance Lipscomb.

Dylans Markenzeichen war eine eigenartige kleine und schwarze Cordmütze, die er immer und überall trug. Sie war Halt, Merkmal und zufälligerweise auch Kleidungsstück. Mit dem leicht gewölbten Deckel, dem kurzen Schirm und der ganzen Fasson ähnelte sie einer holländischen Jungenmütze oder der Kappe, wie sie Einwanderer aus Osteuropa beim Betreten von Ellis Island getragen hatten. Bis Mitte 1962 trug Dylan seine Mütze auf der Bühne und privat; dann gab er sie dem Sänger Dave Van Ronk als Andenken. Tripler, der elegante Herrenausstatter auf der Madison Avenue, verkaufte später eine ähnliche Version. Arthur's, die Diskothek in Manhattan, hatte ein Exemplar in einem Glaskasten, davor ein Schild: Ja, den Hut haben wir hier vorrätig. Ich fragte Bob, wo und wieso er diesen Hut aufgetrieben habe. »Den hab ich irgendwoher. Den hab ich angeschafft, Mann, um den Kopf warm zu halten«, sagte er grinsend.

Unter den ersten, die Dylan adoptierten, war ein Ehepaar mittleren Alters, Eve und Mac MacKenzie, von der East 28th Street, nahe dem Bellevue Hospital. Die MacKenzies waren handfeste, großzügige Leute, die in Bob einen Sohn fanden. Mehrere Monate lang nannte Dylan oft ihr Heim das seine. Mac MacKenzie war ein trinkfester, Geschichten erzählender Hafenarbeiter. Bob erinnerte sich: »Ich hab dabei kein gutes Gefühl, dass ich sie nie wieder gesehen habe. Da sind auch noch Mel und Lillian Bailey. Ich liebe diese Leute. Jedes Mal, wenn ich an sie denke, tut es mir weh, weil ich es nie schaffe, sie zu besuchen. Mel ist Arzt. Bei Lillian weiß ich das nicht mehr. Die sind mir wahnsinnig teuer … Die haben mich aufgenommen, haben mich bei ihnen schlafen lassen, Mann, als sie nichts hatten, außer einem einzigen Raum. Die haben mir alles gegeben, Mann. Das kann ich nie gutmachen. Ich hab's versucht, oft. Jedes Mal, wenn ich auf den Namen von so jemand stoße …« Er wurde düster und schweigsam.

Dylans erster Auftritt im Village war im Kaffeehaus Commons. Von diesem Meilenstein schrieb er Tony Glover, schickte ihm eine Fotokarte von Woody Guthrie und schwärmte von der Begegnung mit ihm (»Der Größte, Heiligste, Gottähnlichste auf der Welt«) und Jack Elliott.

Das Commons war ein langgestreckter Kellerclub westlich von der MacDougal, nahe Minetta Lane. Zeitweilig war der Club auch bekannt als The Fat Black Pussycat und The Feenjon. Als Dylan in die Kaffeehauslaufbahn eintrat, rang bereits eine Armee von Folkmusikern um Anerkennung. Die Folkmusik schleppte ihre Countrystiefel durch Manhattans Nachtleben, vom dreckigsten Espressoladen im Village bis zum Waldorf-Astoria Hotel. Währenddessen widmete das Konzertpublikum seine Aufmerksamkeit einer launischen, sensitiven Folksängerin namens Joan Baez. Nach ihrem gutorganisierten Debüt beim Newport Folk Festival 1959 baute ihre Plattenfirma, Vanguard, sie für ein größeres Publikum auf. Joan, Pete Seeger und das Kingston Trio waren damals wirklich »gemachte« Folksänger - Profis mit Aufnahmen, Managern und Konzertreisen. Die Villagetruppe, zu der Dylan stieß, waren Unbekannte, die den Durchbruch versuchten. Im Thirdside, einem Kaffeehaus auf der 3rd Street, war »den Hut rumgehen lassen« die einzige Möglichkeit, Gage für einen Abend zu bekommen.

Einige, die dort auftraten, waren engagierte Künstler, andere sahen Folksongs nur als Möglichkeit, ins Showgeschäft zu kommen. Starlets, ausstaffiert mit Honigstimme und Goldlame, nahmen ebenso ihre Chance wahr wie herausgeputzte Sänger und Schauspieler, denen der Folk völlig fremd blieb. Im Cafe Wha? erzählte mir Len Chandler, ein redegewandter und charmanter schwarzer Sänger, er habe seine klassische Ausbildung verworfen, um hier die Musik seines Volkes wiederzuentdecken.

Auf der Bleecker Street hatte ein freudloses Bistro namens The Cock 'n' Bull finanzielle Probleme, trotz solch talentierter Musiker wie Bob Gibson. Später machte ein ehemaliger Werbemann und künftiger Filmproduzent, Fred Weintraub, aus dem Club das erfolgreiche Bitter End. Der Gitarrist Dick Rosmini bemerkte: »Die Kaffeehäuser sind die grausamste Schule, die es gibt. Aber es ist eine wunderbare Möglichkeit, ständig bei der Arbeit zu bleiben.« Im Cafe Raffio, dem möglicherweise schäbigsten im Village, kommentierte der Sänger Tom Pasle zynisch: »Ich muss das ja nicht machen, um davon zu leben. Ich kann auch verhungern.«

Das Village Vanguard unter Max Gordon und Herbert Jacoby hatte seit langem Talente gefördert, wie auch Jacobys Blue Angel in der City. Die Weavers begannen 1948 im Vanguard; hier hatte auch Harry Belafonte seinen Durchbruch. Noch ein weiteres Nachtlokal stammt aus den frühesten Folktagen in New York: One Sheridan Square. Dieser Kellerclub an der Ecke Washington Place und West Fourth Street war das Cafe Society Down-town gewesen. Unter Barney Josephson war es im Zweiten Weltkrieg der Treffpunkt der Folkliebhaber. Josh White zählte damals zu den ständigen Mitwirkenden. 1960 tauchte Josh White wieder in diesem Club auf, den Kelsey Marechal und Martin Lorin aufgemotzt und umbenannt hatten. Zu den »Stammkunden« zählten Carolyn Hester und eine Gruppe irischer Folkniks, The Clancy Brothers and Tommy Makem. Seit der Eröffnung 1958 war das Village Gate, geleitet von Art D'Lugoff und seinem Bruder, Dr. Burt D'Lugoff, mit Folkmusik identifiziert worden. Zu denen, die dort ihr New-York-Debüt hatten, gehörten Leon Bibb, Theodore Bikel, The Limeliters und Odetta. Ein eher esoterisches Musiklokal war Page Three auf der 7th Avenue, ein langer schmaler Raum, wo sich viele Lesben trafen. Page Three war das wichtigste Forum für den bizarren Tiny Tim.

Einige Zeit lang war die heißeste Musikszene in einer Kellerbar namens Cafe Wha?. Der Manager, Manny Roth, bot jungen Musikern, die hereinschneiten, immer Jobs an. Dort nahm eines Abends Anfang 1961 Dylan seine Harmonika mit auf die Bühne, um den talentierten weißen Bluessänger Fred Neil zu begleiten, der auch seine Texte selber schrieb. Neil fand erst 1969 Anerkennung, als sein Song »Everybody's Talkin'« Titelmusik des Films Asphaltcowboy wurde. Mit diesem Song schlug Neil, wie es die Ironie will, seinen früheren Harmonikaspieler aus dem Rennen. 1969 erzählte Dylan dem Magazin Rolling Stone: »Da ist jetzt ein Film rausgekommen, Asphaltcowboy. Kennen Sie den Song … ›Lay, Lady, Lay‹? Also, den Song hab ich für diesen Film geschrieben. Letzten Sommer wollten diese Produzenten Musik für den Film. Ich hab diesen Song ausgebrütet. Als ich ihn ausgebrütet hatte, war es aber zu spät.«

Etliche der Kaffeehäuser auf der MacDougal Street kämen, Dylan zufolge, in Frage für jene zweifelhafte Ehre, ihn abgelehnt zu haben, weil er wie ein Hillbilly klinge. Das Commons und das Cafe Wha? scheinen sich rühmen zu können, es nicht getan zu haben (ein paar Sammler behaupten, Dylans erste auf Band aufgenommenen Worte in New York seien diese aus dem Wha?: »Ich bin grad aus dem Westen angekommen. Bob Dylan heiße ich. Ich würd gern ein paar Songs singen. Darf ich?«). Die beiden Folkclubs, die Dylan zu einem wirklichen Anfang in New York verhalfen, waren das Gaslight und Gerde's Folk City.

Bob Dylan - No Direction Home

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