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HIGHWAY 61 REVISITED

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1959 besuchten etwa 25.000 Studenten die Universität von Minneapolis, die zu den großen zehn im Mittelwesten zählt, mit einem Footballteam, einem Institut für landwirtschaftliche Tierzucht, gewaltigen Stiftungsgeldern und hohem akademischen Niveau, vor allem in Medizin und Technologie. Der Campus, in eine sanfte Biegung des Mississippi geschmiegt, hatte sich vom Ostufer her ausgedehnt. In den Sechzigern wurde der Hauptcampus zum größten Collegecenter in den USA, dessen Studenten und Mitarbeiter zehn Prozent der Stadtbevölkerung ausmachten. Scott Fitzgerald hatte hier einmal am falschen Ende der Summit Street, auf der anderen Seite des Flusses in St. Paul gewohnt, und Hubert Humphrey war hier einmal Bürgermeister von Minneapolis gewesen. Venture nannte Minneapolis mit seinem 150 Parks und 20 Seen »eine Stadt, die so amerikanisch ist wie Scotch-Tape und Wheaties, so belebend wie ein Morgenbad im Hiawatha Lake, so bekömmlich wie ein Pillsbury-Bake-Off … Es ist kein Ort … für exotische neue Sensationen, sondern einer, wo man sich wieder zu Hause fühlt unter den geschätzten nationalen Tugenden -Freundlichkeit, Anständigkeit, Optimismus, Humor, Enthusiasmus, Gewissenhaftigkeit, Vernunft und Stolz - Tugenden, die Minneapolis, mit seinem indianisch-griechischen Namen, seinem nordischen Hintergrund, seinem jüdischen Bürgermeister so typisch amerikanisch machen. Man sagt, St. Paul liege am Rand des Ostens und der Westen beginne in Minneapolis. Dylan, der Junge aus der Kleinstadt, war von der Unpersönlichkeit seiner neuen Welt geradezu überwältigt.

Ein Vetter von Bob, Jurastudent, gehörte der Verbindung Sigma Alpha Mu an, und Bob lebte kurze Zeit in deren Haus. Seine Reaktion auf die jüdische Verbindung war negativ. Sein Vater erinnerte sich: »Bob hielt nicht viel von der Collegetruppe. Die meisten hielt er einfach für ›unecht‹; verzogene Kinder, mit denen er nichts gemein hatte. Bobby verließ Sigma Alpha Mu, noch bevor er dieser überhaupt beigetreten war.« Bob schrieb in »My Life In A Stolen Moment«:

Later I sat in college … on a phony scholarship that I never had

I sat in science class an' flunked out for refusin' to watch a rabbit die

I got expelled from English class for using four-letter words in a paper describing the English teacher

I also failed out of communication class for callin' up every day and sayin' I couldn't come

I did OK in Spanish though but I knew it beforehand

I's kept around for kicks at a fraternity house

They let me live there an' I did until they wanted me to join

I moved in with two girls from South Dakota in a two-room apartment for two nights

I crossed the bridge to 14th Street an' moved in above a bookstore that also sold bad hamburgers, basketball sweatshirts an' bulldog statues

I fell hard for an actress girl who kneed me in the guts an'

I ended up on the East Side of the Mississippi River with about ten friends in a condemned house underneath the Washington Avenue Bridge just south a Seven Corners

That's pretty well my college life …[73]

(Später saß ich im College … mit 'nem Stipendium, das ich nie hatte / In Naturwissenschaften bin ich durchgerasselt, weil ich mich geweigert hab, 'n Kaninchen sterben zu sehn / Aus Englisch bin ich geflogen, weil ich in 'ner Arbeit unflätige Wörter benutzt hab, um den Englischlehrer zu beschreiben / Auch aus »Kommunikation« bin ich raus, weil ich jeden Tag angerufen hab, um zu sagen, ich könnte nicht kommen / In Spanisch war ich immerhin okay, aber das konnte ich schon vorher / Zum Spaß bin ich in 'nem Verbindungshaus geblieben / Die haben mich da leben lassen, und ich hab's getan, bis die wollten, dass ich eintrete / Ich bin zu zwei Mädchen aus South Dakota gezogen, in 'ne Zweizimmerwohnung für zwei Nächte / Ich bin über die Brücke zur 14. Straße gegangen und über 'nem Buchladen eingezogen, der auch schlechte Hamburger, Basketballsweatshirts und Porzellanbulldoggen verkauft hat / Ich hab mich bös in 'ne Schauspielerin verknallt, die hat mir in die Eier getreten, und ich bin auf der Ostseite vom Mississippi geendet mit an die zehn Freunden in 'nem Abbruchhaus unter der Washington Avenue Bridge, knapp südlich von Seven Corners / Das ist so ziemlich mein Collegeleben …)

Dylans zynische Zusammenfassung wird nicht dem gerecht, was er außerhalb der Klassenräume lernte. Bob verließ das Verbindungshaus im Unfrieden. Ein Anwalt erinnerte sich, Bob »war kaum zu fassen, kam zu den seltsamsten Stunden und hat sich ziemlich rumgetrieben«. Die Leute, die Bob mochte, waren die wenigen Intellektuellen, die in der Nähe von Dinkytown lebten, dem Verwaltungsbereich der Universität, und sich am Folk orientierten, und die Bohemiens. Einer dieser Beatniks, Denker, Rebellen, Künstler, Dropouts und Träumer war »Spider John« Koerner, ein Huck Finn der Mittelschicht, der sich sehr mit Musik beschäftigte: »Ich habe Bob zuerst im Ten O'Clock Scholar getroffen, einem Kaffeehaus in Dinkytown, das später abgebrannt ist«, sagte mir Koerner. »Bob kam einfach reingeschneit. Len Durasow war auch dabei. Wir drei machten uns dann auf den Weg zu einer Bar, Bob war aber noch zu jung, um Alkohol zu bestellen. Er war damals ein bisschen pummelig und sah aus wie eine kleine Putte. Wir kauften was zu trinken und gingen dann raus hinter das Chemiegebäude. Da gab es eine große Verladerampe, auf der wir eine kleine Open-Air-Party veranstalteten. Bob und ich machten Musik, Len tanzte dazu. Es war frühmorgens, und wir alberten herum. Einer dieser Uni-Wächter fand uns ganz lustig und ließ uns daher in Ruhe. Wir spielten beide ähnliche Sachen auf der Gitarre. Er schrieb gerade ein paar Songs, aber das waren diese folky Spirituals, die damals populär waren, wie ›Sinner Man‹. Er interessierte sich dann sehr für die leicht rockigen Sachen von Odetta. Dylan hatte eine nette Stimme, ganz anders als die, die daraus geworden ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass Bob jemals davon sprach, er wollte sich im Showgeschäft durchsetzen. Wir haben uns mehr für die unmittelbar anliegenden Dinge interessiert, Songs zu schreiben zum Beispiel. Was mich sehr verblüfft hat, war die Veränderung in seiner Art zu reden. Es ist fast unmöglich, ihn als dieselbe Person wiederzuerkennen. Damals hat keiner von uns sehr hip geredet, außer vielleicht Dave Morton, der älter war. Wir hatten damals wirklich noch nichts mit dem ganzen Hippiekram im Sinn, uns ging es bloß ums Singen und Spielen, ums Trinken, Auf-Partys-Gehen und Frauen-Anmachen.«

Leute vom Campus meinten, Spider John würde ein Star werden und Dylan sei eindeutig das geringere Talent. Einer von Koerners Zimmerkameraden war Harry Weber, ein Doktorand in lateinischer Literatur und gleichzeitig ein Balladenforscher. »Als ich 1955 mit einer Gitarre in Minneapolis ankam«, erzählte mir Weber 1966, »war Folkmusik ziemlich tief im Keller. Die meisten Leute kamen von der Alten Linken. Ihre Vorstellung von Folkmusik war ein Gewerkschaftslied - Seeger und The People 's Song Book. Gene Bluestein, der 1958 eine Folkways-LP aufnahm, Songs Of The North Star, war die große Folkattraktion auf dem Campus. Die früh entstandene Minnesota Folk Music Society war etwa zu 80 Prozent jüdisch, die meisten Mitglieder waren Studenten.

Der erste Songwriter, den ich hier gehört habe, war Dylan. Sicherlich hatte Dave Morton schon eher Songs geschrieben, aber die habe ich nie gehört. Der erste Dylan-Song, den ich gehört habe, war ›Every Time I Hear The Spirit‹. Bob hat nicht viel Aufhebens darum gemacht. Er war ähnlich wie das Spiritual, auf dem es basierte, abgesehen davon, dass es einen Rockabilly-Rhythmus hatte. Ein passendes Klagelied für einen jungen Mann. Als Bob 1959 herkam, sah er ganz nett aus, blond, absolut bartlos. Seine Augen waren ein wenig hervortretend und die Wangen ein bisschen zu voll. Dr. Dan Pugh, ein Psychiater, war von Dylans Aussehen fasziniert. ›Ein sehr interessantes endokrines System‹, war seine Feststellung.

Als Dylan herkam, merkte man ihm das Kleinstädtische an. Seine Kleidung war furchtbar geschniegelt. Irgendwie wirkte er wie ein von Gregory Peck gespielter böser Bube, der plötzlich fünf Jahre älter geworden ist. Er hat sich sehr ä la High School benommen, sehr forsch. Und dabei ziemlich viel posiert, Hand im Gürtel, die Beine gespreizt. Er war nicht sehr groß, aber er war schwer. Ich glaube, er hat mindestens zehn bis zwölf Kilo mehr gewogen als später, nachdem er es geschafft hatte. Fast von Anfang an gab es Widersprüche in seinen Geschichten, aber ein Lügner war er nicht - er war ein Romantiker. Er ist nicht besonders lange im College geblieben, vielleicht sechs oder neun Monate. Er hat von und mit verschiedenen Leuten gelebt, zwischendurch hatte er ein paar kleine Jobs, wie Tellerwaschen.

Nachdem er ›ausgestiegen‹ ist, fand ich ihn unmöglich. Er konnte anmaßend sein, ganz schön nervend. Vielleicht war das eine Suche nach Aufmerksamkeit. Ich glaube, dass er, wie jeder, gemocht werden wollte. Er konnte furchtbar grob sein, und ganz sicher war er eitel. Koerner und Dylan haben einen ganz schönen Wettbewerb abgezogen. Ich hatte Angst, dass Dylan seine Stimme verlieren würde. Er wusste offenbar genau, was er machte, aber er missbrauchte weiter seine Stimme und grölte raue, laute Songs.

Ich habe Dylan kennengelernt, als er erst einen Monat hier war. Er hat sich oft für einen Song oder eine Technik interessiert, die ich beherrschte. Wir lebten damals in der 7th Street Southeast Nr. 42, eine furchtbare Höhle, eine Art Dreimänner-Slum. Es gab da immer viel Musik. Ich fand es nicht leicht, mit Bob zu kommunizieren. Ich glaube, so ging es allen anderen auch. Sogar die Mädchen, die er mochte, hatten es schwer, mit ihm zu reden, und er hatte es schwer, mit ihnen zu reden. Aber das wurde ganz anders, wenn über Musik gesprochen wurde.

Wenn man ihm nicht erklären konnte, was mit seinem Gesang nicht stimmte, konnte man es ihm zeigen. Er hat alles einfach im Nu verstanden«, fuhr Weber fort. »Ich glaube nicht, dass Bob viel gelesen hat, wenn er sich auch jede Menge Bücher lieh. Er hat überhaupt nicht von Büchern geredet, außer natürlich Woody Guthries Dieses Land ist mein Land. Ich habe Bob einen Satz von Randolphs Folk Songs Of Arkansas geliehen. Ich frage mich, ob er sie noch immer hat. Dylan hat nie viel um die Auseinandersetzungen um die reine Tradition gegeben. Vielleicht ist er nur deshalb so gut geworden, weil ihn diese Sachen nicht kümmerten. Er benutzt einfach das, was er benutzen will. 1959 hat Dylan Cynthia Gooding getroffen. Nach ihrem Konzert hatten wir eine Party, und Bob hat eine halbe Stunde lang für sie gesungen. Cynthia war völlig verblüfft. Das war schon ein Anblick; sie war ja damals wer.« Später, als Cynthia Dylan in New York im Folk City sah, schrieb sie an Harry: »Die Leute hören zu, wie er redet und lacht, und gerade, wenn sie ihn bei einer Lüge erwischen könnten, zieht er seine Harmonika raus und bläst sie über den Haufen.«

Weber sagte, er habe »Schwierigkeiten mit der Person Dylan gehabt, nicht mit dem Künstler. Er ist ein Genie, das ist alles. Er ist ärgerlich und irritierend, dem Tschechow'schen Genie sehr ähnlich. Er ist nicht komplizierter als die meisten Leute; er ist eher einfacher. Als ich ihn kennengelernt habe, wusste ich sofort, dass er sehr talentiert war. Damals hatte ich aber keine Ehrfurcht vor ihm. Heute wohl. Ehrfurcht vor seinen Fähigkeiten. Ich glaube nicht, dass er sich seines Talents bewusst war, als er nach Minneapolis kam. Aber, Moment. Das nehme ich zurück. Er ist hier umhergegangen wie ein junger Shelley. Er war äußerst selbstbewusst. Dylan hatte oft ein Buch mit französischer symbolistischer Lyrik bei sich. Aber ich glaube, vor allem war er ein großer Zuhörer. Wenn er nicht gesungen hat, war er sehr ruhig. Wenn er nervös wurde, hat er oft gesungen. Er war kein Plauderer.

Die Einstellung der Puristen unter den Folksängern Dylan gegenüber, als er mit einer elektrischen Band anfing, war so ähnlich, als ob man sagte, Verdi habe sich verkauft, als er Othello komponierte, weil er sich von Wagner beeinflussen ließ. Die Puristen sagen, Kunst muss statisch sein. Die Leute vom Magazin Sing Out! haben auch Josh White mit einem großen Knall fallen lassen. Solche doktrinären Haltungen kann man nicht mehr als einmal verzeihen. Pete Seeger hat sich nie auf so etwas eingelassen. Und was die Puristen Dylan angetan haben, ist unglaublich.«

Bob Dylan - No Direction Home

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