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|31|2 Der Wettlauf 1486–1495

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Die auf einem Felsvorsprung in Lissabon gelegene Georgsburg, von der aus man weit über den Tejo blickte, barg einst unter ihren Schätzen eine kostbare Weltkarte. Der Vater König Johanns II., Alfons V., hatte sie 30 Jahre zuvor bei einem Kartographen, einem Mönch, in Venedig mit der Anweisung in Auftrag gegeben, das genaueste geographische Wissen jener Zeit zusammenzufassen.

Fra Mauro fertigte ein außergewöhnliches Meisterwerk an; die Karte war bis ins kleinste Detail genau und kunstvoll mit Blattgold verziert und zeigte wogende Meere in einem lebendigen Blau und Bilder befestigter Städte. Sie war wie ein gewaltiger Rundschild geformt, mit einem Durchmesser von zehn Fuß und nach der arabischen Tradition nach Süden ausgerichtet; und sie zeigte etwas, das nie zuvor auf einer europäischen Karte zu sehen gewesen war: Sie zeigte Afrika als einen frei liegenden Kontinent mit einem südlichen Kap, das Fra Mauro Kap Diab nannte. Auch wenn Afrika furchtbar verzerrt dargestellt war und viele Details zur Zeit Johanns durch portugiesische Entdeckungen bereits überholt waren, hatte der Mönch immerhin einen auf die damaligen Quellen gestützten Versuch gewagt. Venedig war mit seinen weitreichenden Handelsverbindungen in den Orient damals die maßgebliche Instanz für Informationen und Reiseerzählungen über die Welt außerhalb der Grenzen Europas.

Die Karte war übersät mit Hunderten von Kommentaren in roter und blauer Tinte und wurde hauptsächlich nach den Augenzeugenberichten Marco Polos und eines Reisenden aus dem 15. Jahrhundert namens Niccolò de Conti gezeichnet, sowie aufgrund von „Informationen sämtlicher neuer Entdeckungen, welche die Portugiesen selbst |32|gemacht oder geplant hatten“. „Viele haben geglaubt, und viele haben geschrieben, dass das Meer unsere bewohnbare und gemäßigte Zone nicht im Süden umfasse“, vermerkte Mauro auf seiner Karte, „aber es liegen viele Beweise vor, welche die entgegengesetzte Meinung bestätigen, allen voran jene der Portugiesen, die der König von Portugal an Bord seiner Karavellen ausgesandt hat, um die Tatsache mit eigenen Augen zu überprüfen“.1 Besondere Aufmerksamkeit wurde den Gewürzinseln und den Häfen des Indischen Ozeans gewidmet, für die sich die Portugiesen außerordentlich interessierten, außerdem griff Mauro direkt eine zentrale These der ptolemäischen Geographie an: |33|dass der Indische Ozean nämlich ein geschlossenes Meer sei. Als konkrete Beweise dafür, dass ein Seeweg nach Indien existiert, nannte er den antiken Geographen Strabo und seine Schilderung einer derartigen Reise sowie eine Erzählung, vermutlich von Conti, von der Reise einer chinesischen Dschunke, die angeblich Afrika umsegelt habe.


Der Mönch Fra Mauro zeichnete 1459 diese gesüdete Weltkarte. In die Kreisform mittelalterlicher Karten ließ er Reiseberichte und geographische Geheiminformationen der Portugiesen einfließen.

Fra Mauros Karte versinnbildlichte in visueller Form den portugiesischen Ehrgeiz, einen Seeweg nach Indien zu finden. Sie illustrierte darüber hinaus, wie wenig die Europäer wussten. Nie war die Welt stärker geteilt gewesen. Die Europäer des Mittelalters hatten weniger Kontakt mit dem Orient als seinerzeit das Römische Reich. Marco Polo war über die von den Mongolen kontrollierte Seidenstraße gewandert und geritten und war in einer chinesischen Dschunke über den Indischen Ozean zurückgekehrt. Seine Schilderung hatte weiterhin großen Einfluss, weil im 15. Jahrhundert so gut wie alle direkten Kontakte zum Osten unterbrochen waren. Das Reich der Mongolen war zusammengebrochen; und seither waren die Fernhandelsrouten gekappt. In China waren deren Nachfolger, die Herrscher der Ming-Dynastie, nach den unglaublichen Reisen der Schatzflotte von einer Fremdenfeindlichkeit erfasst worden und schlossen die Grenzen. Mit Ausnahme der Berichte Contis war fast das gesamte europäische Wissen beinahe 200 Jahre alt. Der Islam engte das christliche Europa ein. Die Osmanen hatten die Meeresengen nach Europa überschritten und versperrten die Landwege. Die Mamluken in Kairo kontrollierten die sehnsüchtig erwarteten Schätze des Ostens und trieben zu Monopolpreisen in Alexandria und Damaskus Handel damit. Es gab nur halblaute Gerüchte, wo die Gewürze, Seidenstoffe und Perlen genau herkamen, die man den Venezianern und Genuesen verkaufte.

König Johann II. ließ sich von Cãos Scheitern nicht abschrecken und wollte weiterhin einen Seeweg um Afrika finden. Seine Nachforschungen zogen immer größere Kreise. Kein Plan erschien ihm zu riskant. Auf seinen Befehl hin reisten zwei Mönche über das Mittelmeer, um Erkundigungen über den Priesterkönig Johannes im Osten einzuholen. Was Kolumbus’ Vorschlag, nach Westen zu segeln, anging, wollte sich der König zuerst absichern. Er erteilte einem flämischen Abenteurer namens Fernando de Ulmo den Auftrag, mit zwei Karavellen auf eigene Kosten 40 Tage lang nach Westen zu segeln. |34|Dafür wurden ihm die Besitzrechte auf sämtliche Länder, die er entdecken sollte, in Aussicht gestellt, gegen eine Zahlung in Höhe von zehn Prozent aller Einnahmen an die Krone. Der König verpachtete de facto an private Unternehmer ein Abenteuer, das ihm recht gewagt erschien, das er aber auf keinen Fall unterlassen wollte. Aus diesen Initiativen wurde jedoch nichts. Offenbar gelang es Ulmo nicht, die nötigen Mittel aufzutreiben; die Mönche kehrten mit leeren Händen aus Jerusalem zurück, weil sie kein Arabisch sprachen. Dennoch unternahm Johann einen neuerlichen Versuch.

Der König hatte eine loyale Generation außerordentlich talentierter Piloten (etwa die heutigen Lotsen), Seemänner und Abenteurer um sich versammelt, die er nach ihren Fähigkeiten und nicht nach ihrem Rang ausgewählt hatte und von denen er jetzt eine letzte Anstrengung verlangte. Im Jahr 1486 trieb er energisch drei Unternehmungen voran, um das Problem Indien zu lösen und den Ort des mystischen Priesterkönigs Johannes aufzuspüren. Er wollte die Sache von zwei Seiten her angehen: Eine Expedition mit klaren Anweisungen sollte an den Wappenpfeilern Cãos vorübersegeln und versuchen, Afrika zu umrunden; unterwegs sollte sie Portugiesisch sprechende, geborene Afrikaner absetzen, um Informationen über den legendären christlichen König im Inneren des Kontinents zu beschaffen; schließlich wollte er das Scheitern seines Vorstoßes auf dem Landweg nach Osten korrigieren, indem er Leute beauftragte, die Arabisch sprachen und ins Herz Indiens vordringen konnten, um etwas über Gewürze, christliche Könige und einen eventuellen Seeweg in den Indischen Ozean in Erfahrung zu bringen.

Im Oktober 1486, kurz nach Cãos Rückkehr – genauer der Rückkehr seiner Schiffe –, ernannte Johann einen Ritter seines Hofes, Bartolomeu Dias, zum Leiter der nächsten Expedition, die an der afrikanischen Küste entlangführen sollte. Um die gleiche Zeit suchte er auch Nachfolger für eine Überlandexpedition an den Indischen Ozean.

Er warb schließlich Pêro da Covilhã für diese Aufgabe an. Covilhã war um die Vierzig und ein vielseitig begabter Abenteurer von niederer Geburt mit einer raschen Auffassungsgabe, ein geschickter Schwertkämpfer, loyaler Diener der portugiesischen Krone und Spion. Neben Portugiesisch sprach er auch fließend Kastilisch und |35|vor allem Arabisch, das er vermutlich von der arabischen Bevölkerung in Spanien gelernt hatte. Er hatte dort für Johann verdeckte Operationen durchgeführt und in Marokko unter strenger Geheimhaltung mit dem König von Fez verhandelt. Diesen Covilhã und einen weiteren Untertan, der Arabisch sprach, Afonso de Paiva, beauftragte der König jetzt mit einer wagemutigen Expedition.

Im Frühjahr 1487, während Dias seine Schiffe vorbereitete, wurden die beiden von dem Bischof von Tanger und zwei jüdischen Mathematikern instruiert, Mitgliedern jener Kommission, die den Antrag von Kolumbus abgelehnt hatte. Den Abenteurern wurde eine Karte des Nahen Ostens und des Indischen Ozeans ausgehändigt, vermutlich die beste, die damals in Europa über die Welt jenseits des Mittelmeers erhältlich war und die sich stark auf Fra Mauros Werk stützte. Am 7. Mai hatten sie eine letzte geheime Audienz beim König, in seinem Palast bei Santarém außerhalb von Lissabon. Dort wurden ihnen Pfandbriefe ausgehändigt, um ihre Seereise nach Alexandria zu bezahlen. An dieser Audienz nahm unter anderem der 18-jährige Herzog von Beja, Dom Manuel, teil, der Vetter des Königs, für den die Erinnerung an diese Expedition besondere Bedeutung haben sollte. Im Sommer nahmen sie ein Schiff von Barcelona zu der christlichen Insel Rhodos und kauften einen Vorrat Honig ein, damit sie sich in der arabischen Welt als Händler ausgeben konnten. Von dort nahmen sie ein weiteres Schiff nach Alexandria, dem Tor zur islamischen Welt.


In Lissabon legte unterdessen Dias letzte Hand an die Vorbereitung seiner Expedition entlang der Westküste Afrikas. Er bekam zwei Karavellen, die der Krone gehörten, sowie, wegen der Länge der Reise und des begrenzten Frachtraums der Karavellen, einen Rahsegler, „um zusätzliche Vorräte aufzunehmen, weil in vielen Fällen der [Mangel daran] jene Schiffe schwächte, die bereits ihre Rückreise angetreten hatten“.2 Nach dem Vorbild von Cãos Expedition nahmen die Schiffe auch eine Anzahl behauener Steinsäulen mit, um die Etappen der Reise zu markieren. Dias selbst war ein sehr erfahrener Seemann und heuerte die besten Piloten seiner Zeit an, |36|darunter Pêro d’Alenquer, der eine Schlüsselrolle bei den Expeditionen nach Indien spielen sollte. D’Alenquer genoss offensichtlich bei König Johann hohes Ansehen, denn dieser nannte ihn „einen Mann, der es aufgrund seiner Erfahrung und navigatorischen Fähigkeiten verdiente, geehrt, bevorzugt und reich belohnt zu werden“.3 Der Pilot des Vorratsschiffes war João de Santiago, der auf der Inschrift bei den Yellala-Fällen genannt wird und unschätzbare Dienste bei der Zurückverfolgung von Cãos Reise bis zu ihrem Endpunkt geleistet hatte.

Diese Flottille verließ irgendwann Ende Juli oder Anfang August 1487 die Mündung des Tejo. Sie sollte sich als eine der bedeutendsten Expeditionen in der Geschichte der Entdeckungsreisen erweisen, aber auch als eine der mysteriösesten. In den zeitgenössischen Urkunden hinterließ sie fast keine Spuren, als hätten die portugiesischen Chronisten damals alle weggesehen. Es existieren lediglich vereinzelte Randnotizen auf Karten und in Büchern sowie beiläufige Erwähnungen in den Chroniken. Abgesehen davon sollte es 60 Jahre dauern, bis nähere Einzelheiten der Expedition, ihr Ausmaß und ihre Errungenschaften von dem Historiker João de Barros aus dem 16. Jahrhundert dokumentiert wurden. Obwohl die genauen Anweisungen für Dias verloren sind, lässt sich ihr Inhalt doch rekonstruieren: erstens auf der Suche nach dem kaum erreichbaren Prassum Promontorium, der definitiven Endspitze Afrikas, bis über Cãos letzte Wegmarke hinaus weiter nach Süden vorstoßen; zweitens entlang der Küste Menschen an Land setzen, um weitere Informationen über einen Land- oder Flussweg zum Reich des Johannes zu beschaffen. Im Verein mit den Reisen Paivas und Covilhãs war dies eine entschlossene und kohärente Vorgehensweise, um das Rätsel Asiens zu lösen.

Zu diesem Zweck nahm Dias sechs Afrikaner mit sich, zwei Männer und vier Frauen, die Cão auf einer seiner Reisen entführt hatte und die inzwischen Portugiesisch gelernt hatten. Der König hatte nämlich, laut João de Barros, befohlen, „dass sie in feinen Kleidern und ausgestattet mit Auslagen von Silber, Gold und Gewürzen entlang der Küste ausgesetzt werden sollten“. Dahinter steckte die Absicht, dass sie „wenn sie in die Dörfer gingen, imstande wären, den Menschen von der Größe seines Königreiches und dem Reichtum, |37|den er dort besaß, zu erzählen, und davon, wie seine Schiffe die ganze Küste entlangsegeln würden und dass er die Entdeckung Indiens und insbesondere eines Königs namens Presbyter Johannes anstrebe“.4 Es wurden deshalb vor allem Frauen ausgewählt, weil sie nicht den Stammesfehden zum Opfer fallen würden.

Unterdessen lagen in Alexandria die beiden Spione Covilhã und Paiva sterbenskrank mit Fieber darnieder.

Dias segelte an der Westküste Afrikas entlang, passierte Cãos letzten Wappenpfeiler und benannte die Kaps und Buchten nach den Namen der Heiligen, nach denen sich das Vorankommen der Expedition datieren lässt: nacheinander die Bucht von St. Marta (8. Dezember), St. Tomé (21. Dezember) und St. Victoria (23. Dezember). Am Ersten Weihnachtstag hatten sie eine Bucht erreicht, die sie Bucht des St. Christophorus nannten, die heutige Walfischbucht. Sie waren inzwischen seit vier Monaten auf See und kreuzten gegen einen starken Südwestwind, der an der Küste wehte, hinzu kam eine nördliche Meeresströmung. An mehreren Stellen hatten sie wohl ihre unglücklichen Botschafter an Land gesetzt, einer war allerdings bereits auf der Fahrt gestorben. Von den übrigen ist uns nichts überliefert. An diesem Punkt beschlossen die Seefahrer, ihr Vorratsschiff mit neun Mann an Bord an der Küste des heutigen Namibias zurückzulassen, um es bei der Rückreise wieder aufzulesen.

Mehrere Monate lang plagten sich die beiden Karavellen entlang einer öden Küste mit niedrigen Hügeln ab. Dann trafen die Piloten eine verblüffende Entscheidung: Ungefähr auf dem 29. südlichen Breitengrad gaben sie den zermürbenden Kampf gegen die widrigen Winde und Strömungen auf. Stattdessen wendeten sie ihre Schiffe von der Küste weg, setzten die Segel auf Halbmast und fuhren in die Weite des westlichen Ozeans hinaus, obwohl dies ihrem eigentlichen Ziel, nach Osten zu segeln, widersprach. Niemand weiß mit Bestimmtheit, warum dies geschah; es könnte ein im Voraus geplantes Manöver gewesen sein, oder es handelte sich um einen Geistesblitz, eine Intuition bezüglich der Winde auf dem Atlantik, die auf vorherigen Erfahrungen bei den Heimreisen von der Küste Guineas aus beruhte. Bei diesen Fahrten entfernten sich die Schiffe zunächst ein ganzes Stück von der afrikanischen Küste nach Westen und fuhren in einem weiten Bogen in den zentralen Atlantik, |38|wo sie von westlichen Winden erfasst wurden, die sie zurück nach Portugal brachten. Möglicherweise, so dachten sie wohl, konnte man das gleiche Schema auch im Südatlantik anwenden. Welche Logik auch immer sich dahinter verborgen haben mochte, jedenfalls war dies ein Wendepunkt der Weltgeschichte.


Die Karavelle: ideal für die Erkundung, aber für lange Seereisen war der Frachtraum sehr begrenzt.

Vierzehn Tage lang und fast tausend Meilen fuhren die Karavellen mit den Segeln auf Halbmast ins offene Meer. Als sie in antarktische Breitengrade kamen, wurde es sehr kalt. Männer starben. Um den 38. Breitengrad herum erwies sich die Intuition als richtig. Die Winde wehten nun aus verschiedenen Richtungen. Die Seefahrer drehten die Schiffe wieder nach Osten, in der Hoffnung und Erwartung, auf eine endlos verlängerte afrikanische Küste zu treffen, die nach ihrer Vorstellung immer noch in Nord-Süd-Richtung verlief. Nach einer mehrtägigen Fahrt nach Osten war am Horizont immer noch kein Land zu sehen. Es wurde beschlossen, die Schiffe wieder nach Norden zu drehen, weil man hoffte, dort auf Land zu stoßen. Gegen Ende Januar erblickten sie hohe Berge; am 3. Februar gingen sie an einem Punkt an Land, den sie die Bucht der Rinderherden nannten, die heutige Mossel Bay. Sie waren fast vier Wochen lang auf dem offenen Meer gewesen; ihre große Schleife hatte sie sowohl am Kap der Guten Hoffnung als auch am Kap Agulhas – dem Nadelkap – vorbeigeführt, an dem südlichsten Punkt Afrikas, wo der Atlantik und der Indische Ozean aufeinandertreffen.

Die Landung stand unter keinem guten Stern. Sie sahen eine |39|große Rinderherde, die von Menschen „mit wolligem Haar, wie jene in Guinea“, gehütet wurde.5 Es gelang ihnen nicht, mit diesen Viehhütern in Kontakt zu treten. Neun Jahre später kam der Pilot Pêro d’Alenquer wieder hierher und erinnerte sich, was damals passiert war. Als die Portugiesen am Strand Geschenke ausbreiteten, liefen die Einheimischen einfach weg. Der Ort hatte offensichtlich eine Quelle, aber „als Dias eines Tages in der Nähe des Gestades Wasser holen ließ, [versuchten sie,] ihn daran zu hindern, und als sie von einem Hügel aus gar mit Steinen auf ihn warfen, ließ er schießen und tötete einen durch den Schuss einer Armbrust“.6

Nach diesem Hinterhalt segelten sie weitere 200 Meilen nach Osten, und die Küste wich eindeutig nach Nordosten zurück. Damit war zum ersten Mal ersichtlich, dass sie die Spitze Afrikas umrundet haben mussten. Das Meer wurde wieder wärmer, doch die schwere See hatte ihren Tribut gefordert. Am 12. März erreichten sie eine Bucht, wo sie den letzten Wappenpfeiler aufstellten. Zu dieser Zeit fingen die erschöpften Besatzungen an, „unter sich zu murren und zu verlangen, dass die Fahrt nicht weitergehen sollte, und sie sagten, der Proviant werde verbraucht sein [ehe sie in der Lage sein würden], zurückzukehren und das Proviantschiff zu finden, welches so weit zurückgelassen worden war, dass sie, wenn sie es erreichten, alle verhungert sein würden, wenn sie noch weitersegelten“.7 Dias wäre gerne noch weitergefahren, musste sich aber nach seinen Instruktionen in wichtigen Angelegenheiten mit den anderen Offizieren beraten. Sie einigten sich darauf, nur noch drei Tage weiterzusegeln. Als sie auf einen Fluss stießen, den sie Rio Infante nannten, machten sie kehrt. Allem Anschein nach war Dias enttäuscht, musste aber eine demokratische Entscheidung akzeptieren. Der Historiker João de Barros, der 60 Jahre später schrieb, stellte sich vor, wie Dias wehmütig zurückblickte, während er seinen eigenen Spuren folgte: „Als [er] von dem Pfeiler, den er aufgestellt hatte, Abschied nahm, überkam ihn eine große Traurigkeit und tiefe Empfindung, als würde er sich für immer von einem verbannten Sohn verabschieden; er erinnerte sich an die große Gefahr, der er und alle seine Männer ausgesetzt waren, daran, wie lange sie gereist waren, um an diesen Punkt zu gelangen, und schließlich, dass Gott ihm nicht die große Gnade gewährt hatte“.8 „Er erblickte das Land Indien“, sagte ein anderer Chronist, |40|„betrat es aber, wie Moses das Gelobte Land, nie“.9 Doch das waren im Nachhinein geschriebene Vorstellungen.


In Lissabon ging König Johann, während er auf Nachrichten von Dias oder Covilhã wartete, immer noch auf Nummer sicher. Er konnte nicht definitiv ausschließen, dass die Westroute womöglich günstiger wäre, und war sich der wachsenden Rivalität mit Spanien immer schmerzlicher bewusst. Am 20. März 1488 gewährte er Kolumbus sicheres Geleit für die Rückkehr nach Lissabon, wo gegen diesen wegen einer Schuld ein Haftbefehl verhängt war. Unterdessen hatten sich Covilhã und Paiva auf wundersame Weise von dem Fieber erholt, dem sie in Alexandria beinahe erlegen wären. Sie nahmen ein Boot den Nil aufwärts nach Kairo, von dort eine Karawane durch die Wüste ans Rote Meer und segelten nach Aden, bis an dessen Mündung. Hier trennten sich die beiden: Paiva wollte sich nach Äthiopien durchschlagen, wo seiner Meinung nach das Königreich des Priesterkönigs Johannes liegen musste; Covilhã wollte nach Indien weiterreisen.

Als Dias seine Schiffe nun für die Heimreise nach Osten wendete, erblickte er zum ersten Mal das Kap der Guten Hoffnung. Es war ein historischer Augenblick: Dieser definitive Beweis, dass Afrika ein Ende hatte, zerstörte für immer einen Grundsatz der Geographie nach Ptolemäus. Laut Barros nannten Dias und seine Gefährten es das Kap der Stürme. Doch König Johann habe dies zu Kap der Guten Hoffnung geändert, „weil es die so sehr ersehnte Entdeckung Indiens versprach, nach dem man seit so vielen Jahre suchte“.10 Dias verließ das Kap mit einem günstigen Rückenwind.

Die Männer auf dem Versorgungsschiff waren neun Monate lang an der wüstenähnlichen Küste Namibias ausgesetzt gewesen und warteten verzweifelt auf den Anblick der Karavellen, die womöglich nie wiederkehrten. Als sie am 24. Juli 1488 endlich eintrafen, waren von den neun Männern nur noch drei am Leben. Die anderen waren von den Einheimischen bei einem Streit um den Handel mit Waren getötet worden. Unter den Toten war möglicherweise auch Bartolomeus eigener Bruder Pêro. Für einen Überlebenden, Fernão |41|Colaço, den von einer Krankheit geschwächten Schiffsschreiber, war der Anblick der Karavellen zu viel. Dem Vernehmen nach starb er „vor Freude, seine Gefährten zu erblicken“.11 Das Vorratsschiff war inzwischen ganz wurmstichig; nachdem die Seefahrer die Fracht umgeladen hatten, verbrannten sie es am Strand und machten sich auf den Heimweg. Die arg zugerichteten Karavellen liefen im Dezember 1488 in den Tejo ein. Dias war 16 Monate unterwegs gewesen, hatte 1260 Meilen neue Küstenstreifen entdeckt und zum ersten Mal die Südspitze Afrikas umrundet.

Von seiner Rückkehr wissen wir nur deshalb, weil Christoph Kolumbus, der sich immer noch unter sicherem Geleit in Lissabon aufhielt, in ein Buch eine berühmte Randnotiz geschrieben hat. Offensichtlich war er Zeuge des vollständigen Berichts, den Dias dem König gab:

Anmerkung: Im Dezember dieses Jahres 1488 landete in Lissabon Bartolomaeus Didacus [Bartolomeu Dias], Befehlshaber der drei [sic!] Karavellen, welche der König von Portugal nach Guinea geschickt hatte, um das Land zu erforschen. Er berichtete, dass er 600 Leguas [1 Legua entspricht ca. 4,8 Kilometern] über den weitesten bislang erreichten Punkt hinaus gesegelt sei, also 450 Leguas nach Süden und dann 150 Leguas nach Norden, bis zu einem Kap, welches er Kap der Guten Hoffnung nannte, dessen Lage unserer Meinung nach in Agisimba liegt, auf einem Breitengrad, wie er mit dem Astrolabium ermittelt wurde, von 45° S., und von Lissabon 3100 Leguas entfernt. Er hatte seine Reise beschrieben und Meile um Meile auf einer Seekarte eingetragen, um sie dem erwähnten König vor Augen zu führen. Ich war bei alledem zugegen.12

Der von Kolumbus erwähnte Breitengrad war Gegenstand heftiger historischer Diskussionen, aber offenbar besteht kein Zweifel daran, dass er anwesend war, als der König und seine Kosmographen sich die Details der Reise anhörten, deren markante Punkte schon bald in die zeitgenössischen Karten Einzug hielten. Dias hatte zwei große Durchbrüche erzielt. Er hatte definitiv bewiesen, dass Afrika ein Kontinent mit einem Seeweg nach Indien war und damit einige Grundsätze der Geographie nach Ptolemäus außer Kraft gesetzt; und mit dem genialen Bogen hinaus aufs offene Meer hatte er den |42|letzten Teil des Rätsels der Winde gelöst und den Weg vorgegeben, um nach Indien zu gelangen: nicht indem man sich an der afrikanischen Küste entlang vorwärtsplagte, sondern indem man einen Bogen in den Atlantik schlug und darauf vertraute, dass die zuverlässigen Westwinde die Schiffe um die Spitze des Kontinents bringen würden. Das war der Höhepunkt von 60 Jahre währenden Anstrengungen portugiesischer Seefahrer; aber es ist fraglich, ob den Männern, denen Dias seine Geschichte erzählte, die Größe der Errungenschaft bewusst war. Nach so vielen falschen Hoffnungsschimmern waren sie womöglich ein bisschen vorsichtig geworden. Es gab weder Ehrungen für Dias aufgrund seiner Verdienste noch eine öffentliche Ankündigung, dass man bereits einen Blick auf das gelobte Land geworfen habe, als würden sie den vorgelegten Beweisen keinen Glauben schenken, als da waren: das wärmere Meerwasser, der Bogen der Küstenlinie. Sich immer noch an die Reste der klassischen Geographie klammernd, war es damals offenbar Konsens, dass es noch einen weiteren Punkt geben könnte, den man umschiffen musste. Im Jahr darauf wurde in einer weiteren Rede, die fast eine Wiederholung der vorigen vor dem Papst war, erklärt, dass sie „tagtäglich versuchen, diese Landspitze zu erreichen … sowie die Gestade des Nils, durch die man an den Indischen Ozean gelangt und von dort zum Sinus Barbaricus [dem Meer östlich von Afrika], dem Ursprung unendlicher Reichtümer“.13 Es sollten weitere neun Jahre vergehen, bis die wahre Bedeutung von Dias’ Reise ersichtlich wurde. Was Kolumbus anging, so spürte er, dass König Johann sein Interesse verloren hatte. Er konzentrierte sich wiederum darauf, den spanischen Hof zu umwerben.


In weiter Ferne auf dem Indischen Ozean war Covilhã immer noch auf Reisen. Im Herbst des Jahres 1487 hatte er eine Handelsdhau über den Indischen Ozean nach Calicut (das heutige Kozhikode) genommen, dem Dreh- und Angelpunkt des Gewürzhandels und Endpunkt für einen großen Teil des Fernhandels aus dem Fernen Osten. Anfang 1488 hielt er sich vermutlich in Goa auf und segelte von dort nach Norden nach Hormus an der Mündung des Persischen |43|Golfs, einem weiteren wichtigen Hafen des Indischen Ozeans. Kreuz und quer segelte er über den Ozean, sammelte und notierte sich heimlich Informationen über Segelrouten, Winde, Strömungen, Häfen und politische Verhältnisse. Er nahm ein Schiff, das von der Ostküste Afrikas nach Sofala fuhr, weit im Süden des Kontinents, gegenüber von Madagaskar, dem entferntesten Punkt der arabischen Schifffahrt im südlichen Indischen Ozean. Er versuchte herauszufinden, ob es möglich war, Afrika auf dem Seeweg zu umrunden, und wollte sich Informationen über die Schifffahrt entlang der Ostküste verschaffen. Als er 1490 oder Anfang 1491 nach Kairo zurückkehrte, war er fast vier Jahre auf Reisen gewesen; er hatte die wichtigsten Handelsrouten des Indischen Ozeans ausgekundschaftet und war in der Lage, dem König ausführlich Bericht zu erstatten.

In Kairo erfuhr er, dass Paiva auf dem Weg nach Äthiopien gestorben war. Mittlerweile hatte König Johann zwei Juden ausgeschickt, einen Rabbi und einen Schuhmacher, die nach den verlorenen Spionen Ausschau halten sollten. Auf wundersame Weise fanden und erkannten sie Covilhã in dem Trubel Kairos und brachten ihm Briefe vom König. Der Befehl lautete, nach Lissabon zurückzukehren, aber nicht ehe „er den großen Priesterkönig Johannes gesehen und etwas über ihn herausgefunden hatte“.14 Covilhã schrieb dem König einen langen Brief und schickte ihn mit dem Schuhmacher zurück. Ganz genau berichtete er alles, was er gesehen und erfahren hatte: über den Handel und die Schifffahrt im Indischen Ozean. Er teilte ihm mit, dass „seine Karavellen, die regelmäßig Guinea aufsuchen, indem sie von Ort zu Ort segelten und die Küste der Insel Madagaskar und Sofala suchten, ohne weiteres in diese östlichen Meere eindringen und die Küste von Calicut erreichen könnten, weil auf dem ganzen Wege Meer ist“.15

Inzwischen hatte Covilhã allem Anschein nach eine unheilbare Reiselust gepackt. Er beschloss, Paivas Auftrag zu Ende zu führen, interpretierte Johanns Befehle jedoch recht frei. Er begleitete den Rabbi nach Aden und Hormus und unternahm anschließend verkleidet eine eigene Pilgerreise zu den Heiligen Stätten des Islam, Mekka und Medina, ehe er sich zum äthiopischen Hochland aufmachte. Dort wurde er der erste Portugiese, der dem Mann persönlich begegnete, den sie als den Priesterkönig Johannes, den christlichen |44|Herrscher Äthiopiens, kannten. Der damalige Herrscher Eskender empfing ihn mit allen Ehren, ließ ihn aber nicht wieder weggehen. Covilhã wurde 30 Jahre später von einer portugiesischen Expedition, der er seine Geschichte erzählte, in dem Land entdeckt. Er blieb bis zu seinem Tod in Äthiopien.

Zusammengenommen hatten Dias und Covilhã eindrücklich die Chancen für einen möglichen Seeweg nach Indien erhöht. Der Plan einer Indienreise war fertig, auch wenn nicht ganz sicher ist, wann Covilhãs Bericht den König erreichte oder ob überhaupt, geschweige denn, was die Stille um Dias’ große Tat in Hofkreisen zu bedeuten hatte. Allerdings gelangte in der Zwischenzeit, durch Zufall, ein äthiopischer Priester nach Lissabon, den der Papst weitergeschickt hatte. König Johann schickte ihn mit einem Brief an den Priesterkönig Johannes zurück, in dem er ausdrücklich von „dem Wunsch nach seiner Freundschaft“ sprach und davon, „wie er die ganzen Küsten Afrikas und Äthiopiens erkundet“ habe.16 Diese Formulierung lässt möglicherweise darauf schließen, dass er tatsächlich Nachricht von Covilhã erhalten hatte. Anfang der 1490er-Jahre verfügte Johann vermutlich über alle nötigen Informationen, um den entscheidenden Vorstoß in den Orient zu wagen und die damals bekannte Welt miteinander zu verbinden.

Allerdings geschah nichts dergleichen. Es sollte eine Pause von acht Jahren eintreten, ehe die Portugiesen ihre jahrzehntelangen geduldigen Erkundigungen fortsetzten. In den Jahren nach Dias’ Rückkehr hatte Johann mit etlichen Problemen zu kämpfen. Gegen Ende der 1480er-Jahre wurde er in erbitterte Feldzüge in Marokko hineingezogen – für die kreuzfahrerisch gesinnten portugiesischen Könige eine religiöse Pflicht. Das Nierenleiden, an dem er schließlich sterben sollte, machte ihm immer mehr zu schaffen, und er wurde von unerwarteten Schicksalsschlägen getroffen: Im Jahr 1491 starb sein einziger Sohn und Erbe Afonso bei einem Reitunfall. Im Jahr 1492 flüchteten die Juden, als sie aus Spanien vertrieben wurden, in großer Zahl nach Portugal. Ungeachtet der Vorteile, die eine große Zahl fleißiger und gebildeter Menschen mit sich brachte, erforderte dieser Umstand große Aufmerksamkeit.

Ein Jahr darauf kam ein weiterer Schlag: Am 3. März 1493 fuhr ein übel zugerichtetes Schiff in den Hafen bei Restelo in der Nähe |45|von Lissabon ein, dem traditionellen Ankerplatz für zurückkehrende Schiffe, aber es war kein portugiesisches. Es war Kolumbus, der mit der Neuigkeit einer Reise nach „Indien“ – in Wirklichkeit zu den heutigen Bahamas, nach Kuba, Haiti und zur Dominikanischen Republik – auf der Santa Maria zurückkehrte, die er unter der Schirmherrschaft des großen Rivalen Spanien unternommen hatte. Es ist nicht ganz klar, ob Kolumbus, der große Märchenerzähler, der seine eigene Vergangenheit neu erfand, von einem heftigen Sturm versehentlich in den Tejo geweht worden war oder ob dieser Besuch als kalkulierter Affront für den König gedacht war, der ihn abgewiesen hatte. Der Mann, der nur darauf wartete, ihn zu befragen, war Bartolomeu Dias, dessen Reise Kolumbus’ Aussichten auf eine Schirmherrschaft der portugiesischen Krone zunichte gemacht hatte. Laut Kolumbus, der behauptete, Inseln in der Nähe von Japan erreicht zu haben, wurde er selbst anschließend vom König überschwänglich empfangen. Der portugiesische Bericht fiel etwas verhaltener aus. Kolumbus war unerträglich hochnäsig. Der königliche Hof hielt ihn für „aufgeblasen in seinem Betragen und in seinem Bericht unablässig die Grenzen der Wahrheit überschreitend, dabei machte er die Expedition mit Blick auf Gold, Silber und Reichtümer weit wichtiger, als sie wirklich war“. Natürlich tadelte Kolumbus den König wegen seines fehlenden Glaubens.17 König Johann war erschüttert über den offensichtlichen Beweis der einheimischen Geiseln, die der Seefahrer präsentierte: Nach ihrem Äußeren waren sie nicht afrikanisch; sie schienen eher so auszusehen, wie man sich das Volk Indiens vorstellte, aber niemand konnte sich ganz sicher sein, was der sich ständig produzierende Genueser tatsächlich entdeckt hatte. Die Berater des Königs wussten eine ganz simple Lösung: ihn in aller Stille umbringen, und die spanischen Entdeckungen würden in Vergessenheit geraten. Das schloss Johann aus. Es war ebenso moralisch falsch wie schlechte Diplomatie zu einer Zeit, als die Beziehungen zwischen den beiden Monarchien ohnehin angespannt waren.

Er schickte allerdings einen ernsten Eilbrief an Ferdinand und Isabella in Sevilla mit der Botschaft, dass Kolumbus in portugiesisches Gebiet eingedrungen sei. Im Jahr 1479 hatten die beiden Monarchien, um einen Krieg zu beenden, vereinbart, durch den Atlantik |47|eine vom Papst bestätigte, horizontale Grenzlinie zu ziehen, welche die Gebiete der exklusiven Erforschung festlegte. Johann war der Meinung, dass Kolumbus in seiner Domäne Land entdeckt habe, und bereitete sich darauf vor, eine eigene Expedition zu entsenden. Die Spanier wandten sich an Alexander VI., den spanischen Papst der Borgia, der zu ihren Gunsten entschied und damit Portugal von großen Teilen des Atlantiks ausschloss, die das Königreich eigentlich in seinem Besitz wähnte. Auf einmal war die Hegemonie der Portugiesen im Atlantik in Gefahr, und sie waren nicht bereit, sich ihre jahrzehntelangen Investitionen vor der Nase wegschnappen zu lassen. Johann drohte mit Krieg. Die beiden Seiten vereinbarten direkte Verhandlungen, ohne den Papst, um einen ernsten diplomatischen Streit zu vermeiden.


Die Aufteilung der Welt: Die erbitterte Rivalität zwischen Portugal und Spanien um Entdeckungen jenseits des Atlantischen Ozeans hatte eine Reihe anhaltender Konflikte zur Folge. Johann hatte mit seiner Vermutung recht, dass Kolumbus in portugiesisches Territorium südlich der Linie von 1479 eingedrungen war. Die Lösung des Papstes war für Spanien überaus vorteilhaft. Mittels mehrerer Bullen verordnete er im Jahr 1493, dass der Raum durch eine vertikale Linie von Pol zu Pol geteilt werden solle, die auf 100 Leguas westlich der Azoren und der Kapverdischen Inseln festgelegt wurde. Damit hätten die Spanier das Anrecht auf sämtliche Entdeckungen westlich dieser Linie bekommen, theoretisch bis nach Indien, und Portugal wären allem Anschein nach keine vergleichbaren Ansprüche auf Ländereien zugefallen, die bei der Fahrt nach Osten entdeckt wurden. Diesen potenziellen Ausschluss aus Indien konnte Johann auf keinen Fall hinnehmen. In Tordesillas wurde der Meridian um 270 Leguas nach Westen verlegt, so dass die damals noch nicht entdeckte Küste Brasiliens auf portugiesischer Seite lag. Außerdem erteilte der Vertrag Portugal die Rechte auf noch unentdecktes Land östlich der Linie. Die Regelung von Tordesillas hatte am anderen Ende der Welt weitere Streitigkeiten zur Folge, als die Spanier 1521 die Molukken erreichten, indem sie nach Westen gesegelt waren, während die Portugiesen die Inseln schon 1512 auf dem Weg nach Osten erreicht hatten.

In der kleinen und alten Stadt Tordesillas auf den Hochebenen Mittelspaniens trafen sich Delegationen beider Seiten, um die Teilung der Welt unter sich auszuhandeln. Hier teilten sie einfach mit einer vertikalen Linie durch den Atlantik „von der Arktis bis zum antarktischen Pol“ den Erdball in zwei Hälften;18 alles östlich dieser Linie sollte portugiesisch sein, westlich davon spanisch. Johann und sein Team aus Astronomen und Mathematikern, die vermutlich erfahrener und geschickter als die Spanier waren, zwangen ihre Widersacher, diese Linie von der ursprünglich vom Papst vorgeschlagenen Position mehr als tausend Meilen nach Westen zu verschieben – auf halber Strecke zwischen den portugiesischen Kapverdischen Inseln und den von Kolumbus entdeckten Karibischen Inseln, von denen man glaubte, sie würden zur asiatischen Küste gehören. Praktischerweise sollte diese Verschiebung die Küste Brasiliens, das damals noch nicht entdeckt war, in den portugiesischen Einflussbereich rücken. Da es keine Möglichkeit gab, den Längengrad des Meridians von Tordesillas exakt festzulegen, blieb die genaue Position der Linie weiterhin heftig umstritten. Und daran änderte sich bis 1777 nichts.


Wie das Jahr 1492 selbst markierte auch der Vertrag einen Wendepunkt am Ausgang des Mittelalters. Auch wenn die in Tordesillas getroffenen Vereinbarungen später von Papst Pius III. bestätigt |48|wurden, waren die Rechtsansprüche auf die Welt doch der Hegemonie des Papsttums entrissen worden. Sie waren nunmehr von Wissenschaftlern berechnet und gemäß der nationalen Interessen aufgeteilt worden. De facto hatten die beiden iberischen Mächte an der vordersten Front der Entdeckungsreisen das gesamte Gebiet außerhalb Europas zu einem privatisierten politischen Raum gemacht, sehr zur Verwunderung der anderen Monarchen. „Zeigt mir den Passus in Adams Testament“, spottete König Franz I. von Frankreich hämisch einige Zeit später.19 Aber um 1500 hatte kein anderes Land Zugang zum Atlantik noch verfügte es über die nötige Erfahrung, um es mit den Pionieren von der Iberischen Halbinsel aufzunehmen. Und Kolumbus war, ohne es zu wissen, bei seinem Wettlauf nach Indien in eine Sackgasse gesegelt, an deren Ende die beiden amerikanischen Kontinente den Weg versperrten. Lediglich die Portugiesen hatten inzwischen genügend Informationen gesammelt, um einen Seeweg dorthin zu finden und sich mit der übrigen Welt zu verbinden. Ihnen bot sich eine einmalige Gelegenheit, die ihren spanischen Rivalen verwehrt blieb.

Kolumbus’ Behauptungen hatten König Johann schwer getroffen, aber er ließ seinen Indien-Plan wieder aufleben und bereitete eine neue Expedition vor. Doch für ihn selbst war es zu spät. „Der Mann ist tot“, soll Isabella von Spanien angeblich gemurmelt haben, als sie im Jahr 1495 die Neuigkeit erfuhr. Sie hatte einst gehofft, ihre Tochter mit Johanns Sohn Alfonso zu verheiraten, aber der war 1491 gestorben. Der Thron ging an den jungen Dom Manuel, den Herzog von Beja, über, der bei der letzten Unterweisung Paivas und Covilhãs anwesend gewesen war. Manuel erbte zufällig eine Krone, das angesammelte Wissen aus 80 Jahren Entdeckungsreisen und das Sprungbrett für den entscheidenden Vorstoß nach Indien. Er bekam sogar das Holz für den Bau der Schiffe geschenkt. Wenn Johann als der „vollkommene Fürst“ in die portugiesische Geschichte einging, so war es König Manuel I. bestimmt, der „Glückliche“ zu werden.

Die Eroberer

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