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Erstes Buch: URTHEIL

Von geistl. Maggs. Commissions wegen1.

In Inquisitions Sachen entgegen und wieder die Mariam Renatam Sengerin de Mossau des Klosters zu Unterzell Praemonstratenser Ordens professam pto. Magies aliorumque Delictorum wird allem vor und Anbringen nach zurecht erkannt, daß nachdem Inqusitin in dreien Constitutis wiederhohlten und freiwillig eingestanden hat, was gestalten sie

1. eine Hex und Zauberin seye

2. mit dem Teufel einen pact gemacht, auch mit Veränderung ihres Nahmens Maria in Ema sich mehrmalen von ihm in das Hexenbuch habe einschreiben, nicht minder

3. sich von dem Teufel etwelche Hexen zeichen an ihren Laib habe machen lassen

4. Vermittels einer gebrauchten Hexenschmier und in einem gefärbten Röcklein öfters ausgefahren seye, und sich in der Hexen Versammlung eingefunden dann

5. in Versammlung öfters, außer solcher auch auch einmal Gott, Maria und den Heil. Sacramenten abgeschworen

6. sowohl in als auch außer berührter Versammlung und in dem Kloster Unterzell naheren Gemeinschaft und sogar Unzucht mit dem teufel vollbracht, desgleichen

7. das Hexen dreien Persohnen außerhalb dem Kloster gelehrt und

8. die Hexerei mit Mäus lebendig machen und Unterhaltung einer redenden Katz selbsten getrieben, durch solche Hexerei

9. nicht nur ermelten Klosters Probsten und den Abbten zu Oberzell zu beschädigen getrachtet, sondern auch

10. andere Leuth außer dem Kloster sowohl als ohngefaehr 6 Persohnen in demselben an ihrer Gesundheidt mit Verursachung der Auszehrung, Gliederschmerzen, Gichten, und derlei gleichen wirklichen Sachen zugefüget ja sogar

11. Acht von ihren Schwestern in dem Kloster mit dem Teufel besessen

12. den Pater Georgium zu Kloster Ebrach, und den Pater Nicolaum zu Kloster Almstadt in ihrer Vernunft verwirret und irrig gemacht, endlichen

13. die in der H. Comunion empfangene H. Hostien mehrmalen nicht hinuntergeschlungen, sondern solche mit Werfung in den See, auch zu 3 mahl in das geheime Ort, so auch einmal mit Nadelstopfung in ofentlicher Hexen Versammlung gottesräuberisch mishandelt habe …

In Inquisitions Sachen Mariam Renatam Sengerin de Mossau …

Es gibt kaum sichere Informationen über Maria Renata Singer von Mossau, das meiste wissen wir nur aus ihrer eigenen Schilderung – was in Anbetracht ihres Alters zum Zeitpunkt der Anklage, der Verhörsituation und der Vorwürfe, aber auch der Art und Weise, wie mit ihr umgesprungen wurde, nicht gerade überzeugend klingt.

Einen stimmigen und damit überzeugenden Lebenslauf zu zeichnen fällt schwer. Ihre Aussagen gründen auf Traumatisierungen im Kindes- und Jugendalter, auf fünfzig nicht immer einfache Jahre hinter Klostermauern und schließlich auf sieben rätselhafte Wochen Isolation und Einzelhaft im Kerker von Kloster Unterzell, wo sie mindestens einmal schwere körperliche Züchtigung erfahren hat.

Ein Eintrag im Taufbuch von Viechtach (heutiges Niederbayern) erwähnt am 27. 12. 1679 eine Maria Renata, deren Vater Friedrich Singer von Mossau hieß und Berufssoldat war. Sie soll laut dem Protokollbuch von Kloster Unterzell mindestens drei Geschwister gehabt haben. Darin heißt es zum 12. 5. 1699: „… ist Maria Renata nebst ihrer Mutter und Schwester nach Unterzell gekommen“ und hat sich für ein Noviziat beworben – zunächst erfolglos, es war kein Platz frei.

Sechs Jahre darauf ist im Protokollbuch die Ankunft zweier Brüder verzeichnet, beide Leutnants, die aus dem Krieg kommend, ihre Schwester besuchten und erklärten, sie wollten den Truppen des fränkischen Reichskreises beitreten. Um das Jahr 1738 hat es ein Dragonerregiment von Singer in Würzburg gegeben, das auch im Abwehrkampf gegen die türkisch-osmanische Expansion eingesetzt war. Einer der Brüder hieß Johann Marquard Singer von Mossau, der 1735 bis 45 im Würzburger Dragonerregiment von Münster stand, sein Bruder hörte auf den Namen Franz. Der Besuch von Angehörigen wird im weiteren Verlauf noch Thema sein, wenn es um den Unfrieden im Kloster geht.

Der Ort Viechtach zählte damals aus fränkischer Sicht zum Ausland, und Ausländer waren nicht gerne gesehen, zumindest nicht in hoher Zahl. Um das Jahr 1700 sollen auffallend viele Münchnerinnen im Kloster Aufnahme gefunden haben, auch als Kostgängerinnen (Untermieter). Der Fürstbischof war darüber nicht erfreut und untersagte es der Klosterleitung, die ihrerseits Einspruch dagegen erhob.

Ende August 1699 war es dann soweit. Dank Fürsprache einer Adeligen konnte Maria Renata einen von zwei frei gewordenen Plätzen ergattern, weil sich für die Vakanz keine Landeskinder gefunden hatten. Ihr Eintritt ins Kloster geschah offenbar nicht aus freien Stücken. Die damals Neunzehn- oder Zwanzigjährige soll auf Betreiben der Eltern ins Kloster gekommen sein. Religiöse Gründe, wie man es bei einem solch weitreichenden Schritt annehmen könnte, schloss Maria Renata im Nachhinein aus. Sinn und Herz standen ihr nach weltlichen Dingen.

Auf die Einkleidung folgte zwei Jahre später die Profess, das Ordensgelübde. Maria Renata verpflichtete sich unter anderem gehorsam, keusch und in Armut zu leben. 1720 übernimmt sie das Amt der Subpriorin – der Stellvertreterin der Priorin. Gemeinsam stehen sie dem Konvent der Schwestern vor und leiten ihn. Männer oder männliche Geistliche hatten in diesem Innenbereich (Klausur) wie auch Innenverhältnis nichts verloren und nichts zu bestimmen. Sie wirkte als Dignitärin bei allen rechtsrelevanten Vorgängen mit, sei es als Delegierte bei der Neuwahl der Pröpste oder bei Fragen von Stiftungen und Klosterbesitz2.

Für das Jahr 1749 sind keine Angaben über die Anzahl der Schwestern in Unterzell zu finden. 1734 führen die Priorin und die Subpriorin neunzehn Chorschwestern an, sowie eine Novizin und sieben Laienschwestern. Später waren es insgesamt auch 37 und mehr Schwestern.

Zum besseren Verständnis, da es in der Folge darauf ankommt, den Unterschied in der Hierarchie zu kennen: Eine Laienschwester ist eine einfache Ordensschwester, die für gewöhnlich nichts zu entscheiden oder zu bestimmen hat, die auch nicht am Stundengebet und damit am bestimmenden Tagesablauf der Chorschwestern teilnimmt. Sie verrichtet die einfachen, meist körperlich beschwerlichen Arbeiten, während sich die Chorschwestern den geistlichen oder auch geistigen Dingen widmen.

Maria Renatas Engagement, ihr hoher Rang und vor allem ihr mustergültiges Leben als Klosterschwester werden bis zum Jahreswechsel 1748/49 immer wieder gelobt – das sagt niemand anderer als der Abt von Oberzell, Oswald Loschert, und der musste es wissen. Schließlich hatte Loschert die Verantwortung und Weisungsbefugnis dem Frauenkloster in Unterzell gegenüber. Abt Loschert, der Propst von Unterzell, Richard Traub, die Priorin Katharina Neusesser und die Subpriorin Maria Renata haben jahrelang bei der Klosterführung zusammengearbeitet, gelegentlich auch gestritten, wenn es um Besitzansprüche oder Geld ging.

Mit zunehmendem Alter könnte Maria Renata eigensinnig und widerspenstig geworden sein wie so viele andere im letzten Lebensabschnitt, oder sie hatte eisern an ihrer Aufgabe festgehalten: Die Erziehung der ihr anvertrauten Novizinnen und die Einhaltung der Klosterdisziplin. Vielleicht hatte sie auch ernste Probleme mit der Klosterleitung und die mit ihr, oder eine der zahlreichen Mitschwestern beharkte sich mit ihr. Manches lässt sich nicht mehr zweifelsfrei klären, anderes hingegen schon, wie wir noch sehen werden.

Entscheidend ist aber Folgendes: Von heute auf morgen wird aus der geschätzten Subpriorin und frommen Vorzeige-Schwester eine hinterhältige, bösartige Hexe, die für alles Übel in Kloster Unterzell, dem über einhundert Kilometer entfernten Kloster Ilbenstadt und im Dorf Zell verantwortlich gemacht wird, und das nicht erst ab diesem Zeitpunkt, sondern seit Jahren.

Ebenso überraschend verliert sie quasi über Nacht ihren einst so gelobten guten Verstand, der sie in der Klosterhierarchie nach oben befördert und zur wertvollen Mitarbeiterin bei der Leitung des Klosters gemacht hatte. Von Abt und Propst werden ihr Tücke und Täuschung vorgeworfen, Hinterhalt und abgrundtiefe Boshaftigkeit, die nichts anderes zum Ziel hatte, als das friedvolle und harmonische Klosterleben zu zerstören.

Des Klosters zu Unterzell Praemonstratenser Ordens professam

Der Orden der Prämonstratenser geht auf den Wanderprediger Norbert von Xanten3 zurück. Er orientierte sich wie viele im 12. Jahrhundert am besitz- und ruhelosen Leben des Zimmermannsohnes aus Nazareth. Im Jahr 1120 gründete er mit Anhängern im Tal von Prémontré (Laon, Nordfrankreich) eine klösterliche Gemeinschaft, die seine Wanderlust aber nicht lange bremsen konnte. Norbert zog weiter und gründete weitere Klöster.

Bei den Gründungen handelte es sich anfangs um Doppelklöster, in denen Frauen und Männer räumlich voneinander getrennt im selben Gebäude lebten. Sie führten ein kontemplatives, monastisches Leben, waren aber keine Mönche, sondern eine Gemeinschaft von Priestern und Schwestern mit Ordensgelübde. Sie folgten der Augustinusregel, legten das Armuts-, Enthaltsamkeits- und Gehorsamkeitsgelübde ab und betrieben Seelsorge.

Den Tagesablauf bestimmte das Stundengebet (lateinisch: Liturgia horarum), auch als Officium divinum (Göttlicher Dienst) bezeichnet. Es ist das tägliche bis zu siebenmalige Gebet der Ordensbrüder und -schwestern, das mit dem Invitatorium (Einladung) in den frühen Morgenstunden beginnt und durch die Komplet (Schlussandacht) in der Nacht beschlossen wird.

Mit dem Stundengebet folgen Kirche und Geistliche dem Auftrag des Herrn:

„Ihr sollt allezeit beten und darin nicht nachlassen.“

Der heutige Markt Zell am Main, der im 18. Jahrhundert noch in Ober-, Mittel- und Unterzell gegliedert war, liegt vor den Toren Würzburgs. Er wird im Jahr 1128 anlässlich der Gründung des Prämonstratenser-Klosters Oberzell erstmals urkundlich erwähnt und bestand überwiegend aus Fischern und Häckern (Weinbauern).

In die Zeit um 1230 fällt die örtliche Trennung des Frauenkonvents vom Männerkonvent in ein neues Gebäude in Unterzell mit Kloster-, Wohn- und Kirchengebäuden, aber auch mit weitläufigen Wirtschaftsanlagen. Das pittoreske Gelände lag in unmittelbarer Nähe zum Main und wurde früher als Paradies bezeichnet.


Abbildung 2: Kloster Unterzell Mitte 18. Jahrhundert

Die Klöster waren Selbstversorger, die sich selbst unterhalten und finanzieren mussten. Großzügige Spenden und Schenkungen, Erbschaften oder auch eine Art Aufnahmegeld für Novizen und Novizinnen waren Teil der Bilanz, genauso wie Erträge aus Pacht, Zehnt und dem Verkauf von Wirtschaftsgütern.

Während die Ordensschwestern ihren Konvent mit einer Priorin an der Spitze weitgehend selbst organisierten und führten, unterstanden sie letztlich jedoch der Aufsicht der Oberzeller Ordensbrüder. Dazu wurde von den Schwestern ein Propst (Vorsteher) gewählt, der unter anderem für die äußeren Angelegenheiten des Frauenkonvents zuständig war, den Schwestern aber auch als Beichtvater diente. Ihm zur Seite stand ein Sekretär, beide (oder zumindest der Propst) wohnten in einem abseits gelegenen Gebäude zum Frauenkonvent. Des weiteren ein Gärtner, dessen Unterbringung in den Klosterbüchern nicht näher bestimmt ist.

Wichtig ist, dass die Schwestern Männer, bis auf den Beichtvater, entweder kaum oder nie zu Gesicht bekamen. Außerdem durfte kein Mann, den exklusiv für Frauen bestimmten Innenbereich (Konvent, Klausur) betreten, auch der Beichtvater nicht.

Schließlich ist ein Klosterphysicus (Arzt) dokumentiert, er hat eher nicht auf dem Gelände gewohnt. Bezeichnenderweise ist für das Jahr 1749 kein Arzt verzeichnet, obwohl für 1733 eine Verbesserung der Krankenabteilung vermerkt ist als auch anderes zu dem Krankenzimmer Nöthiges wie Heilkräuter. Vermutlich wurde in Krankheitsfällen auf einen Arzt in Zell oder Würzburg zurückgegriffen. Das Juliusspital hätte sich dafür angeboten, da es dort unter anderem eine Abteilung für die sogenannten Furiosen (Rasende) gab, und wie wir noch sehen werden, erfreute sich die Abteilung großer Beliebtheit.

Die beiden Klöster in Ober- und Unterzell teilten in den Jahrhunderten nach ihrer Trennung alle Höhen und Tiefen des Schicksals – Krieg, Zerstörung, Vertreibung und Wiederaufbau –, Mitte des 18. Jahrhunderts zeigte sich aber eine andere Situation.

Die Brüder in Oberzell sahen sich unter Abt Oswald Loschert mit umfangreichen Renovierungsmaßnahmen ihres Klosters konfrontiert, kein Geringerer als der Baumeister der Residenz zu Würzburg, Balthasar Neumann, wurde dafür engagiert. Die Arbeiten verschlangen Unsummen, und so mancher fragte sich im Angesicht der knappen Haushaltskasse, woher das viele Geld kommen sollte.

Ein ganz anderes Bild im Frauenkloster Unterzell, das auf stattliche Besitzungen und somit auf sprudelnde Einnahmen zurückgreifen konnte.

Neid und Streit waren unter den beiden Klöstern nicht ungewöhnlich, jeder musste sehen, wie er zurechtkam. Ebenso kam es immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit externen Vertragspartnern, unter anderem mit den örtlichen Weinhändlern, die expandieren wollten. Mitte des 18. Jahrhunderts wurden umfangreiche Baumaßnahmen in der Gemarkung durchgeführt, wofür Pacht und Zins an die Grundstückseigner, die Klöster, gezahlt werden musste.

Der Frauenkonvent bestand überwiegend aus wohlhabenden Adels- und Bürgerfrauen, deren Familien reichlich für die Unterbringung der mitunter überschüssigen Töchter zahlten oder spendeten. Die Leitung oblag 1749 der gebrechlichen Priorin Katharina Neusesser, die die Erziehung und die Aufsicht über die Novizinnen (Neulinge, ohne abgelegtes Gelübde) vermutlich ihrer Stellvertreterin, der Subpriorin überließ. Das war die ebenfalls schon 69-jährige Maria Renata Singer von Mossau – für die Zeit ein gesegnetes Alter, als die Lebenserwartung um die 40 Jahre lag.

Maria Renatas Gewissenhaftigkeit, aber auch ihre Strenge und ihr Geiz sollen über die Jahre für Unmut unter den Schwestern gesorgt haben. Zum einen wurden viele, wenn nicht die meisten gegen ihren Willen ins Kloster gesteckt, wo sie sich nur schwer mit der dort herrschenden, straff organisierten Klosterdisziplin anfreunden konnten. Zum anderen waren die jungen Novizinnen aus adeligem oder gutbürgerlichem Haus Kinder einer anderen Zeit, besser: einer begüterten und sicheren Welt, anders als die verarmte Offizierstochter Maria Renata, die als Kind und Jugendliche mit ihren Eltern auf den Schlachtfeldern aufwuchs und dort das persönliche wie auch wirtschaftliche Überleben erlernt hatte.

Der Propst von Unterzell, Richard Traub, war ebenfalls nicht gut auf sie zu sprechen, da sie einen anderen Beichtvater bevorzugte und offenbar mit der Bevorzugung der Traubschen Verwandtschaft beim Klosterbesuch nicht einverstanden war, wie wir später noch sehen werden.

Und doch kam es in den knapp fünfzig Jahren ihres Ordenslebens nicht zu einem ernsthaften, nachhaltigen und vor allem dokumentierten Zerwürfnis zwischen Maria Renata, den Schwestern und den Klosterbrüdern aus Unter- und Oberzell.

Magies aliorumque Delictorum4

Was eine Hexe ist und ob es sie überhaupt gibt, darüber wird seit vorchristlicher Zeit gestritten.

Der Begriff Hexe leitet sich etymologisch vom westgermanischen hag (Zaun, Hecke) ab, im 16. Jahrhundert findet sich im Deutschen die Beschreibung Zaunreiterin.

Laut dem Historiker Wolfgang Behringer stehe die Hexe zwischen Wildnis und Zivilisation, zwischen Natur und Kultur, zwischen Teufel und Gott. Sie sei zwar Mensch, besitze aber übernatürliche Kräfte und könne die Gesetzte der Natur transzendieren – was volkstümlich so viel heißt wie: Die Hexe kann zaubern.

Tut oder kann sie es nachweislich nicht, ist sie keine Hexe, sondern nur ein närrisches, großsprecherisches Weib, das mit Ruten ausgestrichen werden soll. Ein Todesurteil hätte das Großmaul nicht zu fürchten gehabt.

Somit steht der Nachweis für die tatsächliche Zauberkunst im Raum. Bloße Gerüchte und Denunziationen, wie sie noch im 16. Jahrhundert genügten, um ein Verfahren auf Hexerei in die Wege zu leiten und zum erhofften Erfolg zu bringen, hätten eigentlich Mitte des 18. Jahrhunderts im fränkischen Würzburg nicht mehr ausreichen dürfen, wenn man sich die Geschichte der fränkischen Hexenverfolgung kurz betrachtet.

Die in deutschen Landen mitunter größten und grausamsten Hexenprozesse fanden zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf Würzburger Herrschaftsgebiet statt. Anfänglich waren es mittellose, alte Frauen, dann auch Männer und Kinder, die den Hexenriechern zum Opfer fielen. Kurz vor Einfall der Schweden und ihren protestantischen Alliierten, die dem Wahnsinn ein Ende bereiteten und, nebenbei bemerkt, den geistigen Brandstiftern von Teufels- und Hexenglaube – den Jesuiten – nachstellten, sahen sich auch Kleriker mit dem Vorwurf auf Hexerei und Teufelspakt konfrontiert. Ein gutes Dutzend verlor in Würzburg das Leben. Der beispiellose Vorgang ist als Klerikerprozesse in die Geschichte eingegangen.

Rund 120 Jahre später wurde nun erneut gegen eine Geistliche, die Ordensschwester Maria Renata in Sachen Hexerei ermittelt, und das war besonders heikel, da sie eine Adelige war und keine unbedeutende Person aus dem Volk. Sie genoss das Privilegium fori, das Rechtsprivileg der Kleriker, wonach sie nicht vor ein weltliches Gericht zitiert werden konnte. Zudem stand sie unter dem Schutz ihrer einflussreichen Ordensbrüder aus Kloster Oberzell, ihr oberster örtlicher Schutzherr war der Fürstbischof von Würzburg.

Einige wichtige Gründe sprachen also gegen ein erfolgreiches Verfahren … wenn es da nicht eine Ausnahmeregelung gegeben hätte, die als Ausnahmeverbrechen (crimen exceptum) definiert wurde. Diese setzte nahezu alle Rechtsvorschriften außer Kraft und war von Juristen und Theologen wissenschaftlich hergeleitet und begründet worden.

Das Sonderverbrechen fußte auf mehreren Tatbeständen:

– Die bereits angesprochene Zauberei

– Gotteslästerung

– Sodomie

– und Ehebruch, sofern der/die Angeklagte verheiratet war.

Dazu sollte man wissen, dass derartige Verfahren nicht auf Basis der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. (Carolina) geführt, sondern nur danach gestraft werden konnten (peinlich vom Lateinischen poena: Strafe). Das Strafmaß richtete sich nach Umfang des angerichteten Schadens.

Um zu einem belastbaren Urteil zu kommen, strebte man das Geständnis des Angeklagten an. War er nicht willig, drohte ihm die Folter. Außerdem sollte er Reue zeigen sowie Komplizen benennen. Die Halsgerichtsordnung versuchte die Folter zu reglementieren und auf Gottesurteile (unter anderem Wasser- und Nadelprobe) zu verzichten. Der Beweis der Schuld war erst bei einem Geständnis erbracht, es musste später ohne Gewaltandrohung wiederholt werden.

So weit die Theorie. Die Praxis sah anders aus. Der berüchtigte und allseits gefürchtete Hexenhammer des Theologen und Dominikaners Heinrich Kramer kam zur Anwendung, da dieser ein Instrumentarium zur Verfügung stellte, um einer Hexe auf die Spur zu kommen. Beim Verhör galt es über zweihundert standardisierte Fragen glaubhaft zu beantworten. Tat man es nicht oder nur unglaubwürdig, winkte die Folter.

Im Fall Maria Renatas kam laut Aktenlage die Folter nicht zum Einsatz, was aber nicht heißt, dass die Ordensfrau nicht körperlich gezüchtigt oder gefoltert wurde, eben nur anders – neuzeitlicher. Darüber wird an späterer Stelle noch zu sprechen sein. Außerdem habe sie alles freiwillig gestanden, wie es heute immer noch gerne heißt, es brauchte also keine Nachhilfe.

Die mitunter abscheulichen und krankhaften Fragen des Hexenhammers (unter anderem Aussehen und Beschaffenheit des teuflischen Geschlechtsteils, auch wie es sich anfühlt), nähren den Verdacht auf Misogynie, den Hass auf Frauen, nicht nur bezüglich dem Autor des wirren Teufelswerks, sondern auch bei den Verhörern, den Hexenriechern.

Einen Zusammenhang zwischen Frauen und Teufeln sahen manche Gelehrte schon lange vor 1749, wenn von Frauen als dem schwachen Geschlecht die Rede war, das, im Gegensatz zu den starken Männern, leichter Opfer teuflischer Nachstellungen wurde. So sei das Verbrechen der Hexerei ein vornehmlich weibliches Delikt und dass sich Frauen im Verhältnis von 50:1 häufiger der Hexerei schuldig machten als Männer. Das läge an der weiblichen Begierde, ihre Kraft befände sich in den Eingeweiden und den Sexualorganen, und das alles ziehe sie von Natur aus zum Teufel hin5. Wer dem widersprach, machte sich schnell zum potentiellen Teufelsanhänger und Hexenmeister.

Der Frauenhass lässt sich daraus erklären, aber auch aus dem Zusammenhalt der Männer untereinander und gegen alle anderen, besonders wenn es zu Streitigkeiten kam. Machtkämpfe provozierten frauenfeindliche Reden als Mittel im Kampf um Deutungshoheit und Urteilskraft und schließlich um den Erhalt einer göttlichen Ordnung, die als patriarchalische Ordnung imaginiert wurde, in der Männlichkeit gleichbedeutend war mit Klugheit, Überlegenheit, Besonnenheit und Wahrheit.6

Im Folgenden werden wir des Öfteren auf Beispiele dieser Überlegenheit stoßen, auf rivalisierende Männer und machthungrige Verbündete, die schonungslos gegen die Attacken einer bösartigen Hexe vorgehen und dabei Recht, Geist und Moral opfern.

Allem vor und Anbringen nach

Maria Renata wurde Hexerei und Zauberei vorgeworfen, speziell die Verhexung von sechs Schwestern im Kloster Unterzell. Weitere Vorhaltungen wie Zauberwerk an Mäusen, einer Katze und weiteren Personen in und außerhalb des Klosters kamen in den anschließenden Befragungen und Verhören hinzu.

Die Klosterleitung stellte Maria Renata am 5. Februar zur Rede und laut Protokoll soll sie umgehend und vor allem freiwillig gestanden haben: Ja, sie sei eine Hexe und hätte alles begangen, was ihr vorgehalten wird.

Der Abt von Oberzell, Oswald Loschert, hatte daraufhin den Bischof von Würzburg über das Ergebnis in Kenntnis gesetzt. Auf dessen Anordnung hin wurde eine Kommission aus vorerst zwei Geistlichen gebildet, die den Sachverhalt vor Ort überprüfen sollte. Bevor es dazu kam, verstarb der Bischof und sein Stellvertreter, der Domdechant, führte die Geschäfte in der Sedisvakanz fort. Er stockte die Kommission um zwei weitere Geistliche auf, die am 19. Februar in Kloster Unterzell das erste Verhör mit Maria Renata durchführten, das zweite fand am 21. Februar statt.

Aber, wer hat ursprünglich die Anschuldigungen vorgebracht und waren sie glaubwürdig?

Der genaue Hergang wird in unterschiedlichen, sich zum Teil widersprechenden Versionen berichtet, worauf im Weiteren eingegangen wird. Glaubwürdig schienen sie allemal zu sein – zumindest nach Auffassung der Klosterleitung und später auch nach Dafürhalten der Kommission.

Im Ergebnis hat Maria Renata alle gegen sie erhobenen Vorwürfe eingestanden. Die geistliche Kommission fällte darauf beruhend ein Urteil: Die Ordensschwester wurde in allen Anklagepunkten als überführt und für schuldig erklärt, ihrer geistlichen Würden beraubt und zur weiteren Behandlung an ein weltliches Gericht überstellt.

In dreien Constitutis wiederhohlten und freiwillig eingestanden hat

Als Maria Renata am 19. Februar sich den Fragen der geistlichen Kommission stellte, war ihr Gesundheitszustand bereits bedenklich. Sie hatte am 5. Februar mindestens eine Befragung ihrer Ordensbrüder über sich ergehen lassen müssen7, und diese war nach Aussage ihres externen Beichtvaters, des Benediktiners Pater Maurus Stuart de Boggs aus dem Würzburger Schottenkloster, nicht ohne Brisanz.

In einem Brief an den Weihbischof beklagte sich Pater Maurus später in klaren, unmissverständlichen Worten:

„Die unglückliche Renata hat bei den Befragungen seitens ihres Klosters (gemeint sind die Brüder aus Oberzell) harte Schläge erhalten, wodurch sie erkrankt ist. Ein grausames Verfahren, besonders des Pater Siards, der ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen und gesagt hat: Kanaille, willst du nichts gestehen? Sie hat noch mehr Schläge erhalten und schließlich aus Furcht (die Beschuldigung) gestanden.“

Bei der Befragung am 19. Februar musste Maria Renata auf einem Sessel in den Befragungsraum getragen werden – offenbar nicht wegen der ihr unterstellten Altersschwäche, sondern aus Erschöpfung. Sie beantwortete die Frage nach ihrem augenfälligen Gesundheitszustand dahingehend, dass sie entsetzlich geschlagen worden sei.

Ein weiterer dokumentierter Umstand stützt die Behauptung auf körperliche Misshandlung und in deren Folge, ihr schlechter Allgemeinzustand. Maria Renata konnte die Fragen nur sehr leise beantworten, sodass die Kommission sie nicht verstehen konnte. Die Fragen mussten wiederholt werden, und Maria Renata wurde angehalten lauter zu sprechen, was ihr aber schwerfiel. Vermutlich hat Pater Maurus, der in ihrer Begleitung war, ausgeholfen. Sie saßen beide diesseits eines Gatters oder Gitters, die Kommission jenseits, was nicht ungewöhnlich für das klösterliche Sprechzimmer/Redstube war. Hier wurden Gäste und Besucher empfangen und das Gatter war die Grenze zwischen Außenwelt und Konvent (Klausur).

Und noch etwas sprach für die Anwesenheit ihres Beichtvaters: Er sollte beruhigend auf die Mitschwestern Maria Renatas einwirken – eine groteske Situation, denn die Mitschwestern sollen sie der Verhexung beschuldigt haben. In wie weit das zutrifft, ist Gegenstand einer späteren Analyse von unterschiedlichen Darstellungen.

Fraglich ist, wo genau sich die Schwestern während der Befragung befanden – im Sprech- beziehungsweise Vernehmungszimmer oder auf dem Gang mit dem Ohr an der Tür, denn sie hörten die Fragen und Antworten, wie es der Malefizschreiber (Protokollführer) eindrücklich festhält:

„Es kommt zu Tumult und Geschrei der Besessenen (Schwestern). Die Inquisitin (Maria Renata) fürchtet sich, zittert und atmet schwer.“

In diesem (tatsächlichen) Hexenkessel ließ sich keine seriöse Befragung durchführen, schon gar nicht, wenn das Verfahren auf Basis des Hexenhammers von Natur aus korrupt war.

Der Fragenkatalog erstreckte sich auf 211 Hauptfragen und zahlreiche Nebenfragen. 177 wurden am 19. Februar gestellt und 34 am zweiten Sitzungstag, dem 21. Februar. Die Fragen richteten sich nach den Vorgaben des Hexenhammers und hatten zum Ziel, ein Geständnis zu bewirken und einen Bericht der begangenen Schandtaten zu erhalten. Dazu kamen Fragen, die die Antworten bereits enthielten und nur mit Ja oder Nein beantwortet werden konnten.

Auch wurden Fragen zu den Hauptbelastungspunkten mehrmals wiederholt. Das konnte der Vergewisserung dienen, wahrscheinlicher ist, dass die Angeklagte verwirrt und desorientiert werden sollte, damit sie zunehmend müde und mürbe wurde, damit sie rascher gestand.

Es war ein bewährtes, in Hunderten von Hexenprozessen zuvor angewandtes Vorgehen. Wer der Hexerei angeklagt war, konnte den Fallstricken des Hexenhammers nicht mehr entkommen. Er war noch vor dem Richterspruch verurteilt.

Die Hexenriecher

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