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DIE FLAMMEN HÜTEN EIN GEHEIMNIS

„Acht Eisenbarren für ein Saufgelage!“, entrüstete sich Fürstin Akiana. „Damit könntest du alle Krieger, Diener und Sklaven hier auf dem Opios1 ein Jahr lang ernähren.“

„Wie kommst du auf acht? Wir schleppen ganze vier Barren mit nach Bragniac2. Der Rest sind Zobel- und Dachsfelle, Bernstein, Honig …“, rechtfertigte sich der Fürst.

„Ach, ich weiß doch, was die Waren wert sind“, winkte die Fürstin ab. „Ich habe dein Lager inspiziert und alles grob überschlagen.“

Dass sie das getan hatte, bezweifelte Fürst Segomar keinen Augenblick. Seine Frau war sein heimlicher Verwalter, wie er immer sagte. „Du weißt ja gar nicht, womit wir zurückkommen“, versuchte er, sich zu verteidigen. „Wir bringen Gewürze mit, deren Wert ich verzehnfache. Und bretonisches Zinn, für das mir der Bronzeschmied einen Berg seiner Werkzeuge überlassen muss. Und Badekräuter, Salben und Duftöle für deinen wundervollen Körper.“ Dabei rückte er noch näher an sie heran, umfasste ihre Hüfte und küsste ihren Hals. „Und Stoffe von den Griechen, die so fein gewoben sind, dass sie durchscheinen. Wie solch ein Schleiergewand wohl an dir aussieht …?“ Segomar ließ seine Küsse ihren Hals hinabwandern.

„Ja, ja, gleich kommen die goldenen Hals- und Fußringe mit Einlagen aus Korallen“, meinte die Fürstin lachend und wehrte ihn ab. „Trotzdem willst du hauptsächlich wegen der Amphoren voller Wein und dem attischen Trinkgeschirr losziehen und ein Vermögen dafür verschwenden.“

Segomar wollte noch einen Schluck Met aus dem Horn nehmen, doch das war schon leer. Als er nachschenkte, wurde er wieder ernst: „Und außerdem ist das kein ‚Saufgelage‘. Du weißt ganz genau, dass ich als Fürst den Sippenhäuptern und Hofherren etwas bieten muss, was keiner im Land übertreffen kann. Hier auf dem Gipfel des Opios sind sie dem Himmel näher als der Erde – und ich bin ihr Bindeglied zu den Göttern. Deshalb sollen sie hier nur bekommen, was es in ihrer Welt unten nicht gibt. Met oder gar Bier wird nicht gereicht, nur Wein, und zwar aus kunstvoll bemalten attischen Amphoren und Trinkschalen. Bei mir werden sie keine bäuerlichen Krüge und Kessel sehen.“

„Ich weiß, ich weiß, du musst deine Leute beeindrucken.“ Akiana war klar, dass die Verschwendung geradezu gewollt war – Segomars Gefolgsleute sollten sich zuraunen, dass solch atemberaubender Aufwand und solche Großzügigkeit nur einem Günstling der Götter vorbehalten sein konnten. Und Gunst der Götter war gleichbedeutend mit Herrschaftsanspruch. „Aber dieser Prunk wird bald nachgeahmt werden – auch Targur besitzt bereits attisches Geschirr, hat meine Dienerin gehört. Und die Eisenschmelzer sollen ebenfalls schon reich verzierte Amphoren für ihre Barren bekommen haben. Auf diese Weise hebst du dich nicht mehr lange von deinen reichen Untertanen ab. Aber deine Freundschaft zu den Göttern sieht das Volk doch daran, wie das Land aufblüht: Jeder kleine Bauer kann sich mittlerweile sein Fleisch würzen und hin und wieder Met leisten. Die Frauen behängen sich mit Bronzeschmuck. Deine Krieger können alle einmal ihre eigenen Höfe gründen; bis es so weit ist, vergnügen sie sich bei der Jagd oder auf Handelszügen.“

„Ja, ja, allen geht es denkbar gut. Aber das bringt Langeweile und die bringt Unzufriedenheit“, entgegnete Segomar. „Der Krieger murrt, weil es seit fünf Jahren keine Schlacht mehr gegeben hat. Der Bauer klagt, dass der Fürst an jedem verdorrten Apfel und jedem tot geborenen Kalb schuld ist. Der Priester zürnt, dass wir der Erdmutter Ana zu viel Eisen aus dem Bauch reißen und von Arduinna mehr Wild nehmen, als gebührlich ist. Der Hofherr ist nie zufrieden, weil der Nachbar mehr hat, obwohl er selbst viel größere Opfergaben dargebracht hat. Der Händler jammert, weil ich ihn übervorteile …“

„Na, wenigstens der hat recht“, meinte die Fürstin schmunzelnd.

In diesem Augenblick wurden draußen Stimmen laut. Die Tür flog auf, ein Wächter stürmte herein und schrie: „Feuer! Das Schlimmste, das ich je gesehen habe!“

„Hier oben bei uns?“, rief Akiana, als sie mit ihrem Mann ins Freie eilte.

„Nein, auf dem Hof von Targur. Man kann jedes Gebäude bis hierher sehen, wie am helllichten Tag!“

Targur – Segomars reichster Untertan und zugleich sein mächtigster Widersacher. Der Fürst rannte zum Wehrgang der obersten Mauer. Der Wächter hatte recht, man erkannte sogar jetzt, mitten in der Nacht, einzelne Gestalten in Targurs Hof dort unten, wo sich am Fuß des Opios eine Ebene erstreckte. Die beiden großen Grabhügel und der Waldrand zeichneten sich im Schein der Feuersbrunst ab.

„Alle Berittenen hinunter zum Löschen“, gab der Fürst Befehl. „In Waffen, falls es ein Überfall ist.“ Segomar ließ sein Pferd satteln, ging zurück ins Herrenhaus, gürtete sein Schwert und warf den Umhang über.

Kurz bevor der Fürst Targurs Hof erreichte, kamen ihm ganze Wolken von Funken entgegen, die an aufgebrachte Feen und Elfen erinnerten. Als er seinen wilden Galopp vor dem Tor zügelte, stob eine weitere Wolke glimmender Punkte auf, weil ein paar Balken vollends einstürzten. Das Schlimmste war offensichtlich schon vorüber. Im Schein kleinerer Feuer und glühender Balken sah er, dass das Herrenhaus unversehrt war. Doch vom Haus des Schmiedes, dessen Werkstatt, den zugehörigen Vorratsgebäuden und der Palisade in diesem Bereich waren nur noch verkohlte Reste übrig.

„Konnten sich alle retten?“, fragte der Fürst vom Pferd herab einen Mann mit verrußtem Gesicht, der Erde auf glutrote Balken schaufelte.

Der Mann schüttelte den Kopf: „Wie es aussieht, sind der Schmied und seine Familie umgekommen.“

In diesem Moment erblickte der Fürst Targur, den Herrn des Hofes. Der schlanke, sehnige Mann stand inmitten der Trümmer und wies eine Gruppe von Männern und Frauen an, sich durch einen verkohlten Haufen zu wühlen – als ob er etwas suchte.

Fürst Segomar stieg vom Pferd und fragte den Häuptling: „Weiß man, wie es passiert ist? Wie konnten sich die Flammen so schnell ausbreiten?“

Von oben bis unten mit Ruß bedeckt, wirkte Targur noch bedrohlicher als sonst. Seine graublauen Augen, deren eisiger Blick schon so manchen Feind hatte erstarren lassen, leuchteten aus dem geschwärzten Gesicht heraus. Segomar fing einen Blick auf, der – was er niemals zuvor bei Targur gesehen hatte – einen schwachen Moment verriet. Die Furcht, etwas Unersetzliches verloren zu haben, offenbarte sich darin. Seltsam, dachte der Fürst, Targur hatte schon größere Katastrophen als diesen Brand ungerührt überstanden.

„Niemand weiß etwas“, knurrte Targur schließlich, wandte sich ab und wies zwei Männer an, einen Balken wegzuräumen.

Am nächsten Morgen kündigte ein Wächter in der Halle des Herrenhauses auf dem Opios Ritomar, den Priester, an.

Die Miene des heiligen Mannes hätte nicht düsterer sein können. „Die Götter haben noch heute Nacht im Traum zu mir gesprochen“, begann er, mitten im Raum stehend. „Ich sah, wie das Feuer in Targurs Hof nicht mehr zu bändigen war und den Opios mit allem, was darauf war, verschlang. Deine Macht war gebrochen, deine Sippe zerstreute sich in alle Winde.“

Segomar wunderte sich, dass er in dieser Vision das Opfer war, hatte der Brand doch seinen Gegner geschwächt. „Was bedeutet dieser Traum?“, wollte er wissen.

„Bedenke nur: Taranis3 ließ den heiligen Mann des Feuers, Targurs Schmied, den Beherrscher der Flamme und des glühenden Eisens, in seinem eigenen Element umkommen. Niemand, auf dessen Boden sich der Zorn der Götter dermaßen entfaltet, wird vom Volk als Häuptling akzeptiert. Targur wird darum etwas tun müssen, um sich von diesem Makel reinzuwaschen. Ich ahne, es richtet sich gegen dich – zumal eine bestimmte Kleinigkeit in meinem Traum sehr seltsam war.“

„Was für eine Kleinigkeit?“

„Das Feuer kam nicht von innen, aus der Schmiede, sondern es begann von außen her zu brennen.“

„Das hieße, jemand hat das Feuer gelegt?“

„So sagt es der Traum. Doch er sagt mir nicht, wer es war. Wenn Targur erkennt, dass ein Brandstifter am Werk war, wird er dich beschuldigen, um dein Ansehen zu vernichten. Und natürlich um seinen Anspruch auf die Fürstenwürde zu bestärken.“

„Wie ging dein Traum denn aus?“

„Mitten durch die Feuersbrunst ließen die Götter ein kleines Rinnsal fließen. Darin schwamm ein Lachs. Du, mein Fürst, fingst den Lachs. In diesem Augenblick schwoll das Rinnsal zu einem reißenden Strom, der die Flammen löschte und dem verbrannten Land Fruchtbarkeit und Frieden zurückbrachte.“

„Und was bedeutet das?“

„Nun, wie du weißt, ist der Lachs das Sinnbild von Weisheit und Erkenntnis. Der letzte Teil des Traumes will also sagen: Erkennst du, was hinter dem Brand steckt, wirst du das Unglück abwenden.“

„Was soll ich tun, Ritomar?“

„Suche die Nähe der Götter. Sie werden dich auf den Weg zur Lösung führen. Komm sofort zu mir, wenn du das Gefühl hast, dass sie dir ein Zeichen geschickt haben.“

Der Fürst verabschiedete seinen Priester würdevoll. Wie immer nahm Segomar jedes seiner Worte ernst. Doch bevor er in göttlichen Sphären nach der Wahrheit suchte, wollte er erst einmal mithilfe gewöhnlicher Sterblicher der Sache auf den Grund gehen. Er ließ Garmo, seinen Hauptmann, rufen.

Der hatte geahnt, dass man ihn brauchte und deshalb bereits vor der Tür gewartet.

„Wer ist der beste Fährtenleser, mit dem du auf Jagd gehst?“, fragte der Fürst, nachdem Garmo eingetreten war.

„Fannac“, sagte der Hauptmann, ohne zu zögern. „Ich habe selbst gesehen, wie er die Spur eines Rehs auf dem blanken Felsboden der Alb verfolgt hat.“

„Nimm diesen Mann, reite mit ihm hinunter zur Brandstelle und lasse ihn alles genau untersuchen.“

„Wonach soll er suchen?“

„Nach Anzeichen dafür, warum sich niemand aus dem brennenden Haus retten konnte, nach dem Brandherd, und ob es vielleicht Brandstifter waren.“

„Ich werde noch ein paar alte Krieger mitnehmen, die schon große Feuer miterlebt haben.“

„Nimm mit, wen immer du brauchst. Ich komme bald nach.“

Als Fürst Segomar am Hof des Häuptlings anlangte, erwartete ihn ein dramatisches Bild. Sein Hauptmann Garmo saß mit gezogenem Schwert auf dem Pferd, hinter ihm reihten sich Fannac, der Spurensucher, und vier weitere Berittene bedrohlich auf. Vor dem Tor bildeten einige Männer Targurs mit ihren länglichen, in leuchtenden Farben bemalten Schilden einen Wall wie in einer Schlachtenformation. Drohend erhoben sie ihre Speere.

„Was ist hier los?“, donnerte der Fürst los, als er zwischen die Reihen ritt.

„Sie weigern sich, uns in den Hof zu lassen“, meldete der Hauptmann. „Wir hätten kein Recht, die Stunde der Not zu nutzen und wie feindliche Krieger einzufallen.“

Niemand bemerkte den winzigen Moment, in dem der Fürst zauderte. Erstmals stellten sich ihm die Krieger seines Widersachers mit Waffen und nicht nur mit Worten entgegen. „Feindliche Krieger?“, schrie Segomar den Schildwall an. „Beim Zorn des Taranis, ich bin euer Herr, ihr seid meine Gefolgsleute! Wer sich mir entgegenstellt, den lasse ich auf der Stelle als Verräter hinrichten!“

Der unsichere Seitenblick eines Schildträgers zu seinem Nebenmann zeigte Segomar, dass der Widerstand am Zusammenbrechen war. „Auseinander!“, setzte er nach.

Die Krieger wichen zurück in den Hof, doch nun stand ein einzelner Mann breitbeinig im Tor – Maban, der Hauptmann Targurs.

„Wir schützen doch nur unseren Herrn“, sagte der Krieger mit den buschigen schwarzen Augenbrauen, dem Schnauzbart und dem dicken Bauch.

„Ich bin euer Herr“, musste Segomar erneut betonen.

„Was willst du eigentlich von uns?“, fragte der Hauptmann ganz und gar ungerührt.

„Ich brauche als dein Fürst nicht zu rechtfertigen, was ich auf dem Hof eines Untertanen will!“

„Warum schickst du bewaffnete Krieger voraus?“

„Sie sollen euch helfen, die sterblichen Überreste der Brandopfer zu bergen. Es dürfte nicht leicht sein, jedem Toten seine Gebeine zuzuordnen. Diese Männer können es.“ Maban hatte den Fürsten also doch dazu gebracht, eine Rechtfertigung abzugeben.

Mittlerweile war auch Häuptling Targur erschienen. Er war immer noch von oben bis unten mit Ruß bedeckt. Die geröteten Augen zeugten von fehlendem Schlaf. Segomar glaubte auch, die Auswirkungen von zu viel Met darin zu erkennen.

„Was bringst du Unfrieden in mein Haus?“ Targurs Stimme schien alles vibrieren zu lassen, obwohl er nicht einmal schrie.

„Ich bringe Beistand“, entgegnete Segomar, der sich anstrengen musste, dass seine Stimme fest klang. „Dies sind die erfahrensten Spurensucher meines Reiches“, wies er auf die Männer hinter sich. Aus der Ferne sah diese Geste wie ein Hilfesuchen bei den Hintermännern aus. „Sie werden eure Toten so bergen, dass ihr deren Gebeine Mann für Mann und Frau für Frau wieder zusammenfügen könnt. Du weißt, welches Unglück es bedeuten kann, wenn man das Totenreich nicht so vollkommen erreicht, wie man unsere Welt verlassen hat.“

„Auf meinem Hof bin ich für Lebende und Tote verantwortlich“, erklärte Targur. „Ich persönlich werde die Gebeine bergen. Morgen ist ein Spurenleser von dir gerne willkommen, der uns helfen kann, sie zu ordnen.“

In der Pause, die jetzt entstand, wurde klar, dass Fürst Segomar im Angesicht all der Krieger nicht die Schmach auf sich nehmen konnte, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen.

Targur verkündete darum großmütig: „Fürst“ – er sagte nie „mein Fürst“, wie es sich gebührt hätte – „komm mit deinen Männern in meine Halle, um einen ersten Becher Met auf die Toten zu leeren.“

Segomar fügte sich in diese Auflösung der Situation, ritt aber bis zum Haus neben Targur her und ließ es damit für einige Augenblicke so aussehen, als sei Targur sein Waffendiener.

Als dem Fürsten mit seinen Männern in der Halle die Plätze zugewiesen wurden, fiel ihm auf, dass Luguwal, der älteste Sohn des Häuptlings, nicht anwesend war. „Er ist unterwegs, um Geschäfte für mich abzuschließen. Ich habe schon einen Boten nach ihm ausgesandt“, erklärte Targur.

Itam trieb den Ochsen vor seinem Karren noch mehr an, um seine Aufmerksamkeit von den frevelhaften Gedanken abzulenken, die er hegte. Doch er konnte nicht anders – wenn er daran dachte, dass Gobat, der Schmied, tot war, überkam ihn die Furcht, dass sein großes Geschäft geplatzt war, für das er sich so hoch verschuldet hatte.

Zuerst hatte der Brandgeruch bestätigt, was sich alle, die um den Opios wohnten, schon vor Sonnenaufgang erzählt hatten. Als er dann den letzten Hügel vor Targurs Hof in rumpelnder Fahrt überwunden hatte, sah er die große Geschäftigkeit: Berittene Krieger durchquerten die kleine Ebene hinüber zum Opios. Sie kamen offenbar vom Hof. Der Mann, der in wehendem Umhang vorausritt, schien der Fürst selbst zu sein. Aus allen Richtungen liefen Menschen herbei; zwei Krieger mit Speeren eilten zum nahen Wald.

Itam musste am Tor vor zwei Wachen in voller Kriegsbewaffnung halten. „Ich habe seit letztem Vollmond jeden zweiten Tag eine Fuhre Holzkohle zur Schmiede gebracht, und es waren noch weitere bestellt“, erklärte er.

„Deine Holzkohle braucht keiner mehr“, wies ihn ein Krieger ab.

„Aber mein Lohn steht noch aus“, erwiderte Itam. Ihn beschlich die Furcht, dass sich seine Ansprüche in Nichts aufgelöst hatten. „Lasst mich zu Atto, dem Gehilfen des Schmiedes. Mit ihm habe ich das Geschäft abgeschlossen.“

„Atto ist tot.“

„Was, er auch? Und Gobat selbst auch, erzählt man sich – stimmt das wirklich?“

„Ja. Der Schmied, seine Familie, Atto, ein anderer Gehilfe und, wie es aussieht, noch zwei Krieger, die ihnen helfen wollten.“

Itam sackte auf seinem Karren zusammen, doch eine raue Stimme ließ ihn wieder hochfahren: „He, wer bist du? Dich habe ich doch in letzter Zeit schon öfter gesehen?“

Es war Maban, der berühmte dicke Hauptmann mit dem großen Schnauzbart. „Lasst ihn durch, wir brauchen seinen Karren.“

Maban interessierte sich nicht für Itams Geschäfte, als der ihn darauf ansprach. Dennoch keimte ein wenig Hoffnung in Itam auf, als der Hauptmann anordnete: „Du hilfst, den Brandschutt wegzuschaffen. Dann sehen wir weiter.“

Schon kurz darauf beluden Krieger seinen Wagen mit verkohlten Holzresten, Lehmbrocken und Eisenschlacken. Itam wunderte sich, dass er nicht selbst für diese schmutzige Arbeit herangezogen wurde – es schien, als ob sie den Schutt wie eine wertvolle Fracht behandelten. Zwei Bauern warteten ebenfalls, bis man ihre Karren belud.

Itam stieß beim Umhergehen auf Tragebahren im Schutz eines Seitengebäudes. Männer und Frauen legten verkohlte Skelettreste darauf und hatten offensichtlich Schwierigkeiten, die Knochen der einzelnen Leichen auseinanderzuhalten. Dabei war es wichtig, sie richtig zuzuordnen, denn die Knochen eines jeden Toten sollten in einer eigenen Urne beigesetzt werden; jede Seele sollte ihre eigene Behausung haben. Lange vor Itams Zeit war es üblich, die Toten zu verbrennen und ihre Asche in Urnen beizusetzen; mittlerweile begrub man sie. Da die Leichen des Schmiedes und der anderen bis auf die Knochen verbrannt waren, war das nicht mehr möglich und Targur blieb nur die Zwischenlösung, die Gebeine in großen Urnen zu bewahren, um ein angemessenes Begräbnisritual zu bewerkstelligen.

Ein Stück weiter sah Itam wieder Maban, den Hauptmann. Er stritt mit einem Mann, der nicht hochgestellt schien, aber dennoch aufwändig gekleidet war und vergoldete Armreife trug. Unwillkürlich näherte sich Itam ein Stück, in dem Durcheinander auf dem Hof fiel das nicht auf. Als er von dem Unbekannten die Worte „aber das Geschäft war abgeschlossen, ich habe meine Bedingungen voll und ganz erfüllt“ aufschnappte, horchte er auf. Der Mann schien in der gleichen Situation zu sein wie er selbst – der Brand drohte ihm wohl ein wichtiges Geschäft zunichtezumachen.

Itam hoffte, etwas zu erfahren, was ihm bei kommenden Verhandlungen nützlich sein konnte. Doch er hörte nichts Vielversprechendes: „Ich sage es noch einmal: Ich kann dich nur vertrösten“, erklärte Maban. „Spätestens bei der Totenfeier wird der Häuptling diese Fragen klären.“

„Aber das ist noch mindestens einen Mondlauf hin. Soll ich so lange in Ungewissheit leben? Ich habe den größten Teil meines Vermögens in diese Arbeit gesteckt. All die Bernsteine, Korallen, das Gold, das Silber und die Steine, wie sie hier noch niemand gesehen hat. Das war schon verarbeitet und ist wohl in den Flammen …“

„Still!“, fuhr ihn der Hauptmann so heftig an, dass der andere vor Schreck zusammenfuhr. „Kein Wort über die Sache selbst, verstanden? Das hast du geschworen – bei deinem Leben. Guar, du bist nicht der Einzige, den es getroffen hat. Du weißt am besten, welchen Schaden Häuptling Targur tragen muss.“

„Eben“, fuhr Guar auf. „Er wird den Schaden auf Leute wie mich abwälzen und nicht für meinen Aufwand aufkommen. Weißt du was? Ich wende mich wieder meinen früheren, viel prächtigeren Auftraggebern zu. In Pyrene4 wird meine Kunst mehr geschätzt als bei euch Schweinehirten. Ich breche sofort auf.“ Damit ließ er Hauptmann Maban stehen, der gleich darauf von zwei Kriegern mit Fragen bedrängt wurde, wie sie beim Abbruch eines halb eingestürzten Lehmhauses vorgehen sollten.

Kurz nachdem Itam dieses seltsame Gespräch mitgehört hatte, waren die Karren das erste Mal mit Brandschutt voll und mussten weggebracht werden. Ein Reiter leitete sie durch die Lücke in der Palisade. Itam wunderte sich, warum sie nicht durchs Tor hinausfuhren – fast schien es ihm, als sollten sie im Schutz des Palisadenzaunes vor Blicken vom Opios verborgen werden. Der Eindruck der Heimlichkeit verstärkte sich, als der Reiter sie auf kürzestem Wege zum Waldrand führte. Bei einer Eberesche lichtete sich das Gehölz, dort fuhren sie hinein. Ein gutes Stück quälten sich die Räder über Wurzeln, durch morastigen Boden und Unterholz. Dann hielten sie an einer Stelle, die Itam besonders finster erschien. Zwei Krieger standen bei einer frisch ausgehobenen Grube. Itam und die beiden Bauern mussten den verkohlten Schutt hineinfüllen. Merkwürdig, dachte er, hier, wo niemand zusah, wurde der Schutt nicht mehr als geheimnisvolle Fracht behandelt. Der Berittene hatte ihnen dann befohlen, wieder zurückzufahren und so lange weiteren Schutt herzuschaffen, bis sie neue Anweisungen bekämen.

Der Fürst wartete schon ungeduldig, als Fannac endlich kam, begleitet von Hauptmann Garmo. Wie aufgeregt der Spurenleser war, entging weder Segomar noch Ritomar, dem Priester.

„Ich habe etwas ganz Entscheidendes entdeckt, als ich die Knochen sortierte“, begann er. „Zwei der acht Leichen waren Krieger, ihre Schwertklingen lagen noch bei ihnen. Es waren aber nicht die Flammen, die sie töteten, sondern bewaffnete Männer.“

„Was? Wie kannst du so etwas an völlig verkohlten Knochen sehen?“, fragte der Fürst zweifelnd.

„Nun, es macht einen Unterschied, ob eine Leiche verbrennt und die verkohlten Knochen später – zum Beispiel durch herabstürzende Balken – zerbrechen, oder ob die Knochen vor dem Brand zerschmettert werden und dann verbrennen“, erläuterte der Spurenleser. „Im ersten Fall verkohlen die frischen Bruchkanten der Knochen wesentlich schwächer als die bereits verbrannten Außenseiten. Der Unterschied ist klar zu sehen, zumindest für mich. Im zweiten Fall, wenn der Knochen schon vorher brach, verkohlen Bruchkanten und der Rest der Knochen gleich stark. Außerdem sind Brüche, die durch Waffen entstanden, deutlich glatter als solche, die durch grobe Schläge verursacht wurden.“

Der Priester sprang auf: „Und du hast tatsächlich Spuren von Gewalt gefunden?“

„Ja. Die oberste Rippe eines der Krieger war glatt durchtrennt und die Bruchkante tief verkohlt. Die Rippe brach also schon, bevor sie verbrannte.“

„So eine Verletzung entsteht, wenn man einem Gegner das Schwert in die Brust stößt“, warf der Hauptmann ein.

„Und der andere Krieger?“, fragte Fürst Segomar.

„Sein Schädel war zertrümmert – vor dem Brand“, erklärte Fannac bestimmt.

„Bist du sicher? Kannst du dich nicht irren?“

„Ich bin absolut sicher, mein Fürst. Ich hatte doch zum Vergleich auch Knochen vor Augen, die erst während des Feuers brachen. Ich konnte die feinsten Unterschiede klar erkennen.“

„Wie ich schon sagte – Fannac kann die Spur eines Rehs auf dem Felsboden verfolgen.“ Der Hauptmann hatte keinen Zweifel an den Fähigkeiten seines Kriegers.

„Von Targurs Leuten hat doch hoffentlich niemand bemerkt, was du entdeckt hast?“, wollte der Priester wissen.

„Natürlich nicht.“

„Gut, so soll es auch bleiben“, beschwor Ritomar die Runde. „Niemand außer uns hier darf zunächst von diesem Geheimnis erfahren.“

Garmo und Fannac nickten.

„Was ist mit der Brandstätte?“, fragte der Fürst. „Konntest du dort etwas finden?“

Der Spurenleser schüttelte den Kopf. „Dort haben sie mich nicht hineingelassen.“

„Fannac, dein Fürst dankt dir und bewundert deinen Feinsinn“, lobte Segomar den Krieger und entließ ihn. Hauptmann Garmo wies er noch an: „Setze Spürtrupps auf diese Mörder an. Irgendjemand muss doch wohl gesehen haben, wohin sie nach dem Überfall geflohen sind.“

„Was sagst du dazu?“, wandte der Fürst sich dann an Ritomar, als sie alleine in der Halle waren.

„Ich habe meinen Traum richtig gedeutet – die Katastrophe kam von außen. Fannac fand das erste Stück des Weges zur Wahrheit. Ich sage dir nach wie vor: Lausche, was dir die Götter mitteilen. Das wird uns weiterbringen.“

Im Bann des Keltenfürsten

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