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Kapitel 14 – Erpressung Impfgesetz – Oktober 2021

Der Ärger war programmiert. Gleich zweimal. Egal. Sie schlüpfte in eine knallenge Jeans, schminkte sich, steckte die Lunar-Ohrringe an und warf ihre dunkle Wolljacke über die fast durchsichte Bluse. Wie immer, wenn sie ausging und nicht auf dem Sofa zuhause dahinvegetierte. Sie hatte ein Date. Und nahm den Bus, denn Lea wollte nicht auch noch verschwitzt ankommen. Sie schwitzte so leicht. Beim Salsa kein Wunder. Aber beim Schach, dass sie schon seit sieben spielte? Es hatte sie immer gestört. Sie war spät dran – wie immer.

Ihr Busnachbar stieg in der Yorkstraße aus und ließ die Zeitung liegen. Lea drehte sie mehr in ihre Richtung, so dass sie die fett gedruckten Nachrichten lesen konnte.

NEWSLOX: Minderheitsverhältnisse behindern neue Regierung bei Lösung der Corona-Krise; ANTI CORONA PARTEI erpresst Entgegenkommen für Zustimmung zu Impfgesetz; Regierung knickt ein.

Wenn sie schon den Namen der Partei hörte, kam es ihr hoch. Wie konnte ihr Vater sich nur so verrennen? Für sie hatte schon die frühere Regierung keine Lösung gehabt. Die Studenten und ihre Ängste spielten keine Rolle. Die waren nur Bauern im Schachspiel. Sie ballte die Faust. Was würde sie bloß mit Meteorologie anfangen, sollte sie das Studium fertigkriegen? Oft drang ihr doofes Gefühl durch, dass nichts aus ihr würde. Dann wurde sie antriebslos. Aber schuld war nicht nur die Politik. Sondern sie selbst. Wenigstens ein bisschen. Die beste Zeit ihres Lebens rauschte in der Pandemie an ihr vorbei. Sie hatte es sich zu bequem gemacht: zu viel Gemütlichkeit, zu viel Balkonien, zu viel Staycations. Genug @home: Office, Cook, Entertainment. Sie würde sich mehr politisch engagieren. Ihr Auftritt bei den Impfgegnern – das war es!

Kaum angekommen im Viktoriapark in Kreuzberg, waren ihre Gedanken vergessen. Ihr Herz schlug schneller. Sie sah sie ihn winken. Sie sehnte sich so sehr nach einem Freund und hatte schon beim ersten Treffen dieses Knistern gefühlt. Aber Ungeduld half nichts, selbst wenn Dating nun wieder ging.

Mit einem Küsschen begrüßte er sie. Sein lakonisches „Wie geht’s?“ klang für sie aber wie eine Standardfloskel.

„Ich hab‘ dir was mitgebracht“, sagte er und als er aus der Tasche Gutscheine für zwei Latte Macchiato fischte, lächelte sie wieder.

„Komm, die holen wir da vorne an der Ausgabetheke.“

Er griff nach ihrer Hand und zog sie mit.

„Zu deiner Frage: ich hatte vorhin einen riesigen Stress mit meinem Vater, weil ich mit Melanie eine kleine Demo für Impfpflicht organisiert hatte.“

„Oha, und was hat dem Papa daran nicht gefallen?“

„Ich soll mich aufs Studium konzentrieren. Er hat ja eigentlich Recht, aber ich will politisch aktiv sein.“ Sie verschwieg, dass dieser Entschluss erst kürzlich in ihr gereift war. „Nicht so vertrant wie meine Mutter. Ich glaub‘, der hat was gegen Melanie.“

Er reichte ihr den Latte und sie prosteten sich zu.

„Ich glaub eher, die stehen sich politisch wie kampfbereite Truthähne gegenüber.“

„Ich verstehe meinen Vater nicht. Er ist überhaupt kein Rechter und das Argument mit den fehlenden Beihilfen glaube ich nicht. Irgendwas anderes ist da.“

Eine untersetzte Frau lief mit ihrem anatolischen Hirtenhund an ihnen vorbei. Der kräftig gebaute Rüde mit dichtem Fell schaute die beiden fragend an, lief zu Lea, stellte sich neben sie. Plötzlich hob er das linke Bein und fing an zu pinkeln. Sie sprang zur Seite und lachte. So stark, dass sie dabei ihren Kaffee verschüttete. Davide zog ein Tempo aus der Tasche und wischte ihr den stählernen Armreif ab.

„Der wird hoffentlich nicht rosten.“

„Liebe darf auch nicht rosten“, flüsterte sie unbeholfen.

„Für diesen Satz sollte ich dich küssen.“

„Tu’s doch.“

Er schaute sich um wie ein Verfolgter. Seine kräftigen Lippen trafen auf ihren schmalen Mund. Sie wurde rot. Dabei wollte sie doch cool bleiben. Viel zu schnell zog er wieder zurück. Entschlossen griff sie seine Hand und zerrte ihn hin zum Wasserfall des Parks. Lea suchte einen Weg hinter die künstliche Schlucht. Sie wollte mehr von ihm. Jetzt. So lange war es schon her. Sie konnte sich an den Typen kaum noch erinnern. Ihr Herz pochte bei dem Gedanken.

Das Rauschen des Wassers war laut. Er konnte sie nicht verstehen. Lea zog ihn an sich und zeigte mit ausgestrecktem Arm hinauf zum Schinkeldenkmal. Dort wollte sie hin. Und auf dem Weg würde sie ihn irgendwo verführen. Auch wenn das alles viel zu schnell ging.

„Die Politiker erreichen die jungen Menschen einfach nicht“, ging er über die Annäherung hinweg.

„Stimmt, die Kanzlerin hat ja auch keine Kinder. Von Studieren in Isolation versteht die nichts“, führte Lea fort. „Die vergessen uns. Dabei leiden wir am meisten unter dem Eingesperrtsein. Wir sind Corona-Brecher, werden später geimpft, sollen dann auch noch die Zeche zahlen. Die ZENTRALEN haben das verbockt.“

„Klingst ja wie dein Vater.“

„Vielleicht. Nur, dass ich nicht die Rechten wähle.“

„Die Politiker kapieren nicht mal, wie wir Informationen aufnehmen. Kennst du die Bloggerin Mara Irgendwas? Die hat es drauf. Sie ist jung, beherrscht die Social Media-Szene, ist so eine halbe Migrantin aus Russland und schreibt richtig gute Blogs. Bei den Konservativen gibt es das nicht.“

„Tja und jetzt: Mehrheit futsch, weil sich die Wähler bis 35 aufsplittern in die neue Vielfalt – nicht wirklich lustig, Davide.“

Lea blieb stehen und sah ihn verträumt an. Versuchte, mit der freien Hand nach seiner zu greifen. Sie bewunderte seine klaren Gedanken und ließ ihn weiterreden. Sie mochte seine Stimme. Sie marschierten weiter und näherten sich immer mehr dem Wasserfall.

„Stattdessen bildet der neue Kanzler eine Regierung nach Diversität. Hast du das gelesen?“

Er zog den Arm weg und hielt ihr das Handy vors Gesicht. Warum wollte er wieder Abstand? Ihr Herz fing an zu pumpen.

NEWSLOX: Bundesregierung wird von FORTSCHRITTSPAR-TEI paritätisch, aber allein nach Diversitätsgrundsätzen gebildet: Geschlecht, Religion, Hautfarbe, sexuelle Identität, Alter und Fähigkeiten; Kompetenz und Erfahrung nicht entscheidend aus Sicht der Vizekanzlerin, LSBT.

„Als ob es nach Parität und Kompetenz nicht schon schwierig genug wäre. Unerfahrene Bäcker backen aber keinen besseren Kuchen. Die FORTSCHRITTLICHEN hätten die Chance, es anders zu machen, aber was ist? Die gleiche Scheiße wie bisher.“

„Guter Punkt, wenn schon Diversität, dann doch bitte mit uns Jungen in der Regierung“, antwortete sie. Aber küss‘ mich doch, flehte sie innerlich. Tu es doch einfach.

„Dem Kanzler hat irgendeiner ins Hirn geschissen. Man besetzt doch nicht das wichtigste Gremium im Land nach Diversität. Das geht in die falsche Richtung.“

Sie würden bald erleben, wohin Unerfahrenheit in der Minderheitenkonstellation der Regierung führen würde.

Lea schmachtete ihn an, unsicher, ob sie ihn küssen sollte. Er machte sie so an. Politik war ihr wichtig. Aber im Moment? Am liebsten würde sie hier und sofort. Sie verdrängte den Gedanken und kraxelte näher an das Wasser. Lea beugte sich vor, als ob sie ausrutschen würde. Sie hoffte so sehr, dass er sie festhielte. Sie hatte sich getäuscht.

„Lea, ich verrat dir jetzt was. Ich will Politiker werden, ein Vertreter unserer Generation. Ich habe einen unkonventionellen Hintergrund und kann reden.“

In dem Moment konnte sie sich nicht mehr halten, rutschte aus und landete im Wasser.

„Lea, was machst du denn?“

„Hilf mir halt, es ist saukalt!“

Er half Lea heraus, streifte seine Jacke ab und legte sie ihr auf die Schultern. „Komm, wir müssen ins Warme. Da vorne steht ein Taxi. Ich bring dich hin.“

„Küss mich lieber, du Depp.“

„Keine schlechte Idee. Ich denk drüber nach.“

Er streichelte zärtlich ihre Wangen, umarmte sie, rubbelte sie und küsste sie ruckelig. Endlich. Lea schloss die Augen.

„Vielleicht unterstützt mich dein Vater mit seinen Kontakten ja sogar.“

„Wie romantisch, Davide.“

Sie zog ihn an sich und durchbohrte ihn mit ihrer Zunge. Waren sie die Koalition der Guten? Lea hatte anderes im Kopf.

Brenzlige Wahlen

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