Читать книгу Tief in seinem Inneren - S. N. Stone - Страница 5

2. Kapitel

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Dana hatte sich schwergetan, Max Empfehlung zu folgen. Ausschlaggebend es zu tun, war das Zusammentreffen mit den Eltern und dem Bruder von Ina gewesen.

Herr Drews hatte weinend dagesessen, der Bruder im Teenageralter war blass und teilnahmslos gewesen, Frau Drews hatte gefasster gewirkt.

Sie wusste, dass in solchen Situationen oft die Frauen, die Stärkeren waren. Die waren, die sich zusammenrissen, bemüht, zu helfen, Auskunft zu geben. Sie litten nicht weniger, im Gegenteil, wahrscheinlich sogar viel mehr, weil sie versuchten, alles zusammenzuhalten und innerlich zerbrachen.

Dass sie nichts von Ina gehört hatten, sei keine Überraschung gewesen. Ihre Tochter habe angekündigt, dass es die ersten Tage schwer sein würde, sich zu Hause zu melden. Mit einem Anruf habe man erst gerechnet, wenn sie in Jaipur angekommen war. Ganz wohl sei ihnen nicht gewesen, da sie geplant habe, Orte zu bereisen, die für Touristen nicht ungefährlich waren.

Dass die Gefahr für sie viel näher gelegen hatte, als befürchtet, war ein sehr böser Schlag des Schicksals gewesen.

Bei der Verabschiedung war es der Bruder, der Dana die Hand gereicht, sie traurig angeblickt und gefragt hatte, ob sie ihm versprechen könne, den Täter zu fassen.

Er war es gewesen, der sie bewogen hatte, Christian Layes Adresse in Erfahrung zu bringen und sich nun auf eine zweistündige Autofahrt zu ihm zu begeben.

Als Max ihr von dem Mann erzählt hatte, war sie erleichtert gewesen. Bei seinen Worten hatte sie tatsächlich eher an besagten Seelenverkauf gedacht, als daran, dass er und seine Kollegen ihre Ermittlungen auf die Offenbarungen eines Hellsehers gestützt hatten. Trotzdem war ihr der Gedanke, so jemanden zu Hilfe zu holen, absurd erschienen. Wie verzweifelt mussten sie gewesen sein, sich an einen - sie bemühte sich, das Wort Scharlatan nicht zu denken - zu halten?

Es war nicht so, dass Dana nicht daran glaubte, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gab, als man meinte. Sie war tief im Inneren sogar gläubig, war von ihrer serbischen Mutter und Familie geprägt, aber viele dieser selbsternannten Spirituellen waren in ihren Augen einfach doch Scharlatane.

Natürlich hatte Dana Max gefragt, ob sie die Behauptungen dieses Mannes nicht für Täterwissen gehalten hatten.

Hatten sie, anfangs. Jedoch war Laye ein recht labiler Geist, der aufgrund von Klinikaufenthalten wasserdichte Alibis für zumindest einen Teil der vermeintlichen Tatzeiträume gehabt hatte. Das war auch ein Grund, weshalb Max keine Ahnung über seinen Aufenthaltsort hatte und Dana über das Melderegister hatte gehen müssen.

Als sie in die kleine Straße einbog, die zum Haus führte, hoffte sie, dass er zurzeit alle Sinne beieinander haben würde und da war.

Seine Vermieterin öffnete. Eine alte, kleine, runzlige Frau, mit wachen Augen.

»Ja bitte?!«, brüllte sie.

»Guten Tag, mein Name ist Dana -«

»- Sie müssen schon lauter sprechen, mein Gehör macht nicht mehr mit.«

Dana räusperte sich. »Mein Name ist Dana Jagmin, ich möchte zu Herrn Laye, ist er da?«, fragte sie nun wesentlich lauter.

»Oh sie sind eine Freundin? Das ist aber schön, dass der Junge endlich mal eine nette Frau gefunden hat. Er hat mir gar nichts erzählt. Kommen Sie rein, kommen Sie rein!« Sie wedelte mit den Händen. »Er ist oben in seiner Wohnung. Die Treppe rauf und die Tür links. Gehen Sie nur, meine alten Beine wollen nicht mehr so.«

Dana nickte zum Dank und stieg die Stufen hinauf.

Sie klopfte an und wartete. Ihren Dienstgrad zu nennen, hatte sie absichtlich vermieden, immerhin war sie nicht offiziell hier und sie hatte niemanden von ihrem Vorhaben in Kenntnis gesetzt.

Bevor sie nur einen Gedanken daran verschwendete, wie sie es ihren Vorgesetzten beibringen würde, jemanden wie ihn zurate zu ziehen, wollte sie sich den Kerl anschauen.

Die Tür wurde geöffnet und Dana blieben die vorbereiteten Worte im Hals stecken.

Auf einen Mann, etwas jünger als sie, war sie vorbereitet gewesen, sie kannte sein Geburtsjahr.

Auf einen Mann in einem seidenen Gewand, vielleicht mit Turban auf dem Kopf, Ketten um den Hals, verschroben und nach Räucherstäbchen riechend auch. Einem sonderbaren Typen, der zu schweben schien, sie vielleicht durch eine Brille mit dicken Gläsern anschaute, ebenfalls. Aber nicht auf einen, der sie um einen Kopf überragte, in Jeans und T-Shirt gekleidet, ganz normal, sogar sehr attraktiv war.

Ja, sie neigte immer wieder zu Vorurteilen, selbst, wenn sie es hätte besser wissen müssen.

Sie fing sich sofort wieder.

»Herr Laye?«

Er schien ihre Verwirrung nicht bemerkt zu haben, schaute eher ängstlich als irritiert und nickte.

»Mein Name ist Dana Jagmin -«

»- Ich weiß, wer Sie sind«, sagte er leise. »Bitte, wollen Sie reinkommen?«

Er trat beiseite und ließ sie vorbei.

Während er hastig Papiere, Bücher, Zeitungen vom Sofa räumte, einfach auf den Boden stapelte, schaute sie sich unauffällig um: besagtes Sofa, Glastisch, ebenso zugepackt, Kommode mit Fernseher, Regale mit Büchern, Schreibtisch mit Computer, Tastatur, zwei Monitoren, Laptop, diversen Utensilien.

Keine Duftlampen, keine purpurnen Vorhänge, keine Kerzen, keine Kristallkugel.

»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«, fragt er.

Dana zuckte zusammen. »Nein, entschuldigen Sie, Macht der Gewohnheit, vielleicht sogar berufsgeschädigt«, erklärte sie.

»Nehmen Sie Platz. Ein Glas Wasser?«

»Gerne.«

Er verschwand, ohne ihr Lächeln zu erwidern.

Ihr Blick suchte die Sachen am Boden ab: Notizen, Zeichnungen, Fachbücher. Im Regal: Satre, Hesse, Goethe, Brecht, Grass, Fontane, Shakespeare, Hoffmann, Literatur, mit der sie nur wenig anfangen konnte.

»Die Kristallkugel ist mir gestern runtergefallen«, sagte er.

Sie schaute auf. Er stand noch in der Tür zur Küche, zwei Gläser in der Hand und sah sie ernst an. Woher wusste er?

Laye stellte die Gläser ab und zog sich den Schreibtischstuhl heran.

»Sie haben mich nicht gefragt, was ich von Ihnen will«, begann Dana das Gespräch.

»Ich gehe davon aus, dass Sie mir das jetzt sagen werden.«

»Max Grothe.«

Bei der Nennung des Namens wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht.

»Er hat mit mir über Sie und Ihre Rolle in einem seiner Fälle gesprochen.«

Er rutschte nervös auf dem Stuhl nach vorne.

»Ich arbeite an einem ähnlichen Fall und wir stehen vor ähnlichen Problemen. Er riet mir, mich an Sie zu wenden.«

»Damit ich was tue?«, fragte er und seine leise Stimme war nur noch ein Flüstern.

»Nun, Max deutete an, dass Sie ein Hellseher sind. Ich muss gestehen, dass ich keinerlei Erfahrung mit so etwas habe, nicht einmal weiß, was ich davon halten soll. Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist oder wie ich Ihnen gegenübertreten soll, aber ich bin verzweifelt.«

»Ich bin kein Hellseher

»Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«

Christian Laye stand auf und ging zum Fenster. Er stützte sich auf das Fensterbrett und schaute hinaus.

»Hören Sie; da ist ein Monster unterwegs, das Schreckliches tut.« Dana hatte die Entscheidung getroffen, sofort zur Sache zu kommen und ehrlich zu sein. »Dieser Fall, lässt mich nachts wach liegen, beschäftigt mich so sehr, dass ich mich sogar an den klitzekleinen Strohhalm klammere, den Max Grothe mir gereicht hat. Dass ich mich an Sie wende, ohne wirklich viel über Sie zu wissen. Ohne zu wissen, ob Sie tatsächlich helfen können oder ein Spinner sind.«

»Ich bin kein Hellseher, ich habe Visionen. Das sind die Monster, die mich begleiten und mir den Schlaf rauben.«

»Wenn Sie etwas wissen, wenn Sie helfen können, bitte, tun Sie es. Sie wussten, wer ich bin, wussten, wonach ich in Ihrer Wohnung gesucht habe.«

Er drehte sich zu ihr und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wenn es das war, was Sie überzeugt hat, dass ich Dinge sehe, dann muss ich Sie enttäuschen. Ihr Bild war in einer Zeitung abgebildet und das mit der Kristallkugel; sicher war es Ihnen nicht bewusst; Sie haben vor sich hingemurmelt.«

Das Murmeln war eine Macke von ihr. Zu Beginn ihrer Laufbahn hatte sie es ständig gemacht, so konnte sie Dinge besser aufnehmen, hatte sie das Gefühl. Mittlerweile vermied sie es, manchmal passierte es trotzdem.

»Eigentlich bin ich noch nicht überzeugt. Das Einzige, was ich sicher weiß ist, dass ich mich auf Max verlassen kann. Er ist kein Schwätzer, kein Träumer, kein Spinner.«

Laye drehte sich wieder zum Fenster, als könne er nur frei reden, wenn er sie dabei nicht ansah.

»Es passiert, seit ich denken kann. Es sind Bilder, die sich in meinen Kopf drängen, zumeist unschöne, eigentlich nur unschöne. Ich kann es nicht beeinflussen, aber forcieren oder versuchen, sie zu reduzieren, indem ich mich zurückziehe. Ich habe lange nach diesem Ort hier gesucht, nach einem zu Hause, das mir ein wenig Sicherheit gibt.

Damals konnte ich mich nicht mehr verstecken. Die Bilder kamen, waren ständig da. Ich sah Dinge, grauenvolle Dinge, die geschehen waren. An jeder Ecke, überall, wo ich war, gleich, was ich getan habe, die Morde waren allgegenwärtig und die Visionen dermaßen stark, dass ich den Entschluss gefasst habe, dem allen ein Ende zu setzen.

Es war schwer für mich, nicht den einfacheren Weg zu wählen, sondern mich an die Polizei zu wenden. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen erklären muss, was das bedeutet. Da taucht ein Spinner in einem Polizeirevier einer Kleinstadt auf und behauptet, Dinge über die Morde zu wissen, viel mehr als das, der behauptet Dinge zu sehen, die die Morde betreffen.

Ich konnte sie überzeugen, ich konnte helfen, aber es hat mich kaputtgemacht.

Nach der Sache war ich lange in einer psychiatrischen Klinik, ein Ort, den ich viel zu oft von innen gesehen habe. Es war ein harter Kampf, mich einigermaßen davon zu erholen und ich weiß nicht, ob ich bereit bin, dieses Risiko erneut einzugehen.«

»Ich weiß, wie es Ihnen ergangen ist«, sagte Dana.

Er wendete sich ihr zu und sprach laut und dieses Laute glich durch seinem, bisher so ruhigen Ton, einem Schreien, sodass Dana zusammenzuckte.

»Ich denke nicht, dass Sie es in irgendeiner Weise wissen. Selbst wenn Sie das Gleiche erlebt hätten, würden sie nicht dasselbe fühlen, genauso wenig, wie ich wie Sie fühlen würde. Warum sagen Menschen so etwas?«

»Vielleicht, weil sie wie ich die falschen Worte wählen, um Verständnis ausdrücken zu wollen. Sicher empfindet jeder Mensch jede Situation unterschiedlich, dennoch sollen diese Worte signalisieren, dass man es nachvollziehen kann.«

Chris Laye setzte sich zu ihr und trank einen Schluck Wasser.

»Es tut mir leid. Ich habe nur allzu oft diese Phrasen gehört. Von Menschen, die glaubten, im Urschlamm meines Lebens wühlen zu müssen, ohne selbst jemals durch die Dunkelheit der eigenen Seele gegangen zu sein. Doktoren, Professoren, die mich über ihre Notizen, über den Rand ihrer Brillen, angesehen haben. Verständnisvoll genickt und gelächelt haben, mit dem Gedanken; gut, dass ich nicht so bekloppt, wie der bin. Ich habe geheucheltes Verständnis satt!«

»Ich bin nicht als Heuchlerin bekannt.«

Er sah sie eine Weile an und Dana konnte nicht verhindern, dass sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten.

»Bis wann muss ich mich entschieden haben?«, fragte er.

»Ich hoffe jederzeit auf Ihre Unterstützung. Ich verbringe die Nacht hier im Ort und fahre morgen früh zurück.« Sie holte eine Visitenkarte aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. »Meine Telefonnummer.«

Dana atmete tief die kühle Abendluft ein. Sie bereute es, den Wagen vor dem Haus geparkt zu haben. Nur zu gerne wäre sie noch ein paar Schritte gegangen.

Beim Aufschließen des Autos, warf sie einen Blick hinauf zum Fenster von Chris Layes Wohnzimmer. Sehen konnte sie nichts, aber ein Gefühl sagte ihr, dass er dort stand und sie beobachtete.

Tief in seinem Inneren

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