Читать книгу Wenn Alpträume wahr werden - Sandra Keller - Страница 4

Ein schicksalhafter Abend

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Ich kannte Jan schon seit 11 Jahren - wir waren auch anfangs mal zusammen, aber nur wenige Monate, da wir uns während der Beziehung oft stritten. Wir merkten beide, dass wir als Freunde besser zurecht kamen und so war es für beide okay, dass wir uns trennten. Danach war die Freundschaft immer sehr harmonisch und das ein oder andere Mal, wenn wir uns beide nach Nähe sehnten, schliefen wir miteinander.

Seit 5 Jahren war unsere Freundschaft etwas eingeschlafen. Ich hatte scheinbar den Mann fürs Leben gefunden. Seitdem meldete ich mich kaum noch und hatte auch keine Zeit mehr mich mit Jan zu treffen. Sebastian war mir einfach wichtiger.

Solange die Freundschaft nicht weiter darunter litt, sagte Jan, dass es für ihn okay sei und dass er es mir gönnt, wenn ich glücklich wäre.

Ab dem Zeitpunkt stürzte er sich regelrecht in seine Arbeit und wenn ich ihn erreichen wollte, bekam ich ihn nur selten ans Telefon. Er hatte einen neuen Job angenommen und es schien sehr stressig zu sein. Er fuhr morgens schon in aller früh ins Büro und kam erst spät abends zurück. Manchmal wartete ich einige Wochen auf seine Antworten, was für ihn absolut untypisch war.

Eines Tages meldete er sich richtig niedergeschlagen am Telefon und erzählte mir, dass der Arzt bei ihm akute Lymphzellen-Leukämie festgestellt hatte.

Diese Nachricht traf mich wie ein Schlag und obwohl er es war, der krank war, musste ich weinen. Er sagte, es sei noch lange nicht zu spät, aber er müsse sich einer Chemotherapie und Bestrahlung aussetzen. Er würde den Kopf nicht in den Sand stecken, also sollte ich es auch nicht tun.

Ein paar Wochen nach der Meldung rief er mich an. "Kommst du heute Abend zu einer spontanen Grillfeier?", fragte Jan.

"Im Oktober? Bist du sicher? Nicht, dass du dir ´ne Erkältung einfängst?!", erwiderte ich skeptisch.

"Ach komm schon, du würdest fehlen. Außerdem sitzen wir doch drinnen und wirklich kalt ist es heute auch noch nicht."

"Hmm, okay dann kann ich dir wenigstens in den Hintern treten, wenn du ohne Jacke raus gehst.", gab ich zurück.

"Das ist ein Deal! Ich hol dich um 19:00 Uhr ab. Dann kannst du wenigstens auch was trinken.", versprach Jan.


Ich freute mich über seine Einladung und war froh, ihn endlich wiederzusehen. Aber ich machte mir Sorgen, dass er sich vielleicht zu viel zumutet oder sich eine Erkältung einfangen könnte und das wäre bei seinem zerstörten Immunsystem der reinste Super-GAU.

Punkt 19 Uhr klingelte er wie versprochen und eine halbe Stunde später waren wir bei ihm angekommen. Es waren auch schon ein paar Leute da, die ich nicht kannte.

Ein guter Freund von Jan hatte solange die Gäste mit Getränken versorgt und den Grill bereits soweit vorbereitet, dass wir sofort starten konnten.

Jan stellte mich allen vor. Die meisten waren neuen Arbeitskollegen - ich konnte mir die Namen gar nicht alle so schnell merken. Sie fragten mir Löcher in den Bauch, wer ich sei und woher ich Jan kenne, weil er bisher nie von mir erzählt hatte.

Ich beantwortete geduldig eine Vielzahl der Fragen, einige umging ich meiner Meinung sehr geschickt. Zum Beispiel, ob wir zusammen waren. Irgendwie fand ich, dass die das nichts anging und wenn es Jan wichtig gewesen wäre, hätte er es ihnen sicherlich selbst schon gesagt.

Jan rettete mich und zog mich mit sich. Er wollte mir unbedingt noch jemanden vorstellen. Es konnte ja nur besser werden als dieses Kreuzverhör.

Dann stand er vor mir: der Mann, dessen Blick ich mich nicht mehr abwenden konnte. Ich brachte kaum ein Wort heraus, sondern stotterte nur so herum. Wie peinlich... Am liebsten hätte ich mich irgendwo weit weg versteckt und wäre nie wieder aufgetaucht.

Er war etwas größer als ich, straßenköter-blonde, kurze Haare, die er ein wenig mit Haargel bearbeitet hatte, blau-graue Augen, schlank, sportlich und ein wenig braun, aber so, dass es echt gut zu ihm passte. Nicht diese übertriebene Bräune... Und ein Drei-Tage-Bart. Eigentlich gar nicht meins, aber bei ihm war es richtig sexy. Sein Lächeln zog mich in seinen Bann. Dieses charmante, verschmitzte und auch freche Lächeln war bezaubernd.

Ich musste weg von ihm... weg von seiner Ausstrahlung... aus seinem Blickfeld verschwinden... Mein Herz schlug Purzelbäume und ich war wie gefesselt von ihm. So sehr mein Kopf sagte, ich sollte die Flucht ergreifen, so sehr wehrte sich der Rest meines Körpers dagegen.

Als er mir seine Hand zur Begrüßung reichte, zitterte meine. Als sich unsere Hände berührten, durchfuhr mich ein Gewitter der Gefühle. Das Knistern schien dieser Mann genauso zu spüren wie ich. Für eine Sekunde huschte Verwunderung über sein Gesicht. Was war nur los?! Ich musste mich zusammenreißen. Ich war vergeben und hatte ein Kind - wie konnte ich so auf diesen Mann anspringen?

Ben hieß er also... Mehr Informationen konnte ich in diesem Moment nicht aufnehmen.

Endlich erlangte mein Kopf wieder die Kontrolle. Ich entschuldigte mich und ging so schnell es ging, ohne auffällig zu wirken, Richtung Toilette. Mein Herz pochte immer noch und ich wusste, dass Ben mir hinterher sah, bis ich um die rettende Ecke verschwunden war.

Ich schloss die Türe ab und brauchte erst einmal Wasser zum Abkühlen. Schnell eine Ladung ins Gesicht. Scheiße... Mein Make-Up war ruiniert und ich hatte nicht mal welches mitgenommen. Ich hatte doch niemals damit gerechnet, dass ich so dringend eine Abkühlung brauchte, um nicht den Verstand zu verlieren. Dieser Mann fiel nicht mal in mein Beuteschema.

Ich wusch das verschmierte Make-Up aus meinem Gesicht, strich die Haare wieder in Reihe, atmete durch und schlich wieder raus. Ich schaute vorsichtig um die Ecke. Zum Glück war Ben nicht zu sehen.

Dafür Jan, der scheinbar schon auf mich gewartet hatte und mich jetzt angrinste wie ein Honigkuchen-Pferd. Ich raunte ihn an, wieso er so grinsen würde. Da grinste er noch breiter und sagte: "Ich wusste doch, dass ich dir Ben unbedingt vorstellen musste."

Sein Grinsen lief scheinbar einmal rund um sein Gesicht. Ich wollte ihn noch fragen, wie er darauf kommt, aber da zog er mich schon mit sich zu Tisch.

Meine Befürchtungen wurden erfüllt, als Ben mir genau gegenüber saß. Ich bekam keinen Bissen runter. Stattdessen trank ich mir Mut an und bis ich den richtigen Pegel erreicht hatte, hörte ich nur zu, wie die anderen meist irgendwelche Story's von der Arbeit erzählten.

Ich kam nicht drumherum Ben genauer anzusehen. Ich musterte ihn von oben bis unten.

Als ich den Ehering erblickte, war für mich alles klar. Er war auch vergeben und wie sich herausstellte, hatte er 2 Kinder.

Ich war nach der Erkenntnis, dass Ben verheiratet ist und Kinder hat, frustrierter als mir lieb war. Ich konnte selbst nicht begreifen, wieso ich es war. Auf jeden Fall wollte ich ihn nicht sehen und versuchte ihn den Abend über nicht weiter zu beachten. Aber jedes Mal, wenn sich unsere Blicken trafen, wurde mir heiß und ich konnte nicht anders als blitzschnell woanders hinzusehen.

Ich war froh, dass ich eine Aufgabe gefunden hatte, bei der ich meine Ruhe hatte. Ich räumte den Tisch ab und und kümmerte mich um den Abwasch. Alles passte nicht den Geschirrspüler, aber es war gut, denn so konnte ich mich Ben länger entziehen und musste ihm nicht ausweichen.

Zumindest dachte ich das... Ben kam in die Küche, nahm sich kommentarlos ein Geschirrtuch und fing an, die Schüsseln abzutrocknen. Wir sprachen kein Wort miteinander, aber auf irgendeine Weise war er mir so vertraut und seine Nähe tat gut. Er strahlte eine Ruhe aus, die sich direkt auf mich übertrug.

Er nahm die nächste Schale direkt aus meiner Hand entgegen und dabei berührten wir uns. Es war ein warmes und angenehmes Gefühl. Das machte mir ein wenig Angst und ich zog meine Hand schnell zurück und wich seinem Blick aus.

Der Mann machte mich vollkommen verrückt. Ich wollte ihm nah sein, aber wenn wir es uns waren, hielt ich es nicht aus.

Den restlichen Abwasch erledigten wir schnell und weiterhin wortlos. Er lächelte mich an sobald sich unsere Blicke trafen. Ich bedankte mich für seine Hilfe und wollte gerade mit einem Spültuch bewaffnet verschwinden, um den Tisch noch abzuwaschen. Da nahm er mir das Tuch aus der Hand und sagte, dass das Warten könnte.

Viel lieber würde er sich noch mit mir unterhalten und mehr über mich erfahren. Ich merkte die Röte förmlich in die Wangen steigen. Er fragte, ob wir zu den anderen gehen wollten oder uns lieber allein ein wenig besser kennenlernen sollten.

Ich wollte alles außer wieder raus zu der neugierigen Meute, also entschied ich mich für den Dialog mit Ben. Er holte uns dazu noch etwas zu trinken und meldete sich bei den anderen ab.

Wir setzten uns ins Kaminzimmer, wo er mir viel von sich erzählte und er genauso viel über mich erfahren wollte.

Ich klebte an seinen Lippen und war fasziniert von ihm. Nach den Anlaufschwierigkeiten redeten wir stundenlang über uns, die Kinder, die Partner... Diese Vertrautheit war gefährlich schön.

Um kurz nach 2:00 Uhr kam Jan zu uns und fragte, ob es okay für mich sei, wenn er sich hinlegt und Ben mich nach Hause fährt.

Ich sah das erste Mal auf mein Handy. Scheiße. 4 Anrufe in Abwesenheit und 3 SMS von Sebastian. Ich musste wirklich nach Hause. Er machte sich sicherlich Sorgen wo ich so lange bleibe. Der letzte Anruf war um kurz nach 1.

Ich überlegte, ob ich selbst nach Hause kommen könnte, aber der erste Zug würde erst gegen 6 Uhr fahren und bis ich dann Zuhause wäre, wäre es 8 Uhr. Sebastian würde toben zumal ich ihm gesagt hatte, ich sei um Mitternacht zurück.

Mir blieb nichts anderes übrig, als Bens Hilfe in Anspruch zu nehmen und mich fahren zu lassen. Er sagte, er würde das gern tun. Mir schoss durch den Kopf, dass er gut verdienen müsste bei dem dicken BMW, den er fuhr.

Ich wollte ihn eigentlich nicht danach fragen, tat es dann aber doch. Er sagte, dass sei ein Dienstwagen. Meine Neugierde wurde noch größer. Wer fuhr so einen Dienstwagen? Doch nur wirklich hohe Angestellte. Er lächelte nur und sagte: „Ich bin Abteilungsleiter bei einer langweiligen Behörde“, und dabei beließ er es auch. Die Frage blieb die ganze Fahrt über in meinem Kopf.

Logisch, dass ich meinem Retter zum Dank einen kleinen Kuss auf die Wange gab. Dabei nahm ich das erste Mal bewusst seinen Duft wahr. Wow, roch er gut. Er bedankte sich für den schönen Abend und gab mir seine Karte. Auf die Rückseite schrieb er mir noch eine weitere Nummer auf. Seine private Handynummer. Ich warf einen kurzen Blick darauf. "Benjamin Kolbe - Leiter TE - Amt für Militärkunde" und steckte die Karte schnell ein.

Ich schlich mich dann rein. Zum Glück schlief Sebastian. Vielleicht konnte ich ihm sagen, dass ich kurz nach seinem letzten Anruf schon zurück war. Nachdem ich noch kurz nach Flo gesehen hatte, zog ich mich schnell und leise aus und legte mich ins Bett.

Aber ich machte kein Auge zu, sondern musste andauernd an Ben denken. Ich kramte in meinem Gedächtnis, ob ich über dieses Amt schon irgendwann einmal etwas gehört hatte. Es sagte mir absolut gar nichts. Gleich morgen wollte ich Google befragen. Google weiß schließlich alles. Da konnte ich erst recht nicht mehr schlafen, weil ich die ganze Zeit überlegte, was dieses Amt sein könnte und was man doch macht. Und wieso hatte Jan mir nichts darüber erzählt?


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